Rezensionen 2002
Walter Schlorhaufer, Weggefährten.
Innsbruck, Haymon, 2001, 224 Seiten.
Die Erinnerung überbrückt Zeiträume, verkürzt sie, macht das lang Vergangene zum Gestern, sogar zum Heute. Und dabei bewegt sie sich entlang von Wegen, die sich manchmal (oder etwa immer?) mit wirklichen Straßen, Gassen decken, so mag es scheinen ... Es sind dies vielleicht die ganz persönlichen, zeitlosen ‚Songlines'. Und da gibt es Gefährten, die uns vorübergehend begleiten, deren Wege sich mit unseren kreuzen, deren Wege vielleicht sogar manchmal fast parallel zu den unseren verlaufen. Gefährten, die uns verlassen, die wir verlassen, die verloren gehen ... und die doch in unseren inneren Liedern lebendig bleiben und gegenwärtig.
Weggefährten ist das Manifest einer Freundschaft, deren Gefühlsregungen, Frustrationen, Leerläufe mit sehr viel Präzision und Ehrlichkeit dargelegt werden. Veit Oberkofler ist der Weggefährte, der Kamerad, der vertraute und doch so fremde Bruder. Und er ist der sehr lebendige Abwesende, dessen Verschwinden auf diesen dreihundert Seiten nachgegangen wird.
Der Roman ist eine Spurensuche auf den Wegen der Erinnerung, ein Zurückverfolgen von Spuren, die der Erzähler (wer immer er sein mag) für die eigenen hält. Und dabei schwankt seine Stimme zwischen Nähe und Distanz zu seinen Figuren, bedient sie sich der
Gegenwarts-, dann wieder der Vergangenheitsform. Nicht von ungefähr ist die Sprache selbst ein wiederkehrendes Thema im Text, etwa wenn die Mutter der Hauptfigur dessen Vater seine geschwollene Wortwahl vorwirft. Insofern haben wir es hier wohl auch mit einer Suche nach der eigenen Stimme zu tun, nach den Wurzeln dieser Stimme. Vielleicht auch mit einer (späten?) Versöhnung mit einer Herkunft, der Rupert Leb im Laufe der Erzählung zu entwachsen scheint. Nicht außer Acht zu lassen bei alledem ist der zeitgeschichtliche Hintergrund, die große Zäsur, welche der zweite Weltkrieg und das dritte Reich besonders auch für einzelne Familiengeschichten dargestellt haben muss. Auch diesbezüglich scheint eine rückblickende erzählerische Milde und Abgeklärtheit vorzuwiegen, die jede etwaige Härte von Seiten der Protagonisten aufwiegt.
So wie aus dem Ich ein Er wird, ist auch die Topographie des Schauplatzes entrückt mit Hilfe zwar veränderter aber dennoch leicht erkennbarer Ortsnamen. Diese Stadt ist eine fremde und doch wohlvertraute, wie eine immer wieder in einem Traum gesehene, begangene, oder in jener Erzählung, zu der die Erinnerung nach und nach wird. Oder wird sie erst dazu mit dem Schreibakt selbst? Und jene Topographie ist auf eigentümliche Art leergeräumt, abstrahiert geradezu, vor allem da, wo von gekrümmten, abfallenden Gassen und geraden, ebenen Straßen die Rede ist. Von den Lebenswelten der beiden Protagonisten also, die gegenübergestellt und gleichzeitig dauerhaft verschränkt werden.
Hinter dieser doppelten Entrückung, sozusagen, verbirgt sich der entscheidende Schritt von der autobiographischen Episode zur ‚abgenabelten' Erzählung. So ist der Roman zweifellos auch als eine indirekte Studie zu den Mechanismen des Schreibens zu sehen.
Daniel Ostermann