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Streiten im Heiligen Geist
(Einige Grundlagen für eine christliche Konfliktkultur)

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Vortrag, in einer gekürzten Fassung auf Englisch gehalten auf einer Fachtagung der „European Pentecostal Charismatic Research Association“ in Riga, Lettland, zum Thema „The Church and the Spirit“ am 3. 11. 2011. Vgl. http://www.epcra.ch/next_conference.html
Datum:2011-11-17

Inhalt

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Einleitung

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Gibt es überhaupt ein „Streiten im Heiligen Geist“? Ich muss zugeben: Im Verlauf der Vorbereitung für den Vortrag überlegte ich mehrmals, den Titel zu ändern. Der Grund: in den erstaunlich zahlreichen biblischen Begriffen, die dafür vorkommen, wird Streiten fast ausschließlich negativ bewertet.1 Eine wichtige Ausnahme stellt Gal 2,11 dar:

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„Als aber Kephas nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, weil er durch sein Verhalten verurteilt war.“ (ELB)2
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Das Wort Widerstand (antístemi) unterscheidet sich von den anderen Begriffen für Streiten in einer subtilen, aber entscheidenden Nuance: Im Streiten bin ich auf den Gegner fixiert. Widerstand ist hingegen auch möglich durch eine entschiedene Ausrichtung auf Gott „im Heiligen Geist“.

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Allerdings hält die Bibel diesen Unterschied nicht konsequent terminologisch durch. So verwendet sie das Wort „antístemi“ auch kritisch, und an einer Stelle wird auch Streiten positiv konnotiert, in einer Bedeutung, die ganz nahe an ein „Streiten im Heiligen Geist“ rückt:

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„Und er [Saulus/Paulus] ging mit ihnen [den Aposteln] aus und ein in Jerusalem und sprach freimütig im Namen des Herrn. Und er redete und stritt (synezétei: im Sinn von disputierte) mit den Hellenisten; sie aber trachteten, ihn umzubringen.“ (Apg 9,28f ELB)
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Von einem „Streiten im Heiligen Geist“ spricht die Bibel zwar nicht ausdrücklich. Aber sie kennt ein Reden und Verkündigen im Heiligen Geist,3 und sie kennt die Charismen. Durch beides kann sich ein geistgewirktes Aufdecken von Unrecht vollziehen:

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„Wenn aber alle weissagen und irgendein Ungläubiger oder Unkundiger kommt herein, so wird er von allen überführt, von allen beurteilt“ (1Kor 14,24 ELB).
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Das griechische Wort für Überführen ist hier „elégcho“, das im Neuen Testament auch in der Bedeutung von „zurechtweisen“ vorkommt, so etwa in einem wichtigen Text zur biblischen Konfliktregelung:

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„Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht“ (Mt 18,15), oder in präziserer Übersetzung: „Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein!“ (ELB)
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Die Anweisung bekommt eine vielversprechende Ausrichtung, wenn man sie konsequent im Sinn eines „Überführens im Heiligen Geist“ (vgl. 1 Kor 14,24) versteht. „Im Heiligen Geist“ bedeutet hier, dass man den Konflikt aus einer geistgewirkten Bezogenheit auf Jesus Christus heraus austrägt und deshalb frei bleibt von jeder Fixierung auf den Gegner und das an ihm aufscheinende Negative. Was das bedeutet, erhellt am besten aus dem tödlichen Konflikt von Stephanus mit seinen Gegnern. Zwar ist auch hier nicht direkt davon die Rede, dass er im Heiligen Geist Widerstand leistete. Aber seine Rede wird umrahmt von zwei Aussagen, die eine durchgängige Geisterfüllung des Stephanus in diesem Konflikt markieren. Unmittelbar vor seiner langen Rede heißt es, dass den Leuten „sein Gesicht wie das eines Engels erschien“ (Apg 6,15). Und als das Volk aufgrund seiner Gerichtsworte in Rage geriet,4 blieb Stephanus davon völlig unbeeinflusst, denn sein Blick ist auf Jesus Christus gerichtet:

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„Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 7,55).
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Die Folge dieser konsequenten Ausrichtung auf Gott ist, dass er seinen Märtyrertod wie Jesus ohne jedes Ressentiment bestehen kann (Apg 7,59f).

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Daran, wie eine Gemeinschaft mit Konflikten umgeht, entscheidet sich die Lebensqualität in ihr und unter Umständen ihr Überleben. Insofern geht beim „Streiten im Heiligen Geist“ um eine zentrale Frage für das Tagungsthema „Heiliger Geist und Kirche“.5 Im Folgenden werde ich einige Grundlagen für eine christliche Konfliktkultur entfalten, vor allem, aber nicht ausschließlich von biblischen Texten her. Beginnen werde ich im 1. Kapitel mit einer biblischen ideal positiven Verhältnisbestimmung von Heiligem Geist und Kirche aufgrund des friedens- und gemeinschaftsstiftenden Wirkens des Heiligen Geistes. Dem halte ich im 2. Kapitel als ernüchternden Gegenbefund die Wirkungsgeschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils entgegen: ein Konzil, das sich programmatisch vom Heiligen Geist leiten ließ und deren auf umfassende Versöhnung ausgerichtete Botschaft doch allenthalben Streit provozierte. Von daher kehre ich im 3. Kapitel zur Bibel zurück und skizziere die konfliktive Seite des Neuen Testaments. Die Frage nach der Vereinbarkeit von Friedens- und Konfliktseite der Bibel, insbesondere, wie Jesus nicht Frieden, sondern Spaltung bringen und doch Friedensstifter sein kann, wird im 4. Kapitel durch die Unterscheidung von „zweierlei Frieden“ beantwortet. Dieser Ansatz wird im 5. Kapitel zu einer theologischen Anthropologie des Konflikts ausgeweitet, zu der wesentlich die Unterscheidung von zwei Grundformen einer positiv-bezogenen und einer negativ-grenzenden Identität gehört. Sechstens werde ich Jesu Verhalten einer kritischen Solidarität gegenüber seinen Gegnern als Maßstab für ein Streiten im Heiligen Geist vorstellen. Das siebte Kapitel wird eine reinigende Ausrichtung auf Jesus Christus im Gebet als Grundvoraussetzung dafür entwickeln, dass wir als Sünder wie Jesus in kritischer Solidarität handeln und solcherart „im Heiligen Geist“ streiten können. Achtens werfen wir einen Blick auf das „Apostelkonzil“ und die antiochenische Krise als Beispiel für eine urkirchliche Konfliktbewältigung. Die folgenden drei Kapitel nähern sich einem dramatischen Konflikt- und Kirchenverständnis, wonach der Heilige Geist in sündig verstrickten Situationen verschiedene Menschen in entgegengesetzte Richtung führen kann. Dieser irritierende Sachverhalt wird im 9. Kapitel biblisch erschlossen, im 10. Kapitel an Erfahrungen von Ignatius von Loyola weitergeführt und im 11. Kapitel an zwei historischen Beispielen entfaltet. Abschließend werde ich einige Anstöße für eine Diskussion geben, welche Folgerungen sich aus den vorgetragenen Inhalten für Pfingstkirchen und charismatische Bewegungen ergeben könnten.

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1. Das einigende und kirchenbildende Wirken des Heiligen Geistes

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In seiner Einladung zur Tagung hat Jena-Daniel Pluess das Verhältnis zwischen Ekklesiologie und Pneumatologie als ein gespanntes beschrieben.6 Dieses unbestreitbare Faktum wird kontrastiert durch eine ideale Verhältnisbestimmung in der frühen Kirche und auch der Bibel. Danach ist es gerade der Heilige Geist, der kirchliche Gemeinschaft begründet. Das dreigliedrige Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel ordnet die Kirche dem dritten Teil zu, der vom Heiligen Geist handelt. Der Heilige Geist wird beschrieben als „Herr und Lebensspender“, was gemäß biblischer Weltsicht auch die Schaffung eines gelingenden gemeinschaftlichen Lebens bedeutet.

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Heil ist gemäß dem Alten Testament shalom, ein umfassender Friede der Menschen mit Gott, untereinander und mit der ganzen Schöpfung. In der großen Vision Ezechiels ist es Gottes Geist, der in die ausgetrockneten Gebeine fährt und sie zu neuem Leben erweckt. Gemeint ist damit nicht primär eine individuelle Auferweckung, sondern die Neukonstituierung von Gottes Volk.7

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Nach dem Neuen Testament wird diese Neukonstitution von Gottes Volk durch den Heiligen Geist gewirkt, vermittelt durch die Sammlungstätigkeit Jesu, symbolisiert durch die Aufhebung der babylonischen Sprachverwirrung im lukanischen Pfingstwunder und konkretisiert durch ein Zusammenordnen der verschiedenen Glieder und Gaben zu einem Leib. Der Heilige Geist baut die Kirche auf, indem er die verschiedenen Menschen mit ihren verschiedenen Gaben in ein friedvolles Verhältnis von Einheit in Verschiedenheit bringt.

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„Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt.“ (1 Kor 12,13)
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So gehört zur Frucht des Heiligen Geistes wesentlich der Friede (Gal 5,22). Dieser friedensstiftende Heilige Geist ist der Geist Jesu Christi, der „unser Friede“ ist. Denn „er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder“ (Eph 2,14).

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Folgerichtig gehören Friede und Konfliktfreiheit zum biblischen Idealbild der Urkirche. Gemäß dem Zeugnis der Apostelgeschichte war die Gemeinde der Gläubigen „einmütig“ (Apg 2,46) und „ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32). Und nach Paulus gibt es „nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau“, denn alle sind „einer in Christus“ (Gal 3,28). Demgemäß ist es Friede, der in fast allen neutestamentlichen Briefanfängen den Adressaten zusammen mit Gottes Gnade zugesprochen wird.

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2. Ernüchternder Gegenbefund: Das Zweite Vatikanische Konzil und seine Folgen

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Ist dieses Ideal überhaupt lebbar? Bevor wir auf diese Frage anhand biblischer Konflikttexte eingehen, will ich einen Blick auf die Erneuerung der katholischen Kirche werfen, die vor fünfzig Jahren mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil initiiert wurde. Begonnen mit seiner Ankündigung – in einem Gebet um ein neues Pfingsten8 – war dieses Konzil durch eine Besinnung auf das Wirken des Heiligen Geistes geprägt. Es war gedacht als ein Konzil des Friedens. Erstmals gab es keine Lehrverurteilungen, sondern eine offene Hand zur Versöhnung gegenüber anderen Konfessionen, Religionen und allen Menschen guten Willens. „Communio“ war ein Prinzip seiner Ekklesiologie. Kirche wurde verstanden als in Christus gründendes „Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“9, und als „das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk“.10

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In äußerstem Gegensatz zu diesem geistgeleiteten Wirken auf Friede und Versöhnung hin steht die Wirkungsgeschichte des Konzils. Streit und Polarisierung bis hin zu Kirchenspaltung waren die Folge. Von Traditionalisten wurde die Offenheit gegenüber Nichtkatholiken als Verrat beurteilt. Auf der anderen Seite entstanden liberale Strömungen, denen der Aufbruch des Konzils nicht weit genug gegangen war. Gemäß dem „Geist des Konzils“ müsse man sich noch viel entschiedener von autoritären und patriarchalen Strukturen verabschieden. Diese Dynamik wiederum war für Traditionalisten eine Bestätigung, dass das Konzil einem (Un-)Geist verpflichtet war, der mit der ganzen früheren Tradition der Kirche gebrochen hätte. Es kam zu einer zunehmenden Polarisierung11 zwischen fortschrittlichen und konservativ-reaktionären Kräften in der katholischen Kirche.

