Rezensionen 2005

Norbert Gstrein, Das Handwerk des Tötens. Roman.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2003.
Norbert Gstrein, Wem gehört eine Geschichte?
Fakten, Fiktionen und ein Beweismittel gegen alle Wahrscheinlichkeit des wirklichen Lebens.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2004.


Es ist schon richtig, Iris Radisch hat sich nicht gerade eifrig bemüht, einen ausgewogenen, differenzierten Artikel über "Das Handwerk des Tötens" zu verfassen. Sie hat tatsächlich das Thema des Romans, den Krieg auf dem Balkan, besser gesagt: die Schwierigkeiten, über den Krieg zu schreiben, in ihrer Besprechung kaum berührt, sie hat sich stattdessen ganz konzentriert auf die Erzählstrategien, auf die Machart des Romans, der, wie das Radisch sieht, "mit nachgerade altkakanischer Umständlichkeit erzählt", als sei es längst schon unmöglich oder gar verboten, anders zu erzählen, als müsse inzwischen jedes anspruchsvolle literarische Werk pausenlos "auf sein vielfach gebrochenes Verhältnis zur Wirklichkeit" verweisen. Und sie hat darüber hinaus schließlich nur einen einzigen Punkt noch deutlich herausgestellt: dass Gstrein in diesem Roman "innerösterreichischen Stammesfehden" allzu viel Platz einräumt, also alles in allem einen keineswegs aufregenden, sondern einen missglückten Schlüsselroman geschrieben habe.
Aber Gstreins Behauptung, Radisch hätte versucht, ihn "umzubringen", nachzulesen in "Wem gehört eine Geschichte?", ist überzogen, unbegründet, eine peinliche Entgleisung: Im deutschen Feuilleton, jedenfalls in der ZEIT-Redaktion kämpft man denn doch mit anderen Waffen als im Kosovo!

 

Die Grenzen der Fiktion

 

Die Kritik hätte sich nicht gescheut, so Gstrein, seinen Roman "seiner Fiktionalität zu berauben". Auch das ist überzogen; ist doch der Roman so angelegt, dass er immer wieder unübersehbar über die Grenzen der Fiktion hinauszeigt.
Ähnlich wie der Roman "Die Zumutung" von Sabine Gruber. Die Welt der Ich-Erzählerin erinnert an die Welt der Autorin, die fiktiven Figuren erinnern an reale Vorbilder; und um abzusichern, dass diese Vorbilder in jedem Fall auszumachen sind, setzt die Erzählerin sogar eine lange Reihe von Signalen.
Diese gelten insbesondere einem Schriftsteller, den Sabine Gruber Holztaler nennt und im übrigen in einem fort attackiert, wo immer sie ihn auftauchen lässt in ihrer Geschichte. Was auch immer Holztaler anfasst, sei es in der Rolle des Freundes, sei es in der Rolle des Autors, wann immer er redet, wann immer er schreibt, nie bringt er, in den Augen Mariannes, etwas zustande, was hält oder wenigstens zählt. Als sie schließlich erfährt, dass er einen neuen Roman vorbereitet, "Die bosnischen Jahre", einen Roman noch dazu über einen gemeinsamen Freund, über Mariannes "Lebensfreund" schlechthin, gerät sie ganz außer sich. "Untersteh dich, je über mich zu schreiben", warnt sie ihn, und fügt gleich eine Drohung hinzu: "dann verwandle ich dich in eine Kotsackblattwespe oder in eine Gallenlaus."

 

Die Rache

 

