Rezensionen 2006

Walter Klier, Meine konspirative Kindheit und andere wahre Geschichten.
Innsbruck: Haymon, 2005.


Stiller Mitwisser einer Verschwörung, wie es der Titel verheißt, wird man in Walter Kliers „Meine konspirative Kindheit“ nicht. Und doch fühlt man sich irgendwie stets als ein solcher, wenn man sich von Klier durch seine Kindheit, Jugend und Erwachsenenjahre mitnehmen lässt. Vielleicht auch, weil der Untertitel zu den Kindheitsgeschichten noch „andere wahre Geschichten“ verspricht.
Die Texte, die bis auf Ausnahme der „Marienalm“ zwischen 1981 und 2005 bereits in österreichischen und deutschen Zeitschriften, Zeitungen und Anthologien (u.a. im Reiseblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) erschienen sind, beleuchten – neu versammelt in chronologischer Reihenfolge – blitzlichtartig Ausschnitte aus dem kulturellen und literarischen Panorama (auch über die Grenzen Tirols und Österreichs hinaus). Aus einer subjektiven Perspektive, aber nicht ohne eine ordentliche Portion Ironie und Humor, gelingt es Klier, an Schnittpunkten politischer, kultureller und gesellschaftlicher Entwicklungen anzusetzen und ein interessantes Licht darauf zu werfen. Gleichzeitig eröffnen die Geschichten den Blick auf ein Schriftstellerleben in Innsbruck, dessen Erfahrungshorizont sich nicht nur auf diese Stadt beschränkt.
Die erste Geschichte, die dem Buch den Titel gibt, versucht aus der Perspektive des Kindes eine Sicht auf das Thema des Südtirol-Aktivismus rund um den BAS. Auch wenn die Erklärungen und Wertungen die Weltsicht des damals keine 10 Jahre alten Kindes spiegeln sollten, ist doch fraglich, ob eine solche unreflektierte, streckenweise verharmlosende Darstellung dem Thema gerecht wird. In den darauf folgenden Geschichten aus der Kindheit und Jugend kann man dem kleinen Walter Schritt für Schritt beim Erwachsenwerden zusehen: vom ersten Tag im „Komposko“-Kindergarten über in der Phantasie des Kindes entstandene Traumwelten bis hin zu den Gymnasialjahren und ersten Kontakten mit Mädchen. Dass diese Erinnerungen, obwohl nach außen hin als Kinderperspektive dargestellte, in Wirklichkeit als vom Erwachsenen reflektierte begegnen, irritiert. Denn zu offensichtlich verrät sich hinter dem Kind der nur scheinbar distanzierte Erwachsene, etwas zu nahe kommt einem der Autor in solchen Passagen, und die ansonsten im Buch meisterlich eingesetzte Ironie gelingt in diesen Kindheitserinnerungen, denen Selbstdarstellung und der konzentrierte Blick auf die eigene Person nun einmal inne sind, daher nicht immer.
Erkenntnisreicher und auch sprachlich raffinierter als die Kindheitserinnerungen sind die Geschichten, die Klier - und mit ihm den Leser   - auf Reisen führen: Leichtfüßige Reisen sind es, wenn er in das kulturelle Leben der Landeshauptstadt Innsbruck entführt, mehr noch, wenn er die Grenzen Tirols verlässt und in Deutschland seinen „Bekannten“, Künstlern und Schriftstellerkollegen wie Heiner Müller, Sascha Anderson oder Thomas Brasch begegnet, auf den „Englischen Reisen“ seiner „Sehnsucht, Brite zu sein“ nachgeht oder sich zu „Wahren Abenteuern“ auf gefährlichen Klettertouren aufmacht. In wenigen Strichen gezeichnet, werden aus Namen überzeugende und fleischgewordene Charaktere. In den Passagen, wo Klier als Schriftsteller in Deutschland öffentlich auftritt, beweist er auch das gelungene Augenzwinkern auf die eigene Person und eine lakonisch-pragmatische Leichtigkeit im Umgang mit der eigenen Person. So entstehen Geschichten, die interessante Einblicke in das Leben – und die Schwierigkeiten – des Schriftstellers, Herausgebers der satirischen Zeitschrift „Luftballon“ und Drehbuchautors für einen ORF-Film über das Zillertal erlauben, um nur einige der im Buch dargestellten Tätigkeitsbereiche Walter Kliers zu nennen.
Kliers feiner Humor und der ironisch-doppelbödige Ton harmonieren mit dem Inhalt, den kurzen aber treffenden Blitzlichtern auf Begegnungen, Begebenheiten und Beziehungen. Den alltäglichen Kontakt mit Gemüse- und Buchhändlern, mit alten Bekannten, Schul- und Studienkollegen, denen man in einer Stadt wie Innsbruck nicht auskommt (auch wenn man es versucht), stellt Klier in kleinen, in sich geschlossenen Geschichten treffend dar, besonders amüsant die Geschichte des Herrn Murr, der in stoischer Ruhe Kunden, die bei ihm einen Stempel bestellt haben, durch immer und immer wiederholtes Vertrösten in die Verzweiflung treibt. Personen, die in Kliers Leben eine Rolle spielen oder gespielt haben, bleiben dabei nicht verschont. Da er keine Scheu hat, seine eigene Person mit allen Stärken und Schwächen literarisch darzustellen, müssen auch andere damit rechnen, namentlich erwähnt oder zumindest als leicht wieder erkennbar dargestellt zu werden.
Versammelt sind hier allemal interessante und intelligent angelegte Geschichten und entstanden ist ein insgesamt humorvolles und vergnügliches Buch, das nicht unkritisch, aber meist in einem liebevollen Ton ein Stück Alltags- und Kulturgeschichte Tirols von den 1960ern bis heute präsentiert.  

Sandra Unterweger

Nach oben scrollen