Rezensionen 2006

Carlo Romeo, Flucht ohne Ausweg.
Auf den Spuren des Banditen Karl Gufler.
Übersetzung aus dem Ital. von Martha Verdorfer, Dominikus Andergassen. Mit einem historischen Anhang von Leopold Steurer.
Bozen: Edition Raetia, 2005, 165 S.


Anhand von Prozessakten und Aussagen von Zeitzeugen eine Biographie zu schreiben, das ist der normale schon ziemlich dornige Weg, den der Historiker zu gehen hat, aber daraus einen „Historischen Roman“ – diese Bezeichnung findet sich auf dem Buchumschlag – zu verfassen, das ist ein möglicherweise noch schwierigeres Unterfangen. Gerade bei einem Karl Gufler (1919-1947, der von vornherein wie eine Figur aus einem Roman anmutet. Er stammt aus ärmlichen Verhältnissen, muss sich schon früh als Hüterbub und Knecht verdingen, optiert 1939 und rückt zur deutschen Wehrmacht ein, wird mehrfach ausgezeichnet, desertiert 1943 und lebt in den Wäldern des Passeiertals als Partisan, wird von den einheimischen Nazis gefangen genommen, zum Tode verurteilt, begnadigt und einer Strafkompanie in Ungarn zugeteilt, in einer abenteuerlichen Flucht gelingt ihm die Rückkehr ins Passeiertal, wo er sich als Führer der Deserteure an den Nazis rächt und den Hauptverantwortlichen für seine Verhaftung sogar ermordet. Eine kurze Zeit arbeitet er sogar offiziell für die Amerikaner. Nach 1945 kehrt wieder die ‚Normalität’ ein, seine Gegner gelangen wieder zu Ansehen und Ämtern, er hingegen ist nur mehr Bandit, der sich mit Diebstählen durchschlägt, bis er im Alter von 27 Jahren bei einem Schusswechsel mit den Carabinieri getötet wird.
Romeo hat daraus keinen Action-Roman gemacht, der Erzähler hält sich sehr zurück, zitiert an vielen Stellen die Aussagen bei den Prozessen und lässt Zeitzeugen sprechen. Es entsteht kein fest zementiertes Bild, weder wird zu sehr auf die soziale Komponente verwiesen, die einen solches Ende prädestiniert erscheinen lässt, noch wird Gufler wegen seiner Brutalität verurteilt. Die Figur – im Tal bereits zu einer Legende geworden – wird in all ihren schillernden Aspekten gezeigt. Was letztlich die inneren Beweggründe für sein Handeln waren – die meisten anderen, die ähnlich Schreckliches erlebt haben wie er, konnten sich wieder in das ‚bürgerliche’ Lebens eingliedern – konnte und wollte auch die literarische Herangehensweise nicht an den Tag bringen. Ein faszinierender Blick in die menschlichen Abgründe ist es allemal.

Anton Unterkircher

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