Rezensionen 2003

Irene Prugger, Nackte Helden und andere Geschichten von Frauen.
Innsbruck: Skarabaeus, 2003, 172 Seiten.


anlässlich der Buchpräsentation am 24. 3. im Literaturhaus am Inn, Innsbruck:

Irene Prugger ist eine junge Autorin, nicht etwa weil sie ein Fräulein-Wunder wäre, sondern weil sich bei ihr die erzählerische Frische erhalten hat. In ihren Geschichten spürt man Fabulierlust, Lust an der Irreführung des Lesers. Der Schalk sitzt ihren Geschichten im Nacken – und fährt einem des öftern doch als Schrecken in die Glieder.

Im Mittelpunkt dieser 15 Geschichten, die sich symmetrisch um eine Geschichte gruppieren, in der die Symmetrie selbst Prinzip ist und zum Titel wird, am Anfangs-, Scheitel- und Endpunkt dieser 15 Geschichten also stehen nicht die Herren, sondern die Damen der Schöpfung. Es sind Geschichten von Frauen. Einzig ein männlicher Held (ein nackter Held, wie der Titel dieses Buches klar macht) tritt darin auf und macht eine schlechte Figur. Männer sind hier ganz in uninteressante Nebenrollen gedrängt, an denen Frauen zur Hauptrolle auflaufen. Aber wenn hier auch Wohl und noch mehr: Wehe der Geschlechter aneinander inszeniert werden, dieses Gewichtige wird nie gegeneinander aufgewogen. Es kommt vor, dass Frauen am Ende ihre Ärsche voller Überzeugung in den Himmel recken und ihren Blow- oder Handjob durchaus von weiblicher Generation zu weiblicher Generation weitergeben wollen. Sie erklären ihren Töchtern neben dem Kochen auch die Männer und deren Gewohnheiten.
Aber gerade dieses so erzählte Gewöhnliche setzt sich ungewöhnlich fort. Es kippt hinterrücks in das dunkle Gewässer der Irrealität, es schlägt Wellen, und diese Wellen lecken den Leser an den Zehen. Da steht er nun, der Leser, und sucht einerseits den fernen Horizont dieses Textgewässers ab und wird andererseits so nahe berührt.
Zunächst schaut er einmal nach unten zu den Zehen und erkennt: was ihn da berührt, trägt Namen:

Cornelias Gedanken strudelten durcheinander. > > Ihm gefielen vor allem die apfelgroßen, straffen, vermutete Helga. > > Und ich will Kleopatra heißen, wenn dieses Lächeln nicht doch einen Haken hat. > > He Bea!, rufen ihr die kleinen Brüder hinterher. > > Nichts Individuelles. Ihr spielt einfach Frauen. > > Ich nehme an, liebe gnädige Frau, Sie kennen solche Zustände, obwohl Sie wahrscheinlich auch im Haushalt der Gefühle auf mehr Ordnung achten, als irgendein Mann es je könnte. > > Ich glaube, ich muss zum Arzt, dachte Martha. Aber wie einem Arzt absonderliche Schweineträume erklären? > > Eines Morgens, beim Blick in den Spiegel, erschrak Anne darüber, wie viel Zeit vergangen war seit dem vorigen Tag. > > »Nein«, sagte Luise zu ihrer Freundin Susanne, »ich persönlich habe keine Angst vorm Sterben, aber jetzt muss ich zusehen, dass ich Hermann einhole, bevor ich ihn aus den Augen verliere, denn ich habe seine Herztropfen in meiner Tasche.« > > Ich stand auf und fasste Bad ohne Umschweife an.

»Ich stand auf und fasste Bad ohne Umschweife an.« Was für Berührungen! Eine folgt der anderen im Reigen der Erzählungen, und sie lassen einen nicht los. Mitten in diesen Berührungen, dem Herschwappen der Erzähl-Wellen an die Zehen hebt der Leser, wie gesagt, zuweilen seinen Blick zum Horizont. Das ist dann immer etwas Schwindel erregend, Weitblick ist eben ein Wagnis. Wagen wir ihn, den Blick an den Horizont, wenn auch nur wirklich ganz kurz! Woher also kommen die Erzähl-Wellen? Sie kommen aus dem unermesslichen Meer der Texte; vielleicht mag man eine Strömung benennen: William Gass etwa, den Meister des ungewöhnlichen Gewöhnlichen, des wirklichen Unwirklichen im Erzählen; oder James Salter, dessen schön dahinfließende Textströme unmerklich in reißendere übergehen. Aber diese beiden Amerikaner sind eben nur zwei, wo Irene Prugger vieles liest und gelesen hat. Schließlich: sie rezensiert ja andere Bücher, durstig, neugierig, voll Interesse. Zurück zu den Wellen: Der Wind unserer Zeit und unseres Ortes hier genauso wie Strudel aus der tiefsten Seele der Autorin haben diese Wellen natürlich auch aufgewühlt; nicht so, dass es stürmisch zuginge, neinnein, man hört eher ein Glucksen, das dann wieder gleich weg ist. Und man hört dem Glucksen nach und fragt sich: Wohin gehen diese Wellen? (Denn Wellen kommen und gehen.) Das lässt sich nun wieder nicht so ganz präzise formulieren. Und im übrigen: das bleibt jedem Leser selber überlassen. Anreiz zum Denken, Wasser für den Leser, ist jedenfalls genug da.
Man könnte dieses Spiel noch lange fortsetzen. Ich möchte jetzt aber noch einen anderen Punkt zur Sprache bringen. Nämlich: Dieses Buch verliert sich nicht in diesem Kommen und Gehen der Wellen, es ist auch solide Arbeit. Es huldigt keiner anstrengenden Selbstverwirklichung, sondern legt Wert aufs Handwerkliche. Und das ist eine große Tugend, finde ich. Man wird sich dieses Buch nach dem Lesen gerne in seine Bibliothek stellen, um es immer wieder einmal durchzublättern. Dann wird man auf die eine oder andere prägnante Stelle stoßen, an die man sich genau erinnert, weil sie eben nur hier so steht. Und dann wird der Wunsch aufkeimen nach den nächsten Texten dieser Autorin. Und eigentlich ist ja das das Schönste, wenn eine Autorin beim Leser Neugier auf immer mehr weckt. Das ist bei Irene Prugger schon immer der Fall gewesen. Aber zunächst: Freuen wir uns über dieses neue Buch – freuen wir uns auf die folgenden Geschichten!

Sandbichler Bernhard

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