Literatur im Lichthof - Weitwinkel
Birgit Holzner und Gabriele Wild: „All die Naturphilosophien lassen mich kalt“
![]() Publikum mit M. Donhauser, Ulrike Draesner und Andreas Neeser. © Fotowerk Aichner
Elfriede Pöder: Frau-Zimmer-Fenster: Topographie/Raum und Intertextualität. Annäherungen an Andrea Winklers „König, Hofnarr und Volk. Einbildungsroman“ In Andrea Winklers kürzlich erschienenem „Einbildungsroman“ „König, Hofnarr und Volk“ (Zsolnay 2013) ist die Handlung wesentlich an zwei Orten angesiedelt: einmal ist dies das Zimmer der Ich-Erzählerin Lina Lorbeer, die manchmal auch als Du-Figur und kaum wahrnehmbar und selten als Sie-Figur aufscheint, und dann das „Institut für Gedankenkunde und Verstehen“, in das Lina zu Beginn des Romans gerade aufgenommen worden ist (10). Dieses Institut wiederum wird von der Figur des Herrn Professor Icks und der Frau Professor Stein repräsentiert, in deren Büros Lina sich wiederholt zu einem Gespräch einfindet, wenn sie nicht gemeinsam mit ihren Studienkollegen Justin und Flora im Hörsaal, einen Aufsatz verfassend oder schlaf-tag-träumend im Lesesaal/der Bibliothek sitzt oder aber im eigenen Zimmer - nachdenkend, schreibend, träumend, lesend, aus ihrem Fenster schauend und sich erinnernd. Erst das XXV. und gleichzeitig auch letzte Kapitel zeigt Lina in der Abschlussprüfungssituation mit Frau Professor Stein als Hauptprüferin, deren Angebot einer Zukunft am Institut (vgl.163) - „Wollen Sie in meine Dienste treten und ein wenig tiefer blicken?’“ (94; vgl. auch 125;) - sie noch vor dieser entscheidenden Situation abgelehnt hat. Nicht zuletzt aufgrund der kaum vorhandenen Zeitmarkierungen (Jahreszeit: Herbst/Winter; Tag/Nacht) und des nicht chronologisch angeordneten Handlungsverlaufs mit den Ineinanderverschachtelungen von Träumen, märchenhaft gestalteten Wunsch- und Fluchtszenarien, den wiederkehrenden Erinnerungssplittern an die Volksschülerin Agnes aus Linas „Kindschaftstagen“ (182) sind es gerade Orte und Räume, die eine wichtige Leseorientierung bereit stellen. Dazu zählen auch die kursiv gesetzten Textstellen, die vor allem die am Institut verfassten (Prüfungs-) Aufsätze markieren, und der in ihrem Zimmer geschriebene und längste ‚Aufsatz’ des Romans (140-144) in Kapitel XIX. Des Weiteren die nicht kursiv gesetzten Briefe Linas an einen entfernten Freund. Diese Briefe beenden bis auf Kapitel IX, XIX und XXII alle anderen Kapitel des Romans und ‚ordnen’ blitzlichtartig das bisher Geschehene für das männlich markierte Du, Jakob. Nicht nur der Titel von Andrea Winklers neustem Prosatext „König, Hofnarr und Volk“ mit seinen Gattungs- bzw. Genre-Anspielungen auf Märchen und Drama und mit seinen Asnpielungen auf hierarchische Verhältnisse gesellschaftlicher Ordnungen, sondern auch sein Untertitel „Einbildungsroman“ verweisen bereits auf Intertextualität, die eine zentrale Verfahrensweise des Romans ist: mit „Einbildungsroman“ spielt der Untertitel auf den Bildungsroman als wirkmächtiges Romangenre an; gleichzeitig charakterisiert er auch ironisch-kritisch jene Bildungseinrichtung, an der Lina Lorbeer sich eingeschrieben hat. Am „Institut für Gedankenkunde und Verstehen“ bewegt sie sich an einem Ort, dessen im Roman im doppelten Sinne des Wortes als ‚eingebildet“ ausgewiesenes Selbst-Bild es ist, Denken und Verstehen zu präzisieren (vgl.13f.;18f;24) und zu verfeinern (vgl.148f). Umgekehrt muss Lina schmerzlich erkennen, wie betrogen man ist, „wenn man hier ein- und ausgeht und sein Denken und Verstehen verfeinern lassen will.