Niklaus Mazohl, 80. Geburtstag (1924 - 1995)
Niklaus Mazohl (1924 – 1995) Ein Porträt anläßlich der Lesung aus der unveröffentlichten Sammlung „An Izumi. Fünfhundertundsieben Gedichte im elegischen Ton“.
Der Nachlass des weitgehend unbekannt gebliebenen Schriftstellers Klaus Mazohl, der sich seit 1995 im Forschungsinstitut Brenner-Archiv befindet, enthält neben Korrespondenzen und einer Reihe von unveröffentlichten Manuskripten auch eine umfangreiche Gedichtsammlung, die im November 2002 im Rahmen der Veranstaltungsreihe des Literaturhauses am Inn „Japan im Herbst“ in Innsbruck und Meran vorgestellt wurde. Johannes Nikolussi las eine Auswahl der Texte, Dieter Strehly ergänzte und interpretierte die Gedichte auf der Shakuhachi, der traditionellen japanischen Flöte. Diese Sammlung „An Izumi“ ist von der Dichtkunst des alten Japan inspiriert und ist nicht nur in formaler Hinsicht eine Besonderheit im Schaffen des Autors. Mit diesen Gedichten reiht sich Mazohl in die Tradition des europäisch geprägten - wenn auch sich wandelnden Interesses an der Kultur Japans und an seiner eigenständigen, vor einem gänzlich anderen Hintergrund ausgebildeten Schriftkultur. Klaus Mazohl wurde 1924 in Meran geboren. Er war von Beruf Fotograf und Redakteur bei verschiedenen Zeitungen und beim Südtiroler Fernsehen. Er lebte in Bozen und hielt sich längere Zeit in Wien und Rom auf. Auf dem Theaterzettel zur Aufführung eines seiner Stücke heißt es, Klaus Mazohl habe seinen Beruf aufgegeben, als er eine leitende Stellung und damit verbundene langfristige Bindungen eingehen sollte – die Freiheit des Schreibens zählte für ihn mehr als der berufliche Aufstieg. So entstand im Laufe seines Lebens eine Reihe von Fernsehspielen und Prosatexten, er schrieb einen umfangreichen Roman und Hörspiele. Einige davon wurden in den siebziger Jahren im ORF produziert und gesendet. Vor allem aber schrieb Mazohl Bühnentexte. In seinen Theaterstücken ging es ihm – wie er selber einmal sagte - um die Variation eines einzigen, im Grunde bis heute aktuell gebliebenen Themas: wie nämlich die Macht und die Mechanismen der kapitalistischen Welt das Sein und das Leben des Menschen bestimmen - ein Thema, das der Autor aus pessimistischer fortschrittskritischer Perspektive betrachtete. Beispielhaft dafür ist die an Shakespeare anknüpfende Tragikomödie „Fast ein Hamlet“. Mit diesem Stück wurde Mazohl 1969 bekannt. Es wurde in Wien im Theater an der Josefstadt uraufgeführt, die Hauptrolle war mit dem damals noch jungen, relativ unbekannten Klaus Maria Brandauer besetzt. Mit „Fast ein Hamlet“ schrieb Klaus Mazohl ein Stück aus dem gesellschaftskritischen Impuls der 68er Jahre. Es führt am Haupthelden, dem Sohn einer reichen Bürgerfamilie, vor, wie jugendliches Aufbegehren gegen die Gesetze des Kapitalismus in Resignation und Anpassung kippt, wenn die Konsequenzen für das Handeln ausbleiben, wie also ein Hamlet, der die existentielle Frage nach dem Sein zwar stellt, aber nichts ändert (nichts ändern kann), eben nur fast ein Hamlet ist. Hamlet entlarvt im Stück Mazohls die materialistische bürgerliche Scheinwelt seiner Eltern. Diese Fassade wird durch die museale Inneneinrichtung des Hauses symbolisiert, die der Sohn in einem revolutionären Akt als Bühne auf der Bühne aufbaut und verbrennen will. Wie ein Kartenhaus bricht die Scheinwelt der Eltern zusammen, die latente Gewalttätigkeit des Vaters und die hohlen Werte der Mutter offenbaren sich. Trotzdem resigniert Hamlet und fügt sich schließlich am Ende des Stückes in die Ordnung des kapitalistischen Systems ein und übernimmt eine Anstellung in der Firma