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Bekehrt oder gerecht? - Die Wahl des Matthias
(Predigt zum 7. Sonntag der Osterzeit (LJ B))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Verabschieden sich die Apostel durch die Wahl des Matthias von ihrer dunklen Vergangenheit und betreiben Geschichtsklitterung? Was ist der rechte Umgang mit einer skandalösen Vergangenheit in Kirche, Familie und Gesellschaft? Die Wahl des Matthias hilft da weiter.
Publiziert in:# Predigt zum 7. Sonntag der Osterzeit (LJ B). Lesungen: Apg 1,15-17.20a.20c-26; (1 Joh 4,11-16); Joh 17,11b-19
Datum:2001-10-18

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Liebe Gläubige,

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Man könnte in der heutigen Lesung aus der Apg fast den Eindruck bekommen als wollte Petrus eine moralische Altlast beseitigen. Einer der Zwölf, die Jesus erwählt hatte mit ihm zu gehen, hat ihn verraten, ist zum Anführer derer geworden, die Jesus gefangen nahmen, und zum Gegner seines Meisters. Und diese hässliche Lücke im Kollegium der Zwölf erinnert ständig daran. „Indem diese Lücke geschlossen wird, distanzieren wir uns von dem Verräter, machen wir uns wieder vollständig zu einem Kollegium der Treuen und Guten. Der Verräter, der Böse, ist nicht nur von der Erde getilgt, sogar die Lücke, die er hinterlassen hat, ist geschlossen. Ab jetzt fällt er nicht einmal mehr durch seine Abwesenheit auf", so könnte man meinen, dass Petrus und die 120 zusammen gekommenen Jünger und Jüngerinnen dachten. Wäre dies so gewesen, hätten sie in eins damit ihre eigene Mitschuld, ihr eigenes Versagen, ihre Flucht am Tage des Kreuzes, Petrus die Verleugnung seines Meisters, ad acta gelegt und für erledigt angesehen. Die heilige Kirche trennt sich endgültig von ihrer unheiligen Vergangenheit, sie lässt sie hinter sich in dem Sinn, dass sie nichts mehr damit zu tun hat - so könnte man meinen.

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Nun, wenn man auch spontan diesen Eindruck haben könnte, so ist es doch erlaubt weiter zu fragen und nachzudenken, ob dieser erste Eindruck den Aposteln und den anderen frühen Gläubigen gerecht wird, oder ob nicht wir Heutigen diesen Eindruck gewinnen, weil wir heute so ein Verhalten nur allzu oft erleben - im Staat, der Gesellschaft, der Kirche, ja bis hinein in die Familien: die peinlichen Flecken der Vergangenheit werden so bewältigt, dass man vorgibt, sie seien gar nie da gewesen; was nicht sein darf, ist auch nicht.

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Ist das wirklich die Weise der Apostel mit ihrer dunklen Vergangenheit umzugehen? Ist das die christliche Weise die Vergangenheit zu „bewältigen"?

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Wenn man das NT so durchgeht, dann fällt auf, dass Jesus seine Mission begonnen hat mit einem Ruf zur Umkehr, dass ihm vorgeworfen wurde, er gebe sich bevorzugt mit Sündern und Sünderinnen ab, dass er sich dagegen verteidigte mit dem Hinweis, im Himmel herrsche über einen Ungerechten, der umkehrt, größere Freude als über 99 Gerechte, die gar nicht umkehren müssten (vgl. Lk 15,7). Es fällt auf, dass die meisten Menschen, die Jesus gefolgt sind, eine Bekehrung erfahren haben. Manche am Anfang ihrer Nachfolge, andere während ihres Versuchs der Nachfolge. Denken Sie etwa an Matthäus, der zuerst ein Zöllner, ein Kollaborateur mit der Besatzungsmacht war, ebenso sein Kollege Zachäus, denken Sie an Maria Magdalena, von der es heißt, aus ihr habe Jesus sieben Dämonen ausgetrieben (vgl. Lk 8,2), denken Sie an die geschäftige Martha und den zweifelnden Thomas, denken Sie nicht zuletzt an den Petrus, der seinen Meister verleugnet hat, und an den späteren Völkerapostel Paulus, der als Saulus noch die Christen bis auf den Tod verfolgte.