“ (127) So muss sie feststellen, dass ungenaues Zitieren/Wiedergeben der Lehrenden zentrale Bedeutungsunterschiede verschwinden lässt bzw. Bedeutungsveränderungen vornimmt - so im Falle von Professor Icks - oder dass studentisches Aneinanderreihen wörtlicher Zitate der Lehrenden als theoretische Richtung „ganz auf der Höhe des Zeitgeistes“ (149) von eben diesen ausgewiesen wird. Spätestens hier wird die satirische Dimension des Romans mehr als greifbar, denn, mit Frau Professor Stein gesprochen, diese „Weltanschauung läuft auf die so genannte ‚Unentscheidbarkeit’ hinaus.“ (149), wenn nicht sogar auf ihr „Gleichviel“ (101). In „König, Hofnarr und Volk“ kehren Orte und Räume, besonders auch solche, die man mit Grenze, Übergang und Schwelle oder mit Bewegungen/Wege in Verbindung bringen könnte wie z. B. ein Fenster, eine Schaukel oder Straßen wiederholt wieder. Besonders Linas Zimmer mit seinem Fenster könnte beispielhaft als Bachtinscher Chronotopos gelesen werden gerade auch im Sinne der Zusammenführung/Verdichtung von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit, Gegenwart und Vergangenheit/Zukunft in einem Raum bzw. in einem räumlichen Gegenstand: denn die Bedeutung von Linas Fenster – und schon gar nicht die ihres eigenen Zimmers – geht nicht nur in seiner traditionellen bzw. konventionalisierten Bedeutung der Schwelle/Grenze und des Übergangs zwischen Innen und Außen auf. So fragt sich Lina in Zusammenhang mit der bedrückenden „Kindschafts“-Erinnerung an Agnes, die Lina wiederum in ihrer ersten schriftlichen Arbeit am Institut ‚einführt’, und in Zusammenhang mit ihrem Bild von der Frau am Fenster im dunklen Zimmer, ob Übergehen „in einen fremden Gedanken“ (31ff) ein möglicher Umgang für sie mit Vergangenem und unmittelbar Gegenwärtigem wäre. Auf konkrete Einzeltextreferenzen (Intertextualität) in „König, Hofnarr und Volk“ hat besonders Cornelius Hell in seiner Besprechung des Romans bereits hingewiesen – neben Büchners „Woyzeck“ (1836) und „Leonce und Lena“ (1836) sind das vor allem Verse aus Robert Walsers Gedicht „Wie immer“ (1898), die durch den gesamten Roman hindurch zitiert werden und in unmittelbarem inhaltlichem Zusammenhang der jeweiligen Erfahrungen, Situationen und Fragen Linas stehen. Mit diesen expliziten Bezugnahmen auf Texte von Georg Büchner und Robert Walser stellt sich Andrea Winklers Roman nicht zuletzt in eine Tradition, die die utopisch-kritische Funktion von Literatur wahrnimmt. Eine wiederum weibliche (Moderne-) Traditionslinie lässt das Bild/Motiv der Frau, die als am Fenster Stehende und als aus dem Fenster Hinaus-Sehende dargestellt wird, erkennen. Gerade dieses Bild kehrt u. a. in Virginia Woolf’s Roman „The Waves“ (1931) wiederholt wieder und hat dort - wie auch die im Zimmer vor dem Spiegel stehende Frau - die Funktion eines zentralen Leitmotivs, das gerade die weiblichen Figuren Susan (Zimmer-Fenster-Mutterschaft), Jinny (Zimmer-Spiegel -Sexualität) und Rhoda (Spiegel - Entfremdung, Ausgeschlossensein) dieses polyperspektivischen Romans charakterisiert.