Walter Klier: Verleihung des Otto-Gründmandl-Literaturpreises des Landes Tirol am 31. 10. 2012
Preisrede von Walter Klier und Laudatio von Robert Renk

 

Preisrede von Walter Klier anlässlich der Verleihung des Otto-Gründmandl-Literaturpreises des Landes Tirol am 31. 10. 2012

     Walter Klier: Meine Preise

     Sehr geehrte Damen und Herren,
     Landesrätin Palfrader, Walter KlierSchriftsteller reden, wenn sie nicht gerade von der Kunst reden, meistens vom Geld. Fangen wir also mit dem Geld an.
     Ich habe in meinem Schriftstellerleben bisher vier literarische Preise bekommen. Der fünfte, das ist dieser hier. Statistisch läßt sich folgendes feststellen: nach einer anfänglichen Häufung nimmt die Frequenz dann später stark ab (1975, 1980, 1985, 1996, 2012); mit der nächsten derartigen Ehrung wäre demnach in ungefähr zwanzig Jahren zu rechnen, und das wäre nach menschlichem Ermessen auch schon die letzte. Es sollte sich also möglichst um den Literatur-Nobelpreis handeln, damit das Gesamtergebnis einigermaßen hinkommt.
     Bei der Höhe der Preisgelder zeigt sich eine ähnliche Tendenz. Nummer 1 war ein Anerkennungspreis, vergeben von der Tiroler Arbeiterkammer. Er bestand aus einem kräftigen Händedruck des damaligen AK-Präsidenten und einem druckfrischen Exemplar von Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit, ein wunderbares Buch, wo ich gerade dran denke, darf ich nicht vergessen, es einmal herauszusuchen und auf meine alten Tage doch noch zu lesen. Ich schätze Friedell sehr und habe schon etliches von ihm gelesen, nur die Kulturgeschichte der Neuzeit widersteht mir, und das seit dem Herbst 1975. Ich weiß nicht einmal genau, weshalb.
     Preis Nummer 2 wurde von der Südtiroler Künstlerschaft vergeben, oder war es die Südtiroler Autorenvereinigung, so etwas Ähnliches jedenfalls. Es war ein geteilter dritter Preis, und das Preisgeld betrug, in heutiger Währung knapp vierzehn Euro dreißig. Danach gab es ein Buffet mit Keksen und dem damals noch sehr, sehr sauren Kalterer im Waltherhaus in Bozen, das ich nicht lang genießen konnte. Nach 20 Minuten Buffet mußte ich los zum Bahnhof, um nicht auch noch dort übernachten zu müssen. Durch Finsternis und einen veritablen Schneesturm kämpfte sich der Zug zum Brenner hinauf, wo alle aussteigen und über einige Schneewehen nach Österreich klettern und dort in einen anderen Zug einsteigen mußten. In Innsbruck angekommen, lud ich meine Schwester, die mich begleitet hatte, ins Filou auf Rippelen und ein Glas Wein ein, womit das Preisgeld auch schon wieder aufgebraucht war.
      Der Preis Nummer 3 war dann viel besser. Da gab es zum ersten Mal echtes Geld. Die Stadt Innsbruck spendierte für einen dritten Platz in der Sparte Erzählende Dichtung 5000 Schilling, davon konnte man damals bequem einen Monat leben. Zu jener Zeit, ich war ja noch jung, lehnte ich alles Bürgerliche ab, und dazu gehörten selbstredend auch literarische Preisverleihungen. Also ging ich nicht hin. Gegen das Geld selber hatte ich natürlich nichts, das kam auch ohne weitere Umstände auf mein Bankkonto geschneit. Meine Mutter genierte das. Zunächst versuchte sie, ohne Erfolg, mich zu besseren Umgangsformen zu bekehren. Dann besuchte sie an meiner Statt die Zeremonie und nahm auch die Urkunde in Empfang, die ich seither aber leider verloren habe, vermutlich, als ich in unserer Wohnung wieder einmal von einem Zimmer in ein anderes übersiedelt bin. Wie meine Bekannten wissen, wohne ich seit dem ersten Tag meines Lebens an der selben Adresse, aber immer wieder in einem anderen Zimmer. So bleibt man auch in Bewegung.
     Bei diesen ersten drei guten Dingen handelte es sich um ausgeschriebene Preise. Dafür wurde ich allmählich zu alt; es war an der Zeit, daß nun Würdigungen anfingen, unverlangt auf mich herunterzuprasseln.
     Und tatsächlich! Preis Nummer 4 war die Krönung meiner literarischen Laufbahn. Er hieß Förderungspreis für noch zu wenig geförderte Hochbegabte, die genügend gute Freunde in Wien haben oder so ähnlich, es war dabei auch von Nachwuchs die Rede; so wie die Hecken, das Gemüsebeet, ja die Vegetation ganz allgemein wächst ja auch die Literatur ununterbrochen nach, zumindest bisher. So ein Nachwuchsförderpreis entspräche dann etwa dem Dünger, den man aufs Feld haut, damit das Nachwachsen schneller geht und die Erdäpfel größer werden.
