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Globale Gewalt und das Ringen um den Frieden: Der Beitrag von Assisi

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:In einer leicht gekürzten Fassung puliziert in: J. H. Tück / R. Siebenrock (Hg.), Selig, die Frieden stiften. Assisi - Zeichen gegen Gewalt. Freiburg i. Br. 2012, 102-120.
Datum:2012-10-25

Inhalt

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1. „Es reicht nicht, etwas für den Frieden zu tun, man muss für ihn beten.“ Der provozierende Anspruch der Weltgebetstage in Assisi

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Globale Gewalt und das Ringen um Frieden in der Welt gehören zu den größten, ungelösten Herausforderungen der menschlichen Zivilisation.1 Mit den Weltgebetstreffen in Assisi wollte Papst Johannes Paul II. dafür einen spezifisch religiösen Beitrag leisten. Das erste Treffen 1986 stand noch ganz im Zeichen des kalten Kriegs. Aktueller politischer Hintergrund war das gesteigerte Wettrüsten mit Pershing-II-Raketen und SDI-„Star Wars“-Programm.2 Die Katastrophe von Tschernobyl – Vorzeichen einer anders gearteten Bedrohung atomarer Gewalt – lag noch zu knapp zurück, um auf dem Treffen in ihrer Tragweite wahrgenommen zu werden. Als drei Jahre später im Ostblock kein Stein auf dem anderen blieb und der Kalte Krieg zu einem unerwarteten Ende kam, war das Aufatmen nur kurz. Im Jänner 1993 rief Johannes Paul II. erneut zu einem Friedensgebet nach Assisi, aus Anlass des Balkankriegs. Aufgrund dieser regionalen Ausrichtung waren nur Vertreter aus den – vom Konflikt betroffenen – drei abrahamitischen Religionen eingeladen. Deshalb wird Assisi 1993 gewöhnlich nicht als Weltgebetstreffen mitgezählt. „Assisi II“ fand im Jänner 2002 statt, unter dem Eindruck des Terroranschlags vom 11. September und den daraus folgenden weltweiten Polarisierungen. Das jüngste Weltgebetstreffen in Assisi 2011 war – im Unterschied zu seinen Vorgängern – nicht direkt durch akute Ereignisse globaler Gewalt motiviert, sondern von Benedikt XVI. zum 25-Jahr-Gedenken an den ersten Weltgebetstag einberufen worden.3

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Johannes Paul II. stellte seine Weltgebetsinitiative in eine Reihe mit Friedensbemühungen verschiedener Konfessionen, Kirchen und nichtkirchlicher Organisationen. So verstand er Assisi 1986 als einen Beitrag der katholischen Kirche zum von der UNO ausgerufenen internationalen Jahr des Friedens, und er bezeichnete den Weltgebetstag als „ein weiteres Glied in jener Gebetskette für den Frieden, die von einzelnen Christen und von christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften geknüpft worden ist.“4 Demgemäß trat er bescheiden als einer unter vielen auf. Das Bild vom Papst in einer Reihe mit Religionsvertretern, mit dem ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel zur Rechten und dem Dalai Lama zur Linken, bleibt als Zeichen von etwas in der katholischen Kirche noch nie Dagewesenen in Erinnerung.

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Dieser religionsübergreifenden Initiative sollten allerdings nicht die Besonderheiten der Religionen, zumal des christlichen Glaubens, geopfert werden. So betonte Johannes Paul II. auf dem Treffen das unterscheidend christliche Heilsverständnis maßvoll, aber doch in aller Deutlichkeit: „Ich wiederhole demütig hier meine eigene Überzeugung: Friede trägt den Namen Jesu Christi.“5

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Bei aller Bescheidenheit, mit der der Papst das erste Weltgebetstreffen in eine Reihe mit verschiedensten Bemühungen um den Weltfrieden stellte, vertrat er doch nachdrücklich die „Überzeugung, dass der Friede die menschlichen Kräfte weit übersteigt, [...]und dass deshalb seine Quelle und Verwirklichung in jener Wirklichkeit zu suchen ist, die über uns allen ist. Das ist der Grund, warum ein jeder von uns um Frieden betet.“6 Allerdings klingt der Anspruch, „dass es keinen Frieden gibt ohne das Gebet“,7 in den Ohren einer nichtreligiösen medialen Öffentlichkeit keineswegs bescheiden. Dass, wie damals das Nachrichtenmagazin Der Spiegel intonierte, „der Glaube Berge versetzt“, und mithin einem „Bet-Gipfel“ gelingen könne, „was den politisch Mächtigen bisher missriet“,8 muss aus nichtreligiöser Perspektive als wirklichkeitsfremd erscheinen. Demgemäß überschrieb eine Zeitung ihren Kommentar zum ersten Weltgebetstreffen mit der Parole: „Es reicht nicht, für Frieden zu beten, man muss auch etwas für ihn tun.“ Nach dem Urteil von Francis Kardinal Arinze – dem damaligen Präsidenten des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog – hatte der Papst genau das Gegenteil im Sinn: „Es reicht nicht, etwas für den Frieden zu tun, man muss für ihn beten.“9 Dabei ging es ihm keineswegs um ein unselig-frommes Ausspielen von Frömmigkeit gegen verantwortliches Handeln: „Wenn auch das Gebet in sich selbst Aktion ist, so entschuldigt uns das nicht, für den Frieden zu arbeiten.“10 Religiöse Vollzüge wie Beten, Fasten und Wallfahrt ersetzen nicht den Dialog und das politische Handeln, sondern fordern und unterstützen sie, indem sie beides in Tiefen menschlicher Erfahrung und Motivation verankern, ohne welche jedes aktive Friedensengagement zu kurz greifen würde. Das besagt allerdings nicht, dass nur ausdrücklich religiöse Menschen zu einem fruchtbaren Einsatz für den Frieden fähig wären. Denn jene Tiefengründe menschlicher Erfahrung, Erkenntnis und Motivation, an die authentisch religiöse Vollzüge rühren, werden auch abseits davon wirksam werden. „Der Geist weht wo er will“ (vgl. Joh 3,8).

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Die Weltgebetstreffen von Assisi sind von der Überzeugung geleitet, dass eine wirkliche Überwindung globaler Gewalt nicht ohne religiöses Engagement möglich ist, und dass deshalb die Anhänger und Vertreter der Religionen eine große Verantwortung tragen, sich mit ihren religiösen Mitteln für den Weltfrieden einzusetzen. Dass dieser Anspruch nicht haltlos ist, sondern sich an der geschichtlichen Realität erhärten lässt, soll im Folgenden verdeutlicht werden.

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2. Frieden aus der Kraft des Glaubens: Beispiele einer „best practice“

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Allerdings kann eine Wirksamkeit von Gebet für den Frieden weder empirisch noch theoretisch bewiesen werden. Das liegt an der Unverfügbarkeit göttlichen Wirkens und an einer grundsätzlichen Pervertierbarkeit aller religiösen Vollzüge. Dennoch wird die Fruchtbarkeit eines religiösen Friedensengagements immer wieder überraschend sichtbar. Solche geschichtliche Ereignisse sind für unvoreingenommene nichtreligiöse Menschen Zeichen der Glaubwürdigkeit von Religionen; Christen bestärken sie in der Zuversicht, das Ringen um Frieden Gott anzuvertrauen; und Anhänger verschiedener Religionen können so aneinander Potenziale von Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung entdecken. Es handelt sich also nicht um Beweise, sondern um Aufweise, die – zumal in ihrer Zusammenschau – etwas zu zeigen vermögen. In diesem Sinn sollen im Folgenden einige Beispiele einer „best practice“ von religiös begründetem Friedensengagement vorgestellt werden.