[i] Aber auch in Marlen Haushofers Roman „Eine Handvoll Leben“ (1955) kehrt die Triade Frau-Zimmer-Fenster auf der Ebene der Erzählergegenwart der sich erinnernden Hauptfigur Betty/Elisabeth und das Frau-Fenster-Motiv in der erinnerten Vergangenheit wieder. Und: Es ist das leitmotivisch wiederkehrende Bild der Aus-dem-Fenster–schauenden-Frau, das die Ich-Erzählerin der Erzählergegenwart in Marlen Hauhofers bekannter Novelle „Wir töten Stella“ (1958) charakterisiert. Gleichzeitig hat die Frau im Zimmer und das Fenster-Motiv hier auch die Funktion der spezifischen Erzähl-/Schreib-Anordnung der Ich-Erzählerin Anna und wird damit zur Versinnbildlichung weiblicher Autorschaft. Gerade deshalb ist die Tatsache, dass die sich schreibend erinnernde Anna in der erzählten Vergangenheit nie als aus dem Fenster-Schauende gezeigt wird, von Bedeutung. Die Triade Frau-Zimmer-Fenster hat auch in „König, Hofnarr und Volk“ die Funktion einer zentralen Erzähl- und Schreib-Anordnung. Darüber hinaus ist dieses Bild/diese Erzähl-/Schreib-Anordnung zusätzlich bedeutsam, da Lena in ihrem eigenen Zimmer nicht nur aus dem Fenster schaut und dabei im Nachbarszimmer die Silhouette einer Frau vor dem Spiegel sieht; Lina hat außerdem noch die Kopie eines Bildes von einer Frau am Fenster in ihrem Zimmer hängen, auf die sie den „beinahe nichtssagenden Satz“ (57) „Ich bin hier gewesen“ (53) geschrieben hat. Und: Es ist diese Kopie des real existierenden Bildes „Frau am Fenster“ von Jakobus Vrel[ii], das im institutionellen Kontext des Romans eine höchst problematische Rolle spielt und für Lina eine Schlüsselerfahrung des Ausgeschlossenwerdens und besonders des öffentlich - scheinbar verschlüsseten - Verhandelt-/Vorgeführtwerdens von Frauen wird (Vgl. Kapitel VII). Wenn es also in „König, Hofnarr und Volk“ heißt „ Und immer ist es dieselbe Allee, durch die ich zu meiner Wohnung, in mein Zimmerbild zurück gehe“ (135), dann ist die Triade Frau-Zimmer-Fenster das Mit-Erzählte und damit Mitreflektierte bzw. Mitzureflektierende. Dies ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil „König, Hofnarr und Volk“ von einer Institution handelt, die über Denk- Sprech- und Schreib-An-Ordnungen bestimmt und sich über sie definiert und definieren lässt.[iii] Andrea Winklers Roman endet mit einem letzten Brief an Jakob, der mit den Sätzen schließt: „Und sicher, jetzt werden wir kichern wie Kinder, die nichts, nichts begriffen haben. Und schon, nicht wahr, löst sich ein Reflex vom Blatt und geht schlafwandelnd durch ein anderes Zimmer und summt Ich bin hier gewesen. Hier gewesen. Jaja, Jakob, jaja.“ (188). Ein auf den ersten Blick verstörendes, wenn nicht sogar doppelbödiges Ende, denn es könnte wie die Bejahung eines „Gleichviel“ von Wirklichkeiten – „ein anderes Zimmer“ – erscheinen. Dies aber hieße „wir kichern wie Kinder, die nichts, nichts begriffen haben“ als Voraussetzungskontext dieser Möglichkeit zu ignorieren. Eine Möglichkeit, die im Roman schon allein durch die wiederkehrende „Kindschafts“-Erinnerung Linas zurück gewiesen wird: Also doch nicht „alles gleichviel“(102). [i] Vgl. auch ihren bereits 1927 erschienen Roman „To the Lighthouse“, in dem das Frau-Fenster-Motiv ebenfalls aufscheint und zudem mit dem Kapitel „The Window“ beginnt.