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Warum war die Auswirkung eines dem Heiligen Geist verpflichteten Versöhnungskonzils nicht Friede, sondern forcierter Streit? Lassen wir die epochalen Bedingungen einer individualisierten Spätmoderne hier beiseite12 und konzentrieren uns für einen Antwortversuch auf die Eigenart des Konzils. Dieses verzichtete auf Ausgrenzungen und gab – in Treue zum verheißenen Wirken des Heiligen Geistes – vielen eine Stimme, zum einen Menschen außerhalb der katholischen Kirche: von Christen anderer Konfessionen über Anhängern anderer Religionen bis zu Menschen, „die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind“13. Dieses „Modell gestufter Kirchengliedschaft“ wurde von Traditionalisten für eine Identitätskrise der Kirche verantwortlich gemacht. Wenn letztlich alle Menschen der „einzigen Kirche Christi“14 zugeordnet sind, wo sind dann die Grenzen, die die Kirche der Welt gegenüber unterscheidbar machen? Wie ist Kirche dann noch definierbar?15

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Eine Stimme gab das Konzil aber auch innerhalb der Kirche dem Kirchenvolk und den einfachen Gläubigen. Festgehalten wurde ein „übernatürlicher Glaubenssinn“ des Gottesvolkes, begründet in einem prophetischen Amt Christi, an dem das ganze heilige Gottesvolk teilnimmt. „Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann im Glauben nicht irren.“16 Dabei verweist der Konzilstext ausdrücklich auf zwei Passagen des ersten Johannesbriefs:

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„Ihr habt die Salbung von dem, der heilig ist, und ihr alle wisst es.“ (1Joh 2,20) Und: „Für euch aber gilt: Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr braucht euch von niemand belehren zu lassen. Alles, was seine Salbung euch lehrt, ist wahr und keine Lüge. Bleibt in ihm, wie es euch seine Salbung gelehrt hat.“ (1Joh 2,27)
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Ihre Stimme haben die Gläubigen in der Folge des Konzils dann auch lautstark erhoben, allerdings weit entfernt von der im Konzilstext insinuierten „allgemeinen Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten“17. Darauf reagierten die letzten Päpste und zahlreiche Bischöfe zunehmend restriktiv. Es kam zu Polarisierungen zwischen der kirchlichen Hierarchie und Teilen des Kirchenvolkes, sowie zwischen verschiedenen Teilen der Kirche. Verbunden mit anderen Vorfällen entwickelte die Kirche in der Öffentlichkeit zunehmend ein Bild der Unheiligkeit und Zerrissenheit, in denkbar größtem Gegensatz zum „von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinten Volk“18 und zur „einzigen Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen“19.

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Was ist passiert? Hat die katholische Kirche durch die Öffnung für den Heiligen Geist, der nicht nur durch die Hierarchie, sondern durch alle Glieder der Kirche weht, Dynamiken Raum gegeben, die sie nun zu zerreißen drohen? Hat sie mit dem Konzil einen Turm zu bauen begonnen, den sie nun nicht fertigstellen kann, sodass sie versuchen muss, hinter das Konzil zurückzurudern? Oder ist sie den Weg noch nicht konsequent genug zu Ende gegangen, – gemäß der Schlussfolgerung, die Jesus aus dem Doppelgleichnis zieht: „Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet“ (Lk 14,33)?.20

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Einige Theologen – und zwar nicht nur aus konservativen oder traditionalistischen Bereichen – haben kritisiert, dass das Konzil zu einer harmonisierenden Communio-Theologie tendierte und dabei das konfliktive Potenzial eines Handelns im Heiligen Geist unterschätzt hat.21 Dieses Konfliktpotenzial ist im biblischen Handeln Jesu und im Leben der Urkirche durchwegs gegenwärtig. Es muss begriffen und in eine geistgeleitete Communio-Theologie integriert werden, um bestehende Konflikte realistisch einzuschätzen und ihnen durch Maßnahmen begegnen zu können, die radikal genug sind, um sie zu überwinden.22

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3. Nicht Frieden, sondern Spaltung: Die konfliktive Seite des Neuen Testaments

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Streit, Konflikt und Spaltung sind zentrale Themen in der Bibel.23 Das gilt insbesondere für das Neue Testament und für das Handeln Jesu. Obwohl Jesus sündenlos bekannt wird, provozierte er Streit, wo er hinkam. Dieses Faktum wird in den Evangelien geradezu programmatisch beschrieben, vor allem bei Lukas. Nach der Prophetie des greisen Simeon ist Jesus „dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden.“ (Lk 2,34) Und Jesus selber kündigt ausdrücklich an, dass er nicht gekommen ist, Frieden zu bringen, sondern Spaltung:

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„Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Spaltung. Denn von nun an wird es so sein: Wenn fünf Menschen im gleichen Haus leben, wird Zwietracht herrschen: Drei werden gegen zwei stehen und zwei gegen drei, der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen ihre Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.“ (Lk 12,51-53; vgl. Mt 10,34-3624)
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Solche Texte beschränken sich nicht auf eine vorübergehende (galiläische) Krise, sondern sind programmatisch für die Zeit der Kirche bis hin zur Wiederkunft Christi. Die Johannesoffenbarung bezeugt Jesus als das Lamm, das allein fähig ist, die sieben Siegel von der apokalyptischen Buchrolle zu lösen. Als es die Siegel der Reihe nach öffnet, ist die unmittelbare Wirkung jeweils maßlose Gewalt.

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Insgesamt gilt bereits alttestamentlich, dass Gott nicht nur Menschen sammelt – worin ganz zentral seine Heilswirken besteht –, sondern auch zerstreut. Es handelt sich dabei um ein göttliches Gerichtshandeln vor allem gegen Ungerechte und Hochmütige, programmatisch in der Geschichte über den Turmbau von Babel:

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„Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir hinab, und verwirren wir dort ihre Sprache, so dass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde, und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.“ (Gen 11,4-9)
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Im Neuen Testament spielt das Magnifikat auf das zerstreuende, zerspaltende Gerichtshandeln Gottes an:

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„Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.“ (Lk 1,51-52)
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Dieses zerstreuende, Gemeinschaft zerstörende Gerichtswirken wird durch Jesus fortgesetzt; und zwar, obwohl er dazu bestimmt ist, Frieden zu bringen (Lk 1,79; 2,14), dies mit seiner Gottesreichbotschaft auch unternimmt (vgl. Mt 11,28-30), die versprengten Kinder Gottes durch seinen Kreuzestod wieder sammelt (Joh 11,52) und demgemäß nach seiner Auferstehung den Jüngern als erstes Frieden zuspricht.25 Ähnlich ist es bei den Menschen in Jesu Nachfolge. Jesus schwört sie auf Frieden ein26, und – wie wir gesehen haben – ist nach der Apostelgeschichte Einmütigkeit ein zentrales Merkmal der urkirchlichen Gemeinde. Dennoch bricht in die Gemeinde, die als „ein Herz und eine Seele“ bezeichnet wird (Apg 4,32) mit Hananias und Saphira unvermittelt Betrug und ein tödliches Strafwunder herein (Apg 5,1-11).

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4. Zweierlei Friede

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Wie geht beides miteinander zusammen: der dreifaltige Gott in Jesus Christus als Friedensstifter und als Bringer von Gericht, Spaltung und Zerstreuung? Ein erster hilfreicher Hinweis ist, dass Gott nicht direkt Gewalt und Spaltung bewirkt. Das wird im Neuen Testament deutlicher als im Alten. Wenn wir Jesu Wirken in Phasen oder „Akte“ untergliedern,27 wird der Zusammenhang zwischen Sammlung und Zerstreuung deutlicher.

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Jesu öffentliches Wirken setzt ein mit seiner Gottesreichbotschaft, mit der er beginnt, das Volk Gottes um die Mitte des wahren Gottes neu zu sammeln. Die Initialzündung dafür ist die Erfahrung eines Gnaden-Kairos mit einer neu aufbrechenden Gottesnähe, – biblisch: des anbrechenden Gottesreichs. Diese Erfahrung setzt die Menschen frei zur Umkehr, d.h. zu einer fundamentalen Revision ihres Lebens auf der Grundlage des neu erfahrenen Gottes.

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Die durch Jesu Gottesreichproklamation eröffnete Möglichkeit zur Umkehr in ein von Gott her erneuerten Lebens ist allerdings mit Kosten verbunden und kann auch zurückgewiesen werden. Wo Menschen solcherart den von Jesus eröffneten Gnaden-Kairos verfehlen, rutschen sie in eine verschärfte Gottesentfremdung ab und legen die Saat zu Spaltung und Zerstörung. Vor diesen Konsequenzen warnt Jesus in seinen Gerichtsworten.

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„Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die zu dir gesandt sind. Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt. Darum wird euer Haus (von Gott) verlassen.“ (Mt 23,37-38)
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Gott straft Jerusalem nicht direkt; er zieht nur seine Herrlichkeit zurück (vgl. Ez 10,18). Und das Resultat ist Zerstörung: „Kein Stein wird hier auf dem andern bleiben; alles wird niedergerissen werden“ (Mt 24,2). Das geschieht nicht nur dadurch, dass Gott seinen Schutz entzieht, sondern durch ein verderbliches Handeln von Menschen, die Gott aus dem Blick verloren haben.28.

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„Doch mein Volk hat nicht auf meine Stimme gehört; Israel hat mich nicht gewollt. Da überließ ich sie ihrem verstockten Herzen, und sie handelten nach ihren eigenen Plänen.“ (Ps 81,12-13)
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So werden Spaltung und Zerstreuung nicht direkt von Gott bewirkt, sondern von Menschen, die den durch Jesus Christus vermittelten Gnadenkairos zurückweisen29:

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„Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“ (Lk 11,23 par. Mt 12,30)
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Dieses „nicht mit Jesus sammeln“ verdichtet sich zu einer Gegensammlung30, in der selbst verfeindete Richtungen sich in der Ablehnung Jesu einig werden, etwa Herodes und Pilatus bei der Verurteilung Jesu:

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„An diesem Tag wurden Herodes und Pilatus Freunde; vorher waren sie Feinde gewesen.“ (Lk 23,12)
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Die Apostelgeschichte generalisiert diese Dynamik:

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„Die Könige der Erde stehen auf, und die Herrscher haben sich verbündet gegen den Herrn und seinen Gesalbten. Wahrhaftig, verbündet haben sich in dieser Stadt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels, um alles auszuführen, was deine Hand und dein Wille im voraus bestimmt haben.“ (Apg 4,26-28)31
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Diese Gegensammlung ist heillos und ohne Bestand. Sie wird von Gott zugelassen, weil er die Entscheidungen sündiger Freiheit respektiert. Aber Jesus unterläuft sie durch seinen Kreuzestod, in dem er die ihm aufgezwungene Gewalt in eine Tat der liebenden Hingabe an den göttlichen Vater verwandelt.32 Durch seine Auferstehung und die Ausgießung des Heiligen Geistes wird eine neue Sammlung initiiert, die auch für jene offensteht, die Jesus als Akteure einer Gegensammlung verworfen haben.33

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Diese dramatische Transformation von heilloser Gegensammlung in eine erlösende neue Sammlung wird vor allem vom Johannesevangelium scharf herausgestrichen, und zwar ausgehend vom Wort des Hohepriester Kajaphas, das Ausdruck einer Gegensammlungs-Logik ist, und dem das Evangelium dennoch prophetischen Weitblick attestiert:

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„Einer von ihnen, Kajaphas, der Hohepriester jenes Jahres, sagte zu ihnen: Ihr versteht überhaupt nichts. Ihr bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht. Das sagte er nicht aus sich selbst; sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er aus prophetischer Eingebung, dass Jesus für das Volk sterben werde. Aber er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln.“ (Joh 11,49-52)
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Es gibt also zweierlei Sammlung und zweierlei Frieden. Auch das wird mit einem Jesuswort bei Johannes deutlich hervorgehoben:

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„Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. “ (Joh 14,27)
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Ein „Friede, wie die Welt ihn gibt“ ist gekennzeichnet durch eine Einigung gegen andere. Auf eine solche Ausgrenzungs- und Sündenbocklogik verfallen menschliche Gemeinschaften vor allem in Zeiten kollektiver Identitäts- und Orientierungskrisen, gemäß dem Prinzip: „Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen, wer wir nicht sind und gegen wen wir sind.“34 Das ist die einende Logik des Reiches „dieser Welt“ (vgl. Joh 8,23; Joh 18,36), von dem laut den biblischen Versuchungsgeschichten der Teufel (von Jesus unwidersprochen!) proklamiert, dass er ihr Herr ist (vgl. Lk 4,6).