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2.1 Miteinander beten: Religionen und Nationen verbindendes Gebet als friedenstiftende Kraft

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Dass universaler Friede (Schalom) eine zentraler biblischer Begriff für Heil ist, und dass Christus „unser Friede“ ist, der „die beiden Teile vereinigte und die trennende Wand der Feindschaft niederriss“ (Eph 2,14), ist eine Verheißung und Verpflichtung, die nicht an den Kirchenwänden halt macht. Dieses Bewusstsein hat die katholische Kirche seit der Mitte des 20. Jahrhunderts – unter dem Eindruck zweier Weltkriege – in einer noch nie dagewesenen Weise entwickelt. Der Weltfriede ist eine zentrale Aufgabe für Christen, ein verbindendes Thema der Religionen und eine Verantwortung, die die Kirche mit allen Menschen guten Willens teilt. Diese Einsicht findet sich in zahlreichen kirchlichen Dokumenten, insbesondere in Sozialenzykliken und in Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils.11 Ihr entsprechen: eine zunehmende ökumenische und interreligiöse Begegnungspraxis; Auftritte von Päpsten vor der Generalversammlung der UNO (seit 1965);12 bewusstseinsbildende Initiativen des Vatikan, wie etwa der jährliche Welttag des Friedens (seit 1968); die Einrichtung des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Friede (seit 1967, zunächst als Kommission) und diplomatische Friedensinitiativen der letzten Päpste.13 Diesen römischen Beiträgen gehen bedeutende kirchliche und ökumenische Friedensbewegungen voraus, etwa der Internationale Versöhnungsbund (seit 1914) oder Pax Christi (seit 1945).

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Die Geschichte des interreligiösen Dialogs reicht noch weiter zurück. 1893 fand das Weltparlament der Religionen in Chicago statt, auf die Initiative eines presbyterianischen Pastors, mit Unterstützung der nordamerikanischen katholischen Kirche und mit dem hinduistischen Mönch und Gelehrten Vivekananda als wichtigem Sprecher. Für ein die Religionen übergreifendes „Zusammenkommen um zu beten“ setzte der Weltgebetstag in Assisi einen Anfang, der an verschiedenen Orten der Welt von Christen, aber auch von Vertretern anderen Religionen aufgegriffen wurde. Seit 1987 veranstaltet die römische Gemeinschaft Sant̓ Egidio jährliche Gebetstreffen in verschiedenen, meist europäischen Städten unter der Beteiligung wichtiger Repräsentanten von Konfessionen, Religionen und auch der Politik.14

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Ebenso inspiriert durch den ersten Weltgebetstag von Assisi, organisiert die japanische buddhistische Bewegung Rissho Koseikai seit 1987 jährliche Weltgebetstreffen am heiligen Mount Hiei in Kyoto: jeweils am Tag des Abwurfs der Atombomben von Hiroshima und – drei Tage später – Nagasaki.15

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Die Leipziger Montagsgebete als Initialzündung für die „Wende“ 1989

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Die Auswirkungen genzüberschreitender Gebetstreffen für interreligiöse, interkulturelle und parteiübergreifende Verständigung sind vielfältig, aber meist nicht leicht nachzuverfolgen. In einzelnen Fällen haben Gebetstreffen aber auch direkt ersichtliche Einflüsse auf Friedens- und Versöhnungsprozesse, sowie auf gewaltlose politische Umwälzungen gehabt. Das berühmteste Beispiel dafür dürfte die weitgehend gewaltlos verlaufene ostdeutsche „Wende“ mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 gewesen sein. Ihr ging eine Gebetsbewegung an verschiedenen Orten der DDR voraus, vor allem in der Leipziger Nikolaikirche, wo seit 1981 wöchentliche Montagsgebete um Frieden, Abrüstung und ökologische Verantwortung abgehalten wurden. Hoch-Zeiten mit tausend Teilnehmern wechselten mit schwachen Phasen von nicht mehr als fünf bis dreißig Besuchern. Angesichts des stark eingeschränkten Versammlungsrechts wurden ab der Mitte der 80er Jahre die Friedensgebete von verschiedenen politisch-alternativen Gruppen als Ort der Versammlung und Vernetzung entdeckt. Aufgrund der stark wachsenden Anteile kirchenferner Besucher liefen die Gebetstreffen zeitweilig Gefahr, in gesellschaftspolitische Veranstaltungen zu kippen. Dieser Gefahr begegneten der Bischof und die verantwortlichen Pastoren durch geeignete Reformen. Die Gottesdienste wurden in einer sehr einfachen, auch für Kirchenfremde mitvollziehbaren liturgischen Form gehalten, mit einer zentralen Ausrichtung auf „evangeliumsgemäße Versöhnungsbereitschaft, Konstruktivität in der Wirklichkeitsbeschreibung und Toleranzbereitschaft gegenüber anderen Gruppen“16. So leiteten die Gebetstreffen verschiedenste Richtungen der sich formierenden Protestbewegung zu einer versöhnlichen und konsequent gewaltlosen Grundhaltung an. Seit dem 25. September 1989 schlossen an die Montagsgebete Demonstrationen an. Am 9. Oktober, zwei Tage nach den – von brutal niedergeschlagenen Protesten überschatteten – Feierlichkeiten zum 40. Gründungstag der DDR fand die entscheidende Montagsdemonstration statt. Trotz martialischer Geldstrafen für verhaftete Teilnehmer in der Vorwoche zogen 70.000 Teilnehmer durch Leipzig, vor den Augen zahlloser schwerbewaffneter Soldaten, die von der alarmierten Regierung zusammengezogen worden waren. Dass sie nicht eingriffen und die Demonstration von allen Seiten friedlich verlief, wird als Wunder von Leipzig bezeichnet.17 Diese aus den Montagsgebeten hervorgegangenen friedlichen Demonstrationen waren der Anfang vom Ende des DDR-Regimes.

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Aber handelte es sich bei den Leipziger Montagsgebeten um ein grenzüberschreitendes Beten?`Tatsächlich dürften SED-Vertreter bei den Gebetsveranstaltungen nicht, oder zumindest nicht freiwillig teilgenommen haben.18 Allerdings wurde auf diesen Treffen – gerade in der Zeit des sich zuspitzenden Konflikts – intensiv auch für die Gegner gebetet.19

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2.2 Miteinander reden: Religionsdialog und Friedensverhandlungen aus spiritueller Kraft

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Wie von ihm gewünscht, trug Johannes Paul II. mit den Weltgebetstagen von Assisi dazu bei, „eine Weltgebetsbewegung für den Frieden ins Leben zu rufen“. Damit wurden kritische Phasen von Konflikten manchmal sogar vor Ort und unter Beteilung von Menschen aus feindlichen Lagern durch intensives Gebet begleitet. Ein Beispiel dafür gab Johannes Paul II. selber, als er 1982 anlässlich des Falkland-Kriegs auf den Falkland-Inseln einem Friedensgebet zusammen mit Kardinälen aus Argentinien und Großbritannien vorstand. Ein weiteres Beispiel: Im Jahr 1995 trafen sich in Jerusalem hochrangige Vertreter der drei monotheistischen Religionen – zum ersten Mal in der Geschichte, und als eine Frucht von jährlichen Gebetstreffen in der Folge von Assisi 1986.20 Gebetstreffen unter Beteiligung von Konfliktgegnern bereiteten auch den Boden für intensive und zielführende Dialoge und Friedensverhandlungen. Besonders erfolgreich war in dieser Hinsicht die römische Gemeinschaft Sant´ Egidio.

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„Suchen, was verbindet“: Das Beispiel der Gemeinschaft Sant´ Egidio

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Deren jährlich organisierte interreligiösen Gebetstreffen führten zu Freundschaften mit Persönlichkeiten aus verschiedenen Konfessionen und Religionen, sowie aus dem politischen Leben. Bald gingen den jährlichen Gebetstreffen Dialogtreffen zu aktuellen interreligiösen und interkulturellen Herausforderungen voraus. Das wachsende Engagement der Bewegung in sozialer Aktion und politischem Dialog blieb getragen durch ihr tägliches gemeinschaftliches Gebet.21 Auf dieser spirituellen Grundlage entwickelte sich ein eigener Stil von interreligiösem Dialog und friedenspolitischem Verhandeln.

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Berühmtestes Beispiel dafür war die Vermittlungsarbeit der Gemeinschaft für Mosambik. Nach einem politischen Umbruch hatte die Kolonialmacht Portugal den südostafrikanischen Staat 1975 Hals über Kopf in die Unabhängigkeit entlassen. Die mosambikanische katholische Kirche – stark von der Kolonialmacht geprägt mit beinah ausschließlich europäischen Bischöpfen – hatte in postkolonialer Zeit einen sehr schlechten Ruf. Von der kommunistischen Regierung wurde sie als kolonialer Restbestand diffamiert und massiven Restriktionen unterworfen. Vertretern der Gemeinschaft Sant´ Egidio, die über die interreligiösen Treffen Kontakt mit einem einheimischen mosambikanischen Bischof erhalten hatten, gelang es, in Zusammenarbeit mit italienischen Kommunisten einen Dialog zwischen der Regierung und den Bischöfen Mosambiks zustande zu bringen. Es entstand ein Klima des Vertrauens, und die Situation der Katholiken in Mosambik wurde nachhaltig verbessert.