des Vaters. „Ich wollte in dem Hamlet-Stück darstellen, wie die Revolte der intellektuellen Jugend gegen das sogenannte Establishment – das westliche, aber auch das östliche – dem Horror vor der Aussicht entspringt, ein Nichts zu sein im Betrieb der Produktions- und Konsumgesellschaft, und der Versuch, die nivellierende „Mechanik der Gewalt“ durch Resistenz oder Aggression zu entlarven, durch die Entlarvung aber etwas zu „verändern“, vor der blitzartigen Erkenntnis zusammenbricht, dass die prostituierende Macht allgegenwärtig, dass sie „die Wahrheit“ dieser Welt ist, der sich vielleicht – wie ehedem – der große Einzelne zu entziehen vermöchte, den jedoch dieses Sichversagen, sein „Versagen“, augenblicklich zum absurden oder tragischen Helden machen würde.“ (Klaus Mazohl in einem Brief an Friedrich Karp vom 15. Februar, 1968. Unveröffentlicht, Brenner-Archiv, Nachlaß Mazohl). Die Aufführung im Theater an der Josefstadt war nur mäßig erfolgreich, Mazohl selber konnte der Inszenierung, die das Stück stark verändert hatte, sehr wenig abgewinnen. Später erschien es ungekürzt in der Reihe „Aspekte I - Österreichische Dramatiker der Gegenwart“. Es folgten Aufführungen in Innsbruck und Heilbronn. Zwanzig Jahre später, 1991, wurde das Stück ins Portugiesische übersetzt und in Brasilien aufgeführt. Klaus Mazohl plante damals, weitere seiner Stücke und Fernsehspiele umzuarbeiten. Doch dazu und zu anderen Aufführungen ist es nicht mehr gekommen. 1995 ist Klaus Mazohl in Bozen gestorben. „An Izumi“ , diese aus drei Teilen bestehende Sammlung von 507 Gedichten, war Mazohls letztes abgeschlossenes Werk. Man begegnet darin wieder dem Thema des „großen Einzelnen“, des tragischen Helden, der sich der Welt versagt. In einem Brief kam er über sie zu sprechen: „Diese Gedichte, in etwa einem Jahr wie spielend geschrieben, sind die Summe meines Lebens, welches am Rande des Bereichs der deutschen Sprache auch ein Beweis dafür ist, dass etwas Gutes überall gemacht werden kann.“ (Klaus Mazohl an Herbert Fleissner, 14. November 1988. Unveröffentlicht, Nachlass Mazohl, Brenner-Archiv). „Elegisch“ im Ton sind es Klagelieder, die eine pessimistische Lebensphilosophie, vorrangig eine Sicht auf die dunkle Seite der Welt zeigen. Die Überschriften der drei Teile weisen die Richtung: „Todesgrund“, „Flucht des Eros und Umkehr“, „Rüsten zum Tode“. Die Klage wird von einem lyrischen Ich vorgetragen, das die Bewußtheit einer ständig präsenten Vergänglichkeit, eines „immer notwendigen Untergangs“, zur Sprache bringt. Der Titel der Gedichtsammlung jedoch beschwört auch den fernen Zauber Japans. Diese Elegien nämlich suchen ein Gegenüber, wollen vernommen werden von einem Du, das in den Gedichten durch Izumi Shikibu repräsentiert ist, eine Dichterin um das Jahr 1000 am Hof der Gemahlin des Kaisers von Japan. Sie ist die Quelle und zugleich die Bildfläche seiner Inspiration. Niklaus Mazohl inszeniert in den Gedichten eine dialogische Situation, in der abendländischer Kulturpessimismus in der Tradition Arthur Schopenhauers mit fernöstlicher Lebensphilosophie zusammentrifft – eine Begegnung sozusagen der Sonnenuntergangswelt mit der Sonnenaufgangswelt. Es ist bemerkenswert, dass dieser Gedichtband von der Gattung her eine Ausnahme im Schaffen des Autors ist. Klaus Mazohl war ja in erster Linie Dramatiker. Den Gedichttexten ist dies anzumerken, sie tragen die Handschrift ein Bühnenautors. Dialog und Situation bewirken, dass die Gedichte trotz ihrer starken Bildhaftigkeit eine Geschichte erzählen und als inszenierter Monolog auf der Bühne denkbar sind. Trotz philosophischem Hintergrund und