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Von daher wird verständlich, dass Jesus nicht angesichts seiner Zurückweisung – wie ein wütender Narzisst – von einer Heilsbotschaft zu einer Unheilsbotschaft umschwenkt, sondern dass er gerade durch seine Heilsbotschaft Unheil und durch seine Friedensbotschaft Spaltung bewirkt. In der Begegnung mit dem wahren Gott wird der „Kitt“ eines „Friedens, wie die Welt ihn gibt“ aufgelöst. Zugleich wird den Menschen aber die Möglichkeit zu einem wahren Frieden, der dem wahren Gott verdankt ist, angeboten. Wo dieses Angebot aber ausgeschlagen wird, bleibt nur die zersetzende Wirkung von Jesu Botschaft von Wahrheit und Gerechtigkeit auf den ungerechten Frieden. Die Folge ist Spaltung: „Wenn fünf Menschen im gleichen Haus leben, wird Zwietracht herrschen: Drei werden gegen zwei stehen und zwei gegen drei ...“ (Lk 12,52). Nicht anders ist es bei einer eucharistischen Praxis, die das auf umfassende Communio angelegte Wesen des Leibes Christi nicht bedenkt:

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„Wer nun unwürdig von dem Brot ißt oder aus dem Kelch des Herrn trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn. 28 Der Mensch prüfe aber sich selbst, und so esse er von diesem Brot und trinke aus diesem Kelch. 29 Denn wer so ißt und trinkt, daß er den Leib des Herrn nicht achtet, der ißt und trinkt sich selber zum Gericht. 30 Darum sind auch viele Schwache und Kranke unter euch, und nicht wenige sind entschlafen.“ (1 Kor 11,27-30)35
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Krankheit und Tod stehen hier für eine Schwächung der Gemeinde durch eine Dynamik des Selbstgerichts. Das kommt dadurch zustande, dass die Gemeinde sich durch die Eucharistiefeier der Auflösung unwahrhaftiger Friedensdynamiken aussetzt, während sie sich durch ein „unwürdiges Kommunizieren“ den Empfang des wahren göttlichen Friedens vorenthält.36

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Auf die gleiche Weise kann die vom Lamm bei der Öffnung der sieben Siegel ausgehende Gewalt erklärt werden. Die apokalyptische Buchrolle steht für die verborgene Wahrheit dieser Welt: welcher Art der Kitt ist, der sie im Innersten zusammenhält. Die Öffnung der Siegel bedeutet, dass die durch den Gekreuzigten (das geschlachtete Lamm) freigesetzte Wahrheit nun die Welt in ihren verschiedenen Dimensionen erreicht. Das ist die Stunde des Gerichts, welches nicht anders erfolgt, als dass die Welt nun restlos Gottes Liebe und Wahrheit ausgesetzt wird. Aller widergöttlicher Einigungskitt wird damit erbarmungslos aufgelöst, und so beginnt „diese Welt“ in einer gewaltigen Katastrophe – mit einem letzten, äußersten Aufbäumen der zum Untergang verurteilten gewalttätigen Einigungsmächte „dieser Welt“ – zu zerfallen.37

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5. Zwei Grundformen von Identität: Eine theologische Anthropologie des Konflikts

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Was treibt Menschen dazu, sich gewalttätigen Formen des Friedens zu verschreiben? Die Frage zielt auf die erbsündigen Wurzeln menschlicher Konfliktivität und Gewalt. In äußerster Kürze kann eine theologische Anthropologie des Konflikts folgendermaßen skizziert werden:

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1. Schöpfung: Der Mensch ist geschaffen in einer dynamischen Gottebenbildlichkeit. Er ist ein Begehren, das allein in Gott zur Ruhe kommt (Augustinus). Dieser heilvolle Gottesbezug ist interpersonal vermittelt: Wo ein Mensch in erfülltem Begehren auf Gott ausgerichtet ist, wirkt das ansteckend auf andere Menschen.38. Die gemeinschaftsstiftende Wirkung einer authentischen und heilvollen Gottesbeziehung wird treffend in einer eschatologischen Vision im Buch Sacharja beschrieben:

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„So spricht der Herr der Heere: In jenen Tagen werden zehn Männer aus Völkern aller Sprachen einen Mann aus Juda an seinem Gewand fassen, ihn festhalten und sagen: Wir wollen mit euch gehen; denn wir haben gehört: Gott ist mit euch.“ (Sach 8,23)
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2. Sünde: Vorgängig zur individuellen, moralisch verantworteten Tatsünde bedeutet biblisch Sünde einen Zustand der Entfremdung von Gott mit der Auswirkung einer Entfremdung gegenüber Mitmenschen, gegenüber der Schöpfung und gegenüber einem selber.39 So können Menschen auch schuldlos von Gott entfremdet werden, wenn entscheidende interpersonale Vermittlungen der Gottesbeziehung ausfallen oder pervertiert sind. Ein Mensch, der solcherart mit oder ohne persönliche Schuld Gott aus dem Blick verloren hat, ist zu einem richtungslosen Begehren verurteilt. Er begehrt ohne zu wissen, was er begehren soll. In solcher Desorientierung begehrt der Mensch spontan das, was andere Menschen (erfolgreich) begehren. Der Kulturwissenschaftler René Girard spricht in diesem Sinn von einer Nachahmung des Begehrens oder einem mimetischen Begehren.40 Wo menschliches Begehren spontan auf begrenzte Gegenstände (also alles, was nicht Gott ist) in der Weise einer exklusiven Aneignung ausgerichtet wird,41 sind Konflikte, Rivalität und Gewalt vorprogrammiert.

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Unter dem Stichwort „Sündenbockmechanismus“42 hat René Girard aufgezeigt, dass mimetische Begierde einen kollektiven Sprengstoff bildet, der vorstaatliche Gesellschaften, die noch nicht über gewaltbegrenzende institutionelle Systeme (wie etwa das Gerichtswesen) verfügen, blockiert und in die Selbstzerstörung treibt. Wo die gegenseitige Rivalität die Grundlagen eines Gemeinwesens angegriffen hat, sind Friedensgespräche oder gar die Erfindung und Einrichtung eines Gesellschaftsvertrags (Hobbes, Rousseau) zur Gewaltbegrenzung chancenlos. In solcher gesellschaftlicher Krise gibt es nur ein Mittel, das in der Verlängerung mimetischer Dynamik den überlebenswichtigen Frieden gleichsam von selber wiederherstellen kann: Wenn nämlich die rivalisierende Aneignungsmimesis in eine „Gegenspielermimesis“43 umschlägt (d.h. das Begehren orientiert sich nun primär auf die Vernichtung des verhassten Konkurrenten) und ein besonders erfolgreicher Schlag eines Gesellschaftsgliedes gegen einen Rivalen die mimetische Nachahmung der anderen Gesellschaftsglieder sukzessive nach sich zieht.44 Im Extremfall führt diese Mobbing-Dynamik zur spontanen einhelligen Ausstoßung eines Opfers in einer kollektiven Ekstase überbordender Gewalt, mit dem Ergebnis, dass die zurückbleibende Täter-Gemeinschaft sich auf wunderbare Weise geeint erfährt.
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Die solcherart in einem theologischen Kontext – ausgehend von einer im Grunde gewaltfreien dynamischen Grundorientierung jedes Menschen auf Gott – als Erbsündentheologie entworfene mimetische Theorie lässt sich weiterführen zur idealtypischen Unterscheidung von zwei Grundformen menschlicher Identität, und zwar gleichermaßen im Hinblick auf individuelle und kollektive Identität. Durch eine glückende Beziehung zu Gott bekommen Menschen – individuell und gemeinschaftlich – Identität zugesprochen: als von Gott her bedingungslos angenommen (= geliebt)45 und solcherart zu den Mitmenschen gesandt, um die identitätsstiftende und -heilende Liebe weiterzugeben, die sie selber empfangen haben. Auf diese Weise entfaltet sich über die Erfüllung des geschöpflichen Grundbegehrens in Gott eine positiv-bezogene Identität in den beiden Grundrichtungen einer Herkunfts- bzw. Zugehörigkeitsidentität auf der einen Seite („Woher-Identität“ gemäß der Frage: Wer bist du – Zu wem gehörst du?) und einer funktionalen Identität auf der anderen Seite („Wozu-Identität“ gemäß der Frage: Wer bist du – Was machst du?).

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Wo der Blick auf den wahren Gott verstellt ist, gerät Identität in die Krise (wiederum ebenso individuell wie auch gemeinschaftlich). Gemäß dem Sündenbockmechanismus bietet sich in solchen Situationen spontan die Möglichkeit, Identität nicht mehr positiv durch ein Woher oder Wozu zu bestimmen, sondern in negativer Abgrenzung, gemäß dem Prinzip: „Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen, wer wir nicht sind und gegen wen wir sind.“46 Solche negativ-grenzende Identität steht und fällt mit der Etikettierung von Personen als „draußen“, auch wenn sie nicht, wie in der heißen Phase des Sündenbockmechanismus, einhellig ausgestoßen werden. Kollektive Identität und Friede werden solcherart wiederhergestellt bzw. gesichert als ein „Friede minus eins“ (in einhelliger Absetzung gegenüber einen Sündenbock) oder auch als ein halbierter Friede (in einheitsstiftender Absetzung gegen eine Gegenpartei). Ein Indiz für eine solche negativ-grenzend bestimmte Identität oder einen solchen Frieden ist, dass sie grundsätzlich nicht universalisierbar sind. Wenn es keinen Anderen mehr gibt, gegen den sie abgegrenzt werden, geraten sie in die Krise und brechen zusammen.47

71
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In solchen Argumentationszusammenhängen steht die Kernhypothese des Forschungsprogramms der Innsbrucker dramatischen Theologie:

72
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„Ein tiefer, echter und dauerhafter Friede zwischen Menschen, der nicht auf Opferung Dritter aufgebaut ist und ohne Polarisierung auf Feinde auskommt, ist sehr schwer erreichbar, ja übersteigt menschliche Kräfte. Wenn er dennoch Wirklichkeit wird, ist dies ein klares Zeichen, daß Gott selber (der Hl. Geist) in den Menschen am Wirken ist. Diese inkarnatorische Logik ist sowohl an der biblischen Botschaft als auch an den zahlreichen ekklesialen ‚Zeichen der Zeit‘ in der menschlichen Geschichte ablesbar.“48
73
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6. Prinzip eines „Streitens im Heiligen Geist“: Jesu kritische Solidarität gegenüber seinen Gegnern

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Die Unterscheidung von zweierlei Frieden sowie von zwei Grundformen der Identität macht deutlich, dass auch ein Verhalten, welches Frieden erschüttert, von Gott her geboten sein kann. Jesu exemplarisches Handeln zeigt, dass solche Subversion niemals direkt von Hass und Gewalttätigkeit geleitet sein kann. Vielmehr ist es gerade die Feindesliebe, welche „glühende Kohlen auf das Haupt des Feindes sammelt“ (Röm 12,20), indem es ihn der göttlichen Dynamik von Wahrheit und Liebe aussetzt und so – wenn nicht zur Umkehr – in das Selbstgericht treibt.49

75
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Wie ein solches „Streiten im Heiligen Geist“ erfolgen kann, wird an Jesu konfrontativem Verhalten auf dem Weg zum Kreuz deutlich. Schematisch verdichtend lässt sich dieser beschreiben als ein enger werdender Kreuzweg einer kritischen Solidarität zwischen den Straßengräben von Aggression und Resignation:50

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Gegenüber Menschen, die den durch Jesu Gottesreichbotschaft vermittelten Kairos eines befreienden Gnadenrufs Gottes zurückwiesen, verhielt sich Jesus auf zweierlei Weise: einerseits konfrontierte er sie mit den Konsequenzen ihres Tuns. Das geschah durch Gerichtsworte oder einfach nur durch das verstörende Faktum seiner Gegenwart, welches seine Gegner mit einer verstörenden Wirklichkeit konfrontierte. Anderseits aber zog sich Jesus nicht von ihnen zurück, sondern ging ihnen nach wie der Hirte den verlorenen Schafen51. Dieses solidarische Verhalten ist aber für die „verlorenen Schafe“ Israels keineswegs angenehm, sondern verschärft die verstörende Wirkung seiner Kritik. So ergibt sich, dass gegenüber verstockten Menschen der Weg einer kritischen Solidarität zugleich der Weg maximaler Konfrontation ist. Bildlich gesprochen wird dieser Weg von zwei Straßengräben begrenzt: dem Straßengraben der Aggression in einer unsolidarischen Kritik und der Straßengraben der Resignation52 in einer unkritischen Solidarität.

