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25. Juli 1934: Die Nationalsozialisten in Österreich

1. Dokument
Vernehmung des Vorstands des staatspolizeilichen Büros im Bundeskanzleramt Hofrat Bruno Hantsch, 28. 7. 1934

2. Dokument
Vernehmung des Staatssekretärs für das Sicherheitswesen Carl Karwinsky, 7. 8. 1934

3. Dokument
Mussolini an Dollfuß, 1. Juli 1933

4. Dokument
Begleitbrief Heydrichs vom 9. Dezember 1938 zur Übersendung der Akte an den Reichsführer SS Heinrich Himmler

5. Dokument
Die Ereignisse am Nachmittag des 25. Juli 1934 am Ballhausplatz und im Landesverteidigungsministerium


Dokument 1

Vernehmung des Vorstands des staatspolizeilichen Büros im Bundeskanzleramt Hofrat Bruno Hantsch, 28. 7. 1934

Mittwoch, den 25. Juli laufenden Jahres - es dürfte meines Erinnerns zwischen 12 Uhr 30 und 12 Uhr 45 gewesen sein - hat mich Herr Staatssekretär Karwinsky vom Ballhausplatz, wie ich annahm, aus dem Ministerrat, telefonisch angerufen. Er teilte mir mit, dass zufolge einer ihm durch Herrn Bundesminister Fey zugekommenen Information in einer Turnhalle in der Siebensterngasse als Sicherheitswache und Militär uniformierte Personen unter bedenklichen Begleitumständen sich versammelt hätten. Es sei von diesen Leuten angeblich eine Aktion gegen das BKA. geplant. Der Herr Staatssekretär habe hinsichtlich des Gebäudes Ballhausplatz bereits dem Herrn Polizeipräsidenten die nötigen Aufträge erteilt. Er beauftragte mich, zunächst unter Vermeidung jedweder Beunruhigung der Beamtenschaft die erforderlichen Sicherungsmassnahmen für das Gebäude Herrengasse zu treffen. Schliesslich beauftragte er mich, über besondere Vorfälle und Begebenheiten ihm in das Arbeitszimmer des Herrn Bundeskanzlers telefonisch zu berichten.

Gemäss der Weisung des Herrn Staatssekretärs entsendete ich sofort Herrn Min.O.Koär. Dr. Hantschk zur Portierloge mit dem Auftrage, die den Sicherungsdienst versehenden Beamten anzuweisen, eine äusserst rigorose Kontrolle der in das BKA. Einlass begehrenden Personen durchzuführen, Autos die Einfahrt zu verwehren und gegebenenfalls das Tor schliessen zu lassen,

Dr. Hantschk hat mir den Vollzug dieses Auftrages in kürzester Frist gemeldet.

Vom Bestreben geleitet, mich über den vom Herrn Staatssekretär nur kurz angedeuteten Sachverhalt näher zu informieren, habe ich Hofrat Dr. Presser telefonisch angerufen und ihn gefragt, was eigentlich in der Siebensterngasse vorgehe. Hofr. Dr. Presser hat mich dahin informiert, dass auf Grund der dem Herrn Polizeipräsidenten durch den Herrn Staatssekretär zugekommenen Mitteilungen eine grössere Anzahl von Beamten in die Siebensterngasse entsendet worden sei, um dort den Sachverhalt zu klären. Hofr. Dr. Presser hat mir, wie ich vermute, in diesem Zusammenhang, möglicherweise aber auch im Verlauf eines zweiten Telefongespräches mitgeteilt, dass die Polizeidirektion aus verlässlicher Quelle Nachricht erhalten habe, der zufolge ein Anschlag auf die Person des Herrn Bundeskanzlers am Michaelerplatz geplant sei. Er habe deshalb dortselbst weitgehende Sicherheitsvorkehrungen getroffen. In der weiteren Folge begab ich mich in das Dienstzimmer der Herren Dr. Pamer und Dr. Walterskirchen und habe vom geöffneten Fenster aus die Vorgänge auf der Strasse und im Besonderen auf dem Michaelerplatz beobachten wollen. Tatsächlich konnte ich feststellen, dass ein Autotaxi (?) visavis dem Gebäude des BKA Herrengasse 7 hielt, dem 4 oder 5 Herren in Zivil entstiegen, die ich deshalb als Kriminalbeamte ansprechen konnte, weil einer dieser Herren mir aus seiner vorübergehenden Dienstleistung in Salzburg bekannt war. Diese Herren begaben sich in raschem Tempo auf den Michaelerplatz.

Ich möchte noch ergänzend bemerken, dass ich Hofr. Dr. Presser auch um eine entsprechende Verstärkung des Sicherheitsdienstes im BKA Herrengasse 7 dringend gebeten habe, was er mich [sic!] auch zusagte. Eine Mitteilung über die Art der Verstärkung ist mir nicht zugekommen. In der weiteren Folge erhielt ich einen Anruf des Herrn Pol. Präsidenten Dr. Seydel, der mir lediglich die Worte zurief: "Ich kann Dir nur sagen, dass es tut sich Verschiedenes! In einem späteren Zeitpunkte, die genaue Zeit ist mir nicht mehr erinnerlich, wendete sich der Polizei-Präsident auf telefonischem Wege an mich mit der Frage, ob ich nicht wüsste, wer das BKA Ballhausplatz besetzt habe, sowie der Frage, ob dies Regierungstreue oder regierungsfeindliche Elemente seien. Diese Frage konnte ich nicht beantworten. Während der Zeit, innerhalb welcher ich die Gespräche mit der Polizeidirektion Wien führte, versuchte ich mehrmals, eine Verbindung mit Herrn Staatssekretär Karwinsky zu erhalten, jedoch meldete sich die Hauszentrale am Ballhausplatz nicht, was ich zunächst mir mit einer Ueberbelastung der dortigen Leitungen erklärte. Die erste nähere Nachricht über die Vorgänge in der Siebensterngasse und am Ballhausplatz erhielt ich von Kb. Bez.Insp. Marek, doch dürften diese erst in der Zeit zwischen 4 und 5 Uhr erfolgt sein,

Um 1/2 3 Uhr begab ich mich in die Abteilung 6, um von den Fenstern, die auf den Ballhausplatz Aussicht gewähren, die Vorgänge dortselbst beobachten zu können. Ich wurde jedoch alsbald zum Herrn Justizminister Dr. Berger berufen, der mich beauftragte, mich ihm zur Verfügung zu stellen. Soweit der Herr Minister die im Zuge der Ereignisse notwendigen Verfügungen nicht persönlich getroffen hat, habe ich selbe über erhaltenen Auftrag durchgeführt.

