Rezensionen 2006
Wolfgang Raffeiner, Aus dem späten Leben.
Innsbruck, Bozen, Wien: Skarabaeus, 2006.
Nach „Jugendjahre und Sommerzeit“ legt Wolfgang Raffeiner mit „Aus dem späten Leben“ den letzten Teil seiner Lebenserinnerungen vor. Dabei handelt es sich um Ereignisse und Bekanntschaften, die in den Kapiteln „Kultur, Freundschaften, Leid und Unglück, Sprache und ihre Probleme“ zusammengefasst sind. Das erste Kapitel „Kultur“ widmet sich der Architektur und bezieht sich auf die Entstehung und den Inhalt des Buches „Bauen im Überetsch“, 1994 erschienen. Entlang von Dachformen, der Freundschaft mit Maria Delago und der Sommerfeste auf Schloss Prösels tastet sich Wolfgang Raffeiner an die deutsche Sprache und Kultur in Südtirol heran. Dabei sind die kurzen Geschichten etwa über Josef Raffeiners Bilder, über eine Pietà, die auf Schloss Prösels Unterschlupf findet und eine Klarinette, die zwar ungeliebt ist, aber dem Musikzierenden doch ein beruhigendes Gefühl vermittelt, nur lose miteinander verbunden.
Etwas geschlossener, aber doch auch befremdend erscheint das nächste Kapitel „Freundschaften“, in dem Raffeiner sich Dr. Miroslav Zatka, Alexander Langer und Ivan Illich annimmt. Man könnte über das Kapitel auch ‚Südtirol und die weite Welt’ schreiben. Es ist eine Diskussion von Themen, die in erster Linie von außen kommen. Das kommunistische Regime in der damaligen ČSSR kommt ebenso zur Sprache wie inquisitorische Fragestellungen Illichs, die Rom erregten. „Leid und Unglück“ gestaltet Raffeiner als das persönlichste und – wenn man so will – unliterarischste Kapitel, das noch tiefer in die Lebenswelt des Autors eindringt. Eigene Schicksalsschläge und solche im Freundeskreis thematisiert er sachlich, ohne sie zu dramatisieren. Er selbst schreibt dazu: „Und ist es nicht auch so, dass wir Freude und Frohsinn erst im Gegenlicht des Leids voll erkennen können?“ (S. 51)
Wagt sich das Kapitel „Sprache und ihre Probleme“ auch über die Grenze nach Osttirol, um eine Bekanntschaft mit Gertraud Patterer zu schildern und einigen Texten der Mundartautorin Platz in den Lebenserinnerungen einzuräumen, so bleibt die südtirolische Kulturgeschichte doch im Vordergrund. Raffeiner bindet stark seine familiären Beziehungen in die Freundschaft zu der Autorin ein. Man muss dazu sagen, dass das Kapitel über Gertraud Patterer – der „Traudl“ – zu den schönsten im Buch zählt, weil Raffeiner Lob und eine fundierte sprachliche Kritik nebeneinander stehen lässt. Warum er den Gedichten eine Übersetzung zur Seite stellt ist unklar. Die deutsche Sprache und Kultur ist laut Raffeiner „ein zartes Band“, „wenn die Freiwilligkeit nicht verloren geht“ (S.16). Allgemeingültige Aussagen, die Raffeiner vor seine Geschichten stellt, sind viel schwächer, als die Geschichten selbst. Solche Plattitüden hätte er und das sonst persönlich gehaltene Büchl nicht nötig: „Die Sprache, dieses wunderbare Mittel, unsere Gedanken zu übertragen, wird von uns täglich gebraucht, aber oft auch missbraucht.“ (S. 78)
Den letzten Abschnitt „Der Abendstern“ widmet Raffeiner Helene Flöss. Er schreibt über ihr literarisches Einfühlungsvermögen in „Löwen im Holz“ und „Dürre Jahre“. Dass er Helene Flöss als Salige Frau bei einem Pfarrer als Wirtschafterin arbeiten lässt, bis sie, stëila da sëira, verschwindet, fordert ein Lächeln heraus. Dieses Lächeln verschwindet nicht ob der milden Betrachtungsweise der Südtiroler Kultur und Geschichte, die sich mit einigen gesponnenen Fäden ins Ausland durch das Buch zieht. Raffeiner hat sich selbst einen versöhnlichen Ausklang seiner Erinnerungen vergönnt, und was könnte unsereins dagegen haben.
Barbara Hoiß