77
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Die maximale Konfrontation eines Verhaltens kritischer Solidarität kann den Begleiteten zur Umkehr verhelfen oder aber ihn in einen verschärften Widerstand treiben. Zunehmend missversteht der solcherart Begleitete jede Kritik als unsolidarisch und jedes Zeichen der Solidarität als unkritisch, also jedes Handeln des Begleiters als in einen der beiden Straßengräben befindlich. In diesem Sinn wird der Mittelweg einer kritischen Solidarität zumindest für das Verständnis des solchermaßen Begleiteten zunehmend enger, bis zu einem völligen Missverstehen. Am Ende dieses Weges steht die kollektive Verstoßung des solcherart als untragbar empfundenen Begleiters: Jesu Weg einer kritischen Solidarität wird zunehmend zum Kreuzweg, der in der totalen Weglosigkeit („A-porie“) des Kreuzes endet. Auch für Jesus ist hier nicht mehr ersichtlich, wie sein kritisch solidarisches Verhalten die Schafe noch retten kann.

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Der von Jesus gegangene Mittelweg einer kritischen Solidarität gegenüber den sich verstockenden Sündern ergibt sich zwangsläufig aus seinem Gottesverhältnis, welches ihn in ein Verhältnis vollkommener positiver Identität hält: ganz vom Vater her – ganz auf die Menschen hin.53 Das zweite Moment begründet Jesu solidarisches Verhalten: er würde seiner Sendung zu den Menschen untreu, wenn er sich verurteilend oder resignierend54 von ihnen zurückziehen würde. Und das erste Moment begründet Jesu kritisches Verhalten: er würde der Verbundenheit mit seinem Vater untreu, wenn er bei den Menschen ein Verhalten tolerierte, das der göttlichen Liebe und Wahrhaftigkeit widerspräche. Wenn Jesus sich nicht restlos durch den Heiligen Geist vom göttlichen Vater führen lassen würde,55 könnte er unmöglich die enger werdende Spur einer kritischen Solidarität halten. Obwohl er bis zuletzt dem Vater in allem gehorsam blieb, ist für ihn – als zugleich wahrem Menschen – am Ende seines irdischen Lebensweges keineswegs ersichtlich, wie er die Sendung seines Vaters zur Rettung der Menschen erfüllen konnte. Deshalb sein Ruf am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34 par Mt 27,46). Die Transformation der maximales Unheil bedeutenden negativ-grenzenden Identität der Menschen gegen Jesus, den Mittler Gottes zu einer neuen positiven Identität ist vom Kreuz her unabsehbar und wird durch Jesu blind – und solcherart völlig bedingungslos – durchgehaltenes Ja zu Gott bewirkt, welches alles Jesus Zugefügte in eine Tat liebender Hingabe transformiert und solcherart an den Vater zurückgibt.56

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7. Reinigende Christusorientierung als Voraussetzung für ein „Streiten im Heiligen Geist“

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Das Prinzip einer kritischen Solidarität ist für die Praxis in der Christusnachfolge leitend. Es kann aber nicht eins zu eins übernommen werden, weil unsere Beziehung zum dreieinen Gott immer auch durch eigene Sünde beeinträchtigt ist. Selbst bei besten Absichten von Wahrhaftigkeit in der Christusnachfolge können deshalb bestehende Konflikte auch auf den ungesehenen Balken im eigenen Auge zurückzuführen sein (vgl. Mt 7,4f par Lk 6,41f).

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Von daher setzt jedes adäquate christliche Streiten ein fortwährendes Gereinigtwerden voraus, welches uns immer neu und tiefer mit Christus verbindet, gemäß dem johanneischen Jesuswort:

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„Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab, und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.“ (Joh 15,1-2)
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Praktisch wird solche Reinigung bewirkt durch Gebet:57 in der Einübung eines ausschließliches Schauens auf den himmlischen Vater, ermöglicht durch den Blick auf unseren Erlöser Jesus Christus.58 Dadurch kann die gestörte Verbindung zum wahren Gott neu wachsen, und wir werden zunehmend frei von Verwirklichungsformen einer negativ grenzenden Identität.

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Die an der Wurzel zu überwindende negativ grenzende Identität wirkt sich ja nicht nur dort aus, wo ausdrücklich Menschen ausgegrenzt werden, sondern in einer alles Sein durchziehenden Grundhaltung einer „Seitenblickmentalität“59. Wir neigen dazu, ständig unsere eigene Position (und damit unsere Identität) im Vergleich mit anderen – anwesenden oder nicht anwesenden – Referenzpersonen zu „kalibrieren“: entweder in negativer Abgrenzung oder in einer vergötzenden Identifizierung. Im Falle von Konflikten treibt uns diese Seitenblickmentalität in die Eskalation: Spontan beantworten wir Ablehnung mit Ablehnung. Um adäquat christlich streiten zu können, reicht es nicht aus, solches Rivalisieren durch ein anständiges Verhalten zuzudecken. Die Freisetzung von Jesu erlösendem Wirken ist erst durch echte Feindesliebe60 möglich. Und diese Feindesliebe wiederum ist nur erreichbar, wenn wir den Anderen ganz mit Jesu Augen anschauen. Streitsituationen können einen enormen Sog entwickeln, den Blick vom Gott Jesu Christi weg und ausschließlich auf den bedrohlichen Anderen zu richten. Diesem Sog zu entkommen ist eine Gabe des Heiligen Geistes.

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In diesem Kontext sind die zahlreichen biblischen Ermahnungen zu Einmütigkeit, Sanftmut und Gewaltlosigkeit, sowie die Verurteilungen von streitbaren Haltungen – vor allem in den Lasterkatalogen – zu verstehen.61 Die angezielte Grundhaltung ist jene der Liebe, die – bedingungslos – „alles erträgt, alles glaubt, alles hofft und allem standhält“ (vgl. 1 Kor 13,7) und von der dennoch gilt, dass sie sich nicht über das Unrecht, sondern an der Wahrheit freut (1 Kor 13,6): und das heißt in der Begegnung mit Unrecht und Unwahrheit: Kritik, – allerdings in der Weise einer solidarischen Kritik.

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8. Urkirche im Konflikt: Paulus gegen Petrus in der antiochenischen Krise

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Die Bibel ist durchzogen von verschiedensten Konflikten, die mit Gewinn für das rechte Verständnis eines „Streitens im Heiligen Geist“ berücksichtigt werden können.62 Hier soll nur auf einen Konflikt eingegangen werden, der für die Entwicklung der frühen Kirche fundamental war und den die Bibel ausführlich und aus verschiedenen Perspektiven beschreibt: Es handelt sich um die Streitfrage von Auflagen für Heidenchristen (Beschneidung und Befolgung des jüdischen Gesetzes), in der Paulus in Konfrontation mit Jersulamer Judenchristen und schließlich auch mit Petrus gerät. Wie gravierend der Streit war, belegt die ansonsten eher harmonieorientierte Apostelgeschichte, wenn sie von „großer Aufregung und heftigen Auseinandersetzungen“ berichtet (Apg 15,2).63 Für Paulus steht mit dieser Frage die Wahrheit und Einheit des Evangeliums auf dem Spiel (vgl. Gal 1,6-9), welches eine Rechtfertigung ohne vorausgehende eigene Leistung eröffnet. Sein Verhalten gegenüber den Jerusalemer „Säulen“ (Gal 2,9) und im Besonderen gegenüber Petrus umfasst entschiedene Solidarität und kompromisslose Kritik. Zum Ersten:
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„Ich ging hinauf aufgrund einer Offenbarung, legte der Gemeinde und im besonderen den «Angesehenen» das Evangelium vor, das ich unter den Heiden verkündige; ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin.“ (Gal 2,2)Und zum Zweiten:

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„Als aber Kephas nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, weil er durch sein Verhalten verurteilt war.“ (Gal 2,11 ELB)
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Das oben entwickelte Muster einer kritischen Solidarität erlaubt eine Deutung der Texte in Apg 15 und Gal 2, welche weder die eine noch die andere Aussage relativiert und auch nicht dem Paulus ein Schwanken in seiner Haltung unterstellen muss.

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Eine Tendenz zur Relativierung gibt es vor allem in der Interpretation von Gal 2,2, wo Exegeten hervorheben, dass Paulus mit dem „vergeblich laufen“ gewiss nicht gemeint hätte, dass er sich mit seinem Liberalismus den Heiden gegenüber vielleicht geirrt hätte.64 Das ist gewiss richtig, ebenso wie die Feststellung, dass Paulus wohl nicht nach Jerusalem ging, um die dortigen Autoritäten um Erlaubnis zu fragen. Mit seiner Überzeugung war Paulus der Treue Gott gegenüber verpflichtet, und hier einfach nachzugeben, hätte ein Abgleiten in eine unkritische Solidarität oder einen unkritischen Irenismus oder Autoriätsgehorsam bedeutet.65 Aber anderseits ist es unzureichend zu behaupten, dass Paulus mit dem „Vergeblich gelaufen“ nur einen Misserfolg in seiner Missionstätigkeit gesehen hätte.66 Auf dem Spiel stand tatsächlich die Einheit des Evangeliums (Gal 1,6-9).67
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Für eine rechte Einschätzung des Konflikts muss zunächst gesehen werden, dass beide Seiten berechtigte Anliegen verfolgen. Selbst das Verhalten von Petrus in Gal 2,11-14 – sein Nachgeben gegenüber den „Leuten aus dem Kreis um Jakobus“ in einem Rückzug aus der Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen – ist nicht schlechthin als feiges Nachgeben zu disqualifizieren: im Sinne einer unkritischen Solidarität mit den Jerusalemer Judenchristen, die in eine Identität durch Ausgrenzung münden würde. Auch Paulus kennt ja eine Rücksichtnahme auf die Schwachen,68 gemäß dem Prinzip „alles ist erlaubt, aber nicht alles nützt“ (1 Kor 10,23; 6,12). Dennoch erscheint der Widerstand des Paulus hier als berechtigt. Schließlich geht es nicht um bloßes Essen,69 sondern um die Wahrung der Tischgemeinschaft und damit um das rechte Bedenken des ungeteilten Leibes Christi (1 Kor 11,29), den man nicht nur empfängt, sondern zu dem man wird (vgl. 1 Kor 10,16f).