Vorgelesen, geschlossen und gefertigt.

Vor:

Allgayer m. p.                                                                                              Hofrat Bruno Hantsch m. p.

Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik - Allgemeines Verwaltungsarchiv. Bundeskanzleramt - Inneres, Präsidium. Juli-Putsch 1934 (Protokolle, Berichte). 


Dokument 2

Vernehmung des Staatssekretärs für das Sicherheitswesen Carl Karwinsky, 7. 8. 1934

Dem Herrn Minister Fey stand am 25. Juli 1934 in seiner Eigenschaft als Generalstaatskommissär keinerlei Befugnis zu einer direkten Einflussnahme in Angelegenheit des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu. Der Wirkungskreis des Generalstaatskommissärs war damals und ist auch heute noch nicht gesetzlich geregelt.

Als anlässlich der letzten Kabinettsumbildung unter dem verewigten Bundeskanzler Dr. Dollfuss die Funktion eines Generalstaatskommissärs geschaffen wurde, fanden beim Herrn Bundeskanzler mehrfache Besprechungen über den künftigen Wirkungskreis des Generalstaatskommissärs statt.

Ich erinnere mich insbesonders an zwei jedes Mal mehrere Stunden währende Besprechungen, bei deren einer ausser dem Bundeskanzler der Vizekanzler, Min. Fey und ich anwesend waren, während bei der zweiten der Bundeskanzler, Minister Fey, ich und zeitweise Bundeskommissär Dr. Fleisch teilnahmen.

Bei dieser zweiten Besprechung legte Minister Fey einen schriftlichen Entwurf vor, welcher die Befugnisse des Generalstaatskommissärs auf Grund der ersterwähnten Besprechung, die tags vorher stattgefunden hat, umschreiben sollte.

Im Gegensatze zu den Besprechungen am Vortage enthielt dieser schriftliche Entwurf unter anderem einen Passus, wonach dem Generalstaatskommissär eine direkte Einflussnahme auf die Angelegenheiten des Sicherheitswesens zustehen solle. Ich verlangte die Streichung dieser Bestimmung mit der Begründung, dass es meiner Meinung nach gerade in Angelegenheiten des Sicherheitsdienstes unerlässlich sei, dass es nur eine oberste Stelle geben darf, welche zu Verfügungen auf dem Gebiete des Sicherheitswesens berufen sei, da sonst die unteren Instanzen nicht wüssten, wer ihr Herr sei, wodurch eine straffe und eindeutige Führung dieses Dienstes schwer gefährdet werden würde.

Der verewigte Bundeskanzler trat dieser Meinung bei und nach langwierigen Verhandlungen willigte schliesslich auch Major Fey in die Streichung des vorerwähnten Passus ein.

Es stand daher von jenem Zeitpunkt an unzweifelhaft fest, dass direkte Verfügungen auf dem Gebiete des Sicherheitswesens vom Generalstaatskommissär nicht getroffen werden dürften, sondern dass er sowie anderen Ressorts gegenüber auch auf dem Gebiete des Sicherheitswesens nur nach vorher erzieltem Einvernehmen mit dem Leiter des Ressorts irgendwelche Verfügungen hätte treffen dürfen.

Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik - Allgemeines Verwaltungsarchiv. Bundeskanzleramt - Inneres, Präsidium. Juli-Putsch 1934 (Protokolle, Berichte). 


Dokument 3

Vernehmung des Polizeipräsidenten von Wien Dr. Eugen Seydel, 1. 8. 1934

Am Unglückstage, einige Minuten vor 1/21 Uhr mittags (an die genaue Zeit habe ich nicht vermerkt) rief Herr Staatssekretär Karwinsky mich vom Ballhausplatz telefonisch an und teilte mir Folgendes mit:

1.) Herr Bundesminister Fey habe eine Nachricht gebracht, der zufolge in der "nächsten Zeit" grosse Ueberraschungen seitens der Nazi zu gewärtigen seien.

2.) beauftragte mich Herr Staatssekretär Karwinsky rascheste Erhebungen in folgender Angelegenheit durchzuführen: Es sei Nachricht hier, dass in der Siebensterngasse in der Turnhalle Uniformierte seien, es heisst Wachebeamte und Heeresangehörige. Vor dem Lokal befanden sich Lastautos. Es solle auch auf oder abgeladen werden.

Herr Staatssekretär Karwinsky fügte bei, ich hätte auch festzustellen, ob nicht etwa dieses Lokal einem der Wehrverbände zugewiesen worden sei.

Ich rief sofort telephonisch den Chef der Staatspolizei Hofrat Dr. Presser an und beauftragte ihn mit der sofortigen Durchführung des ersten Teiles der Erhebungen mit dem Bemerken, dass unverzüglich unter der Leitung eines verlässlichen Konzeptsbeamten eine Anzahl von Kriminalbeamten selbstverständlich per Auto in die Siebensterngasse geschickt werden. Hofr. Dr. Presser erklärte in raschen Sätzen ungefähr folgendes:

"Herr Präsident, ich werde das raschestens veranlassen, vorher aber muss ich noch rasch Aufträge geben, die unbedingt wichtiger sind als das, was mir eben aufgetragen wurde. Ich kann nur kurz melden, dass wir aus verlässlicher Quelle Nachricht erhalten haben, auf den Herrn Bundeskanzler solle auf dem Michaelerplatz oder in der Herrengasse bei seiner Rückkehr aus dem Bundeskanzleramt ein Attentat verübt werden. Sobald ich die erforderlichen Weisungen erteilt habe, werde ich das andere sofort durchführen."

