Rezensionen 2007

Günther Loewit, Krippler
Roman
Innsbruck: Skarabaeus 2006


Günther Loewits neuer Roman weist mit seinem polyvalenten Titel Krippler bereits auf die Multidimensionalität der Hauptfigur voraus und präsentiert sich im manchmal auch sakralen Tonfall zunächst als eine harmlos anmutende Dorfpfarrergeschichte. Die Zwischentöne allerdings sind unmissverständlich – und auch wenn die Analogie zunächst befremdend erscheint – der Pfarrer Krippler geht mit etwas schwanger. Bereits das Buchcover und der dem Roman vorangestellte Leitsatz „Himmel und Hölle sind keine Gegensätze“ deuten darauf hin, dass der Protagonist von zwei einander scheinbar entgegen gesetzten Kräften getrieben ist. Die Gestaltung des Covers erinnert an das aus der chinesischen Philosophie bekannte Prinzip des Yin und Yang. Die Harmonie von Yin und Yang versinnbildlicht das Leben beziehungsweise die Möglichkeit dazu. Eben diese Möglichkeit zu leben verwehrt sich Krippler, indem er aus den falschen Gründen das vermeintlich Richtige tut.

Was richtig und was falsch, was gut und was böse ist, das weiß Krippler, seit er als Junge die Mutter vom Pfarrer und von dessen Nützlichkeit für die anderen Menschen schwärmen hörte.    Die Nützlichkeit und das Dienen am Nächsten, das sind die Maximen, die der kleine Krippler verinnerlicht. Sein Bestreben, der Mutter genügen und dem Alkoholismus des Vaters entkommen zu wollen, nährt seine Angst nutzlos zu sein. Die Antwort auf seine Angst ist die Flucht in das Priesteramt. Seine Entscheidung aber ist keine zum Glauben an das Leben, keine zum Leben bekennende, sondern wohl eine Flucht in den Glauben, den er längst verloren hat.

Hinter heiligen Mauern, in heiligen Hallen entsagt er der Liebe und macht sich schuldig an ihr, an Johanna Hofinger, seiner Geliebten, und seiner eigenen Lebendigkeit. Ausliefern will und kann Krippler sich nicht, zu groß ist seine Angst, die Kontrolle zu verlieren. Die Liebe ist ihm eine Bedrohung, ein Sich-Ausliefern. So hat Krippler seine erste Beerdigung, längst bevor er in Amt und Würden tritt. Mit der Beerdingung der Verbindung zu Johanna stirbt die Liebe und mit ihr ein Teil von ihm. Johanna wird ihn als schmerzvolle Erinnerung ein Leben lang zu begleiten. Schuldig wird Krippler an Johanna wie an sich selbst. Sein Leben als Pfarrer wird überschattet von einer Liebe, die ihn an das irdische Leben bindet – die Lebendigkeit der körperlichen Liebe ist dabei nur ein Bild. Die Frage ist nicht, ob Krippler mit Johanna ein glückliches Leben geführt hätte, vielmehr stellt sich die Frage, ob er seinem Auftrag als Mensch gerecht geworden wäre, indem er sich dem Leben und seinen Ängsten gestellt und sein Menschsein, mit allem Wohl und Übel, annehmen hätte können. Seine Angst, im Leben zu nichts nütze zu sein, zu nichts zu gereichen, verhindert ein Leben in Lebendigkeit. Kripplers nächtliche Phantasien von Johanna, sein Gedenken an die Stunden der körperlichen Hingabe, der Vereinigung und der Selbstvergessenheit, das ist es, wonach Krippler sich ein Leben lang sehnt, das ist es, wovor es sich fürchtet und was ihn an Johanna bindet. Die Frage, die er sich selbst nicht stellt, ist die nach seiner Liebesfähigkeit. So wenig, wie er sich Johanna hingeben kann, so wenig gibt er sich letztlich Gott hin. Zu sehr bindet ihn der Wunsch nach Kontrolle, Selbstbeherrschung und Macht an die weltliche Seite seines kirchlichen Amts, als dass er wirklich frei wäre für die bedingungslose Liebe und den Dienst an seinem Herrn. Statt einer Zeit der Ruhe, des Ausgefülltseins und der inneren Zufriedenheit beginnt für Krippler eine lebenslange, rastlose Suche nach Erfüllung. Krippler ist unfrei, er hält seine Liebe gefangen. Der Frage, die sich ein treuer, gläubiger Katholik nie stellen würde, mag sich doch der eine oder andere Leser stellen: Stellt Gott oder die Kirche Krippler vor die Wahl? Stellt sich die Frage nach einer Entscheidung für Yin oder Yang? Yang das männliche, aktive, zeugende, schöpferische Prinzip, Yin das weibliche, passive, empfangende, hingebende - ein jedes die Ergänzung des anderen. Das Eine bedingt das Andere. Die Entscheidung also für das eine unter Ausschluss des anderen ist gegen das natürlich-göttliche Prinzip. Die klangliche Analogie von „Krippe“ und „Krüppel“ im Namen Krippler verweisen auf den innern Widerstreit der beiden Prinzipien: Ein Krüppel wird Krippler durch die emotionale Selbstverstümmelung, als er der Liebe den Rücken kehrt und den einzigen Menschen der ihn liebt, verstößt. Die Starrheit der Kirche und ihrer Riten werden ihm zur einzig verbleibenden Zuflucht und Herberge (Krippe). Die Kirche gibt Krippler den – wenn auch nur vermeintlichen - Halt, den ihm weder sein Elternhaus noch die Beziehung zu anderen Menschen bisher geben konnten. Die Sicherheit bleibt aber eine vermeintliche nur, weil er seine Entscheidung für die Kirche und den Dienst an den Menschen unter den falschen Prämissen und aus den falschen Beweggründen wählt. Angst ist ein schlechter Berater und der Anspruch an sich selbst, einer Hälfte des Lebens zu entsagen, macht das Leben zu einer Hölle im Himmel, oder – wie es der Autor es so treffend dem Arzt, der sich um das leibliche Wohl der Menschen kümmert, in den Mund legt: „ … aber letztlich ist jedes Leben nur die Summe aller Verdammnis, die entsteht, wenn der guten Vorsätze zu viele sind.“

 

Kerstin Mayr

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