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Damit wäre die Mission von Sant̓ Egidio für Mosambik eigentlich erfüllt gewesen. Aber über die entstandenen mosambikanischen Freundschaften wurden sie ab 1977 mit dem aufflammenden Bürgerkrieg zwischen regierender FRELIMO-Partei und der konservativen RENAMO-Opposition konfrontiert. Diese Opposition war effektiv in ihrem Partisanenkampf, wenig organisiert und wurde von der Regierung als Verhandlungspartner definitiv nicht anerkannt. Dies vereitelte die diplomatischen Bemühungen von Nachbarstaaten und der UNO. Über mühevolle Umwege gelang es der Gemeinschaft Sant´ Egidio, mit Repräsentanten der schwer greifbaren RENAMOs Kontakt zu bekommen und Friedensgespräche im Gemeinschaftszentrum – einem ehemaligen Kloster im römischen Santa Maria Trastevere – zu beginnen. Als Gastgeber und Mediator griff die Gemeinschaft auf ein Prinzip von Johannes XXIII. zurück – „das suchen, was verbindet, und nicht das, was entzweit“ – und verhalf ihm zu politischer Wirksamkeit.22 1992 kam dank der Vermittlung der Gemeinschaft ein Friedensabkommen zustande, das sich in der Folge als dauerhaft erwies. Die ausschlaggebende Bedeutung der Gemeinschaft für diese erfolgreiche Friedensvermittlung wurde von UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali gewürdigt:

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„Die Gemeinschaft Sant´ Egidio hat Techniken entwickelt, die anders sind als die Techniken, die professionelle Friedensstifter anwenden, sie aber gleichzeitig ergänzen. In Mosambik hat diese Gemeinschaft jahrelang diskret gearbeitet mit dem Ziel, ein Treffen zwischen den beiden Parteien zustande zu bringen. Sie hat ihre Kontakte gut eingesetzt. Sie war besonders erfolgreich dabei, andere miteinzubeziehen, damit sie zu einer Lösung beitragen konnten. Sie hat ihre Techniken zurückhaltend und ohne große Formalitäten so eingesetzt, dass sie in Einklang mit der offiziellen, von den Regierungen und regierungsübergreifenden Organisationen geleisteten Arbeit standen. Aufgrund der mosambikanischen Erfahrung wurde der Begriff ‚Italienische Formel‘ geprägt, der diese in ihrer Art einzigartige Mischung friedensstiftender Arbeit von Regierungs- und Nichtregierungsseite beschreibt. Der Respekt für die am Konflikt beteiligten Parteien, für die, die vor Ort in den Konflikt verwickelt sind, ist ein grundlegender Faktor für den Erfolg dieser Arbeit.“23
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Wesentliche Faktoren für den Erfolg der Friedensvermittlungen durch die Gemeinschaft Sant´ Egidio waren: Glaubwürdigkeit durch soziales Engagement; Vermittlungsbemühungen ohne Nebenabsichten und Eigeninteressen; der Umstand, dass die Gemeinschaft nie der Versuchung erlag, ihre Vermittlerrolle im Alleingang durchzuführen und sich selbst in den Vordergrund zu spielen; selbstloser Einsatz ohne eigenen politischen oder wirtschaftlichen Nutzen oder internationales Prestige.24 Ein entscheidender Faktor, der professionellen diplomatischen Vermittlern mit ihrer Zeitknappheit und ihrem Erfolgsdruck meist unzugänglich bleibt, besteht in einem grenzenlos geduldigen Einsatz. Der unbegrenzte Einsatz an Zeit und Geduld beweist den Angesprochenen, dass es den Friedensmittlern tatsächlich um die betroffenen Menschen geht und nicht um einen profitablen Effekt. Damit entspricht die mediatorische Praxis der Gemeinschaft von Sant´ Egidio dem Prinzip der letzten Päpste, dass die Verwirklichung struktureller Friedensbedingungen (Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit) bei der Würdigung der Personen ansetzen muss (Liebe).25 Die Friedensaktivitäten der Gemeinschaft Sant´ Egidio belegen die Realitätsfähigkeit der nicht selten ideal klingenden Aussagen in den päpstlichen Schreiben. Es wird deutlich, dass gerade in verfahrenen Konfliktsituationen eine durch Glaube und Gebet ermöglichte Haltung (zeitlich) unbegrenzter Solidarität Frieden auch dort erreichbar macht, wo er konventionellen diplomatischen Bemühungen versperrt bleibt.

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Auch in anderen Krisengebieten zeigte die Gemeinschaft Sant´ Egidio friedenspolitisches Geschick: in Guatemala, im Kosovo und in Algerien.26 Nachdem es gelungen war, algerische Moslems zur Teilnahme am Weltfriedensgebet zu bewegen, baten Politiker des vom Bürgerkrieg geschüttelten Algerien – beeindruckt von den Vermittlungserfolgen der Gemeinschaft für Mosambik – um diplomatische Unterstützung für ihr Land. Anfang 1995 kam in den Räumen von Sant´ Egidio ein Konsens zwischen allen wichtigen Oppositionsgruppen Algeriens – einschließlich der fundamentalistischen Islamischen Heilsfront – zustande, die zusammen 90 Prozent der algerischen Bürger repräsentierten. Trotz außenpolitischen Drucks verschiedener Staaten, die diesen Friedensplan – das „kleine Wunder von Rom“ – unterstützten, scheiterten die Friedensverhandlungen schließlich an der Verweigerung von Dialog und Gewaltverzicht durch die algerische Regierung.27

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2.2 Miteinander handeln: Gewaltfreie Aktion aus der Kraft von Spiritualität

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Dialog ist keine Wunderwaffe, auch wenn er von einer spirituell begründeten Wertschätzung aller Parteien geleitet ist. Er vermag blockierte Freiheitsspielräume freizusetzen, und die Möglichkeiten dazu sind weit größer, als wir es uns gewöhnlich vorzustellen vermögen. Aber er kann und will niemanden mit Gewalt an den Verhandlungstisch zwingen.28

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Wo die Möglichkeiten des Dialogs erschöpft sind, gibt es noch den von Gebet und Spiritualität geleiteten Weg eines gewaltfreien Handelns. Methoden dazu wurden vor allem im 20. Jahrhundert entwickelt. Menschen, die sich gewaltfreier Methoden bedienen, wollen den festgefahrenen Dialog mit gewalttätigen Gegnern nicht ersetzen. Sie sind darauf ausgerichtet, ihn von sich aus niemals abzubrechen und ihn zu jeder Zeit wieder in Gang zu setzen. Nicht der Gegner soll in die Knie gezwungen werden, sondern das Unrecht. Wenn das gelingt, gewinnt auch der Gegner. Die verschiedenen Methoden gewaltfreier Aktion setzen einen unerschütterlichen Glauben an die Wandlungsfähigkeit des gewalttätigen Gegners voraus. Damit verbindet sich die konsequente Bereitschaft, den Gegner – aber auch sich selbst – mit den Fakten von Unrecht und unterdrückter Wahrheit zu konfrontieren. Die dadurch sich zuspitzende Konfrontation – oft begleitet von gesteigertem Unrecht, von Sanktionen und Gewalt – wird von konsequenten Vertretern gewaltfreier Aktion in Kauf genommen, ohne dass sie selber gewalttätig werden oder den Glauben an die Wandlungsfähigkeit des Gegners aufgeben. Um effektiv zu sein, muss diese gewaltfreie Haltung – zumal in Fällen von schwerer politischer und struktureller Gewalt – von einer großen Zahl von Betroffenen gelebt werden. Gewaltfrei Agierende geraten dabei nicht selten in einen Zweifrontenkonflikt: bedrängt von herrschenden Unterdrückern und auch von Bewegungen aus den eigenen Reihen, die die Konfrontation mit gewalttätigen Mitteln betreiben wollen.

