Rezensionen 2007

Anne Marie Pircher, Rosenquarz
Erzählungen
Innsbruck: Skarabaeus 2007, 126 Seiten 

„Der Traum vom Bergwerk fällt ihr ein. Wie sie nackt, mit einer Lampe auf der Stirn, nach einem ganz bestimmten fleischfarbenen Stein sucht, dessen Name ihr entfallen ist.“ Ein Traum, der Paula, die Protagonistin der längsten Geschichte in Anne Marie Pirchers neuestem Erzählband, in den langen, einsamen Nächten verfolgt. Der Titel der ersten Geschichte, die gleichzeitig für das Bändchen namensgebend war, verrät die Lösung. Rosenquarz ist das gesuchte Mineral, um das sich herum die Geschichte der jungen, dynamischen Friseurin, rankt. Die Ereignisse weniger Tage im Leben Paulas, in denen diese von der Vergangenheit, die sie schon in ihrem Inneren gut verschlossen zu haben glaubt, wieder heimgesucht wird, bilden die Grundlage der ersten Erzählung. Amir, eine Zufallsbekanntschaft vom Gemüsemarkt, bringt das beschauliche, ruhige Leben der 33-jährigen Paula für ein paar Tage durcheinander. Nicht nur, dass er ihr ohne ersichtlichen Grund mit zehn Euro am Gemüsestand aus der Patsche hilft, erinnert er sie auch noch an jemanden, der schon vor Jahren ihr Leben aus der Bahn geworfen hat. Ihr Campus-Kollege in Kalifornien, der „Schah“, wie sie ihn alle nannten, hatte sie damals unter dem Vorwand ihr einen Job verschaffen zu wollen, zu sich nach Hause eingeladen, bekocht und dann brutal vergewaltigt und sadistisch gequält. „Zum Abschied“ hat er ihr ein Armband aus Rosenquarz über das Handgelenk geschoben. Der charmante iranische Geschäftsmann Amir weckt in ihr die Erinnerung wach. Er fasziniert sie und stößt sie ab zugleich, bis sie sich dennoch dem Abenteuer hingibt und eine Nacht mit ihm verbringt.
Die Autorin versteht es hervorragend, die Geschichte in ruhigen Bildern aufzubauen, um sie dann in einem spannungsgeladenen Gipfel, an dem die Sätze Momentaufnahmen des Geschehens lebendig werden lassen, zu entladen. Wie in Zeitlupe werden die Ereignisse vor den Augen des Lesers seziert, in Taten und in Gefühlen. Anne Marie Pircher macht nicht nur die Oberfläche sichtbar, sondern schaut hinter die Fassade des Realen. Sie scheut sich dabei auch nicht, manchmal sehr schwülstige Bilder zu bedienen und Kitsch aus ihren Sätzen träufeln zu lassen. So fliegt Paula mit der Straßenbahn über Stadtbuckel wie über Wellen oder ihr Haar löst sich im Nacken und fällt über ihre Schultern, als Amir sie heftig gegen seinen Körper drückt. Nur zwei Stellen, an denen die Autorin anscheinend gewaltsam versucht, auch belehrend zu wirken, bereichern die Geschichte nicht, sondern sind dem ansonsten leicht dahin gleitenden Erzählfluss hinderlich. Wenn Anne Marie Pircher sich einerseits über Genazinos „Liebesblödigkeit“ auslässt, der sie wohl nichts Gutes abgewinnen kann und wenn über die Weisheit des Ostens und des Westens philosophiert wird.
Die Protagonisten der anderen vier Geschichten, die bis auf Louis namenlos sind, bleiben dem Leser verborgen. Jeweils eine richtungsweisende Episode aus deren Leben wird in klaren Bildern geschildert. Sei es ein tödlich endendes Schwimmabenteuer, der Mann im Bus oder die schüchterne Frau in der Buchhandlung. Anne Marie Pircher weiß oft alltägliche Situationen in ihre Details zu zerlegen und dem Leser zu präsentieren, wie er sie noch nie in solcher Klarheit in der Hektik des Alltags wahrgenommen hat. Vielleicht erkennt man sich ja wieder als Frau, die einen Mann in einem Bus beobachtet oder als Kunde in einem Geschäft, als man von einem exaltierten Zeitgenossen verdrängt wurde. Szenen, die wir alle kennen, aber noch nie bewusst in dieser Intensität wahrgenommen haben. „Rosenquarz“ ist ihr drittes Buch und ihr zweites beim Skarabaeus Verlag, bei dem schon der Erzählband „Kopfüber an einem Baum“ erschien. Die Autorin wurde 1964 geboren und wuchs in Schema in Südtirol auf. Heute lebt sie mit ihrer Familie auf einem Bauernhof in Kuens bei Meran. 2002 wurde sie zum österreichischen Literaturwettbewerb „Floriana“ eingeladen. Mit den Erzählungen „Rosenquarz“ hat sie ihren Erfolg fortgesetzt. Eine Autorin, von der wir auch in Zukunft noch einiges erwarten dürfen. 

Petra Paumkirchner

 

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