Rezensionen 2005
Margit von Elzenbaum, Dorf mit Bühnen.
Bozen: Edition Raetia, 2004.
Dorf ist Bühne; Lebensbühne für die Bewohner, Komödie oder Tragödie für die Beobachter. Eine Schriftstellerin als Beobachterin kann die Realität für uns Leser ins Spannende übersetzen. Die gebürtige Boznerin Margit von Elzenbaum ist in die Dörfer aufgebrochen, hat beobachtet und geschrieben. Sie hat dabei keine der Sprachen übersetzt. Man denkt als Mehrsprachiger ja auch immer in jener Sprache, die die Situation erfordert: Deutsch, Italienisch, Südtirolerisch, Jugend, Alter, fehlt Ladinisch? Nichts fehlt, denn die gewählten Südtiroler Bühnen-Beispiele brauchen kein Ganzes. Man muss ja auch nicht beide Seiten einer Medaille betrachten, wenn in einer allein so viel Aussage steckt. Der offizielle „Kopf“ der Südtiroler Medaille hat in diesem Buch jedenfalls, ohne dass er gezeigt wird, seine Kratzer abbekommen.
68er Kind, schon 1997 in der Zeitschrift Kulturelemente veröffentlicht, bringt Katjas Beobachtungen: Opa Kriag und Nazi, Vater 68er, lei stessa con l’amico Paolo al bar da Yvonne. „Carissima Katja, io spero che questa canzone ti sia gradita.” Wos isch des fir a Loudn, Paolo? Losch mi, wou i koan Mensch kenn, durchn Lautsprecher ausiriafn, dass di gonze Bar ihre Augn af miar draufdrahnt? Die Uroma Marie soll gern gesungen haben. Es miaßet an Toug fir die hailigen Uromen geibn.
Kastlwelsch und Fraktion Martatsch ist die Bühne des Dorfschreibens. Idylle 1999 in Hexametern bricht nur an wenigen Stellen das Versmaß. Sie beschreibt die Monotonie des Dorflebens. Tourismus und Sparkasse brechen dörfliche Strukturen auf. Reportage 1999 präsentiert sich als literarisches Sommergemälde. Unverschämt reiche Dorfleute, il maresciallo che conosce tutti per nome, Soalbohn, die Kinder ins Heu, damit die Urlauber Platz haben, die Vereine in deutscher Hand. Porträt 1999 beschreibt noch mehr Einzelheiten aus dieser Gemeinde: elf Kräne, den Flüchtling, die Walschn singen laut in der Kirchn und vieles mehr.
Richtung nächstes Leben ist aus dem Tagebuch einer Fünfzehnjährigen. Der DDR-Liedermacher Gerhard Schöne hat Anfang der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts das gleiche Thema für einen seiner Songs gewählt. Interessante Parallelen sind erkennbar. Jugend ist eine Quereinteilung zu herkömmlichen sozialen und gesellschaftlichen Strukturen und hat ihre eigene Sprache.
Noch andere Südtiroler Bühnen erfasst Margit von Elzenbaum mit ihrem literarischen Teleobjektiv: SMS - Drehbuchnotizen, Sursum Corda - den Monolog eines jammernden Pfarrers, Muttertage - eine Rede zum 8. März. Das Dach ist neu gedeckt bringt in einer Person mehrere Bühnen knapp nebeneinander unter einem Dach zusammen, Song: Mir sitzt der Tod im Hals, vielleicht schluck ich ihn heute noch hinunter, die Hoch-unser-Frauen-Prozession, die Ballnacht mit der Großmutter: Fanciulle mie, kauft alle Rosen und verteilt sie! Ele birgt Kindheitserinnerungen, am Ende beschreibt Klatschmohn eine riskante Zugfahrt: Es könnte sein, dass ich vergesse, mich nicht aus dem Fenster zu lehnen, den Kopf nicht aus dem Fenster zu stecken. … Am Ende dieses Hörspiels, das als Drama in Prosaform geschrieben ist, finden wir uns in der Lyrik wieder: Voglio proprio riconcentrarmi sul papavero rosso. Rosso un attimino più chiaro del rosso passione. Son sottili pensierini quei petali, son fazzoletti. Farfalle sono, ecco.
Bis zum Ende dieses Buches habe ich mich gefragt, wieso die Autorin ihrem Werk den Untertitel Experimentelle Texte gab. Ist nicht jeder eigene, neue Text experimentell? Ist es nicht von vornherein ein Experiment, etwas von sich, von seiner Seele, herzugeben? Vielleicht ist die Aufhebung jeglicher literarischer Gattung damit gemeint. Ist ein Roman ein Roman, wenn ich ihn so bezeichne, oder müssen das Literaturwissenschaftler tun? In Dorf mit Bühnen, 2004 im Raetia Club erschienen, purzeln die Texte filterlos, einfach so, aus der Autorin heraus, und wenn man dafür offen ist, direkt in die Leserseele hinein. Manchmal gibt es Bücher, bei denen ich denke, die sind nur für mich verfasst. Dorf mit Bühnen gehört dazu. Ich wollt, ich hätt’s geschrieben.
Otto Licha