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Ob und wie Paulus sich gegenüber Petrus in Antiochia durchgesetzt hat, wird nicht berichtet. Aber zur Schlichtung des Konflikts mit den strengen Judenchristen in Jerusalems geben beide relevanten Texte eine aufschlussreiche Auskunft:

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„Und sie hörten Barnabas und Paulus zu, wie sie erzählten, welch große Zeichen und Wunder Gott durch sie unter den Heiden getan hatte.“ (Apg 15,12)
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Der gemeinsame Blick auf Gott und seine Taten ebnet den Weg zu einer Versöhnung, in der keine Partei als Verlierer dasteht.70 Das Ergebnis ist eine Einigung, die tiefer reicht als nur bis zur Findung einer geeigneten Prozedur (nämlich der Entsendung einer Abordnung mit einem autorisierten Schreiben), und welche die Apostelgeschichte auf die anspruchsvolle Schlussformel bringt: „der Heilige Geist und wir haben beschlossen ...“ (Apg 15,28).

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In Zeiten der Polarisierung gegenüber einer „Amtskirche“ könnte diese Formel als geradezu blasphemische Anmaßung von Führungsgewalt missverstanden werden. Gemeint ist aber ein Wirken des Heiligen Geistes, welches die Jerusalemer Autoritäten – zumal den nach Gal 2,11 offenbar enger eingestellten Jakobus – zu einem Umdenken geführt hat. Dass der Versöhnungsprozess vom Heiligen Geist – zusammen mit den Jerusalemer Autoritäten, die ihm folgten – geleitet wurde, zeigt auch das Ergebnis einer umfassenden Versöhnung. Frühere Repräsentanten aus der (vermutlich) engeren judenchristlichen Position werden zur Bezeugung der offeneren Haltung nach Antiochien abgesandt. Und sie stehen nicht etwa zähneknirschend für eine weitgehende Freiheit der Heidenchristen gegenüber jüdischem Gesetz und Beschneidung ein, sondern:

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„Judas und Silas, selbst Propheten, sprachen ihnen [Paulus, Silas und den Heidenchristen aus Antiochien] mit vielen Worten Mut zu und stärkten sie. Nach einiger Zeit wurden sie von den Brüdern in Frieden wieder zu denen entlassen, die sie abgesandt hatten.“ (Apg 15,32-33)
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9. Dramatik eines biblischen Streitens: Wenn Gott verschiedene Menschen in entgegengesetzte Richtung führt

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Bei Konflikten unter Christen gibt es einen verbreiteten Kurzschluss: Wenn es wahr ist, dass ich in einer bestimmten Sache mit Gott gehe, dann muss jeder, der sich mir entgegenstellt, gottlos sein.71

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Ein humorvolles Gegenbeispiel zu diesem Kurzschluss gibt das Buch Numeri mit dem protestierenden Esel, der sich Bileam in den Weg stellt, obwohl Gott ihn beauftragt hat, zu Balak zu gehen. Trotz eines vorausgehenden Verbotes in Num 22,12 heißt es in Vers 20: „In der Nacht kam Gott zu Bileam und sprach zu ihm: Wenn die Männer gekommen sind, um dich zu holen, dann mach dich auf den Weg, und geh mit! Aber du darfst nur das tun, was ich dir sage.“ Im Widerspruch zu diesem Auftrag stellt der übernächste Vers fest: „Aber Gott wurde zornig, weil Bileam mitging, und der Engel des Herrn trat Bileam in feindlicher Absicht in den Weg, als Bileam, begleitet von zwei jungen Männern, auf seinem Esel dahinritt.“ (Num 22,22)

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Heißt das, dass Gott sich widerspricht? Diese Annahme ergibt sich, wenn man Gottes Willen auf ein immer und überall für jeden gültiges Gesetz reduziert. Im Gegensatz dazu ist Gott ein handelnder und mit den Menschen mitgehender Gott. Er kann einen Menschen zuerst in die eine und dann in die entgegengesetzte Richtung führen.

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Es sieht so aus, als ob Bileam genau Gottes Anweisungen folgt, genau so, wie er zweimal gewarnt wird: „Aber du darfst nur das tun, was ich dir sage.“ (Num 22,20.35). Allerdings entwickelt der Judasbrief eine kritischere Interpretation, wenn er vor Irrlehrern warnt, die „aus Habgier dem Irrtum Bileams verfallen“ wären (Jud 1,11). Der Brief unterstellt, dass Bileam sich durch die Bestechungsgelder blenden ließ. Er hätte Gott nicht nochmals fragen dürfen, nachdem er schon ein Verbot erhalten hatte. Diese Interpretation widerspricht nicht der vorigen, sondern fügt einen neuen Aspekt hinzu: Gott ändert seine Anweisung, weil er den geblendeten Willen von Bileam berücksichtigt. Von daher gewinnt die Satire mit dem protestierenden Esel die Bedeutung einer Warnung für Bileam: dass er wirklich ganz präzise Gottes Weg folgt und nicht wie ein störrisches Maultier rechts und links abweicht.72

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Balaam hat seine Lektion gelernt und bekennt sein Versagen:

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„Ich habe gesündigt, aber nur, weil ich nicht wusste, dass du mir im Weg standest. Jetzt aber will ich umkehren, wenn dir mein Vorhaben nicht recht ist.“ (Num 22,3)
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Dieses Bekenntnis bezieht sich dann wohl auch auf Bileams – vom Judasbrief kritisierte – Widerspenstigkeit, den Herrn nochmals zu befragen, wo er doch schon eine eindeutiges Wort erhalten hatte. Von da an befolgt Bileam kompromisslos Gottes Anweisungen. Er segnet, wo der König Fluch verlangte, ohne jeden Seitenblick auf die Erwartungen und die Macht Balaks, der ihm nicht nur die versprochenen Geschenke vorenthalten, sondern ihn sogar töten könnte.

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Systematisierend lassen sich mehrere Faktoren nennen, welche uns auf die Einsicht vorbereiten, dass Gott Menschen in entgegengesetzte Richtungen führen kann:

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1. Der Ortsfaktor: Gott kann Menschen an einem Ort in eine bestimmte und andere Menschen an einem anderen Ort in die entgegengesetzte Richtung führen. Zum Beispiel kann Gott angesichts bestimmter Missstände die einen Menschen zum Gebet und andere Menschen in die Aktion rufen. Ein biblisches Beispiel wäre der (mögliche) Unterschied der Berufungen von Petrus und Johannes nach Joh 21,20-22.

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2. Der Zeitfaktor: Gott kann Menschen zuerst in die eine, dann in die andere Richtung führen. Dazu gibt es natürlich ernsthaftere Beispiele als die Bileamsgeschichte. Am dramatischsten ist gewiss die Erzählung vom Abrahamsopfer (Gen 22).73 Aber besonders denkwürdig ist die Geschichte von der Erkundung Kanaans durch Israel am Beginn des Buchs Deuteronomium:74 Danach wies Gott sein Volk an, das gelobte Land in Besitz zu nehmen (Dtn 1,20). Als sie aber das Land erkundeten, verfielen sie in Angst und rebellierten gegen Gottes Willen (Dtn 1,26). Gott wurde zornig und verfügte, dass niemand außer Kaleb und Josua das gelobte Land betreten würden. Darauf wurden die Israeliten von Reue erfasst (Dtn 1,41), und einige von ihnen beschlossen, dass sie nun Gottes früheren Auftrag erfüllen und gegen die Amoriter kämpfen würden. Mose warnte sie, dass dieses Verhalten nicht Gehorsam, sondern erneuten Starrsinn bedeuten wurde. Sie hörten nicht auf ihn und erlitten eine schlimme Niederlage. Die Geschichte zeigt eindrücklich, dass es eine bestimmte Zeit, einen Kairos, für Gottes Ruf gibt, und dass dieser Ruf sich ändern kann, wenn man den Kairos versäumt.

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3. Der Interpersonalitätsfaktor: Gott kann Menschen in die eine bestimmte Richtung führen und diese Richtung durch andere Menschen korrigieren lassen. Das ist zum Beispiel möglich durch einen prophetischen Eindruck, der einen Kairos (d.h. eine besondere Gnadenzeit) für etwas Neues ansagen kann, – in einer Aufforderung zu einer Wegänderung, die nicht bedeuten muss, dass der Weg bisher falsch gewesen wäre. Ein Beispiel aus den Evangelien ist Lk 22,35-36:

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„Dann sagte Jesus zu ihnen: Als ich euch ohne Geldbeutel aussandte, ohne Vorratstasche und ohne Schuhe, habt ihr da etwa Not gelitten? Sie antworteten: Nein. Da sagte er: Jetzt aber soll der, der einen Geldbeutel hat, ihn mitnehmen, und ebenso die Tasche. Wer aber kein Geld hat, soll seinen Mantel verkaufen und sich dafür ein Schwert kaufen.“
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4. In diesem Zusammenhang ist der institutionelle Faktor zu berücksichtigen. Gottes Sammlungs- und Gemeinschaftswille beinhaltet, dass Menschen sich zur Entlastung auch institutioneller Formen bedienen.75 Institutionelle Regelungen haben etwas von einer Blindflug-Automatik. Sie erlauben die routinemäßige und delegierbare Abwicklung von Angelegenheiten. Aber manchmal müssen diese geregelten Abläufe durchbrochen und die Steuerung sozusagen händisch nachjustiert werden. Innerhalb der Vielfalt der Charismen ist Letzteres eher Aufgabe von Propheten, während die Festlegung und Überprüfung geregelter Abläufe mehr zu den Aufgaben von Leitern gehört (vgl. 1 Kor 12,28; Röm 12.6.8).

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5. Der Schuldfaktor verbindet sich innerlich mit allen voraus genannten Faktoren. So wird die Frage, ob Gott tatsächlich die Institution eines Königtums einsetzen wollte, im Alten Testament scheinbar widersprüchlich beantwortet. Die richtige Antwort ist wohl: Immer wieder geht Gott mit den Menschen mit und schreibt auf krummen Zeilen gerade. Auch wo sie sich auf falsche Entscheidungen festlegen, versucht er ihnen einen Weg von sogar größerem Segen zu eröffnen.76 So ist es mit der Institution des Königtums, welche das Volk Israel im Seitenblick auf erfolgreiche Nachbarvölker „auch haben“ wollte, und welches Gott ihm zunächst mit einer gewissen Häme zugestand (1 Sam 8,5-9). Dennoch hat Gott später längs dieser Spur seinen Heilsweg gebahnt: mit David, Salomo und den messianischen Verheißungen.

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5. Allerdings ist nicht jede Unsicherheit im Hören auf Gottes Willen schuldbedingt. Es gibt auch einen geschöpflich bedingten Unsicherheitsfaktor, der Menschen auf ein Aufeinanderhören verweist. Ein biblisches Beispiel ist die Anweisung zum Hören Gottes für den jungen Salomo durch den eigentlich schon verworfenen Hohepriester Eli (1 Sam 3).

