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11.6.1992: Österreichische Note samt der definitiven Streitbeilegungserklärung

Das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten entbietet der Italienischen Botschaft seine Empfehlungen und beehrt sich Nachstehendes mitzuteilen:

1. Die österreichische Regierung hat die Note des italienischen Außenministeriums vom 22. April 1992 und insbesondere den darin zum Ausdruck kommenden zukunftsweisenden und konstruktiven Geist mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. In seiner Verbalnote vom 22. April 1992 hat sich das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten in Entsprechung der Entschließung des österreichischen Nationalrats vom 9. Juni sowie vom 1. Dezember 1988 eine weitere Äußerung in angemessener Zeit hinsichtlich der Frage vorbehalten, inwieweit die im ersten Absatz der obgenannten italienischen Note beschriebene Liste von Bestimmungen den "Maßnahmen" entspricht, welche die italienische Regierung in ihrer Erklärung vom 3.

Dezember 1969 angekündigt hat. Diese Überprüfung steht im Zusammenhang mit Punkt 13 des Operationskalenders, welcher im Zuge der im Licht der Resolutionen der UN-Generalversammlung 1497 (XV) und 1661 (XVI) geführten Verhandlungen von den Außenministern Österreichs und Italiens am 30. November 1969 in Kopenhagen festgelegt wurde.

2. Diesbezüglich wird mitgeteilt, daß die zuständigen österreichischen Stellen diese Übereinstimmung - in der Gesamtheit der Maßnahmen gesehen - festgestellt haben. Zu diesem Zweck wird auf die Entschließung des Nationalrats vom 5. Juni 1992 verwiesen, deren Wortlaut dieser Note angeschlossen ist.

3. In Verfolg der Resolutionen der Vereinten Nationen aus 1960 und 1961 haben Österreich und Italien am 30. November 1969 eine Vorgangsweise, und zwar den sogenannten Operationskalender bestimmt, um zur Beilegung des Streitfalls betreffend die Durchführung des Pariser Abkommens vom 5. September 1946 zu gelangen.

4. Punkt 13 des genannten Operationskalenders sieht vor, daß - sobald die italienische Regierung die in der Regierungserklärung vom 3. Dezember 1969 angekündigten Maßnahmen durchgeführt hat - die österreichische Regierung eine Schlußerklärung über den Streitfall abgibt, die hiermit wie folgt abgegeben wird:

"Im Hinblick darauf, daß zwischen Österreich und Italien eine Streitigkeit über die Durchführung des Pariser Abkommens vom 5. September 1946 entstanden ist; im Hinblick darauf, daß diese Streitigkeit Gegenstand der Resolutionen 1497 (XV) und 1661 (XVI) der Vollversammlung der Vereinten Nationen war; unter Bedachtnahme darauf, daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen Österreich und Italien in den erwähnten Resolutionen empfohlen hat, die Verhandlungen mit dem Ziel wieder aufzunehmen, eine Lösung aller Differenzen hinsichtlich der Durchführung des obengenannten Abkommens zu finden; in Anbetracht der Tatsache, daß die Wiederaufnahme der Verhandlungen stattgefunden und zur Annahme einer Methode der Beratungen geführt hat, welche geeignet war, die Beilegung der Streitigkeit ohne Präjudiz für die jeweiligen Rechtsstandpunkte der beiden Seiten herbeizuführen; mit Rücksicht darauf, daß die italienische Regierung in ihrer Regierungserklärung vom 3. Dezember 1969 detailliert aufgezählte Maßnahmen angekündigt hat, die in dauerhafter Weise die Interessen der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols, das friedliche Zusammenleben und die Entwicklung der Sprachgruppen Südtirols zu gewährleisten bestimmt sind; angesichts der Tatsache, daß die italienische Regierung diese in der Regierungserklärung vom 3. Dezember 1969 angekündigten Maßnahmen nunmehr verwirklicht und mit Note vom 22. April 1992 mitgeteilt hat: erklärt die österreichische Bundesregierung, daß sie die zwischen Österreich und Italien bestehende Streitigkeit, welche Gegenstand der erwähnten Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen  war und den Status des deutschsprachigen Elements der Provinz Bozen (Bolzano) - Durchführung des Pariser Abkommens vom 5. September 1946 - betrifft, als beendet erachtet."

5. Im Zuge der Verwirklichung der vorgenannten Maßnahmen haben seit Dezember 1969, für mehr als zwei Jahrzehnte, laufend Kontakte zwischen der österreichischen und der italienischen Regierung stattgefunden, um zu einer Beilegung des Streitfalles zu gelangen. Mit der vollständigen Durchführung der Maßnahmen und somit des Autonomiestatuts wird Südtirol immer mehr zu einem konstruktiven Element in den gutnachbarlichen Beziehungen zwischen Österreich und Italien.

6. Die österreichische Regierung geht unter Beibehaltung ihrer Verantwortung als Unterzeichner des Pariser Abkommens davon aus, daß die von der italienischen Regierung im Interesse der Volksgruppen Südtirols durchgeführten Maßnahmen und somit das Autonomiestatut 1972 mit seinen Durchführungsbestimmungen, ordentlichen Gesetzen und Verwaltungsakten, wie es aus dem Anhang zur Note vom 22. April 1992 hervorgeht, nicht einseitig abgeändert werden, sondern, wie der italienische Ministerpräsident in seinen Parlamentserklärungen vom 30. Jänner 1992, welche der österreichischen Seite mit der genannten Note vom 22. April übermittelt wurden, festgestellt hat, nur im Rahmen der gemeinsamen Verantwortung und des bereits bisher zwischen der Zentralgewalt und den betroffenen Volksgruppen erreichten politischen Konsenses, welche auch für den Fall fortdauern müssen, daß normative Änderungen erforderlich werden sollten.

7. Es wird mit Befriedigung festgestellt, daß in Übereinstimmung mit Punkt 13 des Operationskalenders am gestrigen Tag die Ratifikationsurkunden zum Vertrag zur Abänderung des Artikels 27 lit. a) des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten in den Beziehungen zwischen Österreich und Italien ausgetauscht wurden. Dieser Vertrag stellt ebenso einen wertvollen Bezugspunkt für den Schutz der Sprachminderheiten in Südtirol auf europäischen Niveau dar.

8. Die österreichische Regierung ist schließlich davon überzeugt, daß im Lichte dieser Ausführungen auch die in Punkt 15 des Operationskalenders vorgesehene Notifikation der Streitbeilegung an den Generalsekretär der Vereinten Nationen durch Österreich und Italien in naher Zukunft wie oben angeführt stattfinden wird und gibt ihrer Hoffnung Ausdruck, daß in weiterer Folge der Vertrag nach Punkt 18 des Operationskalenders abgeschlossen werden kann.

Das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten benutzt diese Gelegenheit, der Italienischen Botschaft die Versicherung seiner ausgezeichneten Hochachtung zu erneuern.

Quelle: Hansjörg Kucera/Gianni Faustini (Hrsg.), Ein Weg für das Miteinander. 20 Jahre Autonomie in Südtirol, Bozen 1992, S. 101 ff.