Literatur im Lichthof (6/2015) - Zoom
Elmar Drexel: Kellertheater. Roman.
Markus Gasser: Das Buch der Bücher für die Insel.
Sabine Gruber, Peter Eickhoff: 111 Orte in Südtirol, die man gesehen haben muss.
Hesiod: Theogonie. Übersetzt und erläutert von Raoul Schrott. Neue Blicke durch die alten Löcher Die poetische Welt, die hier evoziert wird, steht in keinem luftleeren Raum, sie wird verortet in Raum und Zeit. Wien fungiert als Rahmen. Die Stadt tritt in den Text ein in Form von verzeichneten Orten, Orten des Übergangs oft, verdichtet festgehaltenen Beobachtungen, in Form von Aufgelesenem, den vor Ort kursierenden Texten, und Abgehörtem, in Form ihrer Geschichte und unbewältigten Vergangenheit (an sohlen klappert die erinnerung) und nicht zuletzt als sprachliches Gebilde, mit dem die Autorin bis zuletzt lautmalerisch spielt: weiße flecken wie / daran gewöhnen an / das halbe v in wien oder / lege ich es auf den tisch / ganz orthonym / im diglas oder prückel / im tirolerhof schwarz umrahmt für / diese vage farce. Vielfach arbeitet Hilber – im stimmfenster der zeit die / endlosen worte – mit Textmaterial vor allem aus der medialen Berichterstattung. Einerseits wird dadurch das Verstreichen von Zeit spürbar gemacht (nicht von ungefähr ein Spiel mit Chronik), gleichzeitig evozieren die zahlreichen Wiederholungen und die Formelhaftigkeit immer gleicher Schlagzeilen ein Gefühl von Statik. Indem die Autorin das Aufgelesene isoliert, neu montiert, thematisch gruppiert, markiert sie die gespenster der zeit, die nicht nur in Form gesellschaftlicher Leitbilder durch den Text geistern: die gürtelbahn als schärfste konkurrenz der pratergeister. Durch Anhäufung – etwa von Schlagzeilen, in denen es um die Verursachung von Un- und Todesfällen durch öffentliche Verkehrsmittel geht – erzielt sie einen irritierenden, verfremdenden Effekt: Die durch Faktizität gekennzeichnete Zeitungswelt mutet plötzlich fiktional an. Nicht nur über die Inhalte der Schlagzeilen und Textfragmente, auch über das Zeitungsthema an sich wird wiederum ein Wien-Bezug hergestellt: das ergötzen kein ausgestorbenes Wort / hier wird es gelebt [im Alt Wien]. Das Sich Weiden (also Sich Nähren) am Unglück anderer weist die Sprache medialer Berichterstattung als eine aus, die Lebens-Wirklichkeit in konsumierbare Häppchen umarbeitet, dabei den Blick aufs Eigentliche verstellt. Dem begegnet die Sprechinstanz mit Mitteln der Literatur: muss man leben auf spänen die / gespenster der zeit / umkehrnachricht erfinden.
Barbara Hundegger: Wie ein Mensch der umdreht geht : Dantes Läuterungen reloaded. Gedichte. - * - Bereits als ich Barbara Hundeggers Läuterungsgedichte zum ersten Mal gelesen habe, war ich buchstäblich überwältigt von ihrer literarischen Dichte. Bei der zweiten und dritten Lektüre hat sich dieses Gefühl noch um einiges verstärkt. Wie keine andere / kein anderer meistert sie die Kunst der nahtlosen und nahezu unsichtbaren Einflechtung von Zitaten in den lyrischen Neutext. Ihre gesamte Komposition ist voll bespickt mit Dantezitaten, doch fließen sie in die Zeilen hinein wie Wasser ins Wasser – das ist die tragende Struktur dieses Werks. - * - Dantes Commedia ist ein überaus politisches Werk. Und unter den heute gegebenen Umständen ist es von brisanter Aktualität. Hundegger lässt keinen Zweifel zu, dass dort und hier keinesfalls nur von individuellen Schicksalen die Rede ist: - * - Genauso verhält es sich mit dem Thema „Frauen“. Dantes vergötternde Liebe zu Beatrice ist zu einem Universaltopos der Literatur geworden. Die respektvolle wenn nicht gar bewundernde Haltung des italienischen Dichters gegenüber den Frauen hebt sich stark von der Verachtung seiner Zeitgenossen ab. Hundegger greift Dantes fegefeurische Frauenbeschreibungen auf, packt sie an sechs Stellen crescendoartig zusammen und entwirft so ein neues Gesamtbild. Wir merken gleich: es ist von uns, heute, die Rede: - * - Zwei weitere Aspekte von Hundeggers Dantelyrik möchte ich abschließend noch hervorheben: die Kunst des Vergleichs und die der Ironie. - * - Es soll aber ja nicht der Anschein geweckt werden, als wäre Hundeggers Läuterungslyrik „dunkel“. Nein, dunkel ist sie wahrlich nicht. Wie ein blanker Sonnenstrahl sezieren ihre Worte haargenau und unerschrocken unsere Welt und schenken uns Einblick in ihre Höhen und Tiefen, in die facettenreiche Kristallstruktur der (innerlichen und äußerlichen) Gebilde, in die aufschlussreichen Schimmer der fließenden Ereigniswelt. Manchmal kann uns aber auch ein Schmunzeln oder gar ein lautes Lachen dazu behilflich sein, und das weiß Hundegger – Dante übrigens auch – sehr wohl. Wenn von „wachenden engeln, die sich die nägel machen“, von „ablassderivaten“, von „fahlsten Gestalten, auf 50 Arten berggrau“ usw. die Rede ist, überkommt uns ein unerwarteter Anflug von Heiterkeit, dem nicht zu widerstehen ist.
