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14.2.1961: Anschläge gegen Denkmäler in Südtirol. Sprachregelung BMfAA

Verschluß

In den ersten Tagen nach den erfolglos beendeten Mailänder Verhandlungen wurden in Südtirol zwei Anschläge verübt, die italienischerseits eine Verhaftungswelle auslösten und zu zahlreichen Hausdurchsuchungen, u. a. auch der Südtiroler Volkspartei, führten.

Da die italienische Propaganda im Zusammenhang damit versuchte, in der internationalen Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als ob es sich bei den Anschlägen um besonders barbarische Attentate gegen italienische Kulturdenkmäler und Gedenkstätten gehandelt habe, wird zur Sprachregelung nachstehendes mitgeteilt:

1. Bei der am 30.1. in Waidbruck erfolgten Sprengung des sogenannten "Aluminium-Duce" handelt es sich um ein 1938 errichtetes Reiterstandbild, das eindeutig die Züge Mussolinis aufwies und ursprünglich die Inschrift "Al Genio Del Fascismo" trug. Diese Inschrift wurde 1945 in "Al Genio Del Lavore Italiano" umgewandelt.

Ministerpräsident Fanfani hat den Minister für öffentliche Arbeiten angewiesen, das zerstörte Denkmal wiederherstellen zu lassen.

2. Am 1.2. wurde die Fassade des seinerzeitigen Wohnhauses des verstorbenen faschistischen Senators und ersten Repräsentanten der italienischen Politik der Entnationalisierung der Südtiroler, Ettore Tolomei, durch einen Sprenganschlag schwer beschädigt.

Ettore Tolomei wurde am 16.8.1865 in Rovereto geboren. Er studierte Geographie und war bereits 1890 Herausgeber der nationalistischen italienischen Zeitschrift "La Nazione Italiana". Seit 1886 propagierte er die Italianisierung Südtirols, gestützt auf die Theorie der Wasserscheide als der "natürlichen Staatsgrenze" der italienischen Nation. Zu diesem Zwecke schuf er willkürliche italienische Namen für Südtiroler Ortsnamen und erreichte es durch seine engen Beziehungen zur Dante Alighieri-Gesellschaft und der italienischen königlichen geographischen Gesellschaft, daß diese erfundenen Ortsnamen im italienischen Sprachgebrauch und in den italienischen Atlanten Verwendung fanden.

1904 bestieg er den längst vorher schon erstiegenen Glockenkarkopf und benannte ihn mit "Vetta d'Italia". Diese künstliche Namensgebung spielte anläßlich der Friedensregelung nach dem Ersten Weltkrieg eine verhängnisvolle Rolle, weil sie italienischerseits als ein Beweis für die Italianität Südtirols angeführt wurde und auf Präs. Wilson stärksten Eindruck machte.

Schon 1915 befaßte sich Tolomei mit Maßnahmen, die zur Italianisierung Südtirols nach dessen Eroberung durch Italien führen sollten. Es sind dies:

Die Zusammenlegung der Gebiete Bozen und Trient zwecks Schaffung einer italienischen Mehrheit,
die Einsetzung italienischer Bürgermeister und Gemeindesekretäre,
die Ausweisung aller nicht aus Südtirol stammender ehemaliger Beamten,
die Verlegung starker Truppen- und Karabinieriverbände nach Südtirol,
die Schaffung rein italienischer Mittelschulen,
die Einführung der italienischen Sprache als Amtssprache,
die Italianisierung der Inschriften auf Grabsteinen,
die Förderung des Bodenerwerbs durch Italiener und die Industrialisierung des Landes.

1918 fungierte Tolomei als Berater der italienischen Friedensdelegation in Paris und arbeitete in einem Promemoria drei Punkte aus, die für die italienische Politik in Südtirol richtunggebend sein sollten: Diese sind:

1. in keiner Weise eine Volksabstimmung in Südtirol zuzulassen,
2. den Südtirolern niemals eine Autonomie zu gewähren,
3. keine Garantien für den Schutz der deutschsprachigen Minderheit auf internationaler Ebene zu gewährleisten.

Seit 1919 war Tolomei Mitglied Nr. 1 der faschistischen Partei in der Provinz Bozen. 1922 organisierte er den berüchtigten faschistischen Sturm auf das Bozner Rathaus, welcher den Marsch auf Rom einleitete. Damals ließ er Flugblätter mit nachstehendem Text verbreiten:
"Ein Schrei genügt und wir haben diesen schweinischen Abschaum eines überständigen Österreich hinweggefegt."
Durch seine Verdienste um die Nation wurde Tolomei vom Faschismus zum Senator ernannt und in den Grafenstand erhoben. Auch das demokratische Italien bestätigte ihn 1946 als Senator.
1939 fungierte er als Hauptinitiator der Umsiedlung der Südtiroler.
1946 war er wiederum Berater der italienischen Regierung während der Friedenskonferenz.
Am 26.5.1952 starb er und erhielt unter Teilnahme von höchsten Vertretern der italienischen Regierung ein Staatsbegräbnis.
Abschließend wäre noch zu erwähnen, daß sich die Südtiroler Volkspartei in einer Erklärung eindeutig von den beiden Anschlägen distanziert hat.

Der Ministerschaft bleibt es anheimgestellt auch die ihnen unterstellten Honorarämter mit der gegenständlichen Sprachregelung zu beteilen.[1]

[1] Handschriftliche Anmerkung, 21.2.1961: "Der Bundesminister [Kreisky] findet die Absendung dieser Sprachregelung nicht zweckmäßig, weil sie den Anschein erwecken könnte, als ob die B.[undes]R.[egierung] die Anschläge gerechtfertigt finden würde." Was als "Runderlaß an alle effektiven österr.[eichischen] Vertretungsbehörden im Ausland" gedacht war, ging jetzt nur noch an "alle Abteilungsleiter im Hause — ohne letzten Absatz."

Quelle: ÖStA, AdR, BMfAA, II-pol, Südtirol, Karton 73.