Inzwischen stellte ich bei Hofr. Dr. Pichler fest, dass das Lokal in der Siebensterngasse keinem Wehrverband überlassen worden sei, sondern dass es sich offenbar um die Turnhalle des Deutschen Turnerbundes handle.

Ich berichtete hierüber Herrn Staatssekretär Karwinsky umgehend, der auf die Dringlichkeit der Erhebungen in der Siebensterngasse aufmerksam machte und weiters den Auftrag gab, eine unauffällige Verstärkung der Uniformierten (Sicherheitswache) in der Umgebung des Ballhausplatzes rasch durchzuführen.

Ich berief telefonisch den in der Polizei-Direktion anwesenden Generalinspektor Dr. Manda zu mir, der unverzüglich erschien und die erforderlichen Weisungen erhielt. Ich stellte fest, dass auf Grund des bezüglichen Befehles des Generalinspektors der Sicherheitswache der Stellvertreter der Sicherheitswachabteilung Innere Stadt Polizeikommissär Dr. Springer mit einigen Wachebeamten zum Bundeskanzleramt mittels Motorrades abgefahren ist. Wie die traurigen Ereignisse gezeigt haben, war Dr. Springer, nachdem er nach seiner Meldung die Umgebung des Bundeskanzleramtes mehrmals umfahren hatte, ohne etwas Bedenkliches wahrzunehmen, in die Hauseinfahrt des Bundeskanzlers eingetreten und suchte sich dort durch Rücksprache mit Kriminalbeamtenoberinspektor Dr. Göbel über die Situation zu informieren.

Auf weiteren dringlichen Anruf des Herrn Staatssekretärs, ob ich bezüglich Siebensterngasse noch keine Meldung erstatten könne, bemerkte ich, dass ich noch keine Antwort habe, Hofrat Dr. Presser habe gemeldet, dass Polizeirat Dr. Penn der Stellvertreter des Leiters der Kriminalbeamtenabteilung bei der Bundespolizeidirektion, mit der raschesten Durchführung der Amtshandlung betraut worden sei. Staatssekretär Karwinsky gab nun den Auftrag, dass Dr. Penn das Resultat seiner Erhebungen ihm persönlich ehestens zu berichten habe. Er seinerseits habe in Erfahrung gebracht, dass ungefähr 30 uniformierte Wachebeamte und Heeresangehörige dort gesichtet worden seien. Der dorthin geschickte Krim.Beamte Marek sei verhaftet worden. Es gehe etwas Besonderes vor, es müssten unbedingt verlässliche Leute geschickt werden.

Ich gab schon von allem Anfang an der Erwägung Raum, ob nicht der besonderen Raschheit halber die Erhebung direkt durch das Koat Neubau zu erfolgen hätte, hatte mich jedoch zur Durchführung der Amtshandlung von der Zentrale aus entschlossen, weil sie die absolute Gewähr der genaueren Durchführung bot und überdies den der Polizei wiederholt gemachten Vorwurf entkräften würde, dass die Koate nicht mit der entsprechenden Gründlichkeit oder gar unter einer gewissen politischen Beeinflussung arbeiten. Als ich nach 3/41 mittags noch ohne eine Meldung war, ersuchte ich den eben in meinem Büro erschienen Vizepräsidenten Dr. Skubl doch auch unmittelbar Erhebungen durch das Koat. Neubau durchführen zu lassen, welchem Ersuchen der genannte Funktionär, der sofort in sein Arbeitszimmer zurückging, entsprochen hat.

Etwas später erfuhr ich auf Grund der Wahrnehmungen der Wache, dass auf dem Ballhausplatz und in dessen Umgebung keine besonderen Wahrnehmungen gemacht worden seien. Eine weitere Meldung (von wem ist mir nicht erinnerlich) besagte, dass inzwischen Militär und Polizei in Lastautos in das Bundeskanzleramt eingefahren und somit eine Sicherung gegeben sei, die Tore des Bundeskanzleramtes seien gesperrt worden. Durch Hofr. Dr. Presser wurde mir berichtet, dass in der Siebensterngasse von dem zur Amtshandlung entsendeten Polizeirat Dr. Penn ein Auto mit Munition beschlagnahmt worden sei und ich ehestens über Details würde informiert werden. Zwischen 1 Uhr und 1/42 Uhr erschien Hauptmann Bürgmann vom Wiener Heimatschutz in meinem Büro und teilte mir mit, er sei auch auf Grund eines Avisos zum Ballhausplatz geeilt und habe erfahren, dass Militär in das Gebäude eingefahren sei und die Tore geschlossen seien. Er sei daher - was seine ursprüngliche Absicht gewesen sei-, nicht mehr in das Haus gelangt. Er meinte, da werde ja alles in Ordnung sein. Abermals nach einer kurzen Spanne Zeit wurde mir plötzlich gemeldet, dass Wachebeamte auf dem Ballhausplatz oder in dessen Umgebung den Stabshauptmann Thun und eine Anzahl von Sicherheitswachebeamten im Namen des neuen Polizeipräsidenten Dr. Steinhäusl und des neuen Generalinspektors Dr. Gotzmann aufgefordert hätten, ihre Waffen abzuliefern. Hiemit war die Situation blitzartig in der Richtung geklärt, dass eine illegale Aktion vorliege, der mit allen gebotenen Kräften raschestens Einhalt getan werden müsse. Es setzte eine umfassende Gegenaktion durch unverzügliche Ausschickung der Alarmabteilung und Entsendung des Hofrates Dr. Humpel zum Ballhausplatz ein. Es war klar, dass die auf Lastautos im Bundeskanzleramt eingedrungenen unformierten Personen eine Ueberrumpelung durchgeführt hatten.