Martin Kolosz: Der Ruf – Der Fall – Der Ekel. Erzählungen.
Markus Lindner: Schmelze. Prosa.
Sepp Mall: Schläft ein Lied. Gedichte.
Rudolf Alexander Mayr: Lächeln gegen die Kälte. Geschichten aus dem Himalaya.
Thomas Nußbaumer (Hg.): Das Neue in der Volksmusik der Alpen. Von der “Neuen Volksmusik” und anderen innovativen Entwicklungen.
Anne Marie Pircher: Zu den Linien. Erzählungen.
Annemarie Regensburger, Angelika Polak-Pollhammer: Ehe der letzte Schornstein fällt ...Südtiroler Familien und ihr fremdes Zuhause. Geschichten von Umsiedlerinnen und Umsiedlernn der Imster Südtirolersiedlung am Grettert. Annemarie Regensburger: Mittlt durch giahn.
„Was isches wirklig dejs uan sagn lasst da bin ih derhuem?“
In der Einleitung zum Band, der in Gerald Kurdoğlu Nitsches EYE-Verlag erschienen ist und der den Titel Ehe der letzte Schornstein fällt trägt, schildert Regensburger, wie sie eines der leeren und zum Abriss bestimmten Häuser besucht, darin Spuren seiner ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner findet und gerührt von den Überbleibseln ihrer Lebensgeschichten den Entschluss fasst: „Ich will die Lampen, die noch brennen, hüten und weitertragen.“ (S. 11) Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte der Option, die Architektur der Siedlung sowie die 1939 gegründete und der Deutschen Arbeiterfront angegliederte Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft Neue Heimat Tirol (NHT) folgen zwanzig Familiengeschichten. Sie werden abwechselnd von Regensburger und Polak-Pollhammer erzählt und sind mit Stammbäumen und Fotos angereichert. Die Familiengedächtnisse, die so festgehalten wurden, weisen häufig Analogien auf. Die Fragen der Autorinnen nach den politischen Einstellungen der OptantInnen, nach den Gründen, die sie zum „Gehen“ bewogen haben und wie sie in Tirol aufgenommen worden seien, werden in den meisten Fällen recht ähnlich beantwortet. Das ist wenig erstaunlich. Interessant ist vielmehr, welche Lesart der Geschichte, welche Erklärungen und Begründungen sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben. Und interessant wäre darüber hinaus, wie sich die Imster Bevölkerung an dieses Kapitel der Stadtgeschichte erinnert. Ihr Standpunkt kommt nur durch die Erzählungen zur Sprache, die schildern, wie sie, die BewohnerInnen des „Ghettos“ (S. 71), aufgenommen wurden: Die Imsterinnen und Imster mochten die Südtiroler nicht. Sie bekamen als Letzte Arbeit, saßen tagelang in der Gemeinde auf dem Boden und warteten. […] Für die Imsterinnen und Imster waren die Südtiroler ‚Zuegroaste‘, die ihnen nur die Arbeit wegnahmen. „Zum Teil kann ich schon verstehen, dass die ImsterInnen neidig waren, denn in der Oberstadt hat man wirklich noch wie im 18. Jahrhundert ‚gehaust‘, und die Südtiroler bekamen neue Wohnungen. Nein, die Zeiten sind früher nicht besser gewesen. Neid und Gewalt gab es immer.“ (S. 37) An dieser Stelle wird deutlich, dass hier eine Migrationsgeschichte erzählt wird, die zwar viele Unterschiede, aber durchaus auch Ähnlichkeiten zur heutigen Problematik der Flüchtlinge und Asylwerbenden aufweist. Man muss nicht an Traiskirchen denken, auch Imst ist „Flüchtlingsstandort“ geblieben. Die alte Kaserne beherbergt seit 2004 ein Flüchtlingshaus mit dem fast zynisch anmutenden Namen „Sonneninsel“. Seine BewohnerInnen kommen heute unter anderem aus Afghanistan, Armenien, Nigeria, Somalia oder Syrien. Wenn Flüchtlinge aus Südtirol sich in den 1940er Jahren schon fremd und ausgestoßen gefühlt haben – um wieviel schlimmer und entwürdigender muss die Situation für diese Menschen sein? Ob der „Fremde“ nun aus einem 100 oder 200 Kilometer entfernten, kulturell und geschichtlich noch dazu so eng mit dem Einwanderungsland verbundenen Gebiet stammt oder von einem anderen Kontinent, die Verhaltensmuster der Ausgrenzung scheinen ähnlich zu funktionieren. Es handelt sich bei Ehe der letzte Schornstein fällt um einen sehr persönlichen Zugang zu einem Aspekt der (Süd-)Tiroler Regionalgeschichte des 20. Jahrhunderts, der die Aufmerksamkeit auf ein Thema lenkt, das die Geschichtswissenschaften bis dato leider kaum aufgegriffen haben. Zu wünschen wäre dem Buch ein gründlicheres Lektorat gewesen, das Fehler im Gebrauch von Phraseologismen („um manche Erfahrung reifer geworden“, S. 83) oder sprachliche Unsicherheiten („erste Zeichen für bewohnt“, S. 36) bereinigt hätte. Annemarie Regensburger ist über Tirol hinaus für ihre Mundartdichtungen in der Tradition der Wiener Gruppe bekannt. 