strenger Kunstsprache sind die Gedichte keine abstrakte Gedankenlyrik, sondern sie bleiben in der Bewegung des Sprechens auf der Bühne und sind im Wesentlichen Dialog und Monolog. Die Form dieser Gedichte, die Bewegung ihrer Sprache, die darin enthaltenen Bilder, Motive und Symbole sind von der höfischen Dichtung des alten Japan inspiriert. Der erste Teil jedes dieser Gedichte ist ein Tanka und hat eine Länge von 31 Silben, die auf fünf Zeilen verteilt sind. Die ersten drei Zeilen nennt man kami-no-ku und sie benennen ein Thema. Die beiden anderen Zeilen sind das shimo-no-ku und sie geben sozusagen eine Antwort und führen die Gedanken weiter. Das Tanka ist jene Form japanischer Kurzlyrik, die auch Izumi Shikibu verwendet hatte. Man nennt sie auch Waka, und sie hatte schon um das Jahr 1000 eine lange Tradition, überliefert beispielsweise durch das Manyoshu – die „Sammlung der zehntausend Blätter“ mit über 4000 Wakas, die um das Jahr 760 entstanden ist. Klaus Mazohl war nie in Japan. Aber das heißt nicht viel, verdankt sich das Wissen der Europäer über Japan doch in erster Linie den Büchern, vor allem den Übersetzern und Vermittlern. Wir kennen Japan zum größten Teil nur indirekt und sind angewiesen auf die sprachliche und bildhafte Übermittlung des Fremden – und dies öffnet bekanntlich der Bildung von Mythen und Klischees die Tore. Auf dem Wege der Aneignung des Fremden entsteht der Raum für die individuelle Imagination des Unentdeckten und Geheimnisvollen. Das Jenseits der Grenze des Vertrauten malen wir aus mit den Farben des Eigenen. So ist auch das druckfertige Manuskript dieser fünfhundertsieben Gedichte, das Klaus Mazohl hinterlassen hat, das Beispiel einer eigenwilligen Anknüpfung an eine Facette des japanischen Altertums, die sich ihm durch die Lebensgeschichte und die Tankas von Izumi eröffnet hatte. Das Ausloten einer poetischen Möglichkeit war es wohl auch in erster Linie, was Niklaus Mazohl fasziniert hatte, als er sich in der Form des Tankas versuchte. Um eine äußere Anlehnung ging es ihm, nicht um die Imitation. In Mazohls Bibliothek finden sich kaum Bücher zum Kontext Japan, auch sonst gibt es in seinem Nachlass wenige Hinweise, dass sich der Autor mit Japan und seiner Kultur beschäftigt hat. Einzig die auf einem Briefumschlag notierten Namen wie Shimenawa, Torii, Yoshino, Hinomaru, Yamauba u. a. verweisen auf seine Beschäftigung mit der Begriffs- und damit Bedeutungswelt des Japanischen. Seine handschriftlich spontan notierten Gedichte auf Notizblöcken, auf Briefumschlägen und in Kalendern zeigen seine Annäherungen und Versuche, sich in einer strengen disziplinierten Gedicht-Struktur zu bewegen: Über sie schreibt Mazohl: „Alle Gedichte in zwölf locker gehaltenen Versen [....] sind zweistrophig geordnet: eine Strophe „jambisch“, die andere „trochäisch“ oder umgekehrt. Die erste Strophe hat, als äußere Anlehnung, einundreißig Silben wie das japanische Kurzgedicht Tanka (oder Waka), Izumis einzige Gedichtform.“ (Manuskript im Nachlaß Mazohl). Die Begrenzung auf eine festgeschriebene Silbenzahl fordert die Präzision der Gedanken und soll die im Sprach-Bild vermittelte sinnliche Wahrnehmung konzentrieren. Wir finden – wie es in der japanischen Gedichttradition gebräuchlich ist - in den Gedichten Mazohls bewußt gewählte Motive aus dem Bildraum der Natur, - der Mond, Kirschblüten, der Baum, der Stein, Chrysanthemen. Sie dienen als Jahreszeitenwörter (im Japanischen kigo genannt) und geben der langen Kette der Gedichte - wie in Wirklichkeit auch dem unaufhörlichen Strom der Zeit - eine innere Strukturierung. Diese Jahreszeitenwörter, die in