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Über jeden von diesen herrscht größere Freude im Himmel als über 99 Gerechte, die keine Bekehrung nötig hatten. Warum? Was ist so Besonderes daran? Oder ist das nur eine billige Übertreibung, von Jesus im Streit mit den Pharisäern so dahin gesagt?

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Ich bin überzeugt, dass dem nicht so ist, sondern dass es dafür einen wichtigen Grund gibt. Und dieser Grund liegt genau darin, dass christliche Bekehrung nicht so verstanden werden kann, als gäbe es danach die eigene dunkle Vergangenheit nicht mehr. Stattdessen hat der oder die Bekehrte dem schon immer Gerechten - wenn es so etwas überhaupt gibt, und es nicht eine große Selbsttäuschung ist - etwas voraus: das aus eigener Erfahrung gewonnene Wissen, wie verblendet man in der Sünde sein kann, wie gut und normal man sich vorkommen kann, gerade wenn alles verkehrt läuft; die rückblickende Erkenntnis, dass ich fundamental falsch, ja böse, gehandelt habe, obwohl ich mir doch so meiner eigenen Rechtschaffenheit und Ordentlichkeit bewusst war - zumindest an der Oberfläche meines Bewusstseins; Zweifel, Unzufriedenheit und Unglücksgefühle, die mir meine Verblendung hätten zeigen können, habe ich wegrationalisiert: es machen doch eh alle so, es wird also schon stimmen. Dazu kommt auch die Erfahrung, wie mächtig das Böse in den Menschen sein kann, wie es sie gefangen nimmt, und dass es nicht in erster Linie eine Frage des bloßen guten oder bösen Willens ist, ob jemand gerecht oder Sünder ist. Auch das kennt der/die immer schon Gerechte nicht so wie der/die Bekehrte.

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Ein Paulus hat das nicht vergessen. Noch Jahre nach seiner Bekehrung schreibt er an die Gemeinde in Rom: „Ich begreife mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse." (Röm 7,15) Er bringt damit zum Ausdruck, dass Bekehrung nicht etwas ist, das ein für allemal geschieht, und danach ist man ein Heiliger. Vielmehr weiß Paulus, dass Bekehrung immer wieder, lebenslang, notwendig ist, weil die Gefahr der Verblendung immer wieder besteht. Und nur wer sich darauf einlässt, wird ein Heiliger oder eine Heilige. Auch ein Petrus hat es nicht vergessen, wie er seinen Meister verleugnet hat, weil auf einmal die Angst doch viel größer war als die vorher bekundete Tapferkeit.

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Diese Menschen haben sich nicht so „bekehrt", dass sie ihre früheren Fehler verdrängt hätten. Nein, Paulus schreibt in seinen eigenen Briefen davon, dass er früher die Christen verfolgte (vgl. 1 Kor 15,9). Die Evangelien berichten alle vier von der Verleugnung des Petrus, obwohl es doch ein Leichtes gewesen wäre dieses Detail am Rande weg zu lassen, wo er doch nun wieder der Erste der Apostel und ihr angesehener Sprecher war. Heute würden wir das wohl so machen. Und irgendein Skandalreporter würde dann die dunkle Vergangenheit aufdecken. Die Evangelisten haben den Bericht über die dunkle Vergangenheit gleich selber mitgeliefert, aber sie haben sie nicht zum Skandal aufgebauscht. Denn unter Christen disqualifiziert eine eigentlich skandalösen Vergangenheit nicht für eine Funktion. Im Gegenteil müsste man sagen: die Bekehrung von einer skandalösen Vergangenheit qualifiziert geradezu für einen Dienst unter Christen, wenn Bekehrung heißt: einerseits natürlich die Abkehr vom Schlechten und Fehlerhaften im eigenen Leben, andererseits aber nicht das Verdecken und Verleugnen dieser dunklen Vergangenheit sondern die Bewahrung der Erfahrung der eigenen Ohnmacht gegenüber der Sünde für die Zukunft, um mit sich selber aber auch mit allen anderen anders, gnädiger, weiser, umgehen zu können und um zu wissen, dass Bekehrung immer wieder Not tut.

