Rezensionen 2006

Egon A. Prantl, Hellfart .2
Innsbruck, Bozen, Wien: Skarabæus 2006, 132 Seiten. Mit einem Nachwort von Thomas Oliver Niehaus.


Eines gleich vorweg: Ich bin eine Anhängerin kryptischer Literatur. Es bereitet mir Freude, ,Leerstellen’ aufzufüllen, in verwirrenden Satzkonstruktionen nach Ordnungen zu suchen, abstrusen Geschichten zu folgen und Bedeutungen in scheinbar Bedeutungslosem, Chaotischem zu entdecken. Insofern kommt mir Hellfart .2 sehr gelegen.
Doch ich muss auch gestehen: Ich bin keine Freundin von Fäkalausdrücken, von blindwütigen Angriffen auf all das, was man seit den 68ern so angreift (ergänzt durch EU und Post-Golf-Generation), von Ausschöpfung der Tirolgarantie auf Skandale hervorgerufen durch entsprechende Literarisierung von Sexualität, Andreas Hofer und der Kirche. Drittens bin ich Literaturwissenschaftlerin und mein Instinkt sagt mir schon nach wenigen Seiten: Dieses Buch, auch wenn ich es nicht mag, ist gut.

 „Hellfart .2 sind die fiktiven Tagebücher des F. Fart, der rauschhafte Bewusstseinsstrom eines Wahnsinnigen, der atemlos und anspielungsreich um Sex, Drogen, Musik und Gewalt kreist“. Dieser Satz ist auf dem Buchdeckel zu lesen, und er drückt im Wesentlichen den Inhalt aus. Ein Lob an denjenigen, der die 132 Seiten dermaßen auf den Punkt gebracht hat. „Rauschhaft“ ist der Text allemal. Das Verfahren des ,stream of consciousness’ wird hier auf die Spitze getrieben, ein Wort ergibt das andere, Assoziationen reihen sich wie Glieder einer Kette nahtlos aneinander, das dadurch entstehende Tempo ist tatsächlich ,atemlos’. Wie wahnsinnig F. Fart nun tatsächlich ist, kann so einfach nicht beantwortet werden. Unlogisch ist das Chaos paradoxerweise nicht. Aufgrund des Anspielungsreichtums kann man auf einen relativ hohen Bildungsgrad F. Farts schließen, der die antike Mythologie, allem voran Ödipus, sowie Historisches und breit gefächertes Allgemeinwissen in seinen Bewusstseinsstrom einflicht.

Müde nach „FUN & RAVE & DRUGS“ geht F. Fart den Fluss (Inn) entlang und verliert sich in ausschweifenden Gedanken und Halluzinationen. Die „Festung Europa“ bereitet ihm Angst, er fühlt sich blind, wettert gegen die Schuldhaftigkeit der Kirche, unterhält sich mit Hofer und Ödipus, riskiert mit Medea eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, fällt trunken ins Gras, versucht, nicht vorzeitig in selbiges zu beißen. Von dieser Eröffnungsszene aus ergeht sich F. Fart in zahlreichen Anspielungen und Anschuldigungen, sein Denken ist geballte Wut, manchmal wohl auch Verzweiflung. Er fragt sich, was aus dem Zorn der 68er Generation geworden sei, ob die Revolution der politischen Korrektheit weichen musste.

Trotz der bestsellerverdächtigen Themen (Sex, Drogen, Musik, Gewalt) bleibt sich Prantl treu. Gabriele Crepaz hat ihn einmal als „Nischenschreiber“ bezeichnet – auch Hellfart .2 ist ,Nischenliteratur’ für ,Nischenleser’, denn letztere werden sehr gefordert. Prantl tut (fast) alles, um es ihnen schwer zu machen: Satzzeichen (ergänzt durch Pfeile und verschiedenartige Klammern) stehen hinter den Leerzeichen, die Schriftarten wechseln; zu den optischen Erschwernissen kommt auch der Umstand, dass es so gut wie keine vollständigen Sätze gibt. Auch einen durchgehenden Text sucht man vergeblich: ,Haupttext’ und Einschübe bzw. Fragmente wechseln wild durcheinander. Doch das vermeintliche Chaos ist in einen Rhythmus gebettet, der sich bei lautem Lesen offenbart, der trägt, der dem Ganzen Zusammenhalt und Logik verleiht. Zudem zeigt sich eine wohl durchdachte Konstruktion, indem Prantl den antiken Stoffen Personen aus der Popkultur und Anspielungen auf typische Merkmale unserer Gesellschaft gegenüberstellt: Coca-Cola-Kultur, Aids, Zigarrenwerbung, MP3-Player usw. stehen wie in einer Collage, in der Zeit naturgemäß keine Rolle spielt, neben Odysseus, Medea, Hofer, Jesus. Die Ideen kreisen, Motive werden entwickelt, variiert, es gibt Spannungsbögen, die Gespräche von F. Fart, Ödipus und Hofer verschmelzen zu einer dramaturgischen Einheit.

Der sprachliche Variantenreichtum sei anhand des schon im ersten Absatz auftretenden Leitgedankens dargestellt: „das Kind ,das ich war ,denkt F.“ - „UND DAS KIND ,DAS ICH WAR ,DENKT F.“ - „F. ,denkt der Mann in F. ,der F. heute ist ?wie aber war das damals ,denkt F. ,als er noch das Kind war ,das in mir ist ,oder der Junge ?“ -„30.06.01 22:08 !sagt der Mann in F. ,der ich bin“ usw. Thomas Oliver Niehaus, der Bühnenwerke von Prantl inszeniert hat, bezeichnet diese Art des Schreibens in seinem Nachwort als „wahnsinn mit methode“. Alles in diesem Buch werde „lustvoll miteinander verquirlt, hochkultur und trash, mythos und moderne“, bei Prantl stapelten sich bedeutungslos die „bildungsschrotthaufen“.

Ob ich das Buch gern gelesen habe? Nein. Aber ich muss zugeben: Über diesen (gelungenen) Text nachzudenken, Verweisen nachzugehen, Zusammenhänge zu suchen und schlussendlich einige Zeilen darüber zu schreiben hatte einen Reiz – einen Reiz, der anhält, obwohl ich mich dagegen sträube. In einem Interview (TT vom 9.6.2004) sagte Prantl: „Ich bin zufrieden, wenn jemand Dinge in Frage stellt. Wenn er sagt: Ich will wissen, ob der Wahnsinnige, der das geschrieben hat, Recht hat. Ob Godot wirklich ein Radfahrer war, auf den Beckett gewartet hat. Oder wenn er nachschaut, ob Heidegger auf der Krim war, dann hab ich gewonnen.“ In diesem Sinne gönne ich Prantl seinen Sieg (über mich) aus vollem Herzen.

Carolina Schutti

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