Rezensionen 2002
Claudia Mathis, Wie ich aufgestanden bin.
Hall:Berenkamp Verlag, 2001, 112 Seiten.
Innsbruckerin, Studium der Theologie und christlichen Philosophie, ehrenamtliche Blindenbegleiterin, Arbeit mit schwerbehinderten Kindern... Wer auf Grund dieser Kurzbiographie von Claudia Mathis erwartet, daß die Erzählung Wie ich aufgestanden bin ein braves, engagiertes Buch ist, wird überrascht sein, einer Kosmopolitin zu begegnen, die in Innsbruck, Dakar, Montréal und dem Jerusalem des König David gleichermaßen zu Hause ist, den literarischen Kanon kennt und rhetorische Mittel mit sicherer Hand einzusetzen weiß. Wenn ihre Protagonisten nicht ernsthaften bzw. prestigeträchtigen Tätigkeiten nachgingen, würden sie an die jeunesse dorée der Romane von Arbasino erinnern: Man hat sein eigenes Pferd, verbringt mit fünfzehn Sprachferien in Frankreich, hat keine Hemmungen, sich im Club Med zum Segeln einzuschleichen und bucht, etwas älter, Langstrecken-Flüge wie Gleichaltrige Busfahrscheine. So scheint der Konflikt, in den sich die Heldin verstrickt, u.a. auch dem Bedürfnis zu entspringen, in einer Welt, in der alles erlaubt und möglich ist, Grenzen zu überschreiten. Das heißt nicht, daß uns die Probleme ihrer Figuren nicht berühren. Mathis sorgt dafür, daß sie es tun.
Ein kurzes Vorwort - Was vergangen ist - kündigt an, die folgende Geschichte sei autobiographisch, die Erzählerin sehe sich jedoch nur als Sammlerin, die Ereignisse fixiert, zwischen denen der Leser die Zusammenhänge herstellen solle. Wie ich aufgestanden bin ist eine Dreiecksgeschichte: Die Protagonistin Jeanne verführt bei einem Heimaturlaub - sie reist zur zweiten Heirat ihrer Mutter nach Innsbruck - ihre neue, lesbische Stiefschwester, das Model Anna, weil deren Sprödigkeit sie reizt. Anna verliebt sich, folgt Jeanne zunächst in den Senegal, wo diese mit ihrem Freund Michael, einem Arzt, in einem Hygieneprojekt arbeitet, nimmt aber dann ein Job-Angebot in Montréal an, weil sie klare Verhältnisse braucht. Das führt dazu, daß Jeanne Michael verläßt, ihre Arbeit in Dakar aufgibt und mit der Freundin eine Wohnung in der Nähe von Innsbruck bezieht, nur um festzustellen, daß sie nichts für Anna empfindet oder "nichts mehr vielleicht, wenn ich der Erinnerung trauen möchte." (106)
Das sich parallel entwickelnde Batseba-Drama, vor allem die Widmung, mit der es beginnt ("Was ich geschrieben habe, schreibe ich, habe ich für dich geschrieben und dafür, daß ich dich nicht lieben kann." 9) und der Umstand, daß die Erzählung über weite Strecken an ein du gerichtet ist, sprechen gegen ein Happy End. In der Schlußszene des Stücks wird David allerdings Verzeihung zuteil, und das letzte Kapitel der eigentlichen Erzählung beschwört eine Idylle: Landleben und Anna, die ein Gedicht von Jeanne an eine Wand der gemeinsamen Wohnung schreibt.