Besondere Hervorhebung verdient, dass der früher erwähnte Polizeikommissär Dr. Springer der den Krieg mitgemacht hat und ein äusserst schneidiger Polizeioffizier ist, die Putschisten ebenso für echtes Militär bezw. Wachmannschaft hielt, wie in der Siebensterngasse der mit der dortigen Amtshandlung betraute Polizeirat Dr. Penn, der nach einer nachträglichen Meldung diesem Transport in der Siebensterngasse begegnet war. Beweis hiefür ist auch der Umstand, dass Dr. Penn ihm weder selbst nachgefahren ist, noch die Verfolgung eingeleitet hat, vielmehr die früher erwähnten Feststellungen in der Siebensterngasse durchführte. Es stellte sich später ja auch heraus, dass unter den 148 festgenommenen Putschisten 106 ehemalige Heeresangehörige, die zumeist sechs Jahre oder länger gedient hatten, sich befanden. Ausschlaggebend für das Gelingen der Täuschung so zahlreicher Polizeiorgane war zweifellos auch der Umstand, dass der Transport von Personen in Offizierskleidung- darunter einem vermeintlichen Stabsoffizier befehligt war.

Abgesehen von dieser gelungenen Täuschung wurde die nicht rechtzeitige Verwendung eines entsprechenden Polizeiapparates dadurch verursacht, dass nach den vorliegenden Mitteilungen von einer "Aktion" insbesonders einer bewaffneten Aktion gegen das Bundeskanzleramt nicht die Rede war. Aus diesem Grunde musste der "Michaelerplatzaktion" der Vorzug gegeben werden. Die weitere Untersuchung hat auch tatsächlich ergeben, dass auf dem Michaelerplatz ein zweifellos mit dem grossen Putschplan im Zusammenhang stehender Anschlag, an dem der geflüchtete Rechtsanwalt Dr. Wächter und der verhaftete Ing. Blaschke beteiligt waren, in Vorbereitung begriffen war. Wäre die Bundespolizeidirektion schon von den zahlreichen Personen, die um die geplante Aktion schon früher Näheres wußten, verständigt worden, hätte das furchtbare Unglück selbstverständlich vermieden werden können.

Dr. Eugen Seydel m.p.

Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik - Allgemeines Verwaltungsarchiv. Bundeskanzleramt - Inneres, Präsidium. Juli-Putsch 1934 (Protokolle, Berichte). 


Dokument 4

Begleitbrief Heydrichs vom 9. Dezember 1938 zur Übersendung der Akte an den Reichsführer SS Heinrich Himmler

Geheim

An den
Reichsführer SS,

B e r l i n  SW 11
Prinz Albrecht Str. 8.

Betr.: Historische Kommission des RF SS.
Vorg.: Befehle RF SS vom 25. und 27. 4. 1938.
Anl.: 4

I. Sachstand: 

Der Reichsführer SS hat mit Befehlen vom 25. und 27. 4. 1938 die Bildung einer Kommission angeordnet, die sich aus Vertretern des SD-Hauptamtes, des SS-Hauptamtes, des SS-Gerichtes und des Geheimen Staatspolizeiamtes zusammensetzen und folgende Aufgaben durchführen sollte:

  1. Die Ereignisse bei der Erhebung vom 25. Juli 1934 in Österreich zu klären, dabei die Schuldigen sowohl auf nationalsozialistischer wie auf gegnerischer Seite festzustellen.
  2. Die Personen festzustellen und festzusetzen, welche für die gegen SS-Männer in Österreich gerichteten schweren Bestrafungen verantwortlich sind.

Den Vorsitz dieser im Juni d.Js. gebildeten Kommission hat SS-Gruppenführer  K o p p e  geführt. Die praktische Arbeit hat SS-Standartenführer Dr.  S i x  als Geschäftsführer der Kommission geleitet. Er hat ein aus Führern und Männern seines Dienstbereiches gebildetes Arbeitskommando in Wien eingesetzt. Die Arbeiten dieses Kommandos erstrecken sich auf folgende 4 Hauptaufgaben:

  1. Untersuchung über die Ereignisse bei der Erhebung vom 25. Juli 1934 in Österreich.
  2. Feststellung und Festsetzung der Personen, welche die Verantwortung für die gegen SS-Männer gefällten schweren Kerker- und Todesstrafen tragen.
  3. Untersuchung über die letzten politischen Ereignisse in Österreich für März 1938.
  4. Feststellung der kriminellen und verfassungsrechtlichen Verfehlungen Schuschniggs.

Die Tätigkeit des Arbeitskommandos hat bisher zu folgendem Ergebnis geführt:

  1. Untersuchung über die Ereignisse bei der Erhebung vom 25. Juli 1934 in Österreich.

    Von den wesentlichen Problemen ist nur eines noch nicht vollständig geklärt, die Frage, wer den zweiten Schuß auf Dollfuss abgegeben hat. Die hierzu nötigen Untersuchungen können erst jetzt durchgeführt werden, nachdem der Reichsführer-SS dem SS-Mann, der u. U. als Täter in Betracht kommt, Straffreiheit zugesichert und genehmigt hat, dass die SS-Männer, die bei der Erschiessung zugegen waren, im Beisein hoher SS-Männer in ein Kreuzverhör genommen werden. Ausserdem ist für Aufklärung dieser Frage noch eine Durchröntgung der Leiche Dollfuss notwendig.

    Daneben sind noch einige kleinere Probleme zu untersuchen, z. B. der Plan einer Aktion gegen Dollfuss auf dem Michaelerplatz in Wien, das Verhalten des SS-Untersturmführers Hudel bei der Juli-Erhebung.

    Alle übrigen Probleme sind geklärt. Hierüber liegt ein Bericht des SS-Untersturmführers Patzschke vor (Anl. I).

  2. Feststellung und Festsetzung der Personen, welche die Verantwortung für die gegen SS-Männer gefällten schweren Kerker- und Todesstrafen tragen.

