Rezensionen 2002
Andreas Maier, KLAUSEN.
Frankfurt / Main, Suhrkamp, 2002, 200 Seiten.
Seine Bücher entstehen in der Stille - die kleine Ortschaft Elvas oberhalb von Brixen hat Andreas Maier zu seinem Domizil erkoren. Und sie handeln von der Geschwätzigkeit, vom vielen Lärm um nichts, vom undurchdringlichen Gestrüpp der Gerüchte und Halbwahrheiten. In seinem Debütroman "Wäldchestag", für den er mit dem Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung, dem Ernst-Willner-Preis der Klagenfurter Literaturtage und dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet wurde, lässt er die Gerüchteküche in der tiefsten hessischen Provinz brodeln, für seinen zweiten, mit Spannung erwarteten Roman wählt er als Ort und Titel die Stadt Klausen im Eisacktal. An einer relativ engen Talstelle zwischen Autobahn und Bundesstraße eingezwängt, das Kloster Säben als markantes Kennzeichen immer vor Augen - oder im Rücken, bietet sich diese Kleinstadt geradezu an, Austragungsort für verbale Kämpfe und, als Konsequenz daraus, "Tatort" zu werden.
Die literarische Methode Maiers ist dieselbe, die er bereits in seinem Debütroman gekonnt einzusetzen vermochte - im Grunde eine sehr puristische: das Sprechen der Personen ist es, das diese fast ausschließlich charakterisiert und das die Handlung mit all ihren Verwicklungen und Mißverständnissen vorantreibt. Direkte Rede, die einem Theatertext entnommen sein könnte, wechselt mit indirekter Rede und mit der Widergabe von Gesprochenem, scheinbar Gehörtem. Die Position des Erzählers ist damit umrissen: sie ist eine extrem zurückgenommene, die Urheberschaft des Gesagten liegt ja beim Sprecher, dessen Worte - meist im Konjunktiv - "nur" wiederholt werden. Hin und wieder bringt er sich mit auktorialen Einschüben ein, doch der Mikrokosmos der Vermutungen, die sich dann zu Tatsachen verdichten und so Fakten und Taten schaffen, entsteht allein aus dem Wirrwarr an Stimmen und Meinungen, die sich im kleinen Städtchen entzünden.
Die Komposition des Ganzen ist dem Autor grandios gelungen. Attentate auf einzelne Bürger, Angriffe und Übergriffe auf Gruppen, seien es die Aktivisten, die sich in einer Bürgerinitiative für eine Lärmsenkung einsetzen, seien es die ausländischen Familien, die auf der Ploderburg, einen von verschiedenen Immobilienmaklern umworbenen Grundstück, wohnen, ein anonymes Pamphlet - all dies erhitzt die Gemüter, ruft Meinung und Gegenmeinung hervor. Möglichkeiten über Möglichkeiten tun sich auf, was die Beteiligung an den einzelnen Taten betrifft, irrwitzige, an die Spitze getriebene, aus der Logik der Sprechenden heraus jedoch durchaus realistische: "Man konnte glauben, dass die Öffentlichkeit nichts weiter als eine Form des Wahnsinns sei." Alles gipfelt in einem Attentat auf einen Autobahnpfeiler. Ein Schuldiger scheint gefunden zu sein, doch auch ihm kann die Polizei schlussendlich nichts anhaben - es gibt keine Beweise.
Maier schafft es, neben der oftmals auch ironischen Darstellung der Kommunikationsstrukturen in dieser kleinen Gesellschaft, in der sich jeder irgendwie bedroht oder zumindest betroffen fühlt und meint, zu allem Statements abzugeben, um damit wiederum Irritationen und weitere Wortmeldungen hervorzurufen, jene Fakten zum Thema zu machen, die in dieser Stadt Klausen, in diesem Landstrich, wirklich zu den Irritationen zählen: die optisch und akustisch dominante Autobahn, die einerseits scheinbar zur Prosperität der Wirtschaft beiträgt, andererseits der Entwicklung des Tourismus abträglich ist; Immobilienspekulationen; die in einem Land wie Südtirol allseits präsenten ethnopolitischen Stellungnahmen.
Was "Klausen" aber vor allem zu einem Lesevergnügen macht, ist die Art, wie das "Sprechen" zum Inhalt gemacht wird, ein Sprechen, das überbordet, ein Dschungel aus Stimmen und Meinungen, in dem letztendlich auch Erkenntnis auf der Strecke bleibt. Doch scheint dies die Beteiligten nicht zu stören - die Rednertribüne der Selbstdarstellung steht fernab der Agora einer gemeinschaftlichen Kommunikation.
Anna Rottensteiner