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Kommen wir also zurück zu unserer Lesung und zur Wahl des Matthias als Ersatz für Judas. Wenn es nicht darum geht, den Skandal zu verdecken, den die Lücke im Zwölferkollegium bedeutete, worum geht es dann?

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Es geht wohl genau darum, auf dem Hintergrund der Bekehrungserfahrung, die Petrus und viele der Anwesenden gemacht hatten, einen Ersatz zu finden für einen, bei dem im Leben keine Bekehrung mehr sichtbar war, den die Sünde in den Tod getrieben hat, und der deshalb die Aufgabe, die er eigentlich gehabt hätte, nicht mehr wahrnehmen kann. Für diese Aufgabe braucht es gewisse Voraussetzungen.

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Gesucht wird ein Mensch, der mit den Elf zusammen Jesus begleitet hat auf seinem öffentlichen Lebensweg und Zeuge der Auferstehung ist. Die Aufgabe ist: Zeuge zu sein für das Leben, Lehren und Heilen, für das Leiden, Sterben und Auferstehen des Jesus von Nazareth, und den Menschen die Frohe Botschaft von ihrer Erlösung durch diesen Jesus zu bringen. Und da Judas eben diese Aufgabe nicht mehr wird wahrnehmen können, muss das ein anderer machen. Das bedeutet nicht, dass Judas endgültig verloren ist; es heißt, dass die Vergangenheit des Judas nun ganz übergegangen ist in den Bereich Gottes und seiner Barmherzigkeit. Es bedeutet auch nicht, dass die Fehler unter dem Apostelkollegium vergessen und verdrängt werden, ja ganz im Gegenteil.

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Denn die Erfahrungen mit diesen Fehlern spiegeln sich wider in der sorgfältigen Art und Weise, in der der Ersatz bestellt wird: durch Auswahl zweier geeigneter Männer, durch Gebet und Anrufung des Heiligen Geistes, und dann durch das Los, das zwischen beiden geeigneten den von Gott erwählten deutlich machen soll. Der Ausgang dieser Auswahl ist dann auch sehr aufschlussreich: erwählt wird nicht Josef Barsábbas, der mit Beinamen Justus, „der Gerechte" heißt, sondern Matthias, der diesen Beinamen nicht hat. Wir wissen nichts über das Vorleben des Matthias. Jedenfalls war es nicht so, dass er „der Gerechte" genannt wurde. Und der Heilige Geist hat auch nicht den mit dem Beinamen „der Gerechte" ausgewählt, sondern den anderen, vielleicht könnte man ja sagen, den mit dem Beinamen „der Bekehrte". Liebe Gläubige,

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ich denke, aus dieser kleinen Episode der frühen Kirche folgt sehr viel für uns: wie wir mit unserer und fremder Schuld umgehen, wie wir auf Skandale und Skandälchen in Kirche und Gesellschaft, in der Familie oder am Arbeitsplatz reagieren, wie wir Amtsträger in der Kirche sehen und wie diese Amtsträger mit Fehlverhalten der Menschen - ihrem eigenen und dem anderer - umgehen; ja auch dafür, wie Amtsträger in der Kirche bestellt werden, würde einiges aus der Wahl des Matthias folgen.

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Ich denke aber, diese Folgerungen können Sie selber mit der Hilfe des Heiligen Geistes ziehen. Beten wir eine Woche vor Pfingsten dafür, dass uns dieser Geist geschenkt werde und uns die rechten Antworten eingebe in den Entscheidungen unserer Zeit: in unseren Familien und im privaten Bereich, im öffentlichen und politischen Leben und in unserer Kirche, die eine Kirche der Bekehrten ist und nicht eine Kirche der Gerechten.

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