     In der Jury saß ein damals noch wenig bekannter Schriftsteller, mit dem ich befreundet war, und der mich mit dem unschlagbaren literarischen Argument, ich hätte noch nie einen Preis auf österreichischer Bundesebene bekommen, in die Endrunde brachte. Seither ist er ein bekannter Schriftsteller geworden, und wir sind nicht mehr befreundet. Ich habe keine Ahnung, ob das zusammenhängt.
     Vergeben wurde die Nummer 4 vom Bundeskanzler höchstpersönlich, der auch die Urkunde unterfertigte, allerdings, weil ein Bundeskanzler immer sehr viel Arbeit hat, nur seinen Familiennamen hinschrieb. "Klima" stand da, kurz angebunden, auf einem merkwürdig reinweißen Papier, das von Geschmacksunsicherheit des Amtes zeugte, ebenso wie die zu groß gewählte Schrifttype. Aber sonst, werden sie sich gedacht haben, schaut der Zettel allzu leer aus: also machen wir die Schrift größer!
     Die Preisverleihung war irgendwann im Sommer, es war affig heiß und mir war schon vorher im Kaffeehaus schlecht vor Aufregung. Das Leben insgesamt schien mir plötzlich sinnlos und nicht wert, gelebt zu werden, was mir sonst kaum je vorkommt, und ich erwog allen Ernstes, der Festivität in letzter Sekunde doch noch fernzubleiben, aber nun waren wir schon bis Wien gereist… Es war dann alles gar nicht so schlimm. Der Kanzler hatte wegen einer Terminschwierigkeit kurzfristig abgesagt, und ich bekam eine schöne Lobrede von einem anderen Wiener Schriftsteller, mit dem ich noch immer befreundet bin. Bloß hatte mir niemand gesagt, daß von den Preisgekrönten in der Regel einige Dankesworte erwartet wurden. Und von selber war ich nicht draufgekommen, schließlich war es die erste Ehrung dieser Art.
Außer mir gab es noch zwei hoffnungsvolle nachwachsende Schriftstellerinnen, die da geehrt wurden. Also improvisierte ich, während die beiden nacheinander dankten, in aller Eile die einzige frei gehaltene Rede meines Lebens. Darin beschrieb ich im wesentlichen, wofür ich das Preisgeld, beachtliche 70.000 Schilling, auszugeben gedächte. Ich rechnete dem geneigten Publikum kurz vor, wie viele Dosen vom besten Katzenfutter für unseren Kater Franz Ferdinand ich von diesem Geld würde anschaffen können: Ferdls Gourmet-Ernährung war auf diese Weise bis an sein seliges Ende gesichert. Dann war es auch schon wieder vorbei, mit großer Erleichterung stolperten meine Frau und ich dann hinaus auf die immer noch glühend heiße Wiener Innenstadtstraße, wo wir uns in einem Gastgarten den wohlverdienten ersten Gespritzten gönnten. Sie hat dann später ein schönes Buch über unseren Kater geschrieben, was allerdings eine andere Geschichte ist, die an dieser Stelle zu weit führen würde.
     Seither sind 16 Jahre ins Land gezogen, und meine Verbindungen zum literarischen Leben sind unterdessen so ziemlich eingeschlafen. Ich widme mich jetzt mehr der Malerei und zusammen mit meiner Frau unserem inzwischen auf drei Kinder, zwei Katzen und (derzeit) sechs Hühner plus Hahn angewachsenen Haushalt. Zwischen Ostern und Allerheiligen leben wir in unserem Sommerhaus ein Stück weit über der Stadt. Das Leben dort im Wald ist herrlich; man hat keine Nachbarn und gelangt deshalb zunehmend zu der Ansicht, daß die Welt im großen und ganzen doch in Ordnung sei, zumal wir auch unseren Fernseher nicht mehr benützen. Mit einem Wort, man bekommt kaum noch etwas von der Außenwelt mit, was im fortgeschrittenen Alter der erstrebenswerteste denkbare Zustand ist.
     Umso erfreuter war ich natürlich, als mir in diesem Frühjahr, gewissermaßen aus heiterem Himmel, ausgerechnet der Otto-Grünmandl-Preis des Landes Tirol zuerkannt wurde, wofür ich diesem Lande und der dafür zuständigen Jury sehr herzlich danke. Ich habe Otto Gründmandl gern gemocht, unzählige Male haben wir uns in seinen Programmen halb schiefgelacht und kannten sie am Ende fast auswendig. Als Literat nicht direkt ein Welthit, dafür als Humorist bekannt und beliebt geworden.  Grünmandl selber hätte es wohl ziemlich amüsiert, daß nun ausgerechnet ein Literaturpreis nach ihm benannt worden ist. Und zu meiner, sagen wir, eher halbseidenen Position im literarischen Leben paßt das auch ganz wunderbar. Das Preisgeld werde ich diesmal in die Ernährung unserer Kinder stecken, in erster Linie in den Kauf von Laugenbrezen. Wenn wir davon ausgehen, daß wir pro Jahr und Kind ungefähr 170 Laugenbrezen brauchen, dann haben wir zumindest auf diesem Gebiet für die kommenden 10 Jahre ausgesorgt. Und dann kriege ich sowieso den Nobelpreis.
     Soviel zur finanziellen Seite der Angelegenheit. Über die künstlerische reden wir dann ein andermal