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Sieht man diese Bedingungen an, möchte man meinen, dass gewaltfreier Widerstand alles Menschenmögliche bei weitem übersteigt und deshalb definitiv utopisch ist. Umso erstaunlicher ist es, dass gewaltfreie Aktion nach den eben beschriebenen Prinzipien immer wieder vorkam und erfolgreich war: auf allen Kontinenten in verschiedensten Arten von Konflikt und getragen von verschiedenen Kulturen und Religionen. „Dass der Friede die menschlichen Kräfte weit übersteigt, ... und dass deshalb seine Quelle und Verwirklichung in jener Wirklichkeit zu suchen ist, die über uns allen ist“, leuchtet angesichts solcher Herausforderungen für ein gewaltfreies Handeln zutiefst ein. Mahatma Gandhi schöpfte tief aus den Quellen hinduistischer Frömmigkeit und kam – über Leo Tolstoj – einer von der Bergpredigt inspirierten christlichen Spiritualität nahe. Martin Luther King war als baptistischer Pastor geleitet von christlichem Glauben und christlicher Hoffnung. Es gibt auch Vorkämpfer gewaltfreier Aktion ohne religiöses Bekenntnis – etwa der mehr dem Atheismus nahestehende Bart de Ligt (1883-1983)29 – aber nicht ohne den Glauben an ein unverlierbares Gutes in der menschlichen Natur. Und solcher Glaube, nährt sich auf verborgene Weise aus religiösen Quellen.30

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Der „politische Mystiker“ Jean Goss und die „Rosenkranzrevolution“ auf den Philippinen

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Eines der eindrucksvollsten Ereignisse gewaltloser Revolution war der Sturz des korrupten und gewalttätigen Marcos-Regimes im Jahr 1986 auf den Philippinen. Der hier sich großartig manifestierenden friedlichen „People Power“31 gingen Schulungen in der Praxis eines gewaltlosen Befreiungskampfs voraus, die unter anderem von Jean Goss geleitet wurde, der der ältesten ökumenischen Friedensorganisation, dem Internationalen Versöhnungsbund angehörte. 46 Jahre früher war der damals junge Franzose ein verbissener Kämpfer im Zweiten Weltkrieg gegen Hitler-Deutschland gewesen. Eine mystische Erfahrung von Gottes Liebe mitten im Morden des Krieges wandelte ihn zu einem überzeugten Pazifisten:

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„In der Osternacht 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, kurz bevor ich als französischer Soldat gefangengenommen wurde, erwachte ich plötzlich wie außer mir: Eine ungeheure Kraft der Freude, der Gewissheit und des Friedens begann mich zu durchdringen. Ich war so glücklich, dass ich vor Freude schreien wollte, und erfüllt von einem völlig unverständlichen Frieden. Es war mir, als schwebte ich über den Menschen, die, so schien es mir, jeder mit Gier irgendeiner Sache nachliefen. Zur gleichen Zeit erfüllte mich eine ungeheure Liebe zu ihnen. Ich liebte alle Menschen, und der dringliche Wunsch erwuchs in mir, ihnen das unbeschreibliche Glück, das mich erfasst hatte, zu geben. Doch wie? Und ich erhielt eine eindeutige Antwort. Es war eine milde, doch ungeheuer mächtige Kraft, die mich weit über meine Grenzen hinaus öffnete. Ohne etwas zu berühren, zu hören oder zu sehen, verstand ich folgendes: ,Ich bin der Vater aller dieser Menschen. Ich bin ihr Schöpfer. Ich habe sie mit unendlicher Liebe erschaffen mit dem Ziel, dass sie völlig glücklich seien. Ich liebe sie weit mehr, als du dir je vorstellen kannst. Ich habe sie erschaffen, damit sie ganz von mir erfüllt, Gott-mit-mir seien, d. h. damit sie lieben, so wie ich sie geliebt habe, bis zur Hingabe meines Lebens für jeden einzelnen von ihnen ... Aber sie wissen es nicht. Deshalb töten sie einander, statt sich zu lieben. Doch nur die Liebe kann sie retten! Lehre sie, sich zu lieben, so wie ich sie liebe.“32
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In deutscher Kriegsgefangenschaft begann Jean Goss, diese Erfahrung kompromisslos umzusetzen. Die Liebe radikal zu leben, bedeutete für ihn, angesichts von Unrecht nicht zu schweigen, sondern die Menschen – zum Beispiel den Lagerleiter – mit der verdrängten Wahrheit zu konfrontieren, – ohne Hass, aber auch ohne Kompromisse. In der Folge wurde er gefoltert und zweimal zum Tod verurteilt. Zugleich begannen seine Mitgefangenen daran zu glauben, dass die Liebe eine reale Kraft und keine Utopie ist. Dieser Weg führte ihn konsequent zur Aneignung und Weitergabe von Methoden eines gewaltlosen Widerstands, immer wieder auch mit hohem persönlichem Risiko, zum Beispiel während des algerischen Unabhängigkeitskriegs, wo er – als Franzose eingezogen – den Kriegsdienst verweigerte und mit dem pazifistischen Widerstand in Frankreich kooperierte.

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1984 – nach Erfolgen mit Schulungen zu gewaltlosem Widerstand in Lateinamerika – wurde Jean Goss von philippinischen Ordensleuten dringend gebeten, ihrem Land zu helfen, das sich nach der Ermordung des Oppositionskandidaten Ninoy Aquino am Rand des Bürgerkriegs befand. Jean Goss zögerte, denn Schulungen zu gewaltfreiem Widerstand mitten in der Krise sind zu kurzfristig und wenig aussichtsreich. Schließlich reiste er doch zusammen mit seiner Frau Hildegard Goss-Mayr in das Land und verhandelte mit der dortigen Opposition unter dramatischen Umständen. Diese hatten ein Angebot von Waffenlieferungen erhalten und waren unschlüssig, ob sie mit oder ohne Gewalt Widerstand leisten sollten. Leidenschaftlich plädierte das Ehepaar Goss für den Weg der Gewaltfreiheit; dann kehrten die beiden nach Europa zurück, um die Entscheidung der Widerständischen abzuwarten.

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„Nach Europa zurückgekehrt, legten wir diese schwerwiegenden Entscheidungen, die von uns große Verantwortung verlangten, in Gottes Hand. Er würde uns durch die Schritte unserer philippinischen Freunde erkennen lassen, ob die Zeit reif ist, unsere Erfahrungen und Einsichten, die er uns geschenkt hat, zur Überwindung einer der härtesten und habgierigsten Diktaturen Asiens einzusetzen. Wir kannten sehr wohl unsere Grenzen und Schwächen und waren uns bewußt, daß wir nichts anderes als ‚Hebammen‘ für die von Gott in den Menschen angelegte Kraft der befreienden ‚revolutionären‘ Liebe sein können.“33
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Begleitet von einem Jesuiten, trafen die Aufständischen ihre Entscheidung im Verlaufe eines zehntägigen Fastens. Sie wählten den Weg der Gewaltlosigkeit, und das Ehepaar Goss wurde eingeladen, um Multiplikatoren zur Arbeit mit gewaltfreien Methoden und Strategien einzuschulen. Dieser Weg entsprach einem dominierenden Willen nach Gewaltlosigkeit der mehrheitlich christlich-katholischen Bevölkerung. Aufgrund der Schulungen konnte zwei Jahre später ein spektakulärer Wahlbetrug aufgedeckt werden. Gewalttätige Provokationen bis hin zur Ermordung von Oppositionellen wurden erlitten ohne in Gegengewalt zu verfallen. Als sich im Februar 1986 Teile der Regierung sich von Marcos lossagten und sich – zur Bildung einer mit der Opposition vereinten Gegenregierung – in einem Gebäude der Hauptstadt verschanzten, traten Massen der Bevölkerung den anrückenden Panzern unbewaffnet entgegen, – Rosenkranz betend und den Soldaten Blumen zusteckend.