    1. Schuldige im Zusammenhang mit dem Militärgerichtshofverfahren gegen Holzweber und Planetta.
      Es ist festgestellt, dass dieses Verfahren nicht ordnungsgemäss durchgeführt wurde, und dass daher verschiedene daran Beteiligte (Richter, Staatsanwälte) sich strafbar gemacht haben.
    2. Schuldige im Zusammenhang mit dem Militärgerichtshofverfahren, welche sich gegen die übrigen im Bundeskanzleramt festgenommenen Nationalsozialisten richteten.
      Gegen diese muss besonders vorgegangen werden, da sie dafür verantwortlich sind, dass das den Nationalsozialisten gegebene Versprechen des freien Geleites gebrochen wurde. Das Problem des freien Geleites ist durch die Untersuchungen des Arbeitskommandos tatsächlich und rechtlich völlig geklärt.
    3. Schuldige im Zusammenhang mit dem Militärgerichtshofverfahren, welche sich gegen alle übrigen an der Juli-Erhebung Beteiligten richteten, und Schuldige im Zusammenhang mit Strafverfahren gegen die ausserhalb der Juli-Erhebung verurteilten SS-Männer.
      Die Polizei- und Gerichtsakten sind im wesentlichen durchgesetzt.
  3. Untersuchung über die letzten politischen Ereignisse in Österreich vor März 1938.

    Die Feststellungen des Arbeitskommandos sind in dem geschichtlichen Bericht des SS-Untersturmführers Rossberg (Anlage II und III) enthalten.

  4. Feststellung der kriminellen und verfassungsrechtlichen Verfehlungen Schuschniggs.

    Das dem Arbeitskommando vorliegende Material ist bearbeitet, und es sind darauf gewisse Anklagepunkte bereits zusammengestellt. Weiteres Material, welches für eine umfassende Betrachtung wesentlich ist, befindet sich noch bei anderen Dienststellen in Österreich. Zu einer abschließenden Beurteilung ist notwendig

    1. die Herbeischaffung des bei anderen Dienststellen befindlichen Materials,
    2. eine Untersuchung auf breiterer Basis, insbesondere Vernehmungen führender Personen des Systems - Schmitz, Seitz u. a. - und aus der Umgebung Schuschniggs,
    3. nach alledem eine eingehende Vernehmung Schuschniggs.

[...]

  1. Rehabilitierung Planettas.

    Durch die Untersuchungen des Arbeitskommandos der Kommission ist der Hauptbelastungszeuge im Holzweber-Planetta-Prozess, der tschechische Türhüter  H e d v i c e k, des Meineides einwandfrei überführt (vergl. Bericht I S. 59). Hedvicek muss also dem Gericht übergeben werden, und es ist zu erwarten, dass er wegen Meineids verurteilt werden wird. Ein gegen Hedvicek durchgeführtes Meineidverfahren wird, da bereits im Frühjahr ds. Js. in der österreichischen Presse die Wiederaufnahme des Holzweber-Planetta-Prozesses mehrfach angekündigt wurde, mit Sicherheit zur Folge haben, dass die Öffentlichkeit die Wiederaufnahme dieses Verfahrens erwarten wird. Es ist anzunehmen, dass das Wiederaufnahmeverfahren die Verurteilung Planettas wegen Mordes aufheben wird. Die Aufhebung der Verurteilung wegen Mordes würde zur Rehabilitierung Planettas nicht genügen, da dieser nicht allein wegen Mordes, sondern auch wegen Hochverrats verurteilt wurde. Allerdings war das Urteil insoweit ebenfalls nicht formell begründet; denn es ist durch die Untersuchungen des Arbeitskommandos einwandfrei festgestellt, dass die Regierung, gegen die sich die Erhebung vom Juli 1934 richtete, nicht verfassungsmäßig fungierte. Das Vorgehen der Nationalsozialisten war daher kein Hochverrat. Zu der Frage des Hochverrats müsste auch in dem Wiederaufnahmeverfahren schon deshalb Stellung genommen werden, weil die von diesem Verfahren nicht zu trennende Anklage gegen Holzweber sich allein auf den Vorwurf des Hochverrats gründete.

    Ein Wiederaufnahmeverfahren Holzweber-Planetta schließt die Gefahr in sich, dass die u. U. heikle Frage des zweiten auf Dollfuss abgegebenen Schusses vor dem Gericht und in der Öffentlichkeit erörtert werden könnte. Doch könnte dieses durch Besprechungen mit der Staatsanwaltschaft verhindert werden.

    Das Wiederaufnahmeverfahren Holzweber-Planetta würde eine Stellungnahme dazu notwendig machen, ob auch die anderen Verfahren, zumindest soweit sie sich gegen die im Bundeskanzleramt festgenommenen Nationalsozialisten richteten, wieder aufgenommen werden sollen. Gegen die Wiederaufnahme dieser Verfahren spricht vor allem, dass hier eine sehr grosse Zahl von Prozessen durchgeführt werden müsste. Aus diesem Grunde würde sich die Einrichtung einer besonderen Justizstelle notwendig machen.

  2. Untersuchung über die Erhebung des 25. Juli 1934.

    1. Durchröntgung der Leiche Dollfuss'.
      Aus dem Bericht über "Die Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934" (Anl. I) geht hervor, dass die Untersuchung über die Erschiessung Dollfuss' eine Durchröntgung der Leiche Dollfuss' erfordert. Nach dem Gutachten des Leiters des Instituts für gerichtliche Medizin in Wien, Professor Dr. Werkgartner, der 1934 die gerichtsärztlichen Untersuchungen in der Sache Dollfuss durchführte, ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass sich durch die Durchröntgung das bisher vermisste zweite Geschoss auffinden läßt. Es könnte u. U. aus der Art und der Grösse des Geschosses festgestellt werden, wer den zweiten Schuss auf Dollfuss abgab.
    2. Gegenüber den vielen Veröffentlichungen über die Erhebung vom 25. Juli 1934 von gegnerischer (marxistischer und vaterländischer) Seite besteht noch keine zusammenfassende Darstellung, welche vom nationalsozialistischen Standpunkt aus ein Bild der Erhebung gibt.