Das Drama hat eine Episode aus dem Leben König Davids zum Inhalt. Der alttestamentliche Text (Samuel II, 11-12) wird zur Gänze übernommen. Teile davon werden wie Inhaltsangaben der jeweiligen Szene vorausgestellt (auch in der Bibel wird häufig resumiert, was dann breiter ausgeführt wird), kommentieren sie oder fassen das Geschehen zusammen. Während der Belagerung von Rabba verliebt sich David in die Frau eines Untergebenen, verführt und heiratet sie, nachdem er ihren Mann hat beseitigen lassen. Gott sendet ihm darauf hin den Propheten Nathan, der ihm seine Schuld vor Augen führt, und läßt sein erstes Kind aus der Verbindung mit Batseba sterben. Diese bekannte Geschichte erzählt Mathis in Form einer Theaterprobe, mit einem Regisseur und einer Assistentin, die Regieanweisungen geben (56, 60, 66, 70) und mit Tonmeistern, die schon nach Hause gegangen sind. (78) Andererseits gibt es Zuschauer. Aber um eine öffentliche Generalprobe kann es sich nicht handeln, weil kaum etwas festgelegt ist (66), nicht einmal um Stegreiftheater, obwohl einige Situationen das nahelegen, z.B. daß David in der Rolle bleibt, während der Diener und Batseba die Probenrealität kommentieren. (78) Eine bloße Aufführungs-Beschreibung ist es schon deshalb nicht, weil ständig zwischen der Perspektive eines allwissenden und eines rätselnden Erzählers, psychologischer Innensicht der Figuren und direkter Rede gewechselt wird: "Man muß wissen, daß sie zittert, um es sehen zu können. Sie sieht sein Gesicht. Vielleicht überlegt sie, ihn zu hassen." Gespielt wird auch mit Anachronismen. So kommen Patience-Karten (28-29), ein Telephon (34) und ein absurdes Theaterstück vor (56), und David vergleicht sich einmal mit Don Quijote. (33) Es gibt zahlreiche epische Momente, in denen die Figuren des Dramas das Publikum direkt ansprechen, (14, 55) beschimpfen (32, 33) oder sich im Zuschauerraum bewegen. ( 55, 107) Die Ebenen des Dialogs -außerliterarische Wirklichkeit und innerfiktionale Realität - wechseln ständig und fallen einige Male sogar zusammen:
Batseba, zu sich: "David hat recht. Es ist fast unmöglich, dieses Land zu regieren. Der Tonmeister geht nach Hause, und zum Frühstück serviert man uns Nutella-Semmeln."
Der Diener kichert albern: "Ja, ja, aber sie sind wirklich gut, wollen Eure Hoheit nicht kosten?"
Batseba, ernst: "Was denkst du von David?"
Diener: "Er ist ein großartiger König und ein großartiger Schauspieler."
Batseba, streng: "Er ist kein Schauspieler. Wie lang arbeitest du schon für ihn?"
Diener: "Seit Jahrzehnten."
Schauspieler ist David natürlich auch in der fiktionalen Realität des Dramas, denn die Figur David spielt eine Rolle (die des unfehlbaren Königs - 52, 101), und dadurch entsteht eine Verbindung zu der anderen Dreiecksgeschichte, weil auch Jeanne eine Rolle spielt. (37, 68, 103) Daß die Figur Theater- und Film-Metaphern verwendet (Szene 74, Drehbuch 53, Seifenoper 68), wird durch ihre Mitarbeit in einer deutschsprachigen Laienschauspielgruppe in Dakar begründet. (27, 76) Die andere Verbindung zwischen Schauspiel und Erzählung ist, daß Jeanne und David ihre Mitmenschen wie Marionetten behandeln: Wie David meint, er könne Uria übertölpeln und ihm das Kind unterschieben, das er mit Batseba gezeugt hat, (39, 44, 50-51) oder ihre Liebe erzwingen, (81) so denkt Jeanne: "Ich werde dich besitzen, beschließe ich, jede Bewegung deiner Hände, jede Regung deiner Gedanken. Dann werde ich mich abwenden." (23) Und ein paar Seiten später: "Bei keiner meiner Berührungen hab' ich dich geliebt. Womit kann ich sie abhängig machen, dachte ich, und so habe ich mit dir gespielt." (27) Deshalb wird sie auch aggressiv, als "[ihre] Puppen selbständig zu spielen beginnen und auch [sie] die Rolle des Regisseurs immer mehr aufg[ibt]."(64) Wie ich aufgestanden bin ist eine Zauberlehrlingsgeschichte, in der das Experiment wichtiger ist als die Personenkonstellation und das Ergebnis, zu dem es führt - Straffreiheit -, und man fragt sich, ob nicht gerade darin das eigentliche Drama liegt.
Insgesamt ist die Erstlings-Erzählung von Claudia Mathis ein packendes, gescheites, unsentimentales und dabei zartes Buch, und man freut sich auf ihr nächstes.
Sylvia Tschörner