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10. Das dramatische Kirchenverständnis des Ignatius von Loyola

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Wie weit kann das vom Heiligen Geist geleitete Gegeneinander von verschiedenen auf Ihn hörenden Menschen gehen? Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens und Experte für Unterscheidung der Geister, wurde mit dieser Frage konfrontiert. Als Ordensgründer war er der festen Überzeugung, von Gott so geführt zu sein, dass die neuen Ordensmitglieder auf jede Art von weltlicher Ehre und deshalb auch auf das Bischofsamt verzichten müssten. Anderseits gab es unter den Jesuiten überaus fähige Männer, auf die der Papst und der Kaiser nicht glaubten, verzichten zu können, sodass sie beabsichtigten, diese für höhere Ämter einzusetzen.77 Da für Ignatius der Gehorsam dem Papst gegenüber ebenso ein zentrales Anliegen war, geriet er in ein Dilemma. Als Kaiser Karl V. seinen früheren Vizekönig und nunmehrigen Jesuiten Francisco de Borja zum Kardinal erheben lassen wollte und sich dafür um Unterstützung durch den Papst bemühte, entwickelte Ignatius nach einer Bekräftigung seiner Ablehnung in einem Brief an Borja im Jahr 1552 folgende Überlegung:

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„Gleichwohl hielt und halte ich fest: Wenn es der Wille Gottes ist, daß ich mich darin einsetze und sich andere für das Gegenteil einsetzen und Euch diese Würde gegeben wird, so gebe es keinen Widerspruch. Denn es kann sein, daß der gleiche göttliche Geist mich dazu aus den einen Gründen und andere aus anderen zum Gegenteil bewegt, so daß verwirklicht wird, was der Kaiser angezeigt hat. Gott, unser Herr, möge in allem tun, wie es immer sein größerer Lobpreis und Ruhm ist.“78
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Diese Annahme ermöglicht es Ignatius, seinen Kontrahenten – und insbesondere seinen kirchlichen Oberen – zuzugestehen, dass auch sie sich vom Geist Gottes leiten lassen, selbst wenn er in einer Sache nach bestem Wissen und Gewissen vom Gegenteil überzeugt ist und deshalb auch dafür streitet.79 Doch bleibt der Gegensatz zwischen Christen stets von der Überzeugung überbrückt, dass es der gleiche göttliche Geist ist, der die Kontrahenten leitet.80

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Diese Haltung hält die Streitenden lernbereit, weil sie – bei fester Überzeugung, selber von Gott her berechtigte Gründe zu haben – stets die Möglichkeit offenhalten, dass die Kontrahenten andere berechtigte Gründe haben, die ihnen noch verborgen sind. Aus dem zeitgeschichtlichen Kontext der Reformation und Gegenreformation eröffnet dieses dramatische Kirchenverständnis Möglichkeiten, Gewissenstreue und kirchlichen Gehorsam miteinander zu verbinden,81 – ein Ansatz der für die Ökumene bedeutsam sein könnte. Auch die zu einem gewissen Harmonismus neigende Communio-Ekklesiologie des 2. Vatikanums82 kann mit dem Ansatz des Ignatius aufgegriffen werden, ohne dass die dadurch freigesetzten Konflikte verdrängt werden müssten.

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Dieses „pneumatische Kontradiktionsprinzip“ darf nicht missverstanden werden. Es kann niemals bedeuten, dass der Heilige Geist sich selbst widerspricht.83 Das ist von Ignatius aber auch nicht gemeint. Vielmehr entzündet sich das Gegeneinander daran, dass die Kontrahenten jeweils unterschiedliche Aspekte eines Sachverhalts wahrnehmen, von denen die einen für und die anderen gegen eine bestimmte Entscheidung sprechen.84 Dabei handelt es sich allerdings nicht in jedem Fall um ein Informationsdefizit, das sich durch Dialog beheben ließe. Es kann auch sein, dass es nicht möglich ist, alle berechtigten Anliegen zugleich zu berücksichtigen. Solche Dilemma-Situationen ergeben sich aus Zwangslagen, die durch strukturelle Sünde bzw. strukturelle Gewalt bedingt sind. Dann ist eine saubere Lösung erst möglich, wenn die zwingenden Bedingungen geändert werden. Das ist aber oft nicht durchführbar, und dennoch müssen Entscheidungen getroffen werden. Im Folgenden werde ich zwei historische Beispiele dafür geben.

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11. „Dissens im Heiligen Geist“ unter den Bedingungen struktureller Gewalt: Zwei historische Beispiele

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Ein tragisches Beispiel dafür war das Verhalten von Bischöfen gegenüber den Judenverfolgungen der Nationalsozialisten. Die mutige Stellungnahme der holländischen katholischen Kirche – angeführt vom Erzbischof von Utrecht, De Jong – hatte zur Folge, dass die Nationalsozialisten alle katholisch getauften Juden sofort abschoben, darunter Edith Stein und ihre Schwester Rosa.85 Die erpresserische Bedingung „Leben für Wahrheit“ kam seit Beginn des Christentums immer wieder vor und führte unzählige Menschen in das Martyrium. Eine wirkliche Dilemma-Situation für Christen entsteht erst dort, wo der Preis des Lebens für das mutige Eintreten von Wahrheit von anderen bezahlt werden muss. So war es im Dritten Reich, wo Bischöfe wegen ihrer Popularität meist geschützt waren, während einfache oder bereits inhaftierte Christen für den Mut der Bischöfe bezahlen mussten.86

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Das ist eine Situation, in der verschiedene kirchliche Vertreter nicht nur in gegensätzlicher Weise, sondern geradezu gegeneinander agieren mussten. Aus einer Gewissensverantwortung, die vor Gott wahrgenommen wurde, haben manche kirchliche Vertreter – bis hin zu Papst Pius XII. – zum Schutz unmittelbar Betroffener sich bei öffentlichen Stellungnahmen zurückgehalten und einer Geheimdiplomatie vertraut. Andere haben unter Lebensgefahr für sich und andere nicht geschwiegen, und wir sind heute dankbar dafür, dass sie ihre Stimme erhoben. Eine wirkliche Lösung des Dilemmas, in der Gottes Lebens-, Wahrheits- und Gerechtigkeitswille sich uneingeschränkt durchsetzen konnte, war erst durch den Untergang des Gewaltregimes möglich.

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Ein jüngeres Beispiel ist der Streit um die Schwangerenkonfliktberatung in Deutschland, der 1998 zu seinem Höhepunkt gekommen war.87 Das Dilemma wurde erzeugt durch eine gesetzliche Regelung, wonach Schwangere erst dann straffrei abtreiben können, wenn sie vorher eine Beratungsstelle aufgesucht haben. Diese Regelung ist an sich besser als die Fristenlösung z.B. in Österreich, wo bis zu einer bestimmten Schwangerschaftswoche eine Abtreibung ohne jede Beratung straffrei bleibt. Demgegenüber eröffnet die Auflage einer vorausgehenden Beratung zumindest die Chance, dass verzweifelten werdenden Müttern Alternativen aufgezeigt werden. Damit gerieten nun aber kirchliche Beratungsinstitutionen in die problematische Situation, dass sie eine Besuchsbestätigung ausstellen mussten, die den Müttern die Durchführung einer Abtreibung ermöglichte. So wurde die Kirche in ein politisches System legalisierter Abtreibung hineingezogen und auf diese Weise „die Klarheit und Entschiedenheit des Zeugnisses der Kirche und ihrer Beratungsstellen verdunkelt“88. Mit diesem Argument bat Papst Johannes Paul II. auf zunehmend verbindliche Weise die deutschen Bischöfe, die Ausstellung von Besuchsbestätigungen in kirchlichen und kirchennahen Schwangeren-Beratungseinrichtungen zu untersagen. Eine solche Weigerung führte aber faktisch zu einem Boykott der betreffenden Beratungseinrichtungen. Und das bedeutete, dass Schwangere statt dessen andere Beratungsstellen aufsuchten, die zur Abtreibungspraxis positiv eingestellt sind. Faktisch schwächte die vom Papst geforderte Untersagung von Besuchsbestätigungen das konkrete kirchliche Bemühen, Abtreibungen zu verhindern, in massiver Weise. Das war der Grund, dass zum Beispiel der Limburger Bischof Kamphaus sich vehement für die Erlaubnis, eine Besuchsbestätigung auszustellen, einsetzte. Zwischen ihm und dem Papst kam es in dieser Angelegenheit zu einem Briefwechsel, der von Einsicht und Hochachtung für die jeweilige Position des Kontrahenten gekennzeichnet war. Schließlich beanspruchte der Papst seine Autorität in einer derart verbindlichen Weise, dass Bischof Kamphaus keine andere Möglichkeit mehr sah, als sich zu unterwerfen. Dabei verzichtete er auf Druckmittel wie einen Rücktritt unter Protest, zur Enttäuschung von romkritischen Kreisen. Diese Beendigung des Konflikts war gewiss nicht ideal.89 Aber bestimmte Phasen des Verlaufs kommen jener Form eines „Streitens im Heiligen Geist“ nahe, wie sie in den vorigen Kapiteln entfaltet wurde.

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12. Einige Folgerungen für Pfingstkirchen und charismatische Bewegungen

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Die Theologie der Pfingstkirchen und charismatischen Bewegungen ist noch relativ neu für mich. Ich beginne gerade, mich in diesen Bereich einzuarbeiten. Von daher kann und will ich in diesem abschließenden Kapitel nur einige Anregungen geben, um eine Diskussion mit kompetenten Gesprächspartnern anzuregen. Zunächst glaube ich, dass mit dem beschriebenen Thema einer christlichen Konfliktkultur jene Geistaufbrüche und Erweckungen auf dem Spiel stehen, aus denen die Pfingstkirchen und die pentekostalen und charismatischen Bewegungen ausgegangen sind, und von denen her sie immer wieder erneuert werden. Menschen können diese Aufbrüche nicht bewirken, aber sie können sie ersticken. Die Bibel warnt dringend davor, den Heiligen Geist zu betrüben (Eph 4,30 ELB) und den Geist auszulöschen (1 Thess 5,19). In Konfliktsituationen erfolgt genau das durch eine unkritische Solidarität oder durch eine unsolidarische Kritik. Letzteres geschieht in einem geistlosen Streiten, in dem man sich auf den Gegner und das an ihm wahrgenommene Schlechte fixiert und den Blick auf den einen und einigenden Christus verliert. Betrübt und ausgelöscht wird der Heilige Geist dabei konkret dadurch, dass „Anteile von Wahrem und Heiligem“90 beim Gegner niedergehalten und entwertet werden.91 So etwas passiert sehr leicht, wenn sich eine Gemeinschaft spaltet, und Spaltungen hat es in den Pfingstkirchen und -bewegungen viele gegeben.

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Der andere Straßengraben, in dem ein christlicher Umgang mit Konflikten scheitert, ist eine unsolidarische Kritik. Zu ihr kommt es, wenn sich Gemeinschaften an dominierende Großgruppen anbiedern, indem sie die ihnen aufgetragene (prophetische) Kritik vernachlässigen und auf diese Weise Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit unterdrücken. Von diesem Punkt her dürfte es Anfragen an großkirchlich integrierte Strömungen der charismatischen Erneuerung geben.

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Grundsätzlich wäre festzuhalten, dass der Heilige Geist wesentlich polyphon spricht. Wo immer bestimmte christliche Strömungen ausgeschlossen werden, fehlen Glieder im Leib Christi und es droht ein Balanceverlust im Urteil zu wichtigen Fragen. Wo hingegen das Gespräch mit allen Seiten gesucht wird, sind Konflikte vorprogrammiert.92 Aber durch diese Konflikte hindurch können Wahrheit und Gerechtigkeit gefunden werden, – wenn richtig, und das heißt, „im Heiligen Geist“ gestritten wird.

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Anmerkungen

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1Eine Ausnahme ist das Wort „Kämpfen“ (strateuomai) – vor allem in 1 Tim: „Kämpft den guten Kampf“. Es bezieht sich aber niemals auf ein Kämpfen gegen Menschen. Vgl. Eph 6,12 „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs“, sowie die folgende Passage über die Waffenrüstung Gottes, die die Christen durchgängig auf eine Ausrichtung auf Gott einschwört.