III. Weitere Arbeit.

Es wird vorgeschlagen:

  1. RFSS genehmigt, dass das Arbeitskommando der Historischen Kommission des Reichsführers-SS neben der Erledigung der Nebenprobleme und der Durchführung des Kreuzverhörs der bei der Erschiessung Dollfuss' anwesenden Zeugen folgende restliche Aufgaben durchführt:

    1. Die Übergabe des Materials gegen den Hauptbelastungszeugen vom Holzweber-Planetta-Prozess, Hetvicek [sic!], an die Staatsanwaltschaft,
    2. Die Durchröntgung der Leiche Dollfuss'.
    3. Zur Rehabilitierung der verurteilten Nationalsozialisten wird vorgeschlagen:
      entweder die Verurteilung des Hetvicek [sic!] oder im Anschluss daran allein die Wiederaufnahme des Verfahrens Holzweber-Planetta genügen zu lassen.
  2. RFSS genehmigt, dass die Berichte Anl. I-IV über die politische Entwicklung in Österreich in der Zeit von 1918 bis März 1938 und über die Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934 in einer auf die Öffentlichkeit zugeschnittenen Darstellung zusammengefasst und als Buch herausgegeben werden, um der Nachwelt ein Zeugnis über die letzte politische Entwicklung in Österreich vor der Machtübernahme zu geben und ein Dokument zu schaffen, aus welchem die Stellungnahme der Partei zu den Ereignissen vom 25. Juli 1934 hervorgeht.

IV. Ausser an Reichsleiter Bormann wurden die Denkschriften IV. übersandt an

  1. Generalfeldmarschall  G ö r i n g
  2. Reichsminister Dr.  L a m m e r s
  3. Reichsminister von  R i b b e n t r o p
  4. Gauleiter  B ü r c k e l
  5. Reichsstatthalter  S e i ß-I n q u a r t  [sic!]
  6. alle Amtschefs

Ausserdem sollen die Denkschriften erhalten sämtliche Mitglieder der Historischen Kommission.

[Heydrich m. p.]

Österreichisches Institut für Zeitgeschichte Wien, Bestand 25. Juli 1934. Auch gedruckt in: Die Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934. Wien 1984.


Dokument 5

Die Ereignisse am Nachmittag des 25. Juli 1934 am Ballhausplatz und im Landesverteidigungsministerium

Besetzung des Bundeskanzleramtes -
Erschiessung Dollfuss'

12.50 Uhr, noch ehe der Kriminalinspektor Göbel im Bundeskanzleramt auf die Anweisung Karwinskys hin etwas veranlasst hatte, marschierte die zur Ablösung bestimmte Wachtruppe vom Minoritenplatz her in das offene Tor des Bundeskanzleramtes. Bevor die Ablösung vor sich gehen konnte, bogen die Wagen der Nationalsozialisten, von der Löwelstrasse her kommend, in das Tor des Bundeskanzleramtes ein. Die dort stehenden Kriminalbeamten liessen die Wagen einfahren. Sie haben später glaubhaft erklärt, dass sie annahmen, die Mannschaften auf den Lastwagen seien zur Verstärkung der Wache gekommen. Die mit den Lastkraftwagen eingefahrenen Nationalsozialisten führten die ersten Maßnahmen zur Besetzung des Bundeskanzleramtes, ohne besonderen Widerstand zu finden, durch. Sie sprangen nach der Einfahrt sofort von den Wagen und zwangen mit gezogenen Pistolen alle Personen, die ihnen begegneten, die Hände zu erheben und sich nach Waffen durchsuchen zu lassen. Sie erklärten den anwesenden Beamten, daß die Aktion "im Namen des Bundespräsidenten" durchgeführt werden müsse. Holzweber nahm persönlich den Kommandanten der Ehrenwache, die vormittags Dienst getan hatte, Vizeleutnant Babka, fest. Andere Nationalsozialisten verhafteten den Kommandanten der ablösenden Wache und die beiden Wachmannschaften selbst. Auch der von der Polizeidirektion zur Beobachtung des Bundeskanzleramtes entsandte Polizeikommissär wurde gestellt. Die in den unteren Räumen verhafteten Personen wurden in einem Hof des Gebäudes versammelt und unter Bewachung gesetzt.

Als die Nationalsozialisten im Bundeskanzleramt eintrafen, befanden sich Dollfuss, Fey und Karwinsky noch immer im Arbeitszimmer Dollfuss'. Kurz nach 12.50 Uhr hörte Karwinsky das Motorengeräusch der einfahrenden Lastkraftwagen und er trat deshalb an das Fenster. Er glaubte zunächst, die angeforderte Polizeiverstärkung laufe ein, doch sah er nun, an der seltsamen Zusammensetzung von Polizei und unordentlich uniformiertem Militär, daß es sich nicht um reguläre Organe handelte. Er wollte seine Beobachtung Dollfuss zurufen, als der Heimatschutzführer, Hauptmann Mayer, in das Zimmer trat und mitteilte, es seien "Bewaffnete" in das Haus eingedrungen. Dollfuss, Fey und Karwinsky gingen schnell vom Arbeitszimmer Dollfuss' in den anschliessenden Säulensaal, um von dessen Fenstern hinabzusehen. Indessen war der Lärm von den Vorgängen in den unteren Räumen und der heraufstürmenden Gruppen der Nationalsozialisten zu hören. Noch ehe Dollfuss an die Fenster des Säulensaales getreten war, meldete der zu seiner Bewachung gehörende Kriminalbeamte Steinberger das Eindringen von "Soldaten". Dollfuss sagte darauf verwundert: "So, Soldaten?" und blieb unschlüssig stehen. Jetzt kam der Türhüter Hedvicek in das Säulenzimmer. Mit den Worten "Herr Bundeskanzler, schnell" fasste er Dollfuss' rechte Hand mit seiner linken und eilte mit ihm zurück in die Richtung des Arbeitszimmers. Hedvicek hatte schon früher dem Kriminalbeamten Steinberger gegenüber geäussert, er werde, wenn der Kanzler einmal bedroht werden sollte, diesen durch eine geheime Wendeltreppe ins Freie führen. Diese Treppe befindet sich neben einem Raum, zu dem man vom Säulensaal aus durch das Arbeitszimmer Dollfuss' in das sogenannte Eckzimmer gelangt. Hedvicek wollte in jenem Augenblick Dollfuss vom Säulensaal aus zu der geheimen Wendeltreppe bringen.

