
SprachEntwicklungsbeobachtung Mehrsprachig
Forschung zu Mehrsprachigkeit auf individueller und sozialer Ebene ist ein wichtiger Teil der angewandten Sprachwissenschaft. Neuartig bei DyME ist der mehrsprachige und ganzheitliche Forschungsansatz: Anstatt wie in bisherigen Studien die Entwicklung einer Sprache zu untersuchen, werden bei unseren Projekten alle Sprachen einer Person miteinbezogen.
Lange Zeit hat die Forschung Menschen mit mehr als einer Sprache so gehandhabt, als wären sie mehrere einsprachige Personen in einem. Das hat sich inzwischen geändert. Neuere Modelle wie das Dynamic Model of Multilingualism (DMM; Herdina & Jessner 2002; Jessner, 2006) gehen davon aus, dass mehrsprachige Menschen ein großes, komplexes und dynamisches Sprach(en)system haben, das aus mehreren Subsystemen (z.B. einzelnen Sprachsystemen) besteht. Diese Untersysteme sind miteinander verbunden und voneinander abhängig, und beeinflussen sich folglich auch gegenseitig.
Mehrsprachige Sprachentwicklung und Multikompetenz bei Kindern
Zwei- und mehrsprachige Menschen können daher nicht mit einsprachigen Menschen verglichen werden, denn durch die Interaktion der Sprachsysteme entstehen neue (emergente) Eigenschaften, die in einsprachigen Menschen nicht vorhanden oder weniger stark ausgebildet sind. Hierzu zählen beispielsweise divergentes oder kreatives Denken, ein höheres metalinguistisches Bewusstsein und eine größere Sensibilität für Kommunikationsbedürfnisse bzw. vielfältigere Kommunikationsstrategien (siehe z.B. Cenoz 2003; Bialystok 1991, 2001, 2009). Solche Fähigkeiten sind vorteilhaft, wenn es um das Bewältigen neuer Aufgaben oder das Erlernen weiterer Sprachen geht. Insbesondere das mehrsprachige Bewusstsein ist ein Forschungshauptinteresse der DyME-Gruppe.
Es gibt zwar zahlreiche Instrumente zur Sprachbeobachtung und Sprachstandsfeststellung, viele davon werden mehrsprachigen Kindern aber nicht gerecht. Das liegt vor allem daran, dass sie im Wesentlichen einsprachig angelegt sind. Bei der Beobachtung der Sprachentwicklung von mehrsprachigen Kindern ist es uns deshalb wichtig, über die reine Testung einer Sprache hinauszugehen und das mehrsprachige System in seiner ganzen Komplexität zu berücksichtigen.
Das Forschungsprojekt in Nenzing (Vorarlberg)
Das DyME-SEM Projekt erforscht Englisch als Brückensprache im Kindergarten. Im Pilotjahr werden ca. 40 Kinder getestet; die Hälfte davon wächst zwei- oder mehrsprachig auf. Beobachtet wird die Sprachentwicklung dieser Kinder in verschiedenen Kontexten im Kindergarten, und zwar in allen ihren Sprachen (Deutsch, Türkisch, Englisch). Was aufgezeigt werden soll ist die Entwicklung von kognitiven und sprachliche Fertigkeiten bei mehrsprachigen Kindern, wie auch die emergenten, also neu entstehenden, Fähigkeiten.
Die Analyse der Ergebnisse liefert Ansätze für eine gezieltere sprachliche Förderung.
Hier finden Sie Forschungsergebnisse zum Projekt (Bericht aus der Vorarlberger Gemeindezeitung).
Literatur
Bialystok, E. (1991). Metalinguistic dimensions of bilingual language proficiency. In E. Bialystok (ed.). Language processing in bilingual children. Cambridge: CUP, 113-140.
Bialystok, E. (2001). Bilingualism in development. Cambridge: CUP.
Bialystok, E. (2009). Bilingualism: The good, the bad, and the indifferent. Bilingualism: Language and Cognition, 12, 3-11.
Cenoz, J. (2003). The additive effect of bilingualism on third language acquisition. International Journal of Bilingualism 7, 71-88.
Herdina, P & Jessner, U. (2002). A Dynamic Model of Multilingualism. Perspectives of Change in Psycholinguistics. Clevedon: Multilingual Matters.
Jessner, U. (2006) Linguistic Awareness in Multilinguals: English as a Third Language. Edinburgh: Edingburgh UP.