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2Zitiert nach der Elberfelder Bibel in der revidierten Fassung von 1993, im Folgenden kurz: ELB. Schrifttexte ohne nähere Quellenangabe sind aus der Einheitsübersetzung entnommen.

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4Das Volk hätte auch wie bei der ähnlich orientierten Pfingstpredigt des Petrus den Kairos wahrnehmen können: „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder?“ (Apg 2,37)

134
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5Vgl. Anm. 1.

135
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6„The conference theme will focus on the relationship between ecclesiology and pneumatology, the nature of the Church and the work of the Holy Spirit. Churches and movements emphasizing the work of God’s Spirit are often considered as not paying enough attention to the nature and role of the church, the household of God. On the other hand, historic churches and denominations are often prone to be more mindful of structures and issues of governance and thus neglect the move of the Spirit or the role of charismatic gifting for the renewal of the church. The question arises: What can be learned from each other’s insights and what are the common challenges that lie ahead?“ http://www.epcra.ch/next_conference.html

136
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7Die Verheißung gilt „euch, mein Volk“ (zweimal in Ez 37,11-12) mit dem Schlusssatz: „Ich hauche euch meinen Geist ein, dann werdet ihr lebendig, und ich bringe euch wieder in euer Land“ (Vers 14).

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8Vgl. Geistgebet durch Johannes XXIII.

138
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9Lumen Gentium 1.

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10Lumen Gentium 4 mit Cyprian

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11Vgl. Leo Karrer, Dialog oder Polarisierung in der Kirche seit dem II. Vatikanum – Plädoyer für eine synodale Kirche. In: Dialogische Kirche - Kirche im Dialog. Freiburg/Schweiz 1996, 45-81.

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12Vgl. vorige Anm.

142
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13Lumen Gentium 16.

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14Lumen Gentium 8.

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15
Eine klare abgrenzende Definition von Kirche gab zur Zeit der Gegenreformation mit großem Einfluss auf katholische Lehrbücher der Kardinal Robert Bellarmin: „Unsere Lehre lautet, daß es nur eine Kirche gibt und nicht zwei. Diese eine und wahre Kirche ist die Versammlung jener Menschen, die den gleichen christliche Glauben bekennen, durch die gleichen Sakramente verbunden werden, und unter der Leitung der legitimen Hirten, besonders des römischen Papstes als des einen Stellvertreters Christi auf Erden stehen. Aus dieser Definition läßt sich leicht ablesen, welche Menschen zur Kirche gehören und welche nicht. Die Definition hat nämlich drei Teile: Das Bekenntnis des wahren Glaubens, – die Gemeinschaft der Sakramente, – die Unterwerfung unter den römischen Papst als den legitimen Hirten. Durch den ersten Teil der Definition werden alle Ungläubigen ausgeschlossen, und zwar sowohl jene, die nie in der Kirche waren, wie die Juden, Türken, Heiden, als auch jene, die zu ihr gehörten, aber sich von ihr getrennt haben, wie die Häretiker und Apostaten. Durch den zweiten Teil der Definition werden die Katechumenen und die Exkommunizierten ausgenommen, die ersten, weil sie noch nicht zur Gemeinschaft der Sakramente zugelassen sind, die letzteren, weil sie davon ausgeschlossen wurden. Durch den dritten Teil der Definition werden die Schismatiker ausgeschieden, die zwar den Glauben und die Sakramente haben, sich aber dem legitimen Hirten nicht unterwerfen und die deshalb den Glauben draußen bekennen und draußen die Sakramente empfangen. Alle anderen aber gehören zur Kirche, auch wenn sie verurteilenswert, verrucht und gewissenlos sind." (R. Bellarmin, De controversiis christianae fidei adversus huius temporis haereticos. De Ecclesia militante, Tomus IV, Lib. III, Cap. II, 100.). Vgl. dazu: M. Kehl, Kirche als Institution. Zur theologischen Begründung des institutionellen Charakters der Kirche in der neueren deutschsprachigen katholischen Ekklesiologie. 1976, 76f.

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16Lumen Gentium 12.

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17Lumen Gentium 12. Vgl. dazu die Kritik von Peter Hünermann, dass die Ekklesiologie des II. Vaticanums zu einem harmonistischen Kirchenbild (im Gefolge von Adam Möhlers „romantischer Sicht der Einheit“) neige. Ders., Wandel im Umgang mit Konflikten. Einehistorisch-systematische Reflexion auf die Ekklesiologie. In: ThQ 173 (1993), 18-31.

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18Lumen Gentium 4.

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19Lumen Gentium 8.

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20Das Zu-Ende-gehen kann hier durchaus einen ekklesiologischen Kreuzweg bezeichnen: dass man Entzweiungen riskiert, ohne zu Einheit erzwingen zu wollen.

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21Vgl. die Kritik von Hünermann, oben Anm. 17. Gegen Hünermanns Kritik wäre allerdings zu bedenken, dass das Zweite Vatikanum Zielvisionen eines gelingenden christlich-kirchlichen Glaubens zu entwerfen hatte, ohne notwendig konkrete Ausführungsmodalitäten dazu zu entwerfen. Eher trifft Hünermanns Kritik auf die folgenden (auch kirchenrechtlichen) Umsetzungsversuche zu, sowie auf bestimmte nachkonziliare Theologien, etwa die Communio-Theologie von Gisbert Greshake, die eine gewisse harmonistische Tendenz hat, – z.B. mit einer pauschalen Diskriminierung der „Verweigerung von Communio“ als Grundform von Sünde, ohne genügend darauf zu reflektieren, dass es auch pervertierte Formen von Communio gibt, gegen die gerade aus christlichen Gründen Widerstand geboten ist.

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22Gefordert werden konsequente Änderungen in der Leitungsstruktur, – etwa in Richtung auf verbesserte institutionalisierte Konfliktregelungsmechanismen und eine konsequente Gewaltenteilung in der Kirche. So Hünermann, ebd. 30f. Dies ist gewiss notwendig, aber nicht ausreichend. Zugleich bedarf es einer konsequenten Ausrichtung der Streitenden auf Jesus Christus im Heiligen Geist – in Liturgie und Gebet –, welche bestehende Konflikte nicht zudeckt, sondern sie in immer neuer Bitte um Weisheit und Versöhnung vor Ihn trägt; – gemäß dem biblischen Wort, dass, wer nicht mit Ihm sammelt, zerstreut (siehe dazu die folgenden Ausführungen). Auch dafür sollten (liturgische) Formen gefunden werden.

152
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23Das zeigt sich schon an der großen Begriffsvielfalt, mit dem die Thematik biblisch abgehandelt wird. Im Neuen Testament etwa mit den Nomina: zetesis, zetema, ekzetesis, eris, eritheia, philoneikia, dialogismos, paroxysmos, mache, polemos, stasis, agon, schisma, dichostasia, hairesis.

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24Mt hier etwas entschärfend (Kampf nur von Jungen gegen Alten). Vgl. dazu Herbert Ulonska?, Streiten mit Jesus. Konfliktgeschichten in den Evangelien (Biblisch-theologische Schwerpunkte 1), Göttingen 1995, 18-24. Beachte auch den unmittelbar vorausgehenden Text bei Lukas: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! Ich muss mit einer Taufe getauft werden, und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist." (Lk 12,49-50)

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25Programmatische dreimal im Johannesevangelium: Joh 20,19.21.26.

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26In der Bergpredigt (Mt 5,9.25) und in den Aussendungsreden: Mt 10,12f par Lk 10,5f.

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27vgl. Raymund Schwager, Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre (IThS 29). Innsbruck, Wien 1990.

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28Nach Raymund Schwager „besteht das strafende und rächende Tun Gottes nur darin, daß er sein Antlitz verhüllt. Sobald er die Menschen sich selber überläßt, beginnen diese sich gegenseitig zu zerstören“ (R. Schwager, Brauchen wir einen Sündenbock? Gewalt und Erlösung in den biblischen Schriften. Thaur 31994, 77).

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29Im Kontext von Jesu Wehrufen über Jerusalem wird das Faktum eines versäumten Kairos vor allem deutlich in Lk 19,42-44: „Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt. Jetzt aber bleibt es vor deinen Augen verborgen. Es wird eine Zeit für dich kommen, in der deine Feinde rings um dich einen Wall aufwerfen, dich einschließen und von allen Seiten bedrängen. Sie werden dich und deine Kinder zerschmettern und keinen Stein auf dem andern lassen; denn du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt.“

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30Vgl. Schwager Jesus im Heilsdrama, a.a.O. 186.

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31 Die Fortsetzung Apg 4,28 macht deutlich, dass Gott diese Gegensammlung nochmals für seine Pläne verwenden kann, obwohl sie nicht von Gott initiiert und gutgeheißen wird: „... um alles auszuführen, was deine Hand und dein Wille im voraus bestimmt haben“, und zwar obwohl sie aus sich selber heraus gegen Gott agieren.

161
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32Vgl. Willibald Sandler, Die gesprengten Fesseln des Todes. Wie wir durch das Kreuz erlöst sind. Kevelaer 2011, 108-111; im Innsbrucker Theologischen Leseraum: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/900.html#ch41

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33Nach der Pfingstpredigt des Petrus in Apg 2 wird den Juden – durch seine Gerichtsworte ins Herz getroffen – eine neue Heilsmöglichkeit durch Taufe und Geistempfang eröffnet.

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34Samuel P. Huntington, Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. München 1996, 21.

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35Revidierte Lutherbibel (1984).

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36Vgl. dazu Willibald Sandler, Eucharistische Erneuerung. In: W. Guggenberger / N. Wandinger (Hg.), Sakramente – Tote Riten oder Quelle der Kraft? Vorträge der achten Innsbrucker Theologischen Sommertage 2007 (theologische trends 17). 2008, 84-121, hier: 100-105;im Innsbrucker Theologischen Leseraum: : http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/787.html#ch6.

166
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37Vgl. Willibald Sandler, Apocalypse and Eucharist. Towards a non-sacrificial understanding of the Revelation of John. Nach einem Vortrag, gehalten auf dem Symposium des Colloquiums on Violence and Religion (COV&R) 2008 zum Thema „Catastrophe and Conversion. Political Thinking for the New Millennium", Riverside - University of California, 18.-21.06.2008. Im Innsbrucker Theologischen Leseraum: http://theol.uibk.ac.at/itl/666.html.

167
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38Vgl. die Verheißung in Sach 8,23: „So spricht der Herr der Heere: In jenen Tagen werden zehn Männer aus Völkern aller Sprachen einen Mann aus Juda an seinem Gewand fassen, ihn festhalten und sagen: Wir wollen mit euch gehen; denn wir haben gehört: Gott ist mit euch."

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39Vgl. die johanneische Rede von der Sünde der Welt (Joh 1,29). Systematische ausgearbeitet wurde dieses Sündenverständnis v.a. von Piet Schoonenberg. Vgl. ders., P. Schoonenberg, Die Sünde der Welt. In: J. Feiner / M. Löhrer (Hg.), MySal II. Einsiedeln-Zürich-Köln 1967, 886-938.

169
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40Vgl. René Girard, Das Ende der Gewalt – Analyse des Menschheitsverhängnisses. Erkundungen zu Mimesis und Gewalt mit Jean-Michel Oughourlian und Guy Lefort. Freiburg i.Br.-Basel-Wien 2009..

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41Girard spricht hier von Aneignungsmimesis. Vgl. ebd. 31-34.

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42Vgl. ebd. 57-63.

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43Vgl. ebd. 52.

