Rezension 2011

Maridl Innerhofer, Zukunftserinnerungen. Gedichte in Mundart und Hochsprache
Hg. Ferrucio Delle Cave , Martin Hanni
Bozen: Edition Raetia, 2011

Maridl Innerhofer zählt zu den beliebtesten und wohl auch angesehendsten Mundartdichterinnen Südtirols. Nun ist ihr 9. Gedichtband in ihrem 90. Lebensjahr erschienen.
Beobachtungsgabe, Weisheit und Humor waren immer schon und sind wieder in ihren Mundartgedichten zu finden, erstmals enthält der vorliegende Band auch Gedichte in Hochsprache. Ferrucio Delle Cave, Leiter des Kreises Südtiroler Autoren, und Martin Hanni, Leiter der Dokumentationsstelle für Südtiroler Literatur in Bozen, haben den Band herausgegeben. Er enthält ein Vorwort, ist mit einem biobibliographischen Anhang, zahlreichen Fotografien und einem Widmungsgedicht von Kurt Lanthaler ausgestattet. Außerdem ist ein Gespräch nachzulesen, das Martin Hanni mit der Autorin geführt hat und das sie in persönlichen Aussagen porträtiert. In diesem Interview erzählt Maridl Innerhofen ihren Werdegang als Mundartdichterin. Anni Kraus, aber auch Alfred Gruber nennt sie als wichtige Wegbegleiter. Die zentralen Themen ihres Schreibens kommen zur Sprache. Als sie in den vierziger Jahren „zwangsumgesiedelt“ wurde und zu schreiben begann, habe sie im Dialekt ein „Heimatgefühl“ gefunden – Mundart als heimatliche Insel innerhalb der deutschen, der offiziellen Hochsprache und Schreiben als Lebensbegleitung. Anlassbezogen und lesernah sind viele ihrer Gedichte, die im Laufe der Jahrzehnte entstanden sind, sie greifen das Naheliegende auf und lassen, wie mit leichter Hand notiert, konkrete Alltags- und Lebenserfahrung aufs Papier gleiten. Nicht nur „Hennen und Nochtigolln“, „A Handvoll Minz“ oder „A Kraut mit tausnd Guldn“ finden Eingang in ihre dichterische Welt, vielmehr  finden sich in ihr auch kritische Töne. Ein waches Auge wirft sie insbesondere auf die Gefährdung der ‚Heimat’, beispielsweise durch den Tourismus. Prägnante Aussagen wie „aus einem Stadel wird ein Hotel und aus Profitgier noch eines daneben“ (S. 89) drücken eine bodenständige Weltsicht aus, die in Lebenserfahrung gründet. Wieviel Maridl Innerhofer weiß, über die Südtiroler Geschichte zu erzählen und zu sagen hat, kann übrigens im „Virtuellen Haus der Geschichte“ (einem Projekt von Ruth Deutschmann, Ekkehard Schönwiese, Benjamin Epp) gehört werden.
Die Gedichte im neuen Band sind in fünf Themenkreise gegliedert: „Zukunftserinnerungen, Huamat, Gedanken und Traam, Jahreszeiten, Haikus/Tankas“. Nachdenkliches und Bemerkenswertes zu den genannten Themenkreisen sind in knappen Zeilen zusammengetragen. Manche Gedichte in Burggräfler Mundart werden von einer Fassung in Hochsprache begleitet, das vergleichende Lesen lässt den klanglichen Reiz des Dialekts erst richtig hervortreten. Es sind so Wörter wie „Inniwertsschaugn“ oder „raachelen“ oder „krautelen“ oder „Flottr“, die aus dem sprachlichen Reichtum schöpfen und einen poetischen Mehrwert ausmachen, den nur ein bewusstes Dialektdichten hervorbringt. Ist beispielsweise der „Rücken“ dasselbe wie der „Buggl“? Durch die Dialektwörter klingt noch etwas Zusätzliches ins Gedicht hinein, das so genau für die Leser oft gar nicht zu bestimmen ist (und vermutlich auch nicht bestimmt zu werden braucht).
Im letzten Abschnitt des Bandes reihen sich dreizehn Gedichte in fernöstlicher Reduziertheit der Haikus bzw. Tankas aneinander (manchmal, scheint es, wurden zwei Haikus zu einem längeren Tanka zusammengebunden, aber das macht nichts, das Silbenmaß bestimmt nicht allein den ‚Atem’ des Gedichts).
Haiku ist jene Form, die den Augenblick (im Sinne des Wortes) am besten einfängt und den Anblick, die ‚Impression’ der Schöpfung, die „prickelnde Ahnung vom Ewigen“ (wie es im Gedicht „Mein Stein“ heißt), im schlichten Naturbild vermittelt. Nachdenkliches auch hier: „Tartscher Bühel // Wieviel Geschichte / lebt unter meinen Füßen / auf dem Kirchhügel!“
Es gibt ein Haiku über Maridl Innerhofer von Alfred Gruber, der gern diese Form benützte für seine kleinen Momentaufnahmen. Mit einer Handvoll Worten charakterisiert er die Dichterin so: „Zeisigzart, klangvoll / Gleich der Nachtigall, blickscharf / wie ein junger Adler“.
Dem Band ist gelungen, was das Vorwort verspricht: eine „Hommage an die Grande Dame der Südtiroler Mundartdichterin“ zu sein.

Christine Riccabona

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