1983 erschien ihr erster Gedichtband, Zfrieden sein – was isch deas?, dem etliche Publikationen folgten (unter anderem die Gedichtbände Stolperer 1988, Fassn nachn Lebm 1991, Barfueß 1997 und zuletzt die Autobiographie Gewachsen im Schatten 2013). 30 Jahre nach dem lyrischen Debüt der Autorin legt der Haymon Verlag nun unter dem Titel Mittlt durch giahn auch einen Querschnitt aus Regensburgers Dialektlyrik vor, der deutlich unterstreicht, wie groß ihr Verdienst um die Mundartdichtung, die lange Zeit literarisch für nicht ganz voll genommen wurde, ist. So verschieden die beiden 2014 publizierten Bücher auf den ersten Blick scheinen, das Buchprojekt über die Südtiroler-Siedlung in Imst steht Regensburgers lyrischem Werk, das sich unter anderem durch eine kritische Betrachtung des Heimatbegriffs, von Familie, durch emanzipatorische Forderungen oder – kurz gesagt – durch Gesellschaftskritik auszeichnet, thematisch nahe. Mit den beiden Büchern leistet Annemarie Regensburger (im einen Fall gemeinsam mit Angelika Polak-Pollhammer) einen wertvollen Beitrag, sowohl zur Literatur in Tirol, als auch zur Lokalgeschichte.
Helmuth Schönauer: Blitz und Koma. Materialien zur Tiroler Gegenwartsliteratur 2000-2014. Welch‘ ein unermüdlicher Leser !, geht einem/r immer wieder – wenn man seine Rezensionensendung öffnet – durch den Kopf und seine e-mail-Botschaft „Haltet alle durch!“ klingt dabei wie ein wohltuendes Motto an alle, die daran interessiert sein müssen, Vermittlung von Literatur weiterhin am Leben zu erhalten. Oder sie liest sich auch wie die Message an die Literaten: „schreibt weiter, bleibt dran!“. Schönauer registriert, hebt aus, protokolliert und dokumentiert seit dreißig Jahren, was an Gegenwartstexten auf der Bildfläche der literarischen Öffentlichkeit erscheint. Manchmal staunt man ob der Fülle. Und auf viele Texte, die in entlegenen Verlagen erscheinen, um die kaum ein medialer Aufwand betrieben wird, auf stille Debüts oder auf solche, die eher beiläufig am Rande des Geschehens erscheinen, macht Schönauer auf diesem Weg mitunter als einziger aufmerksam. Nicht selten stammt die Erstinformation über das Erscheinen eines Buches bzw. über eine/n Autor/in aus eben einer dieser verlässlichen e-mail-Sendungen. Das macht seine jahrzehntelange Arbeit wertvoll. Er ist ein genauer Beobachter und bringt in Kurz- und Kürzestrezensionen seinen charakteristischen point of view zum Ausdruck, bringt wie spontan geschrieben den Kern und den wesentlichen Grundton eines Textes auf den Punkt. So vermittelt Schönauer einen Ersteindruck, und macht vielleicht neugierig auf eine/n Autor/in. Schönauer legt also Netze aus, und man wünscht der Literatur, dass es ihr nützt. „Es gibt diese dünne Grenze, wo Wasser zu Eis wird. Eine ähnliche Grenze verläuft durch die Literatur, wenn die flüssigen Texte der Gegenwart sich zu verfestigen beginnen zu einem Block aus Literaturgeschichte, “ so heißt es im Klappentext anschaulich mit diesem typisch Schönauer‘schen Sprachbild. Es darf zwar dahingestellt bleiben, ob man diesen vorliegenden „Block“ als Literaturgeschichte bezeichnen kann, immerhin aber erzählt er viel über Texte und Bücher.
Matthias Schönweger: Meine Rede.
Bernd Schuchter: Föhntage. Roman.
Franz Tumler: Hier in Berlin, wo ich wohne (Texte 1946-1991). Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Toni Bernhart.
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