Rezensionen 2006

Gertrud Spat, Maria T. eine Mutter.
Frankfurt am Main-Basel: Stroemfeld 2003.


Die literarische Biographik ist seit den siebziger Jahren wieder in Mode gekommen. Davon zeugt die anhaltende Popularität und Publikumswirksamkeit von biographischen Darstellungsformen, seien sie faktual, essayistisch, fiktional oder filmisch aufbereitet. Sie tragen dem Bedürfnis des Menschen nach Geschichtlichkeit und dem Begehren, herausragende Persönlichkeiten kennenzulernen ebenso Rechnung wie dem Wunsch, im Spiegel des Anderen die eigene Subjektwerdung und die eigene Lebenspraxis zu erschließen. Dass Biographien Projektionsfiguren mit Vorbildfunktion schaffen, zeigen die zahlreichen Romanbiographien über Frauenpersönlichkeiten aus Kunst, Literatur, Geschichte und aktuellem Zeitgeschehen, denen sich vor allem Gegenwartsautorinnen im Zuge der Frauenbewegung zugewandt haben.
Auch Gertrud Spat rückt eine fast Vergessene in den Mittelpunkt ihres biographischen Romans "Maria T.", nämlich Maria Trakl geb. Halik (1852-1925), die Mutter des skandalumwitterten Geschwisterpaares Georg Trakl und Grete Langen. Sie gehört jedoch nicht zu den Frauengestalten, die – wie z.B. Goethes Mutter Katherina Elisabeth Goethe – im Lichte standen, vielmehr trifft auf sie das Brechtsche Wort von jenen im Dunkeln, die man nicht sieht, zu. Maria Trakl begegnet uns zwar in den faktualen Lebensdarstellungen Trakls, wie sie in der bekannten und vielgelesenen Trakl-Biographie von Otto Basil oder in der genau recherchierten Biographie von Hans Weichselbaum vorliegen, doch bleibt sie mehr noch als Trakls Vater und Trakls Brüder eine Randfigur – nicht zuletzt deshalb, weil kaum dokumentarisches Material vorliegt: Kein Einzelschicksal, sondern ein Faktum, das Maria Trakl mit vielen Frauen teilt.
"Kühl" und "reserviert" sei sie gewesen, "unverstanden, von ihrem Mann und ihren Kindern", ja "von der ganzen Welt" habe sie sich gefühlt; "tagelang" habe sie sich "in ihre Zimmer" eingeschlossen, Freude nur bei ihren "Barockmöbeln, Gläsern und Porzellan" gefunden – so Trakls jüngerer Bruder Fritz in einem Zeitungsinterview von 1952. Spats Romanbiographie richtet sich gegen dieses Negativbild, das die familiären Katastrophen im Hause Trakl erklären helfen soll. In der Trakl-Biographik ist es sehr bald zum Klischee geronnen und in das Stereotyp vom bodenständigen und gütigen, künstlerisch aber wenig interessierten Vater Trakls und der abweisenden, jedoch feinsinnigen Mutter mit neurotischen Zügen gemündet und es lebt in der psychoanalytischen Trakl-Interpretation – gestützt durch Textpassagen aus dem Werk des Dichters – fort.
"Maria T." wirft vielmehr die Frage auf, wer wohl diese Frau gewesen sein mag, deren zwei Kinder Georg und Grete – in einer verstörenden sexuellen Orientierung sich selbst und Drogen verfallen – durch Selbstmord – einmal vermutet, einmal gewiss – zu Tode gekommen sind; wie mag Maria Trakl wohl auf diese Lebenskatastrophe reagiert haben. Gezeigt wird eine in patriarchale Lebens- und Geschlechtsrollenmuster eingespannte Frau der Gründerzeit, die – wie damals üblich – keine umfassende Bildung erhielt, sich bald standesgemäß verheiratete, aus ihrer ersten, halb arrangierten Ehe jedoch ausbricht, um in der Verbindung mit dem aufstrebenden, ungarndeutschen Eisenhändler Tobias Trakl familiäres Glück zu suchen. Was anfänglich der Wiener Neustädterin böhmischer Herkunft zu gelingen scheint, beginnt ihr sukzessive zu entgleiten und treibt sie in die Einsamkeit: Da ist der Tod des unehelich geborenen Sohns Gustav, die Übersiedlung nach Salzburg, die Sorge um die sechs Kinder, die in rascher Folge geboren werden, die Pflicht, einer Haushaltsführung nachzukommen, die nach außen hin das Bild gutbürgerlicher Solidität vermitteln soll. Die anfängliche wirtschaftliche Prosperität, die den sozialen Aufstieg der Trakls begünstigt hat, verwandelt sich um die Jahrhundertwende in Stagnation und Rezession, die den finanziellen Niedergang der Traklschen Eisenwarenhandlung einleitet. Maria Trakl, wie sie hier von Spat gezeichnet wird, erlebt nicht nur, wie sich ihr der wesentlich ältere, vom wirtschaftlichen Überlebenskampf zermürbte Ehemann, sondern auch ihre Kinder, vor allem Georg und Grete, die auf ihren unkonventionellen Lebensentwürfen beharren, entziehen. Der Drogensucht der beiden Geschwister steht die Familie ohnmächtig gegenüber, ihre ruinöse inzestuöse Verbindung scheint allen verborgen zu bleiben. Privates und Öffentliches werden quasi symbolhaft miteinander verknüpft, wenn die Auflösung der Familie mit dem Kriegsausbruch 1914 zusammenfällt.
Spat hat für ihre Romanbiographie die geschlossene Form gewählt. Über die Präsentation der Lebensgeschichte der Maria Trakl von der Eheschließung mit Tobias Trakl 1878 bis zu ihrem Tode 1925, also wenige Wochen nach der Beisetzung Trakls in Mühlau, wird das Charakterbild einer Frau entworfen, das durchaus allgemeiner angelegt ist und als Projektionsfläche für Probleme und Konflikte, wie sie auch in gegenwärtigen Familienzusammenhängen anzutreffen sind, dienen kann. In diese Richtung weist vor allem die nach Erklärungen, Schuld und Verantwortung fragende und bilanzziehende Schlussreflexion Maria Trakls. Dass die Autorin auf die Einführung eines vermittelnden Biographen als objektive Erzählinstanz verzichtet und stattdessen die Ich-Form als Erzählform gewählt sowie den Text als Lebensrückblick der Maria Trakl konzipiert hat, ist zweifellos ein Vorzug dieser Romanbiographie wie auch die sachlich-nüchterne Sprache, in der Maria Trakl erzählt und in der kaum Sentimentalitäten aufkommen. An manche Stellen fallen allerdings Einsprengsel auf, die auf den heutigen Sprachgebrauch verweisen. Doch nicht lebensgeschichtliche Realität soll authentisch abgebildet oder die Gattung Biographie als hybride Form zwischen Fakten und Fiktion autoreferentiell thematisiert, sondern psychologische Wahrheit glaubwürdig vermittelt werden. Dieses Bestreben konterkariert ein sich weitgehend an die Chronologie der familiären Ereignisse haltendes Erzählen, wie es auch in faktualen (Trakl-)Biographien begegnet und das vor allem im zweiten Teil dem Text manche Spannungsmomente nimmt, insbesondere wenn wiederholt von familiären Festlichkeiten im Jahreskreislauf die Rede ist. Dennoch: Ein Verdienst dieser Romanbiographie ist es, das biographische Gedächtnis auf jene familiäre Person im Umfeld Trakls gerichtet zu haben, deren Leben ebenfalls von Katastrophen durchzogen ist.

Sieglinde Klettenhammer

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