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„Am Sonntag Nachmittag rücken schwere Panzer aus verschiedenen Richtungen gegen das Militärcamp vor, in dem sich die Deserteure befinden. An den strategischen Punkten erwartet sie, dicht gedrängt, die Menschenmenge: Frauen, Kinder, Jugendliche, Männer. In vorderster Linie befinden sich zahlreiche Personen, die in unseren Seminaren geschult wurden und vor allem Ordensfrauen. Am Boden kniend, beten sie den Rosenkranz und weichen auch dann nicht einen Schritt zurück, als der erste Panzer direkt auf sie zufährt. Ihr mutiges Beispiel stärkt die Umstehenden. Putz Aquino [der Anführer der Opposition, W.S.] erzählte uns: ›Als ich den riesigen Panzer wie einen Berg auf mich zukommen sah, hatte ich Angst und wollte mich zurückziehen. Als ich jedoch neben mir die Ordensfrauen entschlossen und ruhig beten sah, konnte doch ich als Mann nicht davonlaufen, und ich fand die Kraft zu widerstehen. Ich begann, mit dem leitenden Offizier zu verhandeln.‹ “34
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Auf gewaltlose Landsleute zu schießen, war für die Soldaten unmöglich. Die Panzer drehten um. Wenig später flüchtete Ferdinand Marcos ins Exil.35

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2.3 Miteinander leben – über Grenzen hinweg

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Friedenstiftende Kräfte können freigesetzt werden, wenn Menschen aus verfeindeten Lagern beginnen, ihr Leben miteinander zu teilen. Der spontan über viele festgefahrene Fronten hinweg entstandene Weihnachtsfriede zu Beginn des Ersten Weltkriegs zeigt, wie stark diese Kraft ist.36 Verschiedene christliche Orden und Bewegungen praktizieren ein grenzüberschreitendes Miteinander-Leben: zum Beispiel Mutter Teresas „Missionarinnen der Nächstenliebe“ in ihrem Zusammenleben von Reich und Arm sowie von Europäern und Indern; oder die Gemeinschaft Arche, die mit ihrem Zusammenleben von Gesunden und Behinderten ein Zeugnis dafür gibt, dass solches Zusammenleben keineswegs romantisch glatt verläuft, sondern Menschen an Grenzen bringt, die sie durch die Kraft von Gebet und Glauben nicht nur an anderen, sondern an sich selbst zu überwinden lernen.37 Im näheren Blick auf unser Thema wäre zunächst auf zahlreiche Initiativen hinzuweisen, wo Menschen aus gegnerischen Lagern in Sozial- und Friedensprojekten miteinander arbeiten: zum Beispiel Christen mit Moslems auf den Philippinen oder Katholiken und Protestanten in Nordirland.38

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Exemplarisch für ein aus christlicher Spiritualität gewachsenes religionsübergreifendes Miteinander-Leben soll im Folgenden die Fokolar-Gemeinschaft dargestellt werden.

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„Alle sollen eins sein“ – Das Lebens-Beispiel der Fokolar-Gemeinschaft

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Noch in der Zeit des Zweiten Weltkriegs von Chiara Lubich gegründet und seit 1966 vom Vatikan als geistliche Gemeinschaft approbiert, hat die Fokolar-Gemeinschaft seit fünfzig Jahren Erfahrung mit einem Zusammenleben aus dem Geist einer durch Christus freigesetzten Nächstenliebe.39 Seit ihren Anfängen ist sie ökumenisch orientiert – bereits ab 1958 schlossen sich der Gemeinschaft evangelische und reformierte ChristInnen an – und auch offen für Menschen ohne religiöses Bekenntnis.40 Interreligiöse Kontakte wurden seit 1977 intensiviert.41 Diese Erfahrungen trugen dazu bei, dass Johannes Paul II. die Fokolar-Gemeinschaft zusammen mit der Gemeinschaft Sant´ Egidio mit organisatorischen Aufgaben für Assisi 1986 betraute. In der Folge ermutigte der Papst Chiara Lubich dazu, Begegnung der Religionen bis in das Zusammenleben der Gemeinschaft hinein zu pflegen. Er hatte dazu beigetragen, dass der Vatikan im Jahr 2007 Statutenänderungen approbierte, wonach auch Menschen aus anderen Religionen und aus nichtreligiösen Weltanschauungen in den innersten Kreis der Fokolar-Gemeinschaft aufgenommen werden können.

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Zugrunde liegt eine Spiritualität, die nicht durch direkte Evangelisation, sondern durch ein schlichtes Leben der Nächstenliebe Zeugnis von einer göttlichen Liebe ablegt, die man selbst empfangen hat. Ein froher Geist des Helfens und des Lächelns ist verankert in einer Kreuzesspiritualität, die in der Begegnung mit Anderen auch den am Ölberg und am Kreuz verlassenen Christus findet und damit rechnet, dass der Weg zur Einheit nicht ohne Schmerz und Leiden erfolgt. Diese Haltung ermöglicht es, im Dialog und in der Versöhnungsarbeit Spannungen auszuhalten und sich nicht auf eine Seite zu schlagen, sondern mit dem verlassenen Christus auch den – einsamen – Platz zwischen allen Stühlen nicht zu scheuen.

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Ein konfessions- und religionsübergreifendes Zusammenleben geschieht ohne synkretistische Vermischungen. Feiern Christen aus verschiedenen Konfessionen Eucharistie, so wird der Wortgottesdienst gemeinsam gefeiert, aber Eucharistiefeier und Abendmahl finden getrennt statt. Noch unüberwundene Unterschiede werden auf diese Weise nicht zugedeckt, sondern schmerzlich bewusst gemacht und dem Gebet um Einheit anvertraut. Wenn Anhänger anderer Religionen in einer Gemeinschaft leben oder zu Besuch kommen, werden eigene Räume eingerichtet, wo sie ihre Religion pflegen können.

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Mittlerweile gehören zur Fokolar-Gemeinschaft Christen aus 350 Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, und es gibt mehrere tausend Angehörige und Freunde der Fokolar-Bewegung, „die einer anderen Religion angehören und nach ihren Möglichkeiten die geistlichen Ziele der Bewegung teilen“.42 In Algerien besteht die Fokolar-Bewegung zu über 90% aus Muslimen,43 – – ein bemerkenswertes Zeichen des Friedens und der interreligiösen Verständigung in einem Land, das von islamistischen und antiislamistischen Polarisierungen gezeichnet ist.

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3. Gebet für den Frieden verändert die Welt – im Blick auf die Entwicklung der Weltgebetstage

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Zur Eröffnung des ersten Weltgebetstags stellte Johannes Paul II. fest:

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„Die Zusammenkunft von so vielen religiösen Führern, um zu beten, ist in sich selbst heute eine Einladung an die Welt, sich dessen bewusst zu werden, dass es eine andere Dimension des Friedens und einen anderen Weg ihn zu fördern gibt, die nicht das Ergebnis von Verhandlungen, politischen Kompromissen oder Wirtschaftsverhandlungen ist. Sie ist das Ergebnis von Gebet, das, in der Verschiedenheit der Religionen, eine Beziehung mit einer höchsten Macht ausdrückt, welche unsere menschlichen Fähigkeiten allein übersteigt.“44
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Die angeführten Beispiele belegen, dass diese Behauptung mehr ist als ein frommer Wunsch. Der gewählte „empirische“ Zugang ließe sich ergänzen durch eine Analyse der fundamentalen Schwierigkeiten, auf die menschliches Friedensbemühen stößt: die Abstraktheit von Konsensbekundungen, die in konkreten Konfliktsituation an der gegensätzlichen Interpretation einstimmig vertretener Werte zerbrechen; die fatale Neigung zu einem „Narzissmus der Differenz“ (Gerd Neuhaus), der eitel oder ängstlich auf unterscheidende Merkmale beharrt und so parteiübergreifende Verbrüderungen unter Umständen in Bruderkriege treibt.45 Oder eine beinah allgegenwärtige Neigung, Einheit auf Kosten von gemeinsam abgelehnte Dritte zu realisieren, – was dazu führt, dass Friede prinzipiell nicht universalisierbar ist: Sobald der gemeinsame Feind wegfällt, drohen die einer gemeinsamen Gegnerschaft sich verdankenden Allianzen zu zerfallen. Solche Dynamiken, für die die Bürgerkriege Ex-Jugoslawiens nach dem Ende des Kalten Kriegs ein tragisches Beispiel geben, können in einer christlichen Anthropologie als erlösungsbedürftige erbsündige Dispositionen entfaltet werden, die sich durch eine betende Ausrichtung auf einen universalen Gott aller Menschen überwinden lassen.46 Solche Ansätze können die faktisch beobachtbare – und im vorigen Kapitel dargestellten – Wirkungen des Gebets theoretisch begründen.47

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Dieser Befund legt zwei Rückfragen an die Weltgebetstage nahe, zumal in ihren Veränderungen, die sie von 1986 bis 2011 erfahren haben. Zum einen war es die entscheidende Neuerung von Assisi 2011, dass es auch für Menschen mit nichtreligiösen Überzeugungen geöffnet wurde. Steht eine solche Öffnung nicht im Widerspruch zum hier entfalteten Zentralanliegen eines anderen Wegs der Friedenssicherung durch Gebet?

