Rezensionen 2006
Martin Kolozs, Mon amie.
Kriminalerzählungen.
Innsbruck: Skarabaeus, 2006
Jakob Schwind, das ist vermutlich sein richtiger Name, ist ein gesuchter Mörder, ein Psychopath. Er ist verliebt, mehr als es jeder andere es jemals sein könnte. Er verfolgt Mira auf dem Weg zur Arbeit und auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, er weiß, wo sie wohnt, ist eifersüchtig auf jeden, der ihr zu nahe kommt. „Liebe braucht Dienste“, denkt er immer wieder. Dass Mira ihn nicht wahrnimmt, bemerkt er nicht. Er liebt sie so sehr, dass er schlussendlich nicht anders kann, als ihr die Kehle durchzuschneiden.
Malotru Kettner hat seine Mutter nach einem Streit mit einer Nachttischlampe erschlagen, sie in ihre Bettdecke eingewickelt, im Keller eine Grube ausgehoben und sie verscharrt. Keine Stunde später entdeckt die Polizei die Leiche und nur kurze Zeit danach hat sie auch den Mörder ausgeforscht.
Martin Kolozs legt in seinem Prosadebüt „Mon amie“ zwei unkonventionelle Kriminalerzählungen vor, die vor allem durch ihre schnörkellose und einfache Sprache bestechen und den Leser fasziniert und fassungslos zurücklassen.
Die Titelerzählung „Mon amie“ ist das minutiöse Protokoll eines Serienmörders, eine emotionslose Ich-Erzählung, die trotz des fehlenden Spannungsbogens den Leser fesselt. Detailgetreu werden die täglichen Erledigungen des Mörders geschildert, wird sein Innerstes nach außen gekehrt. Niemals wird Kolozs pathetisch, nie urteilt er, nie nimmt er etwas vorweg. Er serviert eine Geschichte ohne Anleitung, ohne Identifikationsfiguren, ohne Verurteilungen. Frei von Emotionen erzählt Kolozs die Geschichte, die geprägt ist von Obsession und Gewalt. Jakob Schwind ist eigentlich ein Namenloser, einer, der sämtliche Hemmschwellen verloren hat, instinktiv zu handeln scheint und tut, was wohl nötig ist. Er hat kein Mitleid, keine Sympathie, keine Abneigung verdient. Wie nebenbei wird das Geschehene geschildert, der Ton ändert sich nie, egal ob Schwind Tee kocht oder ein Mädchen tötet. Der Leser blickt in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele, staunend über die Selbstverständlichkeit der ungeheuren Taten.
„Müttersterben. Eine Fallbeschreibung“, das zweite Prosastück, schildert eine Verzweiflungstat, eine Tat, die jeder begehen könnte. Malotru Kettner tötet seine Mutter im Affekt, befreit sich aus ihrer Tyrannei. Die Geschichte puzzelt sich zusammen aus Polizeiprotokollen, inneren Monologen der Figuren, Schilderungen eines außenstehenden Beobachters. Eins fügt sich zum anderen, zwischen den fragmentartigen Tatbeschreibungen bleibt Platz für die Phantasie des Lesers, der wie bei „Mon amie“ auf sich gestellt ist. Detailgetreu werden Ort, Tat, Zeit und Personen beschrieben, Gedanken erfasst, Gründe gesucht. Nichts wird beschönigt, der klare Blick auf das Geschehene wird durch nichts verstellt.
Eigentlich sind weder „Mon amie“ noch „Müttersterben. Eine Fallbeschreibung“ Kriminalgeschichten. Es geht nicht um die Taten, sondern vielmehr um die Figuren, die sie verüben. Es geht um Liebe und Verzweiflung, Hass und Gewalt, aber in erster Linie um die Menschen, die entgegen aller herrschenden Moralvorstellungen ihren innersten Instinkten nachgeben. Trotz der scheinbaren Genauigkeit der Schilderungen bleibt vieles offen. Auf den Punkt kommt Kolozs nicht, denken muss der Leser schon selbst.
Sylvia Ainetter