Dragica Rajčić: Spieglein, Spieglein an dem Wand wem gehört die Sprache in diesem Land Statement beim Montagsfrühstück. Forum für strategische Langsamkeit, am Montag, 29. April im Literaturhaus am Inn zum Thema „Autobiographisches Schreiben und Sprachwechsel“ Normalerweise sind Leitschienen aus dem Stahl. Am Anfang aber waren die österreichischen Leitplanken aus Aluminium hergestellt worden. In Österreich war gerade eine Aluminiumfabrik da welche die günstigere Variante lieferte, so nahm der Besteller der Leitplanken auf sich das es mehr Unfälle zur preisgünstigeren Konditionen durchaus geben könnte wenn der Stadt weniger zahlt und Produktion von Aluminium angekurbelt wird. Kolleteralschaden welche Wirtschaftlichkeit genannt wird. Menschliche Opfer inbegriffen.
Hätten wir Sprache, wir bräuchten die Waffen nicht. I.Bachmann 1991 begann Krieg in Kroatien und ich lebte dort mit meinen drei Kindern.
Bernhard Sandbichler: Lukas Crepaz im Porträt Dampfgebläsehaus in Bochum
Wie geht’s, wie steht‘s? Was schätzt du am Ruhrpott am meisten/wenigsten? Was schätzt du an Tirol am meisten/wenigsten? Deine Devise? Deine Lieblingsnamen? Deine Lieblingsfarbe und -blume? Dein Lieblingsessen und -trinken?
Dein/e Lieblingsmaler/in? Dein/e Lieblingsfotograf/in? Dein/e Lieblingsmusiker/in? Dein/e Lieblingsregisseur/in? Dein/e Lieblingsschauspieler/in? Dein Lieblingsfilm? Dein Lieblingsbuch? Handke oder Bernhard? Oder beide nie gelesen und eine bessere Alternative?
Deine HeldInnen in der Weltgeschichte? Hofer oder Gaismair? Oder beide schon vergessen? Deine HeldInnen in der Wirklichkeit? Welche geschichtlichen Gestalten verachtest du am meisten? Welche militärischen Leistungen bewunderst du am meisten? Welche Reform bewunderst du am meisten? Wer hättest du sein mögen? Welchen Fehler entschuldigst du am ehesten, welchen nie? Dein größter Fehler? Dein Traum vom Glück? Was wäre für dich das größte Unglück? Was verabscheust du am meisten? Deine Lieblingsbeschäftigung? Welche Eigenschaft schätzt du bei einem Mann am meisten? Welche Eigenschaft schätzt du bei einer Frau am meisten? Was schätzt du bei Deinen FreundInnen am meisten? Welche natürliche Gabe möchtest du besitzen? Wie möchtest du sterben? Und was soll einmal auf Deinem Grabstein stehen? Geboren 1981 in Hall in Tirol, sammelt erste Erfahrungen im Kulturmanagement vor und während seines Diplomstudiums der Internationalen Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Innsbruck und Barcelona in der Galerie St. Barbara, einem Familienbetrieb der Kultur-Branche, den seine Mutter Maria und sein Vater Gerhard Crepaz seit Ende der 1960er-Jahre etablierten. Dass es möglich ist, im Rahmen dieses Studiums auf die Postmodernen Derrida und Foucault zu stoßen, befriedigt ihn noch jetzt im Nachhinein. Und seine Kulturarbeit in der Galerie, in der TKI, beim sommer.theater.hall? Bei Stellenbesetzungen im Kulturbereich spiele der reine Studienabschluss selten die ausschlaggebende Rolle. Berufserfahrung und damit Praxisnähe seien unabdingbar. Insofern mache eine Ausbildung ohne integrierte Praktika und Projektmanagement keinen Sinn. Zudem müssten Kulturmanager von Natur aus ein persönliches Interesse an Kunst mitbringen. Eine fehlende intrinsische Motivation könne auch durch ein Kulturmanagement-Studium nicht wettgemacht werden, meinte er unlängst auf http://www.kulturmanagement.net/ Kein Wunder, dass der Aufsichtsrat beim Hearing eine gewisse Skepsis an den Tag legt. „Die Künstler wünscht man sich immer jünger, Managern wird Jungsein vorgeworfen?“, kontert Crepaz, der über altmodische Gaben wie große Höflichkeit, inhaltsbezogene Eloquenz, organisatorische Zuverlässigkeit und gebildete Uneingebildetheit verfügt. Eindrücke von der Ruhrtriennale kann man sich hier verschaffen: http://www.ruhrtriennale.de/de/