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LAUDATIO von Robert Renk zu WALTER KLIER anlässlich der Verleihung des Otto-Grünmandl-Literaturpreises des Landes Tirol am 31. Oktober 2012

Meine sehr geehrten Damen und Herrn, lieber Walter Klier!
„No poems please”, mit diesem Slogan (und einigen anderen, durchaus ernsteren und wesentlicheren Dingen) machte ab 1989 eine „Zeitschrift für ein entspanntes Geistesleben” von sich reden. Die Zeitschrift mit dem einprägsamen Namen „Gegenwart”, herausgegeben von Walter Klier und Stefanie Holzer, ist zwar Vergangenheit, aber diese Vergangenheit wirkt nach.
Ich kannte Walter Klier und Stefanie Holzer damals schon. Als knapp Zwanzigjähriger, der die ersten Literaturvermittlungsschritte nach vorne schritt, hatten sie mich zum IG Autoren Stammtisch eingeladen; damals hieß er noch genderpolitisch unkorrekt so und fand im Gasthof „Eiche” in St. Nikolaus statt. Später war er 15 Jahre lang im ehemaligen Kulturgasthaus Bierstindl beheimatet und hieß IG AutorinnenAutoren Tirol Stammtisch. Walter Klier und Stefanie Holzer, längst über die Tiroler Grenzen hinaus bekannt, waren immer noch dabei und brachten wunderbare Ideen ein, z.B. die des Literarischen Quartetts Tirol, das bis heute stattfindet. Allein dafür und für ihre Kollegialität gebührte beiden jeweils ein Preis.
Die „Gegenwart“ indes war ein frühes Meisterstück von Klier und Holzer, „deren Engagement“ – wie Christian Seiler meint – „genauso untrennbar mit ihr verbunden war wie ihr intellektueller Bedarf und ihre ironische Attitüde“. Klier und Holzer holten für die „Gegenwart“, dem erwachsenen Nachfolger der satirischen Vorgängerzeitschrift „Luftballon. Beiträge gegen den Wahnwitz“ - immer wieder die große Welt nach Tirol.
Auf Wikipedia liest sich zur „Gegenwart” Folgendes: „Die nach dem Vorbild der New York Review of Books ambitioniert gemachte großformatige Zeitschrift präsentierte eine Mischung von Essays, ausführlichen Rezensionen und literarischen Texten (allerdings mit dem regelmäßigen, nur selten und in eher satirischer Absicht durchbrochenen Hinweis „no poems please“). Klier und Holzer pflegten das Unkonventionelle, Überraschende, Unterhaltsame, zuweilen auch das akademisch wenig Anerkannte. Die Zeitschrift fand zunächst relativ breites mediales Echo, litt aber an ihrer im Verhältnis zu den Zentren des Kulturbetriebs marginalen Lage und an den im Vergleich zu angepassteren Konkurrenzprodukten minimalen Förderungen. Sie wurde letztlich von den Herausgebern aus arbeitsmäßiger Überforderung und Selbstausbeutung aufgegeben.