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44Man kann sich das wie einen Schneeballeffekt vorstellen. Je mehr Menschen ihr Begehren im Schlagen eines bestimmten Gegners fokussieren, desto größer ist der Sog für andere, auch mitzumachen. Der „Beschützerinstinkt“ gegen ein solcherart „gemobbtes“ Gesellschaftsglied ist – im Sinn eines Einsatzes für Minderheiten – heute verbreitet, aber nicht ursprünglich. Es lässt sich sogar argumentieren, dass er zumindest in westlichen Gesellschaften stark durch das Christentum geprägt wurde.

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45Vgl. Jes 43,1: „Jetzt aber - so spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und der dich geformt hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir" (Jes 43,1) – Biblisch wird solche von Gott her positiv-bezogene Identität öfters dadurch ausgedrückt, dass Gott den Menschen bei einem einmaligen Namen ruft (vgl. Jes 43,1 mit Jes 56,4f; 62,2; 65,15; Offb 2,17) und/oder als sein Eigentum in seine Hand geschrieben hat (Vgl. Jes 43,1 mit Jes 49,16.

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46Vgl. Anm. 34.

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47Von daher vollzieht sich Jesu Gerichtshandeln vor allem durch die Hereinnahme von Außenstehenden (z.B. Heiden oder Sündern). Zu diesem „Community-Effekt“ vgl. Sandler, Die gesprengten Fesseln (s. Anm. 32) 61-64; im Innsbrucker Theologischen Leseraum: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/900.html#ch22

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48Raymund Schwager, Jozef Niewiadomski u.a., Dramatische Theologie als Forschungsprogramm. In: J. Niewiadomski / R. Schwager (Hg.), Religion erzeugt Gewalt - Einspruch! Münster-Hamburg-London 2003, 40-77, hier: 64.

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49Ein Selbstgericht allerdings, welches nicht auf endgültige Verdammnis zielt, sondern auf Erlösung und Befreiung durch Zusammenbruch alles dessen, was „nicht mit Jesus gesammelt“ wurde. Vgl. 1Kor 3,15.

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50Zum Folgenden vgl. Sandler, Die gesprengten Fesseln (s. Anm. ) 76-87; online: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/900.html#ch27

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51Vgl. Lk 15,4

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52Resignation ist in dem Sinn gemeint, dass der Begleitende den gebotenen kritischen Widerstand aufgibt.

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53Die Christologie Hans Urs von Balthasars entfaltet diese beiden Momente als Aspekte einer Personalität, die ganz Sendung (von Gott her – zu den Menschen hin) ist. Vgl. ders., Theodramatik. Band II: Die Personen des Spiels. Teil 2: Die Personen in Christus. Einsiedeln 1978.

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54Hier ist eine andere Form von Resignation angesprochen als die in Anm. 52 genannte.

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55Vgl. in diesem Sinn Joh 5,19: „Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht“, sowie Jes 50,4: „Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich auf ihn höre wie ein Jünger.“

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56Vgl. Sandler, Die gesprengten Fesseln (s. Anm. #) 103f; online: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/900.html#ch39

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57Vgl. Mk 9,28f: „Als Jesus nach Hause kam und sie allein waren, fragten ihn seine Jünger: Warum konnten denn wir den Dämon nicht austreiben? Er antwortete ihnen: Diese Art kann nur durch Gebet ausgetrieben werden." (Mk 9,28). Auch die Variante „durch Fasten und Gebet" ist sinngemäß, insofern das Fasten die Ausrichtung auf Gott unterstützt.

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58Werk des Erlösers ist es nach dem Hebräerbrief, dass er uns den Zugang zum himmlischen Heiligtum, d.h. zu Gott wie er wirklich ist, eröffnet.

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59Vgl. dazu Sandler, Die gesprengten Fesseln (s. Anm.##) 39-53; online: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/900.html#ch11

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60Das heißt oft: durch Liebe gegenüber Menschen, die wir spontan als Feinde empfinden.

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62Zum Neuen Testament vgl. Ulonska, Streiten mit Jesus (s. Anm. ?); Stefan Koch, Rechtliche Regelung von Konflikten im frühen Christentum (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, Reihe 2, 174), Tübingen 2004.

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63Der Text verwendet hier das starke griechische Wort stasis (Streit, Konflikt, auch: Aufstand), das ansonsten für innerkirchliche Konflikte in der Bibel niemals verwendet wird.

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64So mit großer Schärfe: Alfred Suhl, Ein Konfliktlösungsmodell der Urkirche und seine Geschichte, in: Religionsunterricht an höheren Schulen 35 (1992), 212-218, hier: 218 Anm. 2. Ähnlich auf differenziertere Weise: Norbert Baumert, Der Weg des Trauens. Übersetzung und Auslegung des Briefes an die Galater und des Briefes an die Philipper. Würzburg 2009.

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65Gegen eine solche Haltung verwahrt sich Paulus in Gal 1,10-12: „Geht es mir denn um die Zustimmung der Menschen, oder geht es mir um Gott? Suche ich etwa Menschen zu gefallen? Wollte ich noch den Menschen gefallen, dann wäre ich kein Knecht Christi. Ich erkläre euch, Brüder: Das Evangelium, das ich verkündigt habe, stammt nicht von Menschen; ich habe es ja nicht von einem Menschen übernommen oder gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi empfangen.“

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66So Alfred Suhl, s. Anm. 64.

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67Die dramatische Spannung zwischen Widerstand und einigendem Blick auf das gemeinsame Evangelium wird deutlich von Norbert Baumert herausgearbeitet (vgl. Anm. 64).

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68In der Frage des Essens von Götzenopferfleisch: „Der Schwache geht an deiner ‚Erkenntnis‘ zugrunde, er, dein Bruder, für den Christus gestorben ist. Wenn ihr euch auf diese Weise gegen eure Brüder versündigt und ihr schwaches Gewissen verletzt, versündigt ihr euch gegen Christus. Wenn darum eine Speise meinem Bruder zum Anstoß wird, will ich überhaupt kein Fleisch mehr essen, um meinem Bruder keinen Anstoß zu geben." (1Kor 8,11-13)

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69Wie in 1Kor 8. Vgl. die vorige Anm.

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70Ähnlich stellt Paulus in Gal 2,9 fest: „und sie erkannten die Gnade, die mir verliehen ist.“

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71Den selben Kurzschluss gibt es auch in einer selbstkritischen Variante. Wenn mich jemand berechtigt zurechtweist, dann heißt das, dass ich in dieser Sache nicht mit Gott gegangen bin.

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72Die Ironie der Geschichte besteht dann darin, dass Bileam diese Lehre ausgerechnet durch ein Maultier erhält, das sich als weit gehorsamer erweist als Bileam.

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73Eine Deutung als „Konversion von Stories“ im Kontext einer narrativ-dramatischen Theologie habe ich unternommen in: Willibald Sandler, Narrative Ethik und dramatische Theologie. In: M. Hofheinz, Fr. Mathwig, M. Zeindler (Hrsg.): Ethik und Erzählung. Theologische und philosophische Beiträge zur Narrativen Ethik. Zürich: TVZ Theologischer Verlag, 161-187; hier:##; online: http://theol.uibk.ac.at/itl/803.html#ch3.

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74Vgl. Norbert Lohfink, Die Ursünden in der priesterlichen Geschichtserzählung. In: Die Zeit Jesu. FS für Heinrich Schlier. Freiburg 1970, 38-57, hier: 52-54.

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75Vgl. die Einsetzung von Richtern durch Mose in Ex 18,13-27.

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76In diesem Sinn vertritt Paulus den Gedanken einer „glücklichen Schuld“. Vgl. Röm 5,20; 11,12. Ausdrücklich findet sich die Rede einer „glücklichen Schuld“ im Exsultet der Osternachtsliturgie.

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77Konkret: Francisco de Borja, Petrus Canisius, Diego Laynez.

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78Zitiert nach: Ignatius von Loyola., Geistliche Übungen und erläuternde Texte (übersetzt und erklärt von P. Knauer), Leipzig 1978, 303, Hervorhebung W.S. Vgl. auch R. Schwager, Das dramatische Kirchenverständnis bei Ignatius von Loyola. Einsiedeln-Zürich-Köln 1970 131f.151, sowie: Medard Kehl, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie. Würzburg 1992, 20f. – Der Brief ist an Fransisco de Borja gerichtet, der nach Absicht von Kaiser Karl V. zum Kardinal ernannt werden sollte.

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79Keiner der drei Jesuiten, für die der Papst ein Amt als Bischof oder Kardinal beabsichtigt hatte, musste dieses Amt annehmen. In jedem Fall konnte Ignatius sich ohne direkte Gehorsamsverweigerung durchsetzen.

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80Vgl. dazu Schwager, Das dramatische Kirchenverständnis (s. Anm. 78) 127-132.

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81Ignatius von Loyola war einerseits bekannt für seine scharfe Betonung des kirchlichen Gehorsams. Vgl. etwa seine berühmt-berüchtigte 13. Regel, wonach der Gläubige „von dem Weißen, das [er] sehe, glauben [sollte], dass es schwarz ist, wenn die hierarchische Kirche es so bestimmt“ (Ignatius, Geistliche Übungen, s. Anm. 78, 152), in polemischer Entgegensetzung zu einem Dictum Melanchthons (vgl. hier die Zusammenhänge, die Medard Kehl und R. Schwager entfalten; s. Anm. 78). Andererseits entwickelte Ignatius mit den Exerzitien Methoden zum je eigenen Erspüren der Regungen des Heiligen Geistes, womit er von der Inquisition als ein Freigeist („Alumbrado“) verdächtigt wurde.

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82S. oben, Anm. 17 und Anm. 21.

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83Gegen eine solche Annahme würde das Jesuswort stehen: „Jedes Reich, das in sich gespalten ist, geht zugrunde, und keine Stadt und keine Familie, die in sich gespalten ist, wird Bestand haben.“ (Mt 12,25)

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84In diesem Sinn spricht Ignatius davon, „daß der gleiche göttliche Geist mich dazu aus den einen Gründen und andere aus anderen zum Gegenteil bewegt“.

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85Vgl. die Webseite „Justiz und NS-Verbrechen“ in: http://www1.jur.uva.nl/junsv/excerpts/64517.htm (abgerufen: 31.10.2011)

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86Dieses Dilemma war ein zentraler Grund für die Zurückhaltung von Papst Pius XII. in seiner Kritik am Nationalsozialismus.

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87Vgl. zum Folgenden: Willibald Sandler, Stadt auf dem Berg? Kirche in der Spannung von Vorbild-Auftrag, Solidarisierung mit Sündern und eigener Schuld. In: W. Sandler, A. Vonach (Hrsg.): Kirche: Zeichen des Heils – Stein des Anstoßes (theologische trends 13). Vorträge der vierten Innsbrucker Theologischen Sommertage 2003. Frankfurt a.M. u.a., 97-133, hier: 127-133; im Innsbrucker Theologischen Leseraum: http://theol.uibk.ac.at/itl/496.html#ch18.

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88Johannes Paul II., Schreiben vom 11. Jänner 1998 an die katholischen Bischöfe Deutschlands, dokumentiert in: Der Schein des Anstoßes. Schwangerschaftskonfliktberatung nach dem Papstbrief. Fakten – Dokumente – Perspektiven: Hg. J. Reiter, Freiburg i.Br.-Basel-Wien 1999, 40.

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89Eine wirkliche Lösung würde die Änderung eines Systems struktureller Sünde, nämlich der gesetzlich geduldeten Abtreibung, erfordern, was in absehbarer Zeit nicht möglich sein dürfte.

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90Vgl. 2. Vatikanum, LG 8.

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91Wo dies wissentlich geschieht, was aus strategischen Interessen innerhalb von Polarisierungen leicht vorkommen kann, warnen die Evangelien sogar vor einer Sünde gegen den Heiligen Geist

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92Wie im 2. Kapitel am Zweiten Vatikanum aufgezeigt.

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