der japanischen Dichtung nach strengen Regeln der Tradition verwendet wurden, symbolisieren den Lebenszyklus vom Werden und Vergehen der Natur, des Menschen, alles Seienden. Die konkreten Bildmotive öffnen die Räume der Innerlichkeit. Der Leser/die Leserin wird hineingestellt in die Konzentration der Wirklichkeit auf einen Moment der Stille. Der Todesgrund wird hörbar: das Nichts - die Leere – Vergänglichkeit. „In diesen lose aufgereihten Gedichten“, schreibt Niklaus Mazohl, „ist das Paradox der Erde als Mutter Tod ausgesprochen und das Prinzip des Lebens von der Sonne (dem Daseinssymbol der Japaner) unzweideutig angezeigt auch als Ursache eines immer notwendigen Untergangs.“ (Manuskript im Nachlaß Mazohl). Motive aus dem Sinnbezirk der Vergänglichkeit halten den Strom der Gedichte im Innersten zusammen, wie beispielsweise das Motiv des Staubs. Niklaus Mazohl verwendet es in Anlehnung an den persischen Mathematiker und Dichter des 11. Jahrhunderts Omar Chaijam. Omar Chaijam besingt in seinen Liedern den Augenblick, der allein das Glück und die Ewigkeit beinhalte - so wie der Tonkrug, aus dem wir den Wein des Augenblicks trinken, aus dem Staub von Jahrtausenden besteht. So führen die drei Teile der Sammlung in vielen Varianten ein poetisches Sprechen vom Tode aus dem Geist der Natur-Metaphysik Arthur Schopenhauers vor. Eine stete Abwärtsbewegung durchzieht die 507 Gedichte - die veränderliche Natur wird dafür Sinnbild: Sah im Bach das Wasser abwärts fließen. Wußte wohl, warum ich traurig wurde unter Anemonen. Sah ein Sinnbild Lebens.(197) Der dritte Teil der Gedichte verläßt den metaphorischen Bildraum der Natur und führt das Töten und Sterben unseres Jahrhunderts ins Bild. Gerüstet standen alle mit den Todmaschinen. Man wollte wehren, hieß es. Und wehrend ward zu Haufen dann getötet (428). Dass aller Lebensraum auf Todesgrund ruhe und in ihm vergehe, die pessimistische Philosophie in der Färbung Schopenhauers verändert sich in der imaginierten Zwiesprache mit Izumi, die sich durch alle drei Teile der Sammlung zieht, den zweiten Teil aber gänzlich bestimmt. Diese Folge von 87 Gedichten, schreibt Klaus Mazohl, erzählt zusamenhängend auf der Grundlage eines kurzen Tagebuches die Liebesbeziehung der Izumi Schikibu zum kaiserlichen Prinzen Atsumichi, welche drei Jahre, bis zu seinem Tod, gedauert hat und die beste Zeit im Lebens der Dichterin gewesen ist. Trauer und Abstieg zum eigenen Ende erschließen sich aus ihrer Dichtung. (aus einem Manuskript im Nachlass Mazohl) Wer war Izumi Shikibu? Sie zählte zu den bekanntesten Dichterinnen ihrer Zeit. Obgleich sie eine bedeutende Dichterin war, galt sie auch als flatterhafte Frau mit zweifelhaftem Ruf, als femme fatale, die zu mehreren Männern manchmal auch gleichzeitig Beziehungen pflegte. Sie genoß daher bei ihren Kolleginnen, wie der berühmten Murasaki Shikibu, kein hohes Ansehen. Als Nonne soll sie sich im Alter in die Einsamkeit zurückgezogen haben. Izumi Shikibu wurde am Hof von Shoshi erzogen, wo ihr Vater als Hofbeamter weilte. Sie wurde mit einem Vertrauten des Vaters jung vermählt. Nach dem Ort Izumi, wo sie mit diesem Mann wohnte, trägt sie ihren Namen. Izumi gebar eine Tochter, die sie früh verlor, und kehrte bald wieder zurück in die kaiserliche Hauptstadt Heian - das heutige Kioto -, wo sie, eine verheiratete Frau, eine skandalöse Liebes-Affäre mit dem Prinzen Tametaka hatte. Der Prinz stammte aus dem Kaiserhaus und war ihr vom gesellschaftlichen Rang her überlegen. Er soll ihr bis zu seinem frühen Tod gänzlich erlegen sein. Nach einigen Monaten der Trauer trat Atsumichi, der jüngeren Bruder