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Zum anderen wurden Merkmale eines Weltgebetstags seit 1986 sukzessive zurückgenommen. 1986 hatte es noch – nach den Gebeten der Anhänger verschiedener Religionen an verschiedenen Orten – eine gemeinsame Gebetsveranstaltung gegeben, bei der die anderen Religionsvertreter dem Gebet der Repräsentanten auf dem Podium schweigend beiwohnten. Diese Vollform eines „Zusammenkommens um zu beten“ wurde 2002 durch einen gemeinsam deklarierten „Dekalog für den Frieden“ ersetzt, der in Assisi 2011 übernommen wurde. Dort fiel dann auch das 2002 noch vollzogene Gebet der Religionsvertreter an verschiedenen Orten Assisis weg. Handelte es sich somit im Jahr 2011 überhaupt noch um ein Weltgebetstreffen? Man muss sagen: ja, – auch wenn der Gebetscharakter im jüngsten Treffen weit weniger augenfällig war als 1986. Denn bereits damals waren vier Formen für ein Beten (im weiten Sinn) maßgeblich: Beten im eigentlichen Sinn, gemeinsam Schweigen, gemeinsam Gehen (Pilgern) und Fasten (symbolisiert durch ein einfaches gemeinsames Fastenmahl). Die drei letztgenannten Formen blieben auch 2011 erhalten, wobei Benedikt XVI. die Gebetsform der Wallfahrt ausdrücklich hervorhob.

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Von einer Friedenstheologie des Gebets her, wie vorausgehend skizziert, würde ich allerdings die ursprüngliche Form eines „Voreinander Betens“ bevorzugen. Sie ermöglicht eine starke gemeinsame Gebetserfahrung und berücksichtigt doch die Differenzen zwischen den Religionen. Allerdings sind auch die Synkretismus-Bedenken des jetzigen Papstes friedenstheologisch relevant. Zwei Jahre nach dem ganz auf Frieden ausgerichteten ersten Weltgebetstag trennte sich die Priesterbruderschaft Pius X. definitiv von der katholischen Kirche. Dieser Bruch war gewiss durch das Ereignis Assisi mit motiviert. Inzwischen ist es nicht unwahrscheinlich, dass zwei Jahre nach Assisi 2011 eine Wiedervereinigung mit der Priesterbruderschaft erfolgen könnte. Beide Ereignisse sind friedenstheologisch nicht irrelevant, wie auch immer man sie im Einzelnen bewertet.48

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Und wie verträgt sich die 2011 erfolgte Öffnung des Weltgebetstags für Agnostiker und Atheisten mit einer Gebetstheologie für den Frieden? Von der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, das Elemente der Wahrheit und Heiligung auch Menschen zuspricht, die nicht zur Anerkennung Gottes gelangt sind, sind hier keine grundsätzliche Bedenken anzumelden. Dieses theologische Urteil wird durch die jüngeren Erfahrungen der Fokolar-Gemeinschaft im liebenden Zusammenleben mit Personen nichtreligiöser Überzeugungen unterstützt.

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Verwendete Literatur

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Apostolische Stuhl (1986): Der Apostolische Stuhl 1986: Ansprachen, Predigten und Botschaften des Papstes Hrsg. von S. d. D. Bischofskonferenz.

56
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Arinze, Francis Kardinal (2002): Religionen gegen die Gewalt. Eine Allianz für den Frieden. Freiburg-Basel-Wien.

57
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Arnold, Martin (2011): Gütekraft – Bart de Ligts humanistische „Geestelijke Weerbaarheid“, Witten.   

58
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Benedikt XVI. (2007): Ansprache anlässlich des Treffens mit Repräsentanten der Weltreligionen bei der „Internationalen Begegnung von Menschen und Religionen" der Gemeinschaft Sant'Egidio, Neapel, 21. Oktober 2007, zitiert nach Fürlinger (2009), 402-404.

59
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Fürlinger, Ernst (2009): „Der Dialog muss weitergehen". Ausgewählte vatikanische Dokumente zum interreligiösen Dialog (1964-2008). Hrsg. von E. Fürlinger. Freiburg-Basel-Wien.

60
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Goss-Mayr, Hildegard (1996): Wie Feinde Freunde werden. Mein Leben mit Jean Goss für Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und Versöhnung. Freiburg 1996.

61
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Johannes Paul II.

62
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— (1986a):., Eröffnung des Weltgebetstags für den Frieden, Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi, 27. Oktober 1986, zitiert nach Fürlinger (2009), 130-132.

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— (1986b): Ansprache beim Gebet der christlichen Konfessionen und Gemeinschaften in der Kathedrale San Rufino in Assisi, 27. Oktober 1986, zitiert nach: Fürlinger (2009), 133-134.

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— (1986c): Ansprache zum Abschluss des Weltgebetstags der Religionen für den Frieden vor der Franziskus-Basilika in Assisi, 27. Oktober 1986, zitiert nach: Fürlinger (2009), 135-140.

65
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— (1986d): Weihnachtsansprache an die Kardinäle und die Römische Kurie am 22. Dezember 1986, zitiert nach: Fürlinger (2009), 141-147.

66
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Morozzo della Rocca, Roberto (1997): Vom Krieg zum Frieden. Mosambik: Geschichte einer ungewöhnlichen Vermittlung (Texte zum Kirchlichen Entwicklungsdienst 56). Hamburg.

67
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Neuhaus, Gerd (1999): Kein Weltfrieden ohne christlichen Absolutheitsanspruch. Eine religionstheologische Auseinandersetzung mit Hans Küngs "Projekt Weltethos" (QD 175). Freiburg i.Br.-Basel-Wien.

68
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Oschwald, Hanspeter (1998): Bibel, Mystik und Politik. Die Gemeinschaft Sant' Egidio. Freiburg-Basel-Wien.

69
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Riccardi, Andrea (2005): Der Präventivfriede. Hoffnungen und Gedanken in einer unruhigen Welt. Würzburg.

70
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Sandler, Willibald (2003): Das Friedensgebet der Religionen in Assisi, in: Raymund Schwager, Józef Niewiadomski (Hrsg.), Religion erzeugt Gewalt – Einspruch! Münster, Hamburg, Berlin, Wien, London, Zürich: LIT-Verlag (= Beiträge zur mimetischen Theorie 15), 78-97. Im Innsbrucker Theologischen Leseraum: http://theol.uibk.ac.at/itl/597.html.

71
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Tiefensee, Eberhard (1989): Die Friedensgebete in Leipzig und die Wende 1989. In: Liturgisches Jahrbuch 49 (1999) 145-170.

72
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Vanier, Jean (1983): Gemeinschaft. Ort der Versöhnung und des Festes. Salzburg 1983.

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Anmerkungen

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1 Vgl. die vom „Millenium Project“ erarbeiteten 15 wichtigsten Herausforderungen für die Menschheit, in denen die Gewaltproblematik in mehreren Punkten leitenden ist: ausdrücklich politische Gewalt in Punkt 4 („autoritäre Regime und Demokratie“); ethnische Konflikte, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen in Punkt 10; organisierte Kriminalität in Punkt 12; darüber hinaus Probleme struktureller Gewalt bei Verteilungsungerechtigkeit (u.a. Punkt 2: Versorgung mit sauberem Wasser, Punkt 3: Bevölkerungswachstum und Ressourcen; Punkt 6: Informationsgesellschaft für alle; Punkt 7: ethisches Wirtschaften, das die Kluft zwischen Arm und Reich verkleinert) oder Rechten der Frau (Punkt 11); weiters indirekte Gewaltproblematiken etwa bei der Herausforderung von atomaren, ökologischen und biologischen Katastrophen, die immer mehr von Menschen zu verantworten sind (berücksichtigt v.a. in Punkt 5). Vgl. im Internet: http://www.millennium-project.org/millennium/challenges.html.

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2 Vgl. den Bericht: Echt ergriffen. In: Der Spiegel 40 (1986) Nr. 44, S. 161f.

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3 Dieser anders gelagerte Ausrichtung wurde auch im Ablauf deutlich. An zentraler Stelle am Anfang des Treffens wurde ein rückblickender Film vorgeführt.

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4 Johannes Paul II. (1986c) 133.

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5 Ebd. 137.

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6 Der Apostolische Stuhl 1986, Hg. vom Sekretariat d. Dt. Bischofskonferenz, Köln o.J, 1672; mit einer leicht variierten Übersetzung auch in: Fürlinger (2009) 137. Vgl. auch: „Die Zusammenkunft von so vielen religiösen Führern, um zu beten, ist in sich selbst heute ein Einladung an die Welt, sich dessen bewusst zu werden, dass es noch eine andere Dimension des Friedens und einen anderen Weg der Friedensförderung gibt, die nicht das Ergebnis von Verhandlungen, von politischen Kompromissen oder wirtschaftlichen Verträgen ist. Sie ist das Ergebnis von Gebet, das in der Verschiedenheit der Religionen eine Beziehung mit der höchsten Macht ausdrückt, welche unsere menschlichen Fähigkeiten allein übersteigt.“ (Johannes Paul II. [1986a] 130.)

