Frühgeschichtliche Drechsler
Das Pfitscherjoch auf 2246 Meter Seehöhe ist nach dem Brenner- und dem Reschenpass der dritt-niedrigste inneralpine Übergang zwischen Nord- und Südtirol und war dementsprechend schon immer als Bindeglied beider Landesteile beliebt. „Wir wissen dass nach dem ersten Weltkrieg die Italiener dort Baracken und Gräben hatten sowie Schmuggler die Route sehr gerne benützt haben. Wir haben uns gefragt, warum das viel früher nicht auch der Fall gewesen sein soll. Im Jahr 2011 haben wir dann den Auftrag bekommen, den Übergang vom hinteren Zillertal nach Sterzing auf ur- und frühgeschichtliche Hinweise zu untersuchen“, erklärt Thomas Bachnetzer vom Institut für Archäologien den Beginn der Prospektionen am Pfitscherjoch, die im Rahmen des INTERREG-IV-Projektes „Pfitscherjoch Grenzenlos – Geschichte und Zukunft eines zentralen Alpenübergangs“ durchgeführt wurden. In einem interdisziplinären Ansatz erfolgten in diesem Gebiet neben archäologischen Forschungen auch mineralogische, geologische und geschichtliche Untersuchungen.
Frühmittelalterliches Handwerk
Erste Hinweise auf das Vorkommen von Lavez am Pfitscherjoch verdanken die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einem Mineraliensammler aus Aschau. „Walter Ungerank kam mit einem ihm zugetragenen, eigenartigen Lavezstück zu uns“, erinnert sich Bachnetzer, der gemeinsam mit seinem Team das Stück als Abfallprodukt aus der frühen Lavez-Gefäß-Produktion identifizierte. Die Römer bearbeiteten Lavez erstmals mit wasserkraftbetriebenen Drehbänken. Durch Drehbewegungen wurden dann mit Eisenstangen die Gefäße herausgedrechselt – ähnlich wie heute bei der Holzbearbeitung. „Aus einem Rohling können bis zu 20 immer kleiner werdende Gefäße gedrechselt werden, bis am Schluss in der Mitte ein kleiner Rest übrig bleibt – das war das Stück, das gefunden wurde“, erläutert Bachnetzer den wertvollen Fund des Mineraliensammlers, der mit der Anlass für weitere Untersuchungen im Gebiet am Pfitscherjoch war. Die Archäologinnen und Archäologen hielten damit den ersten Hinweis auf eine regionale Produktionsstätte in den Händen und konnten erstmals den Abbau von Lavez in Österreich nachweisen. Dies sei eine Besonderheit, da bisher vermutet wurde, dass Lavez ausschließlich aus der Schweiz als Importware in das Gebiet des heutigen Tirol gelangte. Die Hauptlagerstätten des Gesteins in Zentraleuropa finden sich aber in Norditalien, Ostfrankreich und der Schweiz. Michael Unterwurzacher, Mitarbeiter am Institut für Archäologien, bestätigte das Vorkommen von Talk, dem Hauptbestandteil von Lavez, auch am Pfitscherjoch. Seit dem Neolithikum bis jetzt ist Lavez ein idealer, sehr leicht bearbeitbarer und relativ feuerfester Naturwerkstoff. „Beim Abbau von Lavez spricht man von Brüchen, da der Stein regelrecht aus dem Felsen herausgebrochen wird. Spuren von solchen bis zu 50cm breiten Kuhlen, die die Bearbeitung mit dem Pickel erkennen lassen, haben wir in Felswänden gefunden“, veranschaulicht Bachnetzer das Vorgehen. Im Jahr 2012 haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die ersten Brüche gefunden und sie freuen sich über eine glückliche Fügung: „Bereits die Entdeckung der Brüche war schon etwas Besonderes. Durch die Kombination mit dem Lavez-Kern wird es aber noch spannender. Ein Abfallprodukt kommt nicht einfach so auf einen Pass auf über 2000 Meter Seehöhe – das wäre unlogisch. Damit war klar, dass hier Menschen die Steine direkt zu Gefäßen weiterverarbeitet haben müssen.“