des Prinzen in ihr Leben. Ihre Liebe zu Atsumichi mußte in Trauer enden als sie ihn nach drei Jahren verlor. Die Jahre der Trauer hielt Izumi in einem Tagebuch fest, das eine Fülle von eingestreuten Tankas beinhaltet, in denen ihre Liebe und Religiosität zum Ausdruck kommen. Neben diesem Tagebuch, das Klaus Mazohl kannte und das zu den klassischen Beispielen der höfischen Literatur des japanischen Altertums gehört, sind von ihr mehr als tausend Tankas bekannt. Die Zeit, in der Izumi lebte, war die nach dem Sitz des Kaiserhauses genannte Heian-Periode (784 – 1192), die eine relativ stabile Friedenszeit war, was die Herausbildung einer verfeinerten höfischen Salonkultur bewirkte. Es gehörte zum guten Ton, daß sich Hofdamen an adeligen Höfen der Dichtkunst widmeten - bemerkenswert und wenig verwunderlich ist es daher, dass gerade Frauen wie Izumi eine einflußreiche Rolle in der Entwicklung der japanischen Lyrik spielten. Dichtkunst spielte überhaupt eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Leben am Hof, wo der Austausch von Gedichten eine Form der Kommunikation war und der Pflege von Beziehungen diente. Das ästhetische Ideal, das in aller Dichtung lebte, war das mono no aware, das "Angerührtsein vom Schönen im Bewußtsein der Vergänglichkeit der Welt", ein Ideal, das eng mit der Religion des Shintoismus verbunden ist. Niklaus Mazohl erweckt Izumi in ihrem Totenreich zum Leben und läßt sie von ihrer Zeit erzählen. Die Vergänglichkeit allen Seins, die Gewalt mit der sich der Tod in alles Leben drängt, ist das Unveränderliche, das der Dichter auch in Izumis Worten wiederfindet und das er mit ihr teilt. Das Immer-Wiederkehrende ist aber auch der Eros, den die Dichterin des Erosleuchtens (401) unermüdlich noch in ihrer größten Trauer beschwört. Flüstere dir das Leben wieder zu, die Lippen an der Erde, so geküßt. Du berichte laut. Vernehmlich sprich von Liebe. (220). In den Gedichten entfaltet sich ein Zwiegespräch, in dem die Stimme des Dichters mit der Izumis abwechselnd erklingt und in der das Ich mit dem Du oszilliert. Er legt Izumi ein Sprechen in den Mund, das sie ihm näher bringt – und umgekehrt sprechen die Gedichte über die Gegenwart des Dichters und der europäischen Geschichte in einer Kunstsprache, die alles Reale merkwürdig verfremdet und unvertraut erscheinen läßt – ein manierierter Dialog, der jedes Sprechen in stilisierte Gesten verwandelt. Dieses Sprechen in den Gedichten erinnert zuweilen an die – gerade auch in Japan beheimatete - Tradition des Maskenspiels, das auf klare im Ausdruck konzentrierte Gesten, Gebärden und Tanzbewegungen reduziert ist. Man erfährt beim Lesen dieser 507 Gedichte im elegischen Ton eine Geduldsprobe. Beim inneren Zuhören und Weiterlesen haben sich jedoch die Gedanken schon auf die Reise begeben - in die Zeit Izumis, durch das Erdreich der Zeiten hindurch, durch die Schichten von tausend Jahren, in denen sich Spuren der Vergänglichkeit auf die Gräber der Zeiten gelegt haben. Die leichtfüßige Form dieser Kurzgedichte trägt die schwere Fracht der Gedanken um einen „immer notwendigen Untergang“ in allem. Es scheint, dass Niklaus Mazohl dafür gerade diese lyrische Form geeignet schien, weil sie in ihrer Konzentriertheit zum Ereignis wird. Und weil sie in ihrer Reduziertheit eine Gegenlinie zum Sprechen vom Tode freilegt. Sie ist im Shinto, der alten vorbuddhistischen Weltsicht verwurzelt, in der das kami wesentlich ist, der Glaube an das Göttliche in allen Dingen, auch in der Natur, das nur im Diesseits berührt werden kann und das es im Jetzt zu erkennen und zu würdigen gilt. ( © Christine Riccabona) |