... streng­ste Wach­samkeit auf die Den­kungs-Weise der Stu­diren­den ...

Auffallende Kleidung, Schnurrbärte, langes Haar, Knittelstöcke und Ziegenleimer als Hinweis für Träger und Überbringer „schädlichen Gedankengutes“? Da wäre die vorgeschriebene ärmliche aber anständige Kleidung doch die bessere Tarnung.
Symbolbild Studierende
Bild: Symbolbild Studierende. Montage (von links): Inskripition von Adelheid Schneller, Darstellung eines Studenten (Ferdinandeum Sign. FB11300). (Credit: Universität Innsbruck/Ferdinandeum)

Schreiben Gubernium an Lyzealrektor Benitius Mayr v. 3. Juni 1819. UAI, PhilFak 1816–1822.

Schreiben Gubernium an Lyzealrektor Benitius Mayr v. 3. Juni 1819. UAI, PhilFak 1816–1822.

Transkription:

An den kk Herrn Lyceal Professor und
Director der philosophischen Fakultät
Pr. Benitius Mayer.

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Der schädliche Zeitgeist, der auch Studirende an den Universitäten Nordeutschlands ergreift, breitet sich immer weiter umher, und es ist nöthig, daß man alle Vorsicht anwende, um vor demselben die oesterreichischen Lehr-Institute zu verwahren.

Beauftragt von dem Herrn Minister des Innern, muß ich den Herrn Director im strengsten Dienstvertrauen hierauf aufmerksam machen, und Ihnen in geheimen Wegen, folglich mit vorzüglicher Umsicht die strengste Wachsamkeit auf die Denkungs-Weise der Studirenden, mit dem Beisatze auftragen, bey sich ergebender Entdeckung, daß Studenten Gesinnungen von übel verstandener Freyheit, Ungebundenheit, u.d.gl. äußerten, oder dahin abzielende Handlungen, Zusammenkünfte, Merkzeichen u.d.gl. sich erlaubten, mit Klugheit dahin zu wirken, um das Uibel möglichst schon im ersten Keime zu ersticken, und zu diesem Behufe mir sogleich die gutächtliche Anzeige über die in Sachen einzuleitenden Maasnehmungen zu erstatten.

Indem ich unter Einem den gleichmässigen Auftrag an den Hn Lyceal Rector mit deme ertheile, sich mit Ihnen und mit den Lyceal Professoren deshalb in das unmittelbare Vernehmen zu setzen, und zur Unterdrückung jeder sich zeigenden Spur gemeinschäftlich mitzuwirken, so werden der Herr Director auch zugleich hievon zu Ihrem Benehmen verständiget.

Innsbruck am 3ten Juny 1819.
Ferdinand Gr. Bissingen

 Schreiben Gubernium an Lyzealrektor Benitius Mayr v. 3. Juni 1819. UAI, PhilFak 1816–1822.

 

Um auch im kommenden Studienjahre unter den hiesigen Studierenden jene Soliditaet in jeder Beziehung aufrecht zu erhalten, durch welche sich im verfloßenen Jahre die hiesige Lizeal-Anstalt durch das gleich, thätige Einwirken der Herrn Studien-Direktoren und Professoren vor so manchen andern der Monarchie auszeichnete, und unangenehme Untersuchungen, Abschaffungen von Studierenden p hintangehalten hat; finde ich es für nöthig, denselben auch anzuempfehlen, sorgsam zu wachen, daß nicht durch von den Vakanzen Zurückkehrende, und durch neue Ankömmlinge eine unanständige auffallende Burschikose Kleidung unter den Studierenden zur Sitte werde.

In dieser Beziehung erhalten der Herr Direktor daher den Auftrag, nur gleich im Anfange dießfalls mit folgereicher Energie zu Werke zu gehen, durchaus keinen Studierenden zu inscribiren, der dießfalls gegen die bestehenden Vorschriften, und gegen die allerhöchste Willensmeinung Seiner Majestät durch eine auffallende Kleidung -  Schnur- und Spitzbärtchen, langen Haarenwuchs, Knittel-Stöcken, Ziegenleimer genannt u.s.w. sich auszuzeichnen strebt, sondern denselben auf die bestehenden Verbothe, und deren Befolgung hinzuweisen, und erst dann, wann dieses befolgt ist, und der Student, wenn gleich in ärmlicher, doch in vollkommen anständiger Kleidung erscheint, zur Inskription zuzulassen.

Im übrigen bin ich überzeugt, daß die Herren Studien-Direktoren und Professoren eben so, wie im verflossenen Jahre rühmlichst bemüht seyn werden, einen guten, dem Zwecke der Studirenden entsprechenden Geist unter denselben zu erhalten, und so auf die Zufriedenheit Seiner Majestät sich Ansprüche zu sammeln.

Innsbruck am 28ten Oktober 1820.

Chotek

Schreiben Gouverneur an Professor Bertholdi als Direktor des theologischen Studiums v. 28. Oktober 1820. UAI, PhilFak 1816–1822.
Gleichlautende Schreiben ergingen an die anderen Fakultätsdirektoren.

Die in den Befreiungskriegen geweckten Ideen und Vorstellungen von Freiheit wurden nach der (Neu-)Ordnung Europas im Wiener Kongress rasch als übel verstandene Freiheit eingestuft. Sie zeigten sich allerdings sehr massiv auf dem Wartburgfest von 1817. Gerade im Kaisertum Österreich war sehr schnell klar, dass dieses neue, (im damaligen Sinne) liberale und national(staatlich)e Gedankengut und die damit ausgelösten Bewegungen zu einer großen Bedrohung für seinen Bestand würden. Daher waren die Professoren aufgerufen, die Verbreitung dieser Ideen bei ihren Studenten und deren jugendlicher Begeisterung oder auch vorhandenen Reflexionsfähigkeit zu unterbinden. Die für den Deutschen Bund geltenden Karlsbader Beschlüsse vom August 1819 mit u.a. der angeordneten Überwachung der Universitäten, der Zensur und Berufsverboten für liberal gesinnte Professoren unterstützten formal dieses Vorgehen. Die „antiliberale Reaktion“ (Grillparzer) setzte ein.

​(Margret Friedrich)

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