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"Lange Nacht der Kirchen" - Thema und Variationen

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:Impuls in der Jesuitenkirche zur langen Nacht der Kirchen am 5.6.2009
Datum:2009-06-16

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„Lange Nacht der Kirchen" - nur eine Nacht, um verschiedene Kirchengebäude auf sich wirken zu lassen und ein paar Events nebenbei mitzunehmen? Genüsslich bummeln durch Kunstschätze vergangener Jahrhunderte, auch wenn deren Bezug mit dem eigenen Leben nicht mehr erfahren wird? Warum waren denn die Christen so morbid und haben überall so viele Leidende gezeigt - den Gekreuzigten, die Ermarterten? Lange Nacht ...

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„Lange Nacht der Kirchen" - auch ein Sinnbild für die Nacht, die die Kirchen über die Welt gebracht haben? So mögen es jedenfalls manche empfinden: Kirche als finsteres Mittelalter verlängert bis in die Gegenwart. Dunkler Aberglaube, der dringend des Lichts der kritischen Vernunft bedarf, weil er sonst Menschen in finsterer Unwissenheit hält. Düstere Erinnerungen an Hexenverfolgung und Inquisition, Religionskriege und Kreuzzüge recken den Kopf aus der Dunkelheit des Vergessens und machen einen schaudern.

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Oder: „Lange Nacht der Kirchen" - weil die Kirchen heute in die finstere Ecke der Irrelevanz gedrängt werden. Wer hört schon noch auf die sie? Kirchen, die im Schatten ihres früheren Glanzes stehen und gegen die Leuchtreklame des lockeren Lebens nicht mehr ankommen, die vergeblich rufen für den Glauben, deren Bedeutung sich in der Dämmerung verliert?

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Diese Assoziationen mögen einem kommen, wenn man liest „Lange Nacht der Kirchen". Doch ist das alles, was uns zu einer langen Nacht einfällt? Wohl nicht - nur, fällt uns das andere auch zur Kirche ein?

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„Lange Nacht der Feste" - milde Sommerabende voller Duft nach frischem Heu; Freundschaft und Geborgenheit, ausgelassenes Scherzen und tiefgründige Gespräche im Wechsel, Musik und Lagerfeuerromantik.

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„Lange Nacht der Liebe" - voll zärtlicher Hingabe und Leidenschaft, Sehnsucht und Erfüllung; eine Nacht, in der Liebende zueinander sagen: „›Verzaubert hast du mich, meine Schwester Braut; ja verzaubert mit einem Blick deiner Augen [...]. Wie schön ist deine Liebe, meine Schwester Braut; wieviel süßer ist deine Liebe als Wein, der Duft deiner Salben köstlicher als alle Balsamdüfte. Von deinen Lippen, Braut, tropft Honig; Milch und Honig ist unter deiner Zunge. Der Duft deiner Kleider ist wie des Libanon Duft. [...] Ein Lustgarten sprosst aus dir, Granatbäume mit köstlichen Früchten, Hennadolden, Nardenblüten, Narde, Krokus, Gewürzrohr und Zimt, alle Weihrauchbäume, Myrrhe und Aloe, allerbester Balsam. Die Quelle des Gartens bist du, ein Brunnen lebendigen Wassers [...].‹ ›[...] Mein Geliebter komme in seinen Garten und esse von den köstlichen Früchten.‹ ›Ich komme in meinen Garten, Schwester Braut; ich pflücke meine Myrrhe, den Balsam; esse meine Wabe samt dem Honig, trinke meinen Wein und die Milch.‹ Freunde, esst und trinkt, berauscht euch an der Liebe!" (Hld 4,9-5,1)

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Vielleicht bringen wir das nicht mit der Kirche in Verbindung, wir sollten es aber, denn es stammt aus der Bibel: das Hohe Lied der Liebe, ein einmaliges Zeugnis dafür, dass Gott das Leben liebt und bejaht.

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Was also von alledem ist sie, die „Lange Nacht der Kirchen"? Was kann, was darf sie sein?