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7 Johannes Paul II. (1986d) 146.

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8 Vgl. den Bericht: Echt ergriffen. In: Der Spiegel 40 (1986) Nr. 44, S. 161 f. (hier: S. 162)

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9 Arinze (2002) 94.

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10 Johannes Paul II. (1986c) 138.

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11 Vor allem die Sozialenzyklika Pacem in Terris von Johannes XXIII. aus dem Jahr 1963.

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12 1965 besuchte Papst Paul VI. als erster Papst die UNO-Generalversammlung und hielt dort eine vielbeachtete Rede für Frieden und Abrüstung. Johannes Paul II. sprach zweimal vor der UNO. 1979 trat er für eine weltweite Stärkung der Menschenrechte ein und forderte von den Industriestaaten eine stärkere Unterstützung der Entwicklungsländer. Im Jahr 1995 forderte der Papst zum 50. Geburtstag der UNO, dass diese Weltorganisation mehr und mehr von einer administrativen Institution zu einem moralischen Zentrum werden müsse. 2008 verdeutlichte Benedikt XVI. vor der UNO-Generalversammlung unter anderem die positive Rolle von Religion zur Wahrung und Förderung der Menschenrechte.

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13 Johannes XXIII. vermittelte in der Kubakrise (1962), Johannes Paul II. im Grenzkonflikt zwischen Argentinien und Chile (1979-1984), sowie im Falkland-Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien (1982).

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14 Am 21. interreligiösen Friedenstreffen in Neapel 2007 nahm Papst Benedikt XVI. teil und bekannte sich zum „echten ‚Geist von Assisi‘“ aus, der „sich jeder Form von Gewalt und dem Missbrauch der Religion als Vorwand für die Gewalt“ widersetzt. „Die katholische Kirche will den Weg des Dialogs fortsetzen, um die Verständigung zwischen den verschiedenen Kulturen, Traditionen und religiösen Bekenntnissen zu fördern. Ich wünsche aufrichtig, dass sich dieser Geist immer mehr verbreite, besonders dort, wo die Spannungen am größten sind, wo die Freiheit und die Achtung vor dem andern verweigert werden und die Menschen infolge von Intoleranz und Unverständnis leiden“ (Benedikt XVI. [2007] 404).

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15 Die Zusammenarbeit der Religionen als Weg zum Frieden war bereits seit Mitte der sechziger Jahre zum proklamierten Hauptanliegen der Bewegung Rissho Koseikai geworden! Dabei kam es seit 1979 zu einer engen Freundschaft mit der Fokolar-Bewegung. Im selben Jahr 2002, in dem Johannes Paul II. 2002 zu einem Weltgebetstreffen nach Assisi lud, um in der Folge des Terroranschlags vom 11. September neu um den Frieden in der Welt zu beten, lud der Abt des Klosters am Mount Hiei islamische, jüdische und christliche Repräsentanten mit dem gleichen Anliegen zu einem Friedensgebet (vgl. im Internet: http://www.kyoto-u.ac.jp/en/profile/intro/photo/list/hiei.htm). Im Jahr 2011 nahmen 900 Repräsentanten verschiedener Religionen am mittlerweile 24. interreligiösen Treffen für den Weltfrieden teil. Der Heilige Stuhl war vertreten durch den apostolischen Nuntius von Japan. Als offizieller Gastgeber sprach der amtierende 256. Hohepriester des Tendai-Buddhismus ein Friedensgebet und plädierte gemäß buddhistischer Tradition für einen Geist der Selbstvergessenheit zum Wohle anderer. In der Folge betraten elf Repräsentanten verschiedener in Japan vertretener Religionen die Plattform und beteten in Stille, während die Friedensglocke geläutet wurde (Vgl. im Internet: http://www.rk-world.org/news11aug24thhiei.aspx?AspxAutoDetectCookieSupport=1).

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16 Vgl. Tiefensee (1989) 155.

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17 „Warum es am 9. Oktober zu diesem Verlauf kam, bei dem trotz der berührten sensiblen Orte — Bahnhof, Staatssicherheitszentrale, Rathaus, Haftanstalt nicht mehr explodierte als ein Knallkörper, wird wohl nie ganz aufzuhellen sein. Es haben eine unentwirrbare Fülle von Faktoren eingewirkt: Gorbatschows Abwendung von der DDR-Regierung, die ersten Versuche friedlicher Beilegung der Konflikte in Dresden am Tag zuvor, der Gewaltlosigkeitsaufruf der »Leipziger Sechs« um den Leiter des Gewandhausorchesters, Kurt Masur, ähnliche Resolutionen verschiedener Bürgerrechtsgruppen, der katholischen Pfarrer der Stadt und des evangelischen Bischofs Hempel, Verhandlungen zwischen Kirche und staatlichen Stellen, vor allem aber der tausendfache Mut derjenigen, welche jeder für sich entschieden hatten, trotz der Todesangst zu demonstrieren, Straßengespräche mit den Bewaffneten, erste Verweigerungen auf deren Seite, Unsicherheit und Kommunikationsmangel zwischen den Machthabern in Berlin und Leipzig usw. Doch angesichts der diffusen Masse von Beteiligten und der Unüberschaubarkeit der Situation war alles möglich. Ein fliegender Pflasterstein oder eine splitternde Scheibe, ein nervöser Offizier oder ein gewalttätiger Demonstrant hätte vielleicht ein Inferno ausgelöst. Es hat wohl ein Engel über der Stadt gestanden.“ (Tiefensee [1989] 163f)

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18  Immer wieder wurden zu den Gebeten SED-Funktionäre eingeschleust.

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19 Ein staatlicher Bericht verzeichnete z.B. dass an einem Gebetsabend an vorrangiger Stelle auch für die Sicherheitsorgane, und für die jungen Soldaten und Volkspolizei-Kräfte gebetet wurde: „damit sie nicht wirksam werden müssen, denn sie erleiden auch Qualen — innere und äußere“. Zitiert nach Tiefensee (1989) 160.

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20 Organisiert von der Gemeinschaft Sant’ Egidio. Vgl. Riccardi (2005) 194.

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21 „Am Ende des Tages versammelt sich jede Gemeinschaft Sant’ Egidio, ob sie nun klein oder groß ist, um den Herrn, um sein Wort zu hören. Aus dem Hören des Wortes Gottes und dem Gebet geht das gesamte Leben der Gemeinschaft hervor. Die Jünger können nicht anders als zu den Füßen Jesu sitzen, wie Maria von Betanien, um von ihm seine Liebe zu empfangen und zu lernen, seine Gesinnung anzunehmen (Phil 2,5). An jedem Abend kehrt deshalb die Gemeinschaft zu den Füßen des Herrn zurück und macht sich die Bitte des unbekannten Jüngers zu eigen: „Herr, lehre uns beten!‘“ (Aus der Homepage der Gemeinschaft: http://www.santegidio.org/de/preghiera/santegidio.htm#parte2).

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22 Vgl. Morozzo de la Rocca (1997) 75.

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23 Zitiert nach Morozzo de la Rocca (1997) 21.

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24 Vgl. dazu das Vorwort von G. Linnenbrink. In: Morozzo de la Rocca (1997) 9f.

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25 Gemäß der Sozialenzyklika Pacem in Terris (Nr. 25) von Johannes XXIII. ruht Friede auf den vier Säulen von Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit. Johannes Paul II. hat sich darauf ausführlich bezogen (vgl. v.a. seine Botschaft zum Weltgebetstag des Friedens 2003; im Internet: http://www.vatican.va/holy_father/john_paul_ii/messages/peace/documents/hf_jp-ii_mes_20021217_xxxvi-world-day-for-peace_ge.html). Die zentrale Bedeutung der Liebe für den Frieden brachte Johannes Paul II. durch die wiederholte Rede von einer Zivilisation der Liebe zum Ausdruck, womit er eine gelegentliche Aussage von Paul VI. aufgriff (vgl. dessen Rede von einer civiltà dell’Amore zum Angelus vom 18. Mai 1975: http://www.vatican.va/holy_father/paul_vi/angelus/1975/documents/hf_p-vi_ang_19750518_it.html).