Im knappen Jahrzehnt ihres Erscheinens, von 1989 bis 1997 war die „Gegenwart” für mich immer eine genüssliche Quelle für literarische Entdeckungen, und dies wiederum hat mit dem Entdecker und Übersetzer Walter Klier zu tun. Neben Hugo Claus, William Gass, dem wunderbar zynischen Alfred Bittner und Robert Pinget (den Walter Klier auch übersetzt hat), war das vor allem ein Autor, der sich selbst als einen „fetten, Brillen tragenden, glatzköpfigen, alternden Fußgänger aus Glasgow“bezeichnete, Alasdair Gray, ebenso, wie unser Preisträger, eine Doppelbegabung, nämlich Autor und Maler. Und: Mit zwei Gedichtbänden im Gepäck.
Doch die „Gegenwart” vernachlässigte auch Tirol nicht. Helmuth Schönauer, Helmut Schiestl, Irene Prugger, Bernhard Kathan, Alois Schöpf, Heinrich Payr – um nur einige zu nennen – publizierten dort.

„No poems please“ - das Motto war wohl satirisch gemeint, aber wer weiß, mit welch realistischem Hintergrund? Lyrik ist das einzige, das Walter Klier – bis dato – nicht anzubieten hat in seinem großen „geisteswissenschaftlichen Gemischtwarenladen“, um den Autor selbst zu zitieren. Er ist die in sich ruhende Vielfalt in Person, und kein Dutzend Laudationes könnten ausreichen, um ihn annähernd zu fassen.

Otto Grünmandl, nach dem der Preis, den Walter Klier heute entgegennimmt, benannt ist, lernte ich einige Jahre, bevor ich mit der „Gegenwart” in Kontakt kam, kennen. Vor langer Zeit wurden sämtliche Klassen der Knabenhauptschule Hötting, wie sie damals hieß, in den schuleigenen Turnsaal beordert, wo uns ein Herr mit dem Krawattencharme eines Versicherungsvertreters im Innendienst erklärte, dass es wohl das beste sei, der Parkmisere (ja, die gab es damals auch schon) insoweit zu begegnen, als dass man die ehemaligen Stollen zum Salzabbau reaktivieren sollte, um die Autos dort unterzubringen. Das hätte überdies den Vorteil, da ja Salz traditionell dafür verwendet würde, Fisch, Fleisch und gewiss viele andere Dinge länger haltbar zu machen, dass dies eben auch der Langlebigkeit der Automobilezuträglich wäre, was denn wohl jedes Automobilbesitzerherz höher schlagen ließe. Mit skurrilen Zeichnungen untermalte der Vortragende seine Thesen, und ich begriff zum ersten Mal, was um’s Eck denken heißt, war das erste Mal Zeuge von lebendiger Satire.
Da die Satire auch ein herausstechendes Merkmal des Autors Walter Klier ist, hätten sich die zwei blendend verstanden. Zudem mir Walter Klier erzählt hat – in jener Kneipe übrigens, die er in seinem Roman „Grüne Zeiten“ beschreibt und wo noch immer die Kellnerin „mit dem aufgeschminkten Lächeln” herumwirbelt und vor allem Brezen einkassiert – dass es keinen Schriftsteller gäbe, von dem er so viel auswendig wüsste wie eben von Otto Grünmandl.
Nur mit dem Motto „No poems please“ wäre Otto Grünmandl, der ein Leben lang Gedichte schrieb, nicht einverstanden gewesen. 2000 wurden sie unter dem Titel „Hinter den Jahren“ im Haymon-Verlag publiziert, noch unter seiner Mitwirkung und mit mehr als nachwörtlicher Unterstützung des großen Grünmandl-Kenners Martin Sailer.
 Ein erster, ein zweiter und ganz gewiss auch ein großer dritter OTTO also für den Zeitschriftenherausgeber, den Literaturvermittler und den Satiriker Walter Klier.
Und dabei ist kaum noch etwas gesagt über den Schriftsteller Walter Klier. Auf die Schnelle also, da sind:

