Rezensionen 2004

Hans Aschenwald, Wurzelfieber.
Berlin: Wagenbach, 2003.


Wo die wahre Heimat lauert

 

Wurzellfieber ist als Quartbuch im renommierten Verlag Wagenbach in Berlin erschienen. Und das lässt aufhorchen, steht doch Klaus Wagenbach für ein eigenwilliges qualitativ bemerkenswertes Programm mit Tradition - die überregionale Wahrnehmung mag dem Autor auf diesem Publikationsweg garantiert, jedenfalls zu wünschen sein. Dass die Zusammenstellung einer Lyriksammlung ein kreativer und nicht weniger reflexiver Akt ist, dass also auch Aschenwalds Gedichtband bewusst durchkomponiert ist, das dokumentieren die Auszüge aus einem Werkstattgespräch der Lektorin Margit Knapp mit dem Verleger Klaus Wagenbach - nachzulesen im Artikel So hoch in den Wolken in der Kulturzeitschrift „Quart“ (Nr. 2 / 2003).
Der Band besteht aus fünf Teilen, die, so will es die Komposition, aufeinander bezogene Texte thematisch und hinsichtlich der Motive bündeln: Dieser Wald, Atemguthaben, Dazumal, Siebenschneidenweg, Fieber – diese Zwischentitel legen als Leitbegriffe die Spur durch das Unterholz der Texte. Orte der Berglandschaft, Natur, Zeiten, Traditionen, Körperbefindlichkeiten – aus diesen Sinnbezirken stammen Motive, Bilder und Stimmungen, von denen die Texte durchzogen sind. In ihnen liegen wohl auch die Wurzeln der Inspiration, aus der Aschenwalds Gedichte ihre Intensität beziehen, die frei von poetischem Kalkül ist. Ganz und gar schlichte Wendungen verbinden sich mit solchen, die sich erst durch eine minimale Drehung der Semantik erschließen. Aber die Sprache in Aschenwalds Gedichten ist nicht metaphorisch zu verstehen, eher als eine spontane Kraft, mit der sie da und dort die Grenzen zum Vorsprachlichen überschreitet und die vom Innenraum des Körpers her Heimat-Welt erfährt, versteht und benennt.
Im Fieber des Himmels
Der auch Heimat heißt
In einer Schrift die ich nicht lesen kann aber verstehe
Heimat also nicht im Kopf und nicht als vertraute oder verfremdete Imagination. Siebenschneidenweg zum Beispiel heißt eine Route in den Bergen des Zillertales. Das gleichnamige Gedicht ist dem Musiker Thomas Larcher gewidmet:
Über den Grat
Mit zwei Stimmen im Bauchblut
Mit zwei gesunden Beinen
Ererbt vom Vater statt der Gabe der Rede
(...)
Auf der Spur zu dir
Anstatt Sprache deinen Körper gebraucht
Weil Worte nicht zu haben waren
(...)
Heimat nicht als Sehnsuchtsbild im Nachsinnen und schon gar nicht Anti-Heimat, vielleicht aber: Heimat als gelebte Zeit, die Prägungen und Spuren hinterläßt.
Und Körper hatte ich selber einen
Damit brachte ich mich zur Welt
Ohne auch nur einen einzigen Satz
Obwohl die Gedichte viel an hintergründigem Humor enthalten, gibt es eine Atmosphäre der Eindringlichkeit, des Begehrens, manchmal auch der versöhnten Zuneigung. Da ist ein lyrisches Ich, das seine Herzsprache in die Gedichte trägt, obwohl es wie ein scheues Wild längst geflüchtet ist - in eine Bergwelt, die sich in den Vexierbildern des Kindheitsblickes bewahrt hat.
Fremdgewordene Tiere
Zwicken mich am Unterbein und wollen mit mir reden
sie sagen kruuhhmmm
Und ich verstehe sie
Und bin ganz wild auf sie
Und daß sie mich mögen.
Das Ich in den Gedichten ist fremd in den „tödlichen Redensarten“, in dem, was gängig und vordergründig verständlich ist
Sag wärst du nicht lieber von
Den Rinden der Bäume als
Von Haut der Menschenkörper in der Zeit
und manchmal möchte man sagen, das Ich, das da spricht – öfter noch anspricht - sei fern und entrückt, wenn da nicht die zielgenauen Wahrnehmungen einer Lebenswelt wären, wenn sich da nicht ’Geschichtlichkeit’ in die Sätze gedrängt hätte
Dazumal Die Haut /
Die arme Haut hat es geheißen
Als Menschen nicht mehr weiterwussten
In unserem Dorf und damit abgetan
und wenn da nicht eine genaue und inwendige Sprache der Liebe wäre.
Mitten in der Nacht (Am Kraken)
(...) Vollgepumpt mit falschen Namen
Ziehen wir einander aus
Der brennenden Gewohnheit
(...)
Im Schutz Deiner Zeichnung
Zusammengewollt stehlen wir uns
Aus der Perspektive.
In manchen Gedichten ist eine archaische Wildheit, die nicht spart mit Kassandrarufen gegen Auswüchse des Fortschritts und der Technik - und die doch wieder eine Lanze bricht für das Menschsein. Das Denken einer besseren Welt kommt in diesen Gedichten als erinnerte Natur–Utopie zum Vorschein, in der der Mensch weit entfernt von jedem ’Macht euch die Erde untertan’ wäre.
Im Fieber II
(...)
Du hoffst die Welt zurück
Die es dann nicht mehr gibt
In diesem engen Sinn

Im Fieber III
Treffen wir den Baum
Der führt uns zu den Wurzeln.
Viele solcher Zeilen in den Gedichten von Hans Aschenwald lassen den Begriff des Naturgedichts neu denken, weil sich in ihm die Grenzen zwischen Ich und Natur verschoben haben, weil Mensch und Natur ineinander übergehen, sozusagen ‚verwirkt’ sind.
Wenn diese Wälder abgeholzt sind
Fährt der Wind in diese Menschen
Und die sind weißgott offen.
Der schmale hellgrüne Band trägt auf dem Buchdeckel ein Bild der Künstlerin Margit Aschenwald. Es zeigt eine weiße Ziege mit knallroten Stöckelschuhen. Das Bild verfremdet ein vertrautes Etwas, macht es skurril, der Blick bleibt am Detail hängen, man wundert sich und die Gedanken machen sich auf den Weg, flanieren assoziativ, bis sie im Fokus einer Bedeutung ankommen. Nicht ganz unähnlich geschieht es auch beim Lesen dieser Gedichte. Auch in ihnen sitzt das Eigentliche in den Details, in den sensiblen Beobachtungen, die unter dem Zeitlupenblick kleine und große Lebensdinge zeichnen.

Christine Riccabona

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