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“Ihr seid ja dreifaltig, ich bin so allein”
(Predigt zum Dreifaltigkeitssonntag im Anschluss an ein Gedicht von Christine Lavant, Röm 8, 14-17 und Mt 28,16-20, gehalten am 7. Juni um 11 Uhr in der Jesuitenkirche in Innsbruck)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2009-06-08

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Größer - so scheint es zumindest - kann der Kontrast nicht sein: der Kontrast zwischen dem Wort Gottes, das uns heute zugesprochen wird und der Erfahrung vieler Zeitgenossen. "Ihr seid Söhne, ihr seid Töchter Gottes! Der Geist, den ihr empfangen habt, macht euch zu Kindern, zu Erben Gottes, zu Miterben Christi!", ruft uns die Kirche zu. - "Um Gottes willen!", möchte man fast ausrufen. "Ist das nicht zu viel des Guten? Mir würde es schon genügen, wenn ich den Arbeitsplatz nicht verliere, wenn die Mindestrente abgesichert bleibt und ich nicht noch kränker werde, damit ich auch mit dem Geld, das ich habe, auskomme. Man kann sich ja heutzutage auf niemanden mehr verlassen! 'Miterben Christi' - Was soll ich denn damit anfangen? Noch nie im Leben habe ich etwas geerbt. Und da gleich noch: 'Miterbe'. Mit Millionen und Abermillionen von Erben zusammen. Darauf kann ich verzichten!" Größer kann der Kontrast nicht sein zwischen dem pathetischen Zuspruch Jesu: "Ich bin bei euch alle Tage" und der Gier nach Alleinsein, die dem modernen Menschen eigen zu sein scheint, aber auch der Erfahrung einer Außenseiterin, der Erfahrung eines Menschen, der von Kindesbeinen an nur Spott und Ablehnung erfahren musste.

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"Da kommt die Hex'! Da kommt die Hex'!", riefen die Kinder beim Anblick des kränkelnden Mädchens. "Nicht lebensfähig!", diagnostizierten die Ärzte, als das Mädchen vier Jahre alt war, das Mädchen, das schon "von Geburt an durch den Tod gekennzeichnet, aber zum Weiterleben verurteilt war". In eine mittellose Bergarbeiterfamilie hineingeboren kannte diese Frau eigentlich nur ein paar elementare Dinge - und dies ihr Leben lang: Armut und Krankheiten. "Ich war selber nie jung, und nie auch nur ein bisschen anziehend", schrieb sie einmal an eine Freundin. Körperliche Schmerzen, psychische Depressionen, Selbstmordgedanken, ja ein Selbstmordversuch, Isolierung durch die Umwelt: Die Einsamkeit scheint das Schicksal der großen österreichischen Dichterin Christine Lavant gewesen zu sein. Daran vermochte auch die nicht ganz glückliche Ehe etwas zu ändern, und auch nicht die spät einsetzende Anerkennung als Künstlerin. "Gott legte sich quer im Leben dieser Frau"; er "durchkreuzte ihr Leben", deswegen haderte sie zeitlebens mit ihm, verfluchte ihn und ersehnte ihn zugleich. Im Kerker ihrer Einsamkeit eingesperrt fragte sie sich immer wieder, ob Gott von ihr wisse. Und viele von uns verstehen das bestens.

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Denn auch wir fragen uns, ob Gott davon weiß, dass ich krank bin, dass ich keinen zusammenhängenden Gedanken mehr zustande bringe, weil mich die Angst lähmt, weil ich weder mehr ein noch aus weiß und an dem Kontrast einfach zerbreche: Auf dem Bildschirm und in der Regenbogenpresse gibt es eine bestens funktionierende Welt - eine Welt mit Partys, mit Menschen, die vor Gesundheit und Selbstbewusstsein geradezu strotzen. Und in meinem Inneren gibt es so viel Sprachlosigkeit, Verwirrung, Not, v.a. aber Einsamkeit. "Oft denke ich nach", sinniert Christine Lavant, "ob es Schutzgeister gibt auch für solche wie mich" und "ob den hochheiligen Seelenkern wirklich nur diese Gesunden haben, die mit den Zähnen Nüsse zerbrechen...". Viele von uns können ihr nur zustimmen beim Anblick all der Celebrities, all der potenten Supermänner und glitzernden Superfrauen, die nur noch lächeln und lächeln und es anscheinend immer weiter bringen. Gibt es Schutzgeister nur für diese? Nur für die ganz Großen - für die Obamas, Merkels und Benedikts? Nur für Stars, für die ganz Coolen? Oder auch für mich? Gibt es Schutzgeister auch für mich? Weiß Gott von mir? Wir leben doch im Zeitalter der Gleichheit.

