Rezensionen 2003
Gerold Foidl, Scheinbare Nähe.
Hrsg. und mit einem Nachwort von Dorothea Macheiner.
Innsbruck: Skarabaeus, 2003, 171 Seiten.
Der Ich-Erzähler, ein knapp über vierzigjähriger Autor eines Buches und einiger Erzählungen, analysiert seine Lebenssituation, erinnert sich an Vergangenes, wo er die Wurzeln seiner „Entheimatung“, seines völligen Scheiterns sieht und will auch das Schreiben aufgeben. Ausgangspunkt für seine schonunglose Selbstbetrachtung ist die Rückkehr aus Mexiko. Mexiko ist sein positives Gegenbild zum „Konsumbazillenkontinent“ Europa. Seine „Entheimatung“ begann mit dem Vater-Konflikt, breitete sich aber schnell auf alle Mitglieder der Gesellschaft, die „biedermännischen Geheimbündler“, aus. Aber auch Mexiko entpuppt sich immer mehr als zweifelhafte Alternative: „Aber ob [...] sie mich wirklich aufnehmen würden, ich nicht insgeheim doch ein Fremder bliebe und dies auch immer wieder merken würde; ob ich so leben könnte, daß ich mich nicht unter dem Alpdruck fühlte, ich wäre nur ein Geduldeter, und wie es wäre, wenn es mich verlangte Kritik anzubringen.“ Scheinbare Nähe endet trotzdem nicht hoffnungslos, die Möglichkeit, Heimat zu finden, dazuzugehören, wird offengelassen.
Durchgängiges Thema von Scheinbare Nähe ist das Schreiben. Nach der Veröffentlichung seines ersten Buches läßt sich der fiktive Autor die Berufsbezeichnung Schriftsteller in den Paß eintragen. Schreiben wird für ihn zur Seinsbestätigung. „Es gab Zeiten, wo ich überzeugt war, daß ich nur schreibend existieren könne. Es hatte Vorrang vor allem, was sonst in mein Leben eindringen hätte können. Ich lebte in den traurigen Geschichten, die ich erfand, die nie die meinen waren und von mir doch so hingezwungen wurden, daß es die meinen sein mußten; weil ich sonst nichts besessen hätte.“
Scheinbare Nähe macht es dem Leser noch wesentlich schwerer wie im „Richtsaal“, Foidls erstem 1978 erschienenen Roman, zwischen dem Autor Foidl und dem Ich-Erzähler zu unterscheiden. Dazu trägt vor allem auch das am Ende abgedruckte Skizzenbuch bei, „Aufzeichnungen über die Restzeit“, die Foidl begonnen hat, als er vom Lungenkrebs erfuhr. Der Leser ist aber gut beraten, sich an das dem Buch vorangestellte Motto aus Kafkas Fragmenten zu halten: „Das was man ist, kann man nicht ausdrücken, denn dieses ist man eben; mitteilen kann man nur das, was man nicht ist, also die Lüge.“
Mit diesem Buch legt Dorothea Macheiner bereits den dritten Band der Werkausgabe Foidls bei Skarabaeus vor. 1998 erschien „Der Richtsaal“, 1999 der Erzählband „Standhalten“. Macheiner, mit Foidl befreundet, bemüht sich seit dessen frühem Tod (1982) um das schmale Werk von Foidl. Auf ihre Initiative erschien „Scheinbare Nähe“ 1985 bei Suhrkamp, bearbeitet von Peter Handke. Jetzt wurde das Werk wiederaufgelegt, leider in der unveränderten Fassung von Handke. Hier ist sicher eine Chance vertan worden, denn nur allzugern würde der Leser erfahren, nach welchen Editionsrichtlinien aus vier verschiedenen Fassungen dieser Text erstellt worden ist. Und sicher wäre bei einer Neubearbeitung, wenigstens in Teilen, auch ein neuer Foidltext herausgekommen. Beim „Richtsaal“ ist das ja bereits durch die Einarbeitung des im Manuskript aufgefundenen Psychiatriekapitels erfolgreich gemacht worden.
Zum Erscheinen von „Scheinbare Nähe“ im Jahre 1985 gab es eine Reihe von sehr positiven Besprechungen. Herausragend war aber dabei, daß man sich – im Gegensatz zu den Besprechungen des „Richtsaals“ – nicht einmal mehr mit dem Thema Dokument oder Fiktion beschäftigte, sondern munter aus seinen beiden Büchern biographische Daten entnahm, und somit – ohne es zu wollen – den literarischen Text zum Dokument degradierte. Es wäre also höchst an der Zeit, sich auf die Suche nach den Lebensspuren von Foidl zu machen, damit seine Bücher endlich das sein dürfen, was sie sind: Literatur.
Anton Unterkircher