Geglückte Integration

Ein Staat – eine Art.
Die Vermischung von Kolonien verschiedener Ameisenarten galt bisher als seltene
Ausnahme. Drei Arten der Gattung Messor
leben aber nicht nur ausnahmsweise in Gemeinschaft. In Italien beobachteten
Ameisenexperten, dass sowohl mehrere Arten mit verschiedenen Königinnen in
einer Kolonie hausen, als auch Individuen herumkrabbeln, die weder dem einen
noch dem anderen Volk eindeutig zuzuordnen sind. Das ist bemerkenswert, da bei
nicht nah verwandten Arten eine Vermischung von Genen, die so genannte
Hybridisierung, sehr selten ist.
Das macht den Effekt umso interessanter für die Wissenschaftler. Die
Vermischung verschiedener Spezies kann eine wirkungsvolle Strategie der Natur
sein, um neue Eigenschaften in den Arten zu etablieren und damit das Überleben
zu erleichtern. Hybridisierung – bisher als Ausnahme oder Unfall betrachtet –
rückt immer mehr in den Fokus der Evolutionsforschung. „Wenn wir die Nachkommen
aus Kreuzungen zwischen Arten untersuchen, lernen wir sehr viel über Artabgrenzung,
-entstehung und -beständigkeit“, sagt Ameisenexpertin Birgit Schlick-Steiner von
der Arbeitsgruppe Molekulare Ökologie, Institut für Ökologie, Universität
Innsbruck, die gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität für Bodenkultur Wien, der Universität
Parma und der James Cook Universität in Queensland sowie dem Senckenberg Museum
für Naturkunde Görlitz an diesem Projekt arbeitet.
Um das Beziehungsgeflecht der Messor-Ameisen
zu klären, betrachtete das Forscherteam die Tiere sowohl molekularbiologisch als
auch morphologisch. Nur eine Kombination dieser Methoden ergibt ein
Untersuchungssystem, das Kreuzungen ausreichend verläßlich abbilden kann. Denn einerseits
muss genetisch in einer Ameise nicht allein das drin stecken, was von außen zu
sehen ist, und andererseits kommen Variationen im Erscheinungsbild von Individuen
vor, die molekularbiologisch schwierig zu erfassen wären.
Ameisen-WGs und Ameisenkreuzungen
Ernteameisen sind schon aus der Bibel durch die weisen Sprüche des Königs
Salomon bekannt. Alle Ameisen der Gattung Messor
ernähren sich bevorzugt von Pflanzensamen, die sie in ihren Bau tragen und dort
zerlegen und zu einem Brei zerkauen. In ihrer Lebensweise sind sie sich also
ähnlich, doch die drei Arten Messor minor,
Messor wasmanni und Messor capitatus unterscheiden sich
deutlich in ihrer Körpergröße, Färbung und Ausbildung bestimmter Merkmale. Für
die Forscher war es wichtig, zu klären, wie nah diese Arten verwandt sind und
dann wie stark sie sich vermischen. Je entfernter die Verwandtschaft, umso
unwahrscheinlicher die Kreuzung – so die Theorie. Und in der Tat herrscht zwischen zwei der Arten ein stetiger genetischer
Austausch, aber auch die dritte bleibt nicht außen vor.
Insgesamt enthielt nur ein Teil der Kolonien im Untersuchungsgebiet Hybride.
Meist sind dann zwei Arten vermischt. Doch in einigen Fällen sind sogar die Gene
von drei Arten im gleichen Nest vorhanden: Die Wissenschaftler stellten
Mischlinge der Arten M. minor und M. wasmanni zusammen mit reinerbigen M. capitatus fest.
Wie es zu Ameisen-WGs und -kreuzungen kommt, ist noch nicht sicher bekannt.
Möglich ist zum Beispiel, dass die räumliche Nähe im selben Lebensraum zu
Irrtümern beim Hochzeitsflug oder zur Adoption fremder Königinnen durch einen
bestehenden Staat führt – aber auch andere Erklärungsmöglichkeiten sind
denkbar.
Von zukünftigem Interesse wird auch sein, welche Vorteile die drei Ameisenarten
aus der Vermischung ziehen. Wie von Waldameisen bekannt, können Hybride
Eigenschaften beider Elternarten in sich vereinigen. Sie können dadurch an
bestimmte Lebensräume besser angepasst sein als die reinerbigen Ameisen, von
denen sie abstammen.