Der so Angesprochene hat die Drohung nicht ernst genommen, gleichwohl auch wenig Sinn für Humor bewiesen und jedenfalls prompt zurückgeschlagen. In dem in der "Zumutung" angesprochenen Roman, der in vielem an seinen Erfolgsroman "Die englischen Jahre" anknüpft, in dem Roman "Das Handwerk des Tötens", den der Autor tatsächlich Gabriel Grüner gewidmet hat, lässt Norbert Gstrein wiederholt eine Schriftstellerin auftreten, die ihn, das heißt natürlich: seinen Ich-Erzähler permanent reizt. Dieser räumt zwar ohne weiteres ein, dass andere Figuren über Lilly alias Sabine Gruber doch ganz anders denken als er und seine Einschätzung keineswegs teilen, aber gleichzeitig lässt auch er, wie Marianne, sich nicht davon abhalten, Bilanz und einen Schlussstrich unter alle ihre Begegnungen zu ziehen: "Ich wußte nicht, was sie sich von mir erwartet hatte, ob ich es ihr überhaupt hätte recht machen können, ob es wirklich an mir lag und meinem vielleicht zu direkten Vorgehen oder ob es auf das gleiche hinausgelaufen wäre, wenn ich mich mehr zurückgehalten hätte, aber zu guter Letzt spielt es ohnehin keine Rolle, interessierte ich mich einfach nicht mehr dafür, so wenig vermochte ich mit ihrem migränischen Getue anzufangen, dem alles eine Zumutung war."
Gstrein selbst hat mit derartigen Invektiven begonnen, den Roman "seiner Fiktionalität zu berauben". Sein Schreibverfahren betont wohl den Konstruktions-Charakter jeder Darstellung, aber es provoziert zugleich die Kritik der fiktionalen Rede(n) wie auch eine mehr und mehr wachsende Skepsis gegenüber seiner Poetik, die sich gern, jedoch keineswegs konsequent an die biblische Aufforderung anlehnt, sich kein Bild zu machen. Wo es ihm darum zu tun ist sich zu rächen, dort nämlich vergisst der Erzähler, dort vergisst mit ihm der Autor alle seine Vor-Sätze.

 

Kritik der Kritik der Kritik

 

Die mehrschichtige Erzählstruktur des Romans, die doppelte, sogar dreifache Schrift, die "Das Handwerk des Tötens" in die Tradition von Thomas Bernhard und W. G. Sebald rückt, ist von der Kritik (zu Recht, meine ich) in der Regel gewürdigt, vielfach sehr positiv aufgenommen worden. Gstrein aber hat offensichtlich nur die (wenigen) Verrisse gelesen, also schreibt er, in "Wem gehört eine Geschichte?", seinen Kritikern ins Stammbuch, mit welchen Autoren sie ihn, gefälligst, in einem Atemzug künftig zu nennen hätten: Marcel Beyer oder Uwe Johnson wären recht, auch Handke, auch Sebald, auch Michail Bulgakow, vor allem freilich Imre Kertész, Danilo Kis und selbstverständlich Jorge Semprun. Natürlich auch Cesare Pavese, dessen Tagebuch "Das Handwerk des Lebens"  ja im Romantitel zitiert wird. - Es versteht sich: wer einmal in einer solchen Reihe steht, ist unangreifbar.
Kann aber seinerseits nach Herzenslust attackieren. Zum Beispiel alle jene Schriftsteller, die in der gleichen Reihe nichts zu suchen haben, diese skandalsüchtigen "Halb- und  Dreiviertelalphabeten", "diese paar Aufrechten und ihre Handlanger", oder die "Informanten unter den schreibenden Anhängseln von österreichischen Kulturbehörden" (ein Schelm, wer in diesem Zusammenhang an Sabine Gruber oder Robert Schindel denkt), oder auch die "ebenso blutleeren wie vampirhaften" Studierenden, die an der Universität Wien im Fachbereich Neuere deutsche Literatur nach wie vor den Vorlesungen eines bekannten Professors ("Träger eines Doppelnamens") folgen, eine "Schattenhörerschaft" sondergleichen.
Wenn er einmal schon in Fahrt ist, kann nichts und niemand mehr Norbert Gstrein aufhalten, er setzt jede Anstandsregel,  großzügig  nur sich selber gegenüber, außer Kraft. Wer immer in den "halbklandestinen österreichischen Zirkeln" verkehrt, diese, so wörtlich, "satte Schriftstellermischpoke" (Achtung Achtung! Die doppelte Schrift. Ein Zitat. Von Danilo Kis; "so kann man wahrscheinlich nur in einer Diktatur reden"), mit Norbert Gstrein kann es (aus allen diesen Zirkeln) niemand aufnehmen, am Ende nicht einmal Gabriel Grüner selbst, an den doch zunächst einmal "Das Handwerk des Tötens" erinnern sollte; Grüner ist, stellt Gstrein jetzt unmissverständlich fest, kein Freund, allenfalls "so etwas wie ein Freund gewesen".
Norbert Gstreins Nachschrift zum "Handwerk des Tötens" ist keine Antwort auf einen Skandal, sondern ein Skandal par excellence.

Johann Holzner

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