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Und wenn sie alles davon wäre und noch viel mehr? Weil Kirche alle sind, die versuchen, dem Mann aus Nazareth nachzufolgen, deshalb ist die Nacht in ihren vielen Formen Begleiterin dieser Kirche. Denn zentrale Eckpunkte seines Lebens geschahen in der Verborgenheit der Nacht - nicht um sie geheim zu halten, aber um sie vor der Grelle der Leuchtreklamenmentalität zu schützen:

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Die Nacht von Bethlehem, in der in einem Stall ein Kind geboren wird. Wahrlich eine Nacht der Liebe; der Liebe Gottes zu den Menschen, die in Finsternis wandeln. Er wird Mensch und teilt ihr Schicksal. Mit ihnen begeht er Nächte der Feste, so sehr, dass seine Gegner ihn einen Fresser und Säufer nennen können. Aber ihm geht es nicht darum; ihm geht es um die Nähe zu den Menschen. Und er weiß, dass im fröhlichen Fest die Untiefen der menschlichen Seele, ihre Hilfsbedürftigkeit und Trauer, nur knapp unter der Oberfläche liegen und gar leicht hervorbrechen. Und dann ist er da - kein Fresser und Säufer, sondern ein Arzt für die kranken Seelen der Menschen.

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Er teilt das menschliche Schicksal bis ins Letzte, und es führt ihn in die Nacht von Gethsemane, eine Nacht der Angst, des Flehens und Bittens. Die Jünger schlafen. Jesus teilt das Los so vieler, die nachts wach liegen voller Angst und Zittern, während die Nachbarn ruhig und selbstgerecht schlummern. Er ist allein, obwohl er Jünger hat; viele sind allein, obwohl sie Familie oder Freunde haben. Wie sie ruft Jesus in die Leere hinein. Antwortet jemand? Hilft jemand? Scheinbar nicht. Der Lauf der Dinge ändert sich nicht, der Schrecken bleibt. Und doch: wer trotz der Angst, trotz des Schreckens, trotz des Leids wieder aufstehen und voll Mut und Liebe im Herzen seinen Weg gehen kann, ist dem nicht geholfen?

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Und schließlich die Nacht von Golgatha - ein Tag, der zur Nacht wird, weil sich der Himmel verfinstert, weil Menschen die menschgewordene göttliche Liebe umbringen. Hexenverfolgung, Inquisition, Religionskriege - sie sind die Fortsetzung der Nacht von Golgatha. Nichts Neues unter der verfinsterten Sonne. Der Gründer der Kirche - die dunkle Nacht kirchlicher Verfehlungen trifft gerade ihn, durchbohrt und vernichtet ihn und bringt ihn in die Nacht des Grabes.

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Und dann? Es fehlt noch eine Nacht, die vielleicht wichtigste für uns: die Nacht vor dem Ostermorgen, in der irgendwann das Grab den Toten nicht mehr halten kann, weil er die Nacht des Grauens wiederum in eine Nacht der Liebe verwandelt. Es ist die Liebe eines Gottes, der den, welcher bis zum Ende geliebt hat, zum Leben erweckt, der so zeigt, dass die Nacht menschlicher Verfehlungen nicht das letzte Wort ist, sondern ein Tag anbricht, wie er strahlender nicht sein könnte.

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Darum stehen in den Kirchen diese morbiden Dinge - Kreuzigung, Marter und Tod: weil unsere Welt voll davon ist, und blindes Vorbeigehen daran nur der grellen Kälte der Leuchtreklamen entspräche; weil es aber Auftrag der Kirche ist, zu zeigen, dass Gott auf der Seite der Unterdrückten steht und er letztlich diese Nacht verwandeln wird in einen strahlenden Tag. Das ist die wahre kritische Vernunft, die uns lehrt: Gott steht auf der Seite der Schwachen und setzt sich für sie ein mit den Waffen der Liebe und des Lebens - und mit keinen anderen. Wir stehen oft genug nur auf unserer eigenen Seite, und das meist mit Waffen der Brutalität. Unsere Nacht der Liebe wird allzu leicht eine Orgie der Gewalt. Gottes Nacht der Liebe schenkt Leben in Fülle, wenn es sein muss, sogar aus dem Tod.

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„Lange Nacht der Kirchen" - von allem etwas. So vermischt in Heil und Unheil wie unser Leben. Aber eben eine Nacht, in die Gott immer wieder die Impulse zum Heil setzt, die Gott immer wieder in eine Nacht zärtlicher Liebe verwandelt. Darum ist er der Heilige.

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