Rezensionen 2002

Hans Perting, Der Kranich.
Erzählung in Prosa und in freien Versen.
Brixen: Provinz Verlag, 2. Aufl. 2001, 136 Seiten.

"Der Ausdruck ‚Provinz' meint dabei nicht nur Geographisches, sondern vor allem Schaffensprodukte, die inhaltlich und formal außer die Norm fallen, indem sie nach neuen Ansätzen des Denkens und Gestaltens streben." Diese Zeilen liest man auf der homepage des Provinz Verlags und sie treffen auf das Buch von Perting vollinhaltlich zu. Falls man sich von den "freien Versen", in denen manchmal zu sehr auf die lyrische Tube gedrückt wird, nicht gleich abschrecken lässt, dann legt man dieses Buch erst wieder aus der Hand, wenn man es zu Ende gelesen hat.
Man wird mehrfach überrascht: Einmal von dem Versuch, in der Form des mittelalterlichen Heldenepos eine Geschichte der jüngsten Vergangenheit zu erzählen. In diesem Buch gibt es - wenn man bei diesem Bild bleiben will - 64 Gesänge, das Stilmittel der Wiederholung wird reichlich genutzt, die epische Breite muss hingegen einer sehr knappen Darstellungsweise weichen. Überrascht wird man aber auch vom groß angelegten Themenbogen, der vom Faschismus und Nationalsozialismus in Südtirol bis zu ganz spezifischen Vintschgauer Themen (die Schwabenkindern, die Waale, die Armut und Sprachlosigkeit der bäuerlichen Bevölkerung) reicht.
Der ‚Held' der Geschichte ist der Bauernsohn Raetho Klammsteiner, allerdings mit einem "Schuss Adelsblut" (S. 135). Ort der Handlung ist das mythische Valangatal im Vintschgau, "fünf Stunden lang. / Von Hochalt bis Sonnberg." (S. 5), anfänglich auch für Raetho. Aber durch seinen Onkel Valentin ("Valentin, der Grenzgänger. / Der Bergführer. Der Schmuggler. / Der Krämer, der Karrner, der Seelenhändler. / Der Retter aus der Not. / Der Bruder des Hochaltbauern. / Der Hofweicher." S. 23) erhält er die Möglichkeit, als Grenzgänger und Schmuggler diese inneren und äußeren Grenzen zu überwinden. Grenzen überschreitet er auch in der unstandesgemäßen Liebesbeziehung zur Gräfintochter von Sonnberg, wodurch aber letztendlich der "Fortbestand des Geschlechtes der Sonnberger" (S. 135) gesichert wird.
"Die Welt ist tausend Stunden lang.
Seit vielen Stunden.
Seit Raetho die Grenz' überschritten hat.
Die äußere.
Die innere.
Seit er Grenzgänger geworden ist.
Auch er." (S. 39)
Das Symbol dieses Grenzgängertums ist der Kranich, zugleich aber auch das Wappentier der Grafen von Sonnberg; nur Grenzgänger können diese mythischen Tiere überhaupt wahrnehmen. Eine wichtige Rolle spielt auch der Dorfpfarrer Anton Mairösl, dem - litaneienhaft - eine Menge von Fähigkeiten zugeschrieben werden:
"Hochwürden Anton Mairösl ist Richter.
Allseits anerkannter Friedensrichter.
So wie er auch Landarzt ist. Und Apotheker.
Und Seelenarzt. Und Tierarzt." (S. 58f.)
Unverblümt sind in dieser Figur Eigenschaften und Taten des legendären Pfarrers von Matsch, Anton Reisigl (1887-1963), beschrieben. Vom politischen Geschehen der 20er und 30er Jahre ist das Valangatal nur wenig betroffen: "Wer schert sich schon um diesen weißen Fleck auf der Landkarte?" (S. 69), von den Folgen, dem Zweiten Weltkrieg, allerdings sehr: Auch Raetho muss einrücken, gerät schlussendlich in amerikanische Kriegsgefangenschaft und kehrt nach dem Krieg mit einer Schwarzafrikanerin in sein Dorf zurück. Auch damit hat er wieder eine Grenze überschritten. Er überwirft sich deswegen mit seiner Mutter, "Weil sie Gott gedankt hat. / Stumm. Aber mit leuchtenden Augen. / Als der Sarg mit der Tabitha in die Erde gelassen worden ist. Und mit dem kleinen, hellschwarzen Bübl auf ihrer Brust." (S. 120)
Raetho lebt seither allein auf Hochalt, setzt sich für die Bevölkerung ein, sorgt dafür, dass das Tal eine Straße und eine Schule bekommt, gründet die Feuerwehr, führt den Fremdenverkehr ein: "Dass keiner mehr Hunger haben muss. Dass keiner mehr weichen muss. Vom Valangatal." (S. 119) Als ein Blitzschlag seinen Hof in Brand steckt, rührt er keinen Finger und verschwindet in Richtung Berge.
Die Lust am Fabulieren ist diesem Büchlein anzumerken, bei näherem Hinschauen merkt man allerdings, dass sich der Autor wohl etwas zuviel vorgenommen hat. Vor allem kann er sich nicht enthalten, das Wissen des Nachgeborenen einzubringen:
"Ein Verbrecher in Rom.
Ein Verbrecher in Berlin.
Und Südtirol mitten drin.
Das kann nicht gut gehen." (S. 61)
Solche Verse eben auch nicht. Auch in den Erläuterungen sagt der Autor kräftig seine Meinung, zieht beispielsweise ohne allzu großes geschichtliches Wissen über Tolomei her oder nimmt - durchaus einsichtsvoll - zur Toponomastikfrage in Südtirol Stellung.
Trotzdem: Dieses Buch bleibt eine Überraschung: wohltuend anders in der inhaltlichen und formalen Gestaltung, traut sich hier einer, zu dichten, eine Geschichte zu erzählen.

Hans Perting ist das Pseudonym für Johannes Fragner-Unterpertinger: geb. 1963, Apotheker, Maler, Schriftsteller in Mals. Der Provinz Verlag ist eine im Jahr 2000 gegründete Genossenschaft unter der Leitung von Bruno Klammer und Andreas Mörl (Besitzer der Buchhandlung Weger in Brixen, über die die Bücher auch vertrieben werden).

Anton Unterkircher

Nach oben scrollen