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26 Zu den Friedensvermittlungen in Guatemala und im Kosovo vgl. http://www.santegidio.org/de/pace/pace4.htm.

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27 Vgl. Oschwald (1998) 87-104.

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28 Insofern spricht Andrea Riccardi mit Bezug auf die Weltgebetstage von Assisi und auf eine „Spiritualität des Dialogs“ immer wieder von einer „schwachen Kraft“, die gleichwohl wirksam ist. Vgl. Riccardi (2005) 187.

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29 Vgl. Arnold (2011).

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30 Bart de Ligt etwa war in seinen frühen Jahren reformierter Theologe und seit 1910 Pastor, bis er sich 1918 als Pfarrer entpflichten ließ und aus der Kirche austrat.

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31 Im Englischen wird die gewaltfreie Revolution auf den Philippinen als „People Power Revolution“ bezeichnet.

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32 Goss-Mayr (1996) 19f.

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33 Goss-Mayr (1996) 177.

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34 Goss-Mayr (1996) 190.

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35 Leider war der politische Umschwung unter Corazon Aquino nicht nachhaltig. Bald griffen Korruption und Unrecht wieder um sich. Rückblickend bedauert Hildegard Goss-Mayr, dass es zum zweiten Teil der gewaltfreien Revolution mit Aufbau und Konsolidierung eines alternativen Programms nicht gekommen war. Hier wirkte sich die Problematik einer zu kurzfristigen Schulung aus. Vgl. Goss-Mayr (1996) 192f.

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36 Zumal in Verbindung mit dem christlichen Weihnachtsfest, das – teilweise mit gleichen Weihnachtsmelodien – von Deutschen, ebenso wie von Engländern und Franzosen begangen wurde. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Weihnachtsfrieden_(Erster_Weltkrieg).

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37 Vgl. Vanier (1983).

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38  Arinze (2002) 107f bringt zahlreiche Beispiele: „Im Vereinigten Königreich schließen sich Muslime Christen an, die sich in der Gesellschaft zum Schutz der ungeborenen Kinder gegen die Abtreibung engagieren.

In Bosnien-Herzegowina bemühen sich religiöse Führer von Christentum, Judentum und Islam um Versöhnung.

Auf den Philippinen war das „Silsilah Christian-Muslim Dialogue Movement" von Zamboanga an verschiedenen Projekten beteiligt, bei denen es um Bildungsmöglichkeiten für Arme, Hausbau für Obdachlose, Schutz der Würde von Frauen und Ernährung von Hungernden ging. Auf der Insel Jolo demonstrierten Christen und Muslime gemeinsam, nachdem ein junger Mann entführt und enthauptet worden war.

In Pakistan unterstützt und finanziert die nationale Kommission für die christlich-muslimischen Beziehungen Zentren für Entgiftung und Rehabilitation, Heime für Leprakranke und Hilfe für die arme Bevölkerung. Christen und Muslime wandten sich gemeinsam gegen die Aufnahme der Religionszugehörigkeit in die Ausweispapiere und das leicht zu missbrauchende Blasphemiegesetz.

In Indien unternahmen Hindus und Christen, die einer Dialoggruppe angehören, gemeinsame Besuche, um die aufgebrachten Emotionen zu dämpfen, die nach der Zerstörung der Ayodya-Moschee durch fanatische Hindus entstanden waren.

 In Japan hält die Bewegung Rissho Kosei-kai ihre Mitglieder dazu an, auf eine Mahlzeit pro Woche zu verzichten und das dafür gesparte Geld armen Ländern zukommen zu lassen. Sie schickt auch Teams zur Arbeit mit Flüchtlingen nach Ruanda.

 In Sierra Leone waren christliche und muslimische religiöse Führer als Vermittler zugunsten von Friede und Versöhnung zwischen Regierung und Rebellen tätig.

Als Äthiopien und Eritrea gegeneinander Krieg führten, veröffentlichten Vertreter des Islam, der katholischen, protestantischen und orthodoxen Kirche im September 1998 einen gemeinsamen Friedensappell.

Während des Golfkriegs Anfang 1991 kamen in vielen Städten Europas und Nordafrikas Christen, Muslime und manchmal auch Juden zum Gebet zusammen und legten gemeinsame Erklärungen zugunsten von Gerechtigkeit und Frieden vor.“

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39 1964 wurde die älteste von heute weltweit 35 Siedlungen der Gemeinschaft in Loppiano, südlich von Florenz, gegründet.

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40 Wurzeln dafür liegen in Erfahrungen Chiara Lubichs mit ihrer Herkunftsfamilie. Ihr Bruder Gino war über viele Jahre eine wichtige Persönlichkeit in der kommunistischen Partei Italiens.

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41 Damals gab Chiara Lubich anlässlich des Empfangs des Templeton-Preises Zeugnis von ihrer Arbeit. Das beeindruckte Teilnehmer des Gremiums aus verschiedenen Religionen, und in der Folge entstanden intensive Kontakte und tiefe Freundschaften.

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44 Johannes Paul II. (1986a) 130. – Dieser andere Weg, den Frieden zu fördern ist für den Papst der eigentlich entscheidende. Nach seiner Überzeugung sind „die wirklichen Zentren der Welt- und Heilsgeschichte [...] nicht die betriebsamen Hauptstädte von Politik und Wirtschaft, von Geld und irdischer Macht. Die wahren Mittelpunkte der Geschichte sind die stillen Gebetsorte der Menschen. [...] Hier geschieht Größeres und für Leben und Sterben Entscheidenderes als in den großen Hauptstädten, wo man meint, am Puls der Zeit zu sitzen und am Rad der Weltgeschichte zu drehen.“ (Predigt von Johannes Paul II. im «Hülsparkstadion» in Kevelaer am 2. Mai 1987. Im Internet: http://www.vatican.va/holy_father/john_paul_ii/homilies/1987/documents/hf_jp-ii_hom_19870502_lodi-kevelaer_ge.html)

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45 Vgl. die Auseinandersetzung von Gerd Neuhaus mit prinzipiellen Schwierigkeiten in Hans Küngs Projekt Weltethos, in: Neuhaus (1999).

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46 Ein solcher Ansatz kann die Aussage von Johannes Paul II., „dass der Friede die menschlichen Kräfte weit übersteigt“ (vgl. oben, Anm. 6), weiterführen zur Hypothese: „Ein tiefer, echter und dauerhafter Friede zwischen Menschen, der nicht auf Opferung Dritter aufgebaut ist und ohne Polarisierung auf Feinde auskommt, ist sehr schwierig, ja übersteigt menschliche Kräfte. Wenn er dennoch Wirklichkeit wird, ist dies ein klares Zeichen, daß Gott selber (der Hl. Geist) in den Menschen am Wirken ist. Diese inkarnatorische Logik ist sowohl an der biblischen Botschaft als auch an den zahlreichen ekklesialen „Zeichen der Zeit“ in der menschlichen Geschichte ablesbar.“ (R. Schwager, J. Niewiadomski u.a., Dramatische Theologie als Forschungsprogramm. In: J. Niewiadomski / R. Schwager (Hg.), Religion erzeugt Gewalt – Einspruch! Münster-Hamburg-London 2003, 40-77, hier: 64; im Internet: http://theol.uibk.ac.at/itl/9.html#47.)

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47 Einiges davon habe ich in Sandler (2003) unternommen.

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48 Klare Bewertungen sind hier schwierig. Einerseits kann ein „fauler Friede“ – der die Wahrheitsfrage verdrängt – eine verschärfte Spaltung verschulden. Anderseits ist das Ereignis einer Spaltung – wie von den Piusbrüdern 1988, zwei Jahre nach dem ersten Weltgebetstag – kein Beweis dafür, dass zuvor ein fauler Friede betrieben wurde. Denn das Lebensbeispiel Jesu belegt, dass gerade ein kompromissloses Eintreten für Wahrheit Spaltung provozieren kann. Umgekehrt wäre das Glücken einer Versöhnung – möglicherweise zwei Jahre nach Assisi 2011 mit der Priesterbruderschaft Pius X. – kein Beweis für eine Wahrhaftigkeit der Rücknahmen des jüngsten Weltgebetstags gegenüber dem ersten. Es wäre ja immer noch zu prüfen, ob und inwieweit die Wiedervereinigung mit den Piusbrüdern Elemente eines „faulen Friedens“ enthielte.

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