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-"Scheiß doch auf Gott!", dröhnt es heute von überall her. "Du bist allein und das ist gut so! Gut jedenfalls für die internationalen Konzerne. Sie können dich problemlos von einem Ende der Welt ans andere versetzen und dir dadurch zur Spitzenkarriere verhelfen. Du bist allein und das ist gut so - gut für die Arbeitgeber. Sie können mit deiner ganzen Arbeitskraft rechnen. Dir also Gelegenheit geben, dich selbst zu verwirklichen. Was wärst du denn ohne deinen Beruf? Du bist allein und das ist gut so, gut für die Konsumindustrie und die Unterhaltungsbranche". "Egoist" ist nicht nur der Name eines Parfums. "Egoist" steht Pate für alle Modetrends. All jene, die up to date sein wollen, bleiben egoistisch und cool. "Partnerschaft? Kinder? ... Ja, aber nur wenn sie dazu beitragen, dass du allein dadurch zur Geltung kommst. Du weiß doch, es gibt auch den Egoismus zu zweit, den täglichen Wettbewerb um Anerkennung.

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So paradox es auch klingen mag: Unsere Seitenblickegesellschaft nährt unsere Gier nach dem Alleinsein. Der ständig schweifende Blick auf immer neue Gesichter, neue Partygenossen, die Lust an wechselnden Lebensabschnittspartnern: all das und vieles andere mehr pflegt unsere Neigung zu einem homo incurvatus, zu einer femina incurvata, all das nährt die Neigung zur Selbstliebe eines auf sich zurückgeworfenen Individuums. Mit dem Opium "made in Hollywood" vollgekifft haben wir nicht einmal mehr das Bedürfnis zu fragen, ob Gott von uns weiß. Hauptsache ist, dass die Dosis stimmt. Und doch ...

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Und doch, liebe Schwestern und Brüder, macht uns der Kontrast immer wieder zu schaffen. Ich meine nicht den Kontrast, den ich zu Beginn angesprochen habe, den Kontrast zwischen dem Wortlaut der Lesungen am Dreifaltigkeitssonntag und den spontanen Reaktionen der popular culture der Gegenwart. Ich meine den Kontrast zwischen den kulturellen Grundmustern unseres Alltags und unseren Grundbedürfnissen. Ich meine den Kontrast zwischen der Botschaft: "Du bist allein und das ist gut so!" und der tiefsten Sehnsucht nach Beziehung. Ich meine den Kontrast zwischen dem kulturellen Imperativ zur Selbstverwirklichung und dem Wunsch nach Hingabe, den Kontrast zwischen der kulturell verordneten Gier nach Alleinsein und dem tagtäglich erlebten Elend der Einsamkeit.

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"Vergebt mir, Gottvater, Gottsohn und Gottgeist! Ihr seid ja dreifaltig, ich bin so allein!", beklagte Christine Lavant ihre Erfahrung des Mangels an Beziehung. Sie beklagte den Beziehungsverlust, artikulierte also in ihrer Poesie jenen Schmerz, den unsere Gegenwart durch kulturelle Opiate zu betäuben sucht, wenn sie den Segen des Singledaseins preist. Sie, die Außenseiterin par excellence, eine der Gestalten, die den Gottesknecht des 20. Jahrhunderts versinnbildlichen, sie klagt, sie flucht und sie betet. Betet im Angesicht eines Gegenübers, das sich ihr als das exakte Gegenteil ihrer eigenen Alltagserfahrungen erschließt und als Wahrheit offenbart. Eine Wahrheit aber, die ihr ständig abhanden kommt, weil sie deren Spuren nicht zu erleben vermag. "Ihr seid ja dreifaltig", ihr habt nicht Gemeinschaft, ihr habt nicht Partnerschaft, schon gar nicht Lebensabschnittspartnerschaft. Ihr seid Gemeinschaft. Ihr seid Beziehung, eine Beziehung, die nicht ein Hobby darstellt neben anderen Hobbys - neben dem Reiten, dem Hundeausführen, neben der Arbeit und dem Urlaub. Nein! Alles an euch ist Beziehung, alles ist Hingabe. Deswegen seid ihr ja göttlich! Alles an euch ist vollkommene Liebe.