FLASCHENPOST
DIE ANFÄNGER
KATARINA MUELLLER. BIOGRAFIE (mit UE, das ist wichtig!)
KAUFHAUS EDEN und andere PROSA
AUFRÜHRER
GRÜNE ZEITEN
HOTEL BAYER
MEINE KONSPIRATIVE KINDHEIT
LEUTNANT PEPPI ZIEHT IN DEN KRIEG

Das ist die kürzest mögliche Zusammenfassung, das sind die Bücher von Walter Klier. Der Autor rückt in seinen Romanen ebenso behutsam wie spektakulär gerne die eigene Familiengeschichte in den Mittelpunkt. Sie führen uns mit Briefen und Aufzeichnungen des Großvaters von Walter Klier an die diversen Fronten des Ersten Weltkriegs, führen ins innerste Tirol, wo es mitunter bumst und kracht, des weiteren in grün angehauchte Innsbrucker WG's und auch in entlegene Gebiete Südamerikas (in dem wohl fiktivsten Roman Kliers „Hotel Bayer“).
Und sie führen uns noch weiter und weiter zurück .... nämlich in die Grenzgebiete zwischen Mann und Frau, so wie in „Flaschenpost”, dem ersten Roman Kliers, erschienen 1983 in München.
„Er zeigt den Widerspruch von Sein und Schein, von Fantasie und Wirklichkeit in der Liebe, schreibt Franz Schuh in seiner Laudatio auf Klier aus dem Jahre 1997, und weiter: „Hören Sie eine Stelle aus Flaschenpost, in der man nachlesen kann, wie ein grundsätzliches, männliches Selbstmitleid in eine Art nostalgische Ironie umschlagen kann”. Und ich zitiere nun Franz Schuh, der Walter Klier zitiert: „Sie wagte nicht, sich ganz auszuziehen, ich wagte nicht, das von ihr zu verlangen, und ich zog mich auch nicht ganz aus, am nächsten Morgen wurde es dummerweise hell. Wir haben einander seither tüchtig vergessen.”

Walter Klier bleibt  in seiner Themenwahl gerne bei Erlesenem und Erlebtem. Die imposante Mischung aus Recherche und satirischem Zugang macht eine Stärke seiner Prosa aus.  Mich persönlich fasziniert zudem immer wieder der geradlinige Stil, der die beneidenswerte Belesenheit des Schreibers spiegelt, ohne dass dieser auch nur im Geringsten damit kokettiert. Welch doppelt seltene Ausnahme, die wohl zwei weitere OTTOs verdient.
Ein wahrlich großer Fundus an Recherchematerial wurde dem Autor quasi in die Wiege gelegt. Nicht nur, dass der Vater, Heinrich Klier, selbst erfolgreicher Schriftsteller war – (im übrigen verlegte dieser unter anderem 1958 im Bergland Verlag, demselben Verlag, in dem Otto Grünmandl 1956 sein Prosadebüt, die Novelle „Ein Gefangener“ feierte), er war darüber hinaus ein mit der gesamttiroler Geschichte verbundener und des weiteren verfolgter „Bumser”. Walter Klier ist also nicht mit, sondern faktisch in der jüngeren Tiroler Geschichte aufgewachsen. Das hat er unter anderem im Roman „Aufrührer“ (1991 im Deuticke Verlag) verarbeitet.
Seine Mutter Henriette Klier wiederum war nicht nur für so manches explosive Fahrgut verantwortlich, sondern auch für die ersten und nicht gerade freiwilligen Klettererfahrungen des schüchternen jungen Walter Klier (was auch Paul Flora bestätigen könnte und was sehr schön im Buch „Meine konspirative Kindheit“ nachzulesen ist).
Ohne es zu ahnen, sorgte Mutter Henriette für eine feine schriftstellerische Einnahmequelle des Sohnes, denn mit der „Bergschriftstellerei“, wie Klier sie nennt, läßt sich nicht gut, aber doch besser verdienen, als mit der „schönen Literatur“, auch wenn Walter Klier jahrelang für renommierte Blätter wie die FAZ, die ZEIT und den MERKUR geschrieben hat und mit dem EXTRA (der Kulturbeilage der Wiener Zeitung), wie er meinte, „faktisch verheiratet“ war.
Also denn hier zwei weitere OTTOs für den Berg- und Alpenvereinsschriftsteller Walter Klier und für einen der wenigen – ich kenne sonst eigentlich keinen – regelmäßigen FAZ-Schreiber aus Tirol.
Und jeweils einen OTTO für jedes Buch von Walter Klier, auf die ich leider nicht im einzelnen eingehen kann, die aber – jedes für sich – jedem herzlichst zu Lektüre angeraten sind.