Bernhard Sandbichler: Die Umfrage Bernhard Sandbichler Buttons von Christian Palfrader
1. Textarbeit: Textarbeit ist Abenteuer. Der Text präsentiert sich zunächst als Fassade, die entweder glatt oder rau, ganz oder rissig, beeindruckend oder langweilig ist. Auf den zweiten Blick beginnt man jedoch zu erahnen, dass die Textfassade eben etwas ver-birgt und daher immer auch eine geheimnisvolle ist. Da beginnt dann aber auch schon die „Knochenarbeit“, nämlich die der morphosyntaktischen und lexikalisch-semantischen Analyse. Dies sind allerdings erst Vorarbeiten, da der Text gesamthaft nur als „Inter-text“ und im „Kont-ext“ erfasst werden kann. Zu diesem Zwecke müssen dann die materiellen Realisierungen konzeptueller Inhalte, die letztlich nämlich beim Empfänger ankommen, sowohl unter dem kognitiv-pragmatischen als auch unter dem rhetorisch-stilistisch-argumentativen Aspekt betrachtet werden. Natürlich gibt es noch zahlreiche weitere Einzelkriterien, die für punktuelle Einzeltextanalysen in Betracht zu ziehen sind. „Vielen Dank für Ihre Anfrage. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich bei der Umfrage nicht mitmachen kann – bin gerade vom Urlaub zurückgekehrt und habe vieles aufzuarbeiten.“ Von Karin Fleischanderl habe ich keine Reaktion, allerdings hat sich diese hervorragende Übersetzerin, Herausgeberin und ehemalige Bachmann-Preis-Jurorin mehrfach zum Thema geäußert – daher zwei Links, weil erhellend + blendend: Ein Privileg, wenn ich dazu komme, selbst Texte zu schreiben. Meistens sind es Gebrauchstexte (Waschzettel) oder Ankündigungen, Presseaussendungen. Wenn ich mir im Alltag dafür Zeit freischaufeln kann, freue ich mich. Lustvoll ist es auch, einen wirklich gelungenen Text, ein gutes Manuskript oder Buch lesen zu dürfen – sei es beruflich oder privat. Frustrierend finde ich, wenn es nicht gelingt, gute Bücher einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Allerdings muss ich einräumen, dass es ein so vielfältiges Angebot an Büchern gibt, dass es für die Medien schlicht erdrückend wird. Denn durch die Kürzungen in den Redaktionen, in denen immer weniger Journalisten immer mehr Aufgabenbereiche zu verantworten haben, geht heutzutage häufig die Auseinandersetzung mit dem Buch, eine bekanntermaßen zeitaufwändige, zu Bruch. Für die Zukunft wünsche ich mir daher, dass die Bedeutung von Literatur wieder einen höheren Stellenwert und entsprechend mehr Platz in den Medien erhält. Ich weiß, ein frommer Wunsch – aber ich habe gern Visionen (ohne deshalb einen Arzt zu benötigen)! „An der Umfrage nehme ich nicht teil, weil ich prinzipiell keine Fähigkeit (und Lust) habe, nur schnell was zu einem bestimmten Thema hinzuschreiben. Wenn ich mich den angeführten Stichwörtern stelle, bin ich ein paar Tage beschäftigt, und das geht nicht.“ Hier sind die kleinen Girlanden, die ich auf die 6 Worthaken aufhängen möchte. Einverstanden?
