Rezensionen 2006

Birgit Unterholzner, Die Blechbüchse.
Innsbruck, Bozen, Wien: Skarabæus 2006, 155 Seiten. 


„Geheimnisse, die berühren, Geschichten, die verstören, unter einer Schutzhaut aus locker-flüssiger Sprache“. 

Die Blechbüchse ist eine Sammlung von Erzählungen, von denen die titelgebende bereits 2004 in den Mitteilungen aus dem Brenner – Archiv (Nr.23/2004) abgedruckt wurde. Die Bozner Autorin Birgit Unterholzner, Jahrgang 1971, erzählt in dichter, bildreicher, zugleich leichtfüßiger Sprache fünf Geschichten, die man so schnell nicht mehr vergisst. 

„Die Blechbüchse“ handelt von einer Frau, deren Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen. Ihr Sohn (der Vater ist nicht mehr als ein „Ersatzrad im Kofferraum des Autos“: „Es gaukelt Sicherheit vor, doch hoffentlich braucht man es nicht wirklich.“) hatte eine ebenso innige Beziehung zum Großvater wie sie selbst zu ihrem Vater – zur (Groß)mutter hingegen bestand keine emotionale Nähe. Die Erinnerungen der 40-Jährigen werden aber erschüttert, als sie in einer Blechbüchse Briefe ihres Vaters an die Mutter findet. Das Bild, das sie von ihren Eltern hat, gerät mit einem Mal ins Wanken. 
Auch die Freundinnen Therese und Franka werden in „Dialoge in Prag“ mit der Vergangenheit konfrontiert. Mit der persönlichen (Therese hatte sich in ihrer Jugend während eines Schüleraustausches in einen Prager jüdischer Abstammung verliebt) und mit der Vergangenheit der Prager Bevölkerung. In leichtem Tonfall, der in dieser Erzählung vorherrschend ist, werden schließlich schreckliche Kindheitserinnerungen Frankas enthüllt.
„Eva Maria“ und „Komm zu mir“, die beiden kürzesten Texte dieser Sammlung, thematisieren Suche, Rastlosigkeit, Verzweiflung. In der ersten Geschichte geht es um eine Frau, die aus Trauer um ihr Kind den Verstand verloren hat, der zweite Text beginnt mit einer Aufforderung auf einer Ansichtskarte  („Komm zu mir nach Korsika!“), beschreibt eine geheimnisvolle Reise und endet mit einem Wiegenlied.
Ebenfalls mit einem Geheimnis wird „Das Lächeln der Thaifrau“ eingeleitet. Diesmal ist es eine Fotografie, die mit der Post kommt und unselige Erinnerungen heraufbeschwört. Die besitzergreifende Marie verliert ihren Mann Thomas beinahe an eine Tailänderin, und bis zum Schluss ist nicht ganz klar, ob der Fluch der Thaifrau nicht doch auch in Europa wirksam ist... 

Birgit Unterholzners Geschichten bestechen durch Spannung und Phantasie, jede der Figuren hat etwas Geheimnisvolles oder Tragisches an sich. Aufgrund guter Einfälle und der interessanten Wendungen, die die Geschichten nehmen, lässt man sich gerne durch die Erzählungen ,treiben’. Die frische, man möchte fast sagen, ,respektlose’ Sprache mit Stilmerkmalen eines Feuilletons, einer Kolumne, auch der sogenannten „Pop-Literatur“, lässt sich nur schwer kategorisieren und überrascht ebenso wie die Handlungen und die Entwicklung der Figuren. Neuartig und dadurch sehr aussagekräftig sind viele der Metaphern, Bilder und Vergleiche, wie etwa der folgende: „Mit den Fingernägeln beschädigst du das Wachstuch! Krallte ich trotzdem weiter, warf sie mir ihr Gesicht zu wie ein kaltes, tropfendes Bodentuch, faltete es auf eine Art, die mich sofort erstarren und das Spiel einfrieren ließ.“ 

Eine der Stärken Birgit Unterholzners ist, sich nicht vom lockeren Erzählstil zu oberflächlichem Geplaudere verleiten zu lassen, sondern beim Erzählen in die Tiefe zu gehen und den zumeist verstörenden Schicksalen der durchwegs rund gezeichneten Figuren nachzuspüren. Die Sprache scheint hier bewusst in die Irre führen zu wollen – oder eine Schutzfunktion zu haben (wie Jugendsprache, die mit ihrem flapsigen Umgangston häufig von Gefühlen und Unsicherheiten abzulenken sucht). So singt etwa Marie unbekümmert und siegessicher „yeah, yeah, yeah“, während sie sich „die blutenden Hände in den Rock“ wischt...
Manchmal lässt sich die Autorin allerdings zu wenig geglückten Formulierungen verleiten, etwa „spießige Enten“ oder „[w]ährend sie schimpft, stellt sich ihr pumucklroter Kurzhaarschnitt gefährlich horizontal“. Teilweise wirken Komik (?) oder Leichtigkeit (?) erzwungen bzw. fehl am Platz: Muss ein Neugeborenes wirklich in ein Regencape „gestopft“ oder eine Mücke (das „absolute Unglücksinsekt“) von Marie, die aus dem Bett steigt „wie eine Mörderin“, „umgelegt“ werden? Vor allem die „Dialoge in Prag“ befinden sich teilweise an der Grenze zum Trivialen, verbale Ausbrüche der Figuren sind manchmal nicht ganz  nachvollziehbar.
Abgesehen davon ist die Autorin aber zu Formulierungen fähig, die einem noch lange im Gedächtnis bleiben: „Wie schmal Franka ist, wie zerbrechlich. Hautflügler mit Geheimnis.“ Geheimnisse, die berühren, Geschichten, die verstören, unter einer Schutzhaut aus locker-flüssiger Sprache – das ist die Blechbüchse

Carolina Schutti

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