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Liebe Schwestern und Brüder! Dem zunehmend an seiner Einsamkeit erstickenden Menschen des 21. Jahrhunderts präsentiert die Kirche - und dies nicht nur am Dreifaltigkeitssonntag, sondern seit es sie gibt - das letzte Geheimnis der Wirklichkeit. Das Geheimnis, das die tiefsten Sehnsüchte des Menschen zum Klingen bringt. Das Geheimnis Gottes, das mit dem Geheimnis der Liebe identisch ist. Identisch mit einer Liebe, die nicht zum Egoismus zu zweit degenerieren kann, weil sie sich ihrem Wesen nach auf andere hin öffnet: auf die göttlichen Personen und auch auf jene, die als Abbild Gottes geschaffen wurden, aus Liebe geschaffen wurden. Die lange Predigt auf einen Satz gebracht: Das letzte Geheimnis der Wirklichkeit ist Beziehung, und wir alle haben Anteil daran. Wir sind ein "Part of the story", ein Teil der Geschichte, und dies nur deswegen, weil wir geliebt wurden und geliebt werden. Geliebt von all den Menschen, die neben uns leben. Geliebt selbst dann, oder gerade dann, wenn wir es am wenigstens merken. Weil die Liebe selbst, weil Gott selber herabgestiegen ist, weil also Beziehung zum alltäglichen Wunder in der Welt wurde - zu einem Wunder, das sich nicht aus dem Zusammenspiel von Hormonen und Instinkten erklären lässt, auch nicht aus der Logik des Warentauschs -, weil Gott selber Gestalt unter den Menschen annimmt, ist die Liebe zu einem alltäglichen Wunder unter den Menschen geworden. Und wir - die wir uns dem Hamster im Käfig nicht ganz unähnlich im Rad der Instinkte und im Rad der Geschäftigkeit um uns selber drehen - sind auf die Nichtselbstverständlichkeit des Wunders überhaupt aufmerksam geworden und auch auf dessen Sperrigkeit. Denn der femina incurvata, dem homo incurvatus, der cultura incurvata erscheint die Liebe als Bedrohung, im besten Fall als Illusion. Banalisiert und an den Rand gedrängt, degeneriert sie zu einem Hobby. Ist das der Grund dafür, dass immer und immer wieder neu sich der göttliche Geist seine Stimme verschafft durch den Mund von Außenseitern, von Menschen, die den Mangel an Beziehung als ihr Geschick erleben - wie Christine Lavant etwa - und deswegen auch klagen? Klagen über ihre Einsamkeit!

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"Vergebt mir, Gottvater, Gottsohn und Gottgeist! Ihr seid ja dreifaltig, ich bin so allein". Liebe Schwestern und Brüder, der erschütternde Schrei der Dichterin soll unserer cultura incurvata aufrütteln. Ihre selbstbezogene, durch Opiate betäubte Zufriedenheit stellt den Inbegriff einer falschen Rationalität dar. Als Christen leben wir aus der Kraft einer anderen Rationalität, einer Rationalität, die sich aus dem trinitarischen Geheimnis und dem Geheimnis der Menschwerdung ableitet. Es ist dies eine Rationalität, die gar die Grundbedingung für die Kultivierung der Humanität darstellt. Denn ohne Beziehung gibt es ja den Menschen nicht. Deswegen lasst uns die Inspiration der Dichterin aufgreifen und zusammen mit ihr, die ja inzwischen vollen Anteil an der Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes und auch der Gemeinschaft der Heiligen hat, dankbar ausrufen: Gott sei Dank seid ihr dreifaltig, denn gerade darum bin ich nicht allein!

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