Rezensionen 2003

Gertraud Patterer, Rabenrufe.
Klagenfurt: Johannes Heyn, 2002, 229 Seiten.

Man erwartet von einer Osttiroler Mundartdichterin eine sehr heimatbezogene Lyrik. Man erwartet Reime und gesetzte Strophen. Man erwartet eine sehr konservative Betrachtung der Welt aus einer Nischenperspektive. Liest man die ersten Zeilen, findet man altbekannte Motive und glaubt schon alle Vorurteile bestätigt. Doch das wäre zu früh aufgegeben. Blättert man weiter, fällt der Telegrammstil der Texte auf. Fast möchte man sie als Aphorismen bezeichnen. Oder sind es Kochrezepte? Plakativ stehen die Sätze, die Phrasen vor dem Auge des Lesers. Und doch weichen Sprache und Themen von diesem ersten Eindruck ab. Mundart ist es ja, einerseits. Andererseits fällt ein Wort Hochdeutsch durch die Reihen Dölsacher Mundart. Und auf eine Ortschaft alleine müssen manche Wörter beschränkt bleiben, denn schon im Nachbarort wird bei manchen Ausdrücken überlegt. Das Hochdeutsche wird zum Außergewöhnlichen - oder besser erinnert ständig daran, wo es eigentlich herkommt. Allerdings wirken ihre Rabenrufe im Hochdeutschen fremd und hölzern.

Thematisch bewegt Gertraud Patterer sich durchwegs in der Osttiroler Umgebung und Natur. Die Berge werden aber nicht verherrlicht. Eher feindselig grinsen sie auf das Dorf herab. (S. 19 In die gönz weißn Berge) Was zum Freund wird,  sind die Pflanzen, die Natur und vor allem das Wasser.

Es beschleicht den Leser unweigerlich das Gefühl des Klischees. Das wird dann wieder irritierend verraten. Zu genau sind die Beobachtungen der täglichen Umgebung und des traditionellen Lebens, das es in Osttirol, isoliert wie es ist, noch zu geben scheint.

A Kirche volle Leit reißt dir den Bodn unter die Fieße weg... (S. 45)

Und als man glaubt, wirklich erschöpft zu sein von der Themenwahl, tauchen plötzlich zeitgeschichtliche Bezüge auf. Gertraud Patterer schreibt über den 11. September, über Amerika und über Politik. Wer hätte das gedacht, von der sonst so berückenden Osttiroler Bergwelt mit der Nase genau auf Weltgeschehen gestoßen zu werden. Und es gelingt ihr auch, weltbewegende Ereignisse in der heimatverwurzelten Sprache zu beschreiben:

Amerika 11. September 2001
Es wird nie mehr sein, daß – der andere – nicht ist! - (S. 154)

Depressionen thematisiert Gertraud Patterer, indem sie Vergleiche anstellt.

Depression
Ist in die Zündholzschachtel
Gesperrtes Glück... (S. 153)

Und trotz des aktuellen Themas greift die Autorin wieder zurück auf alte Dinge, wie eine Zündholzschachtel. Maschinen und neue Techniken werden großteils ausgelassen. Sie braucht die Autorin nicht um soziale und politische Umstände zu beschreiben. Gebraucht werden Bilder von Sonne, Bächen, Blumen und Raben.

Und endlich beweist der Titel auch durch die Kürze der Texte seine Berechtigung. Wie heißere Schreie der Raben im Winter krächzen Verse wie „ Die Welt zerschellt an der Welt.-„ (S. 162) über weiße Buchseiten. Denn „Rabenrufe sind wahrer – und ewiger – als Kirchenglocken.“ (S. 187)

Barbara Maria Hoiß

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