Irene Heisz war langjährige Mitarbeiterin der Tiroler Tageszeitung und arbeitet jetzt als freie Journalistin. Hörenswert: ►http://www.zu-heisz.com/ „Ich bin neugierig, was für Beiträge Du auf Deine Umfrage hin bekommst, von mir wird leider keiner dabei sein (mein Favoriten-Stichwort, neu hinzugefügt, wäre: Zeitnot). Wie geht's Dir und Euch, da unten? Herzliche Grüße von oben rechts“ Textarbeit: Hütet Euch vor Menschen, die gerne schreiben. Für wen Schreiben nicht die abgerungene Form ist, wie er sich ausdrücken kann, der sollte lieber auf Partys gehen anstatt am Schreibtisch zu sitzen. Die Sprache ist die Zuchtmeisterin aller Schreibenden, die den oft amorphen Gedanken eine Form gibt. Beglückend, wenn ein Satz gelingt, frustrierend, wenn der Text keine Gestalt annehmen will. Textarbeit: Als Cheflektor für übersetzte Belletristik bei Gallimard bedeutet Textarbeit für mich: Übersetzungen lektorieren. Und das kann abhängig von der geleisteten Vorarbeit des Übersetzers große Freude und wenig Mühe oder viel Ärger und sprachliches Flickwerk bedeuten. Als Autor bedeutet es für mich, Zeit für das gerade sich schreibende Manuskript zu finden. Und dann erscheint es nie wie Arbeit, auch wenn ich stundenlang an einem Absatz sitze. Textarbeit: heißt für Sprachen-LehrerInnen Schul-Arbeit, für SchülerInnen punktuell Schularbeit, aber auch Hausübung oder Referat. „Ich bin leider nicht imstande, auf solche Anregungen zu reagieren. Da fällt mir einfach nichts ein. Höchstens Banalitäten, mit denen ich Sie verschonen möchte, tut mir ehrlich leid, herzlich Martin Pollack“ Textarbeit … ist Basteln mit Wörtern, Freude an der Sprache. „Vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich fürchte aber, ich kann Ihnen da nicht weiter helfen: Ich bin schon länger nicht mehr als Agent tätig, sondern arbeite jetzt als Pädagoge mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Alles Gute für Ihre Umfrage, beste Grüße aus München“ Textarbeit ist Schwerstarbeit – schweißtreibend, langwierig, nervig und wenig angesehen. Wer noch irgendetwas zu verlieren hat, bekennt sich unter keinen Umständen dazu. Die Hochnäsigkeiten vereinzelter Nachfragen verursachen Schwermut, und die in derartiger Verfassung abgegebenen Angebote belegen die schamloseste Selbstverachtung eines ganzen Berufsstandes. Ein Blick in die Zukunft verspricht rein gar nichts. Meeresgrund Textarbeit: Ist was Schönes. Vor allem, wenn man gern schreibt. Sonst vielleicht nicht. Textarbeit: … heißt Lesen, Lesen, Lesen – und natürlich Produzieren, und das ist weit mehr, als vor dem Computer zu sitzen und Buchstaben hineinzuklopfen, auch wenn man das sehr ausgiebig tut. Textarbeit beginnt lange vorher, im Kopf, beim Ideensammeln, bei der Recherche, bei ersten Strukturierungsversuchen. Dann die Rohfassung und das Tüfteln: Wörter abwägen, sie nach ihrer Bedeutung drehen und wenden, den Rhythmus finden, der passt. Textarbeit ist vor allem dann Arbeit, wenn sich eher Frust als Lust dabei einstellt. Dann ist nämlich allein das Lesen schon Arbeit, und Lesearbeit gehört für mich ohnehin zu den allerschlimmsten Wörtern oder vielmehr Unwörtern. Es gibt keinen Freund, der so loyal ist wie ein Buch, hat Ernest Hemingway gesagt. Freunde sollten nichts von einem verlangen, was mit Arbeit zu tun hat. Das Angebot an Texten, deren Lektüre mir reine Freude bedeutet und die ich gerne verlegen würde, ist leider nicht so groß wie die Nachfrage, die danach durchaus bestünde, draußen auf dem Markt und drinnen in meinem Herzen. Ich fürchte, das wird auch in Zukunft so sein. Textarbeit: Rauflustige Gewogenheit
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