Einen EHREN-OTTO möchte ich persönlich dem Fälscher Walter Klier verleihen: Im Jahr 1990 machte eine Erzählung namens „Winterende“ viele Literaturkritiker glücklich. Mindestens genauso glücklich mußte sich Samuel Ireland, Buchhändler und hochangesagter Shakespeare-Experte, Ende des 18. Jahrhunderts in London gefühlt haben, als er von seinem Sohn William Henry spektakuläre Shakespeare-Handschriften und Dokumente überreicht bekam. Da tauchte aus dem Nichts ein „Glaubensbekenntnis“ des großen Dichters auf, das endlich besiegelte – Vater Ireland hatte es immer schon geahnt – dass William Shakespeare Protestant war! Weitere unglaubliche Dokumente und Schriften kamen aus der zwar unbekannten, aber äußerst ergiebigen Quelle des anhand von handschriftlichen Zeugnissen so ganz und gar mangelhaft biographierten großen Dichters. Ein Taufschein erblickte plötzlich das Licht der Welt, etliche Quittungen und gerichtliche Urkunden und – endlich auch – ein Vertrag mit seinem Verleger, sowie rührende Liebesbriefe und  Gedichte Shakespeares an seine spätere Frau Anne Hathaway. Außerdem, man höre und staune, die handschriftliche Originalfassung des „König Lear“ und eine frühe, eigenhändige Bühnenfassung des „Hamlet“, schließlich tatsächlich auch das Manuskript des völlig unbekannten Theaterstücks „Vortigern and Rowena“! Spätestens jetzt musste Samuel Ireland an die Öffentlichkeit, verkaufte die Aufführungsrechte  von „Vortigern and Rowena“ an das Drury-Lane-Theater für 300 Pfund Sterling im voraus, kassierte den halben Erlös der Abendkasse aus den ersten 60 Vorstellungen und ließ sämtliche aufgefundenen Manuskripte auch noch drucken. Groß war das Entsetzen und die Enttäuschung, als sich herausstellte: Alles Fälschungen! Am größten wohl für den doppelten Experten, der Shakespeare alles, seinem Sohn William Henry indes nichts zutraute. Denn gerade dieser Sohn, der bis dato keine einzige eigene Zeile zuwege gebracht hatte, hatte all diese Dokumente und Texte gefälscht, um, ja, um seinen Vater glücklich zu machen, der zuerst glücklich getäuscht und letztendlich  weniger glücklich enttäuscht wurde, in bester, glücklichmachender Absicht vonseiten des Sohnes.
Ebenso im Jahr 1990, als „Winterende” einer völlig unbekannten Luciana Glaser die Literaturkritiker Deutschlands glücklich machte und in aller Munde und auf diversen Bestsellerlisten unterschiedlicher Zeitschriften war. Heute wissen wir, dass Luciana Glaser das Pseudonym von Walter Klier und Stefanie Holzer war. Eine Fälschung sozusagen. Dieser charmante und kreative Fälscherakt, war in meinen Augen ein wahres Meisterwerk an lebender kritischer Satire. Und wenn Werner Fuld in seinem „Lexikon der Fälscher“ davon schreibt, dass „Experten Spezialisten sind und deshalb geschickte Fälscher genau jene Wahrheiten produzieren, die in deren verengte Perspektive passen“, dann gehören Klier und Holzer sofort in dieses Lexikon aufgenommen. „Zu jeder sich bietenden Gelegenheit haben sich Experten lauthals blamiert und mit Gutachten und öffentlichen Auftritten in kürzester Zeit ihren Ruf ruiniert, den sie durch jahrelange seriöse Forscherarbeit erworben hatten”, schreibt Fuld weiter in seinem Vorwort.
„Der feste Glaube an die eigene Unfehlbarkeit macht die Experten zu den besten Opfern der Fälscher, die unter dem Gelächter des Publikums immer wieder mit ihren Arbeiten die Experten ihrer Autorität entkleidet haben. Wenn es in der Geschichte der Fälschungen nur wenige Tragödien, aber umso mehr Burlesken, Schwänke und Komödien gibt, dann ist es vor allem das unfreiwillige Verdienst der Experten.“ Den Charakter einer Fälschung beschreibt Fuld folgendermaßen: „Man könnte behaupten, dass die gewerbsmäßige Herstellung von scheinbaren Wahrheiten zum Zweck der Täuschung den Tatbestand der Fälschung erfüllt“, um gleich weiterzuschreiben: „Dann ist jeder Restaurator ein professioneller Fälscher!“
Insofern sind Holzer und Klier vielleicht weniger Fälscher als vielmehr Restauratoren. Sie haben damals in das große Kitschbedürfnis diversester Experten – die Walter Klier als einer der ersten Tiroler beim Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt kennenlernte – einen kleinen, feinen Roman hineinrestauriert, und siehe, alle waren glücklich, vorerst.

