Rezensionen 2002

Raoul Schrott, Das Geschlecht der Engel, der Himmel der Heiligen.
Ein Brevier. Mit Bildern von Arnold Mario Dall'O.
München: Hanser, 2001, 148 Seiten.

Zwei frohe Botschaften - zwei strenge Fragen

Dieses Buch springt dem Betrachtenden aufgrund seiner Ausstattung ins Auge und liegt dem Lesenden wohlgewichtet in den Händen. Es vereint Bild und Text. Die Texte hat Raoul Schrott im südirischen "Bishop's Luck, Cappaghglass, Mai 99 - August 00" verfasst. Es sind einerseits die in 20 römisch nummerierte Kapitel geordneten Texte von "Das Geschlecht der Engel", welche Angelografisches mit Liebes-Episteln, Botschaften von oben also mit solchen von unten kreuzen; (der Ich-Erzähler, ein "Heiliger zum Schein", räsoniert u.a. vom Tresen in Hacketts Pub aus;) andererseits sind da Kürzest-Viten unter dem Titel "Der Himmel der Heiligen" versammelt, die eine lapidar-groteske Hagiografie darstellen und einen direkten Zusammenhang mit den Illustrationen herstellen. Diese, insgesamt 34 und ebenfalls im Zeitraum 1999/2000 entstanden, sind von Arnold Mario Dall'O. Er kombiniert verschiedene Techniken schichtenweise: Zeichnung, Foto, Siebdruck, Linolstempel, Übermalung. Diese oberflächliche Mehrschichtigkeit birgt durchaus auch den inhaltlichen Reiz der Mehrdeutigkeit; der Druck einer Schichte auf PVC bewirkt übrigens den semitransparenten Charakter.
Die Texte lassen den gelehrten Dichter Schrott erkennen wie die Illustrationen den gelernten Bleisetzer, Lithografen und Grafiker Dall'O. Beide Autoren arbeiteten autonom, der eine zu Engeln, der andere zu Heiligen. Die Vereinigung beider Themen geschah nicht zu Lob und Preis des Himmels, sondern ergab sich aus der Art- und Wahlverwandtschaft beider Autoren, die bereits 1993 ein gemeinsames Buch, "Sub Rosa", publizierten.
Wie dieses erfordert nun auch jenes neue, dass man - will man es beschreiben - etwas ins Fachliche der Buchherstellung abschweift. Versuchen wir das in aller Kürze: Deckenband mit bedrucktem Papier über angemessen dicker Pappe (Ausschnitt von Dall'Os Illustration zu Konrad dem Einsiedler); sorgfältig gestalteter Buchrücken; zweifärbig bedrucktes Transparentpapier als Schutzumsschlag; außergewöhnliches Format; außenseitig bedruckte, nicht geschnittene Doppelblätter, die dem Buchkörper Volumen geben; gelblich-weißes, mattes Papier (vermutlich von Schleippen). In einer Hauptkolumne mit großzügigem Schriftgrad lässt der Satzspiegel die Engeltexte parallel zu den Heiligenkurzviten laufen, denen eine Marginalkolumne, gegenüber einer Illustration Dall'Os und zumeist innen, vorbehalten ist.
Tendenziell sieht die kritische Branche des Literatur-Feuilletons Derartiges bloß als Spielerei: Für den Autor der Bilder weiß sie sich nicht eigentlich zuständig; das Bibliophile schert aus der gängigen Ware aus; den Autor der Texte wiederum tut sie eher als einen eitlen Geck ab. Das war schon zu jenen Zeiten so, als H. C. Artmann - dessen Nachfahre Schrott auch ist - Bücher wie die "Grünverschlossene Botschaft" (Zeichnungen von Ernst Fuchs), "Fleiß und Industrie" oder "Die Sonne war ein grünes Ei" schrieb. Solche Texte sind sozusagen "Kontrafakturen": Umtextierungen bestehender Genretexte wie Traumdeutungen, Berufsbilder, Ursprungsmythen - und hier bei Schrott/Dall'O sind es eben Heiligenviten und -requisiten bzw. Lesefrüchte aus der Engelliteratur. Dem haftet nichts von jenem Gigantismus an, welcher bei Schrotts großen Übersetzungsunternehmen zu finden ist und der das ebenso große Feuilleton zu Kontroversen hinreißt. Man kann schon eher an "RIME" denken, einen schmaleren Band, der von der knappen vida des ersten Trobadors Guilhelm IX., Graf von Poitiers, ausgeht (Illustrationen von Adolf Frohner). Was nun all diese erwähnten Bücher, die von Artmann wie die von Schrott, zusammenhält, ist - nennen wir es so: die frohe Botschaft als Maskenspiel der Genien. Es zeigt dem Betrachter die Maske und demaskiert zugleich, es respektiert die Larve und entlarvt doch, es versprüht Auratisch-Erhabenes und mokiert sich darüber.
Klar ist, dass solchen Büchern auch immer strenge Fragen ins Haus stehen. Als dieser Frühjahrestitel ausgeliefert war, stellte die "Neue Zürcher Zeitung" im Mai 2001 die erste: "In Schrotts und Dall'Os Buch wird hingegen aller Gelehrtheit der Ausführungen und trotz aller Kunstfertigkeit der Form nicht klar, warum sie sich gerade mit Engeln und Heiligen beschäftigen und ob diese mehr sind als nur Requisiten für ein reizvolles künstlerisches Verfahren." Im Dezember erfolgte eine mögliche Antwort: "Die Welt" listete eine Reihe von Engelbüchern auf und titelte "Flügelobjekte. Die Saison der Engel ist eröffnet". Zwischen diesem Fundamentalen und Saisonalen liegen Monate, die nicht ohne Rezensionen verstrichen: im Juni die "Frankfurter Rundschau" ("Sind wirklich alle schrecklich? Raoul Schrott, den poeta doctus, treibt die Engelfrage um"), im Juli der "Rheinische Merkur" ("Satyr mit Sommersprossen"), im August die "Frankfurter Allgemeine" ("Dreieck mit Himmelsboten. Licht und Lametta: Raoul Schrott läßt Engel vom Himmel fallen"). Soweit eine durchaus unvollständige Pallette.
Die andere strenge Frage, die Glaubensfrage des Literaturpapstes Marcel Reich-Ranicki, wurde nicht gestellt. Sie lautet: "Taugt's was oder taugt's nichts?"
Die frohe Botschaft ist: Es taugt was. Punktum.

Bernhard Sandbichler

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