Steinzeitliche Jäger und moderne Wanderer
„Dass der breite Übergang schon sehr früh, im Mesolithikum, genutzt wurde, war bislang nur eine von uns aufgestellte Theorie – Nachweise gab es dafür bisher noch keine“, erklärt Bachnetzer, der gemeinsam mit Walter Leitner die Grabungen am Pfitscherjoch leitete. Bei der Wanderung zu den Ausgrabungsarbeiten am Pfitscherjoch machten die Archäologinnen und Archäologen eine erstaunliche Erfahrung, schmunzelt der Wissenschaftler: „Wir haben in der Gruppe darüber diskutiert, dass die Menschen früher wohl ähnliche Stellen zum Rasten ausgesucht haben müssen, wie Wanderer heute. Da haben wir auch nicht schlecht gestaunt, dass wir bei unserer Rast prompt erste Spuren in Form von Feuersteingeräten gefunden haben.“ Im Jahr 2011 fanden die Archäologinnen und Archäologen bei ersten Prospektionen bereits zwei mesolithische Jägerraststellen. Die minimale Humusbildung im hochalpinen Bereich erleichtert die Suche nach Artefakten, da sich beispielsweise Feuersteine relativ weit an der Oberfläche befinden und daher häufig durch Kühe ausgetreten oder durch Erosion, die natürliche Abtragung von Gestein und Boden, nach oben gelangen. Die bei den Prospektionen gefundenen Lavezrohlinge lassen sich anhand ihrer Form zeitlich schwer einordnen. „Aber auch hier hatten wir Glück“, freut sich Bachnetzer, „denn in einer Halde fanden wir eine Lavez-Gefäßrohform, an der sich Reste von Holzkohle befanden, die mit der 14C-Methode in die Mitte des 7. Jahrhunderts nach Christus, also ins frühe Mittelalter, datiert werden konnten.“ Aus dieser Zeit gibt es vor allem im Hochgebirge noch sehr wenige Nachweise. Weitere Grabungen sollen noch klären, ob auch in anderen Zeitperioden Lavez für die Menschen eine Rolle gespielt hat. „Das Pfitscherjoch hat noch unglaublich viel Potential, das noch lange nicht ausgeschöpft ist. Alles was wir bisher gefunden haben, war nur ein erster Schritt“, freut sich Bachnetzer.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Die Forschungen am Pfitscherjoch werden von vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen im Rahmen des an der Universität angesiedelten Forschungszentrums HiMAT (History of Mining Activities in the Tyrol) unterstützt. Peter Anreiter vom Institut für Sprachen und Literaturen wurde hinzugezogen, um die Namensverwandtschaft von Lavez mit der am Pfitscherjoch gelegenen Lavitzalm zu untersuchen. Die Untersuchung der Etymologie der Flurbezeichnung hat ergeben, dass beide Wörter auf denselben Wortursprung zurückgeführt werden können. Die Untersuchung der Mineralchemie und das thermische Verhalten des Gesteins werden in Zusammenarbeit mit Michael Unterwurzacher vom Institut für Archäologien und Peter Tropper vom Institut für Mineralogie und Petrographie gemacht. Zudem ist eine 3D-Ansicht der Brüche in Zusammenarbeit mit Klaus Hanke, Leiter des Instituts für Grundlagen der Technischen Wissenschaften, geplant. „Das Pfitscherjoch war bisher ein unbeschriebenes Blatt – je tiefer und intensiver wir uns mit ihm beschäftigen, desto mehr interessante Ergebnisse kommen zu Tage. Der Übergang von Nord- nach Südtirol war und ist ein spannender Platz und wir planen noch intensive Forschungen in diesem Gebiet“, so Bachnetzer.