Samuel Ireland hatte also seinem Sohn nichts zugetraut. Walter Klierindes ist alles zuzutrauen.
Auch ersichtlich an einem  für den deutschen Sprachraum revolutionären, schmalen essayistischen Werk, das gar höchste „Spiegel”-Herausgeber verstörte. In seinem Buch „Das Shakespeare-Komplott” ging Klier 1994 der wahren Identität des weltgrößten Dichters auf den Grund. Und seine bestens recherchierten Schlussfolgerungen ergaben, dass es sich bei Shakespeare wohl um Earl Edward de Vere, den 17. Grafen von Oxford, handeln musste. An sich nichts Neues, schon Sigmund Freud propagierte diese These und vor und nach ihm hielten auch Mark Twain, Charly Chaplin, Henry James, Otto von Bismarck, Walt Whitman, Orson Welles und Vladimir Nabokov dies nicht für unmöglich. Doch im deutschsprachigen Raum trat Walter Klier damit eine Lawine los, die leider dieses spannende Buch gespiegelt schnell unter sich begrub.
Dennoch und auf jeden Fall ein weiterer OTTO für den kühnen SHAKESPEARE-Forscher Klier.

Und noch mindestens einen weiteren EhrenOTTO für den rationalen Unruhestifter, einen, der, anders als eine Vielzahl derer, mit denen er aufwuchs, die Bretter vor dem Kopf der Anderen gerne erst einnmal bearbeitet und die Sprengladungen dann doch lieber an Synapsen denn an Strommasten angebracht hat. Für einen sprachmächtigen Kletterer und kühne Wege beschreitenden Romancier.

Vor nicht allzu langer Zeit fragte mich Franz Schuh nach Walter Klier, und auf meine Antwort, ja, ich kenne und schätze Walter Klier und, ja, er lebe noch immer, zu unserem Glück, in Innsbruck am Adolf-Pichler-Platz, meinte dieser charmant ungehalten: „Was macht dieser Weltgeist denn noch in der Provinz?“ Und genau dies ist Walter Klier: ein Weltgeist, der die Provinz, die ihn geprägt hat, nicht verrät. Und das verbindet ihn wiederum mit Otto Grünmandl: zwei Weltgeister, die der Heimat, der Provinz die Treue hielten bzw. halten. Nicht nur, aber auch, weil sie hier den Stoff für ihre künstlerische Arbeit fanden und finden, nicht nur, aber auch, weil sie gerne durch die schöne Haller Altstadt spazierten oder in den schönen Tiroler Bergen herzumkraxeln.

Eine weitere Passion Kliers gehört – wieder – der Malerei. Einst der Angst vor dem „Verzetteln” geopfert, ist sie jetzt präsenter denn je: Aus den VerZETTELN wurden LEINWÄNDE, aus der Angst wurden Ausstellungen. Aber darüber muss ich jetzt nicht sprechen, denn jeder kann Kliers Bilder bis zum 3. November 2012 in der Galerie Schallerhaus in Mils selbst begutachten. Und während noch die Ausstellung abgebaut wird, kommt am 7. November die Buchpräsentation von „Meine steinige Heimat“, erschienen im Tyrolia Verlag. Heute wird Walter Klier noch aus einem neuen Text lesen, der 2013 im Limbus-Verlag publiziert wird und wer weiß, da ich Walter Klier alles zutraue, vielleicht überlegt er sich dann ein neues Buch mit dem Titel „Poems please“!

Spätestens jetzt hat sich Walter Klier nach all den OTTOS den echten Otto-Grünmandl-Preis verdient, zu dem ich ihm erfreut und herzlichst gratuliere!

Robert Renk

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