Für die Besetzung der oberen Stockwerke des Bundeskanzleramtes waren von den Nationalsozialisten mehrere Gruppen eingeteilt worden. Die Festnahme des Ministerrates war der Gruppe Holzweber zugedacht. Diese Gruppe lief deshalb, nachdem sie das erste Stockwerk erreicht hatte, in Richtung des rechts des Treppenhauses liegenden Ganges dem Ministerratszimmer zu, in der Absicht, den Ministerrat, welchen man dort anzutreffen glaubte, zu verhaften. Planetta führte eine andere Gruppe zum ersten Stockwerk. Es ist nicht festgestellt, welchen Auftrag Planetta durchzuführen hatte. Wahrscheinlich wollte er mit seiner Gruppe die nach dem Ballhausplatz zu liegenden Zimmer besetzen. Er lief deshalb sofort vom Treppenhaus einen kleinen rechtswinklig abbiegenden Gang entlang zum Eckzimmer. Hier trafen er und die im folgenden Männer mit dem fliehenden Dollfuss und Hedvicek zusammen. Im Eckzimmer ist Dollfuss erschossen worden.

Der Militärgerichtshof verurteilte später Planetta als "Mörder" Dollfuss'. Die Nachprüfung der Begründung dieses Urteiles hat ergeben, daß auf Grund der Beweisfeststellungen des Militärgerichtshofes ein solches Urteil nicht ergehen durfte, und daß selbst die Beweise, die der Militärgerichtshof als festgestellt ansah, falsch waren. Eine volle Klarheit über die Erschiessung Dollfuss' hat die Untersuchung noch nicht erbracht, eines ist aber mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen: daß Planetta nicht mit Überlegung auf Dollfuss schoß.

Für die Aufklärung der Ereignisse im Eckzimmer kommen die Zeugnisse und übrigen Äusserungen folgender Personen in Betracht:

1. Planetta,
2. Dollfuss,
3. die Kameraden Planettas, die mit ihm ins Eckzimmer traten,
4. Hedvicek,
5. andere Personen, die im Eckzimmer anwesend waren.

Es konnte nicht festgestellt werden, daß die Vorgänge im Eckzimmer von anderen Räumen aus gesehen werden konnten. Schussgeräusche, die vom Eckzimmer herrühren konnten, hörten verschiedene Personen in anderen Räumen. Auch deren Zeugnisse sind zur Klärung heranzuziehen.

Diese Aussagen werden deshalb wiedergegeben:

  1. Planetta
Angaben vor der Polizeidirektion
Wien, Sicherheitsbüro, am
27. Juli 1934

"[...] ich nahm mir eine Steyrpistole Muster 19. Meine Waffe war bereits geladen und gesichert, 7 Schuss im Magazin und eine im Lauf. Ich lief den Gang weiter nach rechts und kam dann zu einer offenen Tür, der genau gegenüber ich im Raum ein Fenster sah. Der Raum zwischen Fenster und Tür war ganz hell, während der übrige Teil des Raumes links verdunkelt schien. Wie ich durch die Türe hineinlief, sah ich niemand in diesem Raum. Ich lief zuerst zu der rechts neben dem Fenster befindlichen Tür und rüttelte an derselben, dabei hatte ich in der Rechten die Pistole. Ich fühlte, daß die Türe versperrt sei, hörte jetzt aber etwas in dem Zimmer, in dem ich mich befand und zwar in dem verdunkelten Teil, drehte mich rasch um, die Pistole schussbereit in der Hand haltend und sah nun als ersten auf mich einen sehr grossen Mann zueilen. Ich wandte mein Hauptaugenmerk diesem Manne zu, merkte aber, daß noch zwei andere Leute im Zimmer seien und zwar der eine glaublich gerade in der Tür, die in den anschliessenden Raum links führt (gegenüber der versperrten Tür). Die dritte Person befand sich zwischen dem grossen Mann, der auf mich zukam und zwischen dem Mann in der Tür. Ich sah eigentlich nur einen Schatten, wandte auch mein ganzes Augenmerk in erster Linie den mir zunächst befindlichen grossen Mann zu, der auf mich zukam. Die Pistole anlegend schrie ich "Hände hoch", mein ganzes Augenmerk dem grossen Mann zuwendend. Ich sah auch noch, wie der grosse Mann im Begriff war, die Hände in die Höhe zu geben, im selben Moment kam an meinen Arm, den ich mit der Pistole in der Hand gegen den grossen Mann in Anschlag brachte, als ich ihn gerade nach aufwärts hob, eine andere Person, der ich bisher gar kein Augenmerk geschenkt hatte und die ich auch jetzt nur eigentlich dadurch bemerkte, daß diese Person dadurch, daß sie zwischen mir und das Fenster trat, einen Schatten verursachte. Im selben Moment also verspürte ich diese Person an meinem Körper irgendwie ankommen, ob dadurch, daß diese Person mich anstieß oder daß ich durch das Heben des Armes mit der Pistole an sie anstieß, weiß ich nicht. Durch diese körperliche Berührung wurde aus meiner Pistole ein Schuß ausgelöst. Wieso weiss ich eigentlich nicht, vielleicht dadurch, daß ich zusammengefahren bin und dabei mit dem Mittelfinger, den ich am Züngel hatte, an diesen andrückte. Ich hatte nämlich den Zeigefinger, wie ich es beim Militär gewohnt war, entlang des Laufes angelegt und den Mittelfinger am Züngel. Jetzt erst, nachdem der Schuß losgegangen war, sah ich eigentlich die zweite Person näher und sah, wie sie zu Boden fiel. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich auf diese Person überhaupt bei dieser Gelegenheit einen zweiten Schuss abgegeben habe, kann aber auch nicht sagen, daß es vollkommen ausgeschlossen ist. Ich war derart aufgeregt in dieser ganzen Situation, zumal ich auch den grossen Mann vor mir wusste und auch einen dritten früher gesehen hatte, daß ich eben nicht mehr genau weiss, was ich in dem Augenblick tat und ob ich ein zweites Mal geschossen habe. Wie ich auf den grossen Mann nun hinsah, sah ich, daß er schon die Hände hoch hatte und sah auch schon weitere Leute von uns im Zimmer. Daraufhin wandte ich mich erst der Person zu, die mit dem Rücken am Boden lag und nun erkannte ich in dieser Person erst den Bundeskanzler. Wenn ich nun, wie gesagt, zugebe, daß ich es war, der auf den Bundeskanzler geschossen hat, so bestreite ich doch, wie ja aus meiner Schilderung der ganzen Sachlage hervorgeht, daß ich die Absicht gehabt hatte, den Bundeskanzler oder überhaupt auch nur diese Person, die ich ja nur gleichsam als Schatten sah und von der ich keine Ahnung hatte wer es sei, mit Absicht erschossen, beziehungsweise auch nur absichtlich auf sie geschossen zu haben. Ich bleibe dabei, daß der Schuss gegen meine Absicht nur infolge meiner Aufregung beziehungsweise das Erschrecken (Zusammenfahren) oder infolge der Berührung mit der von mir nur als Schatten gesehenen Person auslöste. Als ich [...] den Kanzler vor mir am Boden liegen sah, war ich ganz betroffen, ich sprach dann etwas zu ihm. Jedenfalls fragte ich ihn, ob ich ihn getroffen habe, worauf er sagte "Ich weiss es nicht". Da ich nicht wusste, ob ich ihn wirklich getroffen habe, sagte ich ihm "So stehen Sie auf" oder irgend etwas, worauf er sagte "Das kann ich nicht". Jetzt erst sah ich, daß glaublich auf der rechten Seite vorn an der Brust Blut floß. Auf das eilte ich sofort aus dem Zimmer, ging die Stiege hinunter um Verbandszeug zu holen [...]."

 

  2. Dollfuss
Bericht der Oberwachmänner
Rudolf Messinger und Johann
Greifeneder an die General-
direktion für die öffentliche
Sicherheit in Wien vom Jahre
1934

"Gegen 13.45 Uhr wurde von den Militaristen, die das Bundeskanzleramt besetzt hatten, Umfrage gehalten, ob jemand einen Notverband anlegen könne. Wir meldeten uns freiwillig und wurden unter Bedeckung in das erste Stockwerk geführt, wo bei einem Fenster Herr Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuss in tiefster Bewusstlosigkeit und stark blutend am Boden lag [...] Wir legten einen Notverband an, betteten den Schwerverletzten auf einen Diwan und labten ihn mit kalten Umschlägen und Kölnischwasser. Dadurch kam der Herr Bundeskanzler wieder zum Bewusstsein [...] Als wir Dr. Engelbert Dollfuss verbunden und auf das Sofa gebettet hatten und er durch kalte Umschläge und Kölnischwasser aus der Bewußtlosigkeit wieder zu sich gekommen war, kam der aufrührerische Major zu ihm und es entspann sich folgendes Gespräch: "Herr Bundeskanzler haben mich rufen lassen und was wünschen Sie?" Herr Bundeskanzler frug sodann, wie es den übrigen Regierungsmitgliedern gehe. Der Major gab zur Antwort, daß auch dem Herrn Bundeskanzler nichts geschehen wäre, wenn er sich nicht gewehrt hätte. Der Bundeskanzler gab zur Antwort: "Ich war doch Soldat [...]."

  Aussagen des Polizeirayons-
inspektors Johann Greifeneder
vor der Historischen Kommis-
sion des Reichsführers SS vom
7. September 1938

"[...] Es dauerte [...] nicht lange, daß der Kanzler dann wieder zum Bewusstsein kam. Er begann bald zu sprechen und war sichtlich über die ganzen Vorgänge nicht im Klaren. Ich glaube mich an seine Worte zu erinnern: ,Kinder was ist denn da los, da kommen ein Major und ein Hauptmann und mehrere Militaristen herein und haben auf mich geschossen`. Ich schloss aus diesen Worten, daß mehrere gegen Dollfuss geschossen hätten, zumal ich damals alle drei Schussverletzungen für Einschüsse hielt. Eine bestimmte Person hat er nicht bezeichnet [...] Dollfuss erkundigte sich bei Hudl nach dem Befinden mehrerer Minister und im Verlaufe dieser Unterredung machte Hudl die Bemerkung, daß Dollfuss auch wohlauf sein könnte, wenn er sich nicht gewehrt hätte. Dollfuss reagierte darauf mit den Worten: ,Ich war ja Soldat`. Ich schloss aus diesen Worten, der Kleine habe Mut gehabt und sich den Soldaten entgegengestellt [...]."

  Aussagen des Polizeirayons-
Inspektors Rudolf Messinger vor
der Historischen Kommission
des Reichsführers SS vom
7. September 1938

"[...] Nach etwa 10 Minuten kam Dollfuss zu sich [...] Hudl sagte: ,Sie haben mich rufen lassen, Herr Bundeskanzler und was wünschen Sie?` Dollfuss erkundigte sich zunächst nach dem Ergehen der übrigen Regierungsmitglieder, worauf Hudl zur Antwort gab, daß sich die anderen Minister wohlauf befinden, und dass auch ihm (dem Bundeskanzler) nichts geschehen wäre, wenn er sich nicht gewehrt hätte. Dollfuss gab darauf zu Antwort: ,Ich war doch Soldat`. Ich habe daraus geschlossen, und auch mein Kamerad Greifeneder, daß sich Dollfuss unbedingt zur Wehr gesetzt hatte, oder daß es zu einem Kampf gekommen war. Wenn ich dieses in meinem damaligen Bericht nicht klarer und besser zum Ausdruck gebracht habe, so muß ich sagen, daß ich damals unter dem Druck gestanden habe und es mir nicht getraut habe, dieses schriftlich niederzulegen [...]."

Österreichisches Institut für Zeitgeschichte Wien, Bestand 25. Juli 1934. Auch gedruckt in: Die Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934, Wien 1984.