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Ein Seelsorger des Denkens. Otto Muck zum Dank, anlässlich seines 80. Geburtstags

Autor:Kraml Martina, Sandler Willibald, Wandinger Nikolaus, Siebenrock Roman, Gmainer-Pranzl Franz
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2008-12-15

Inhalt

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Die folgenden fünf Beiträge wurden in einer Sitzung der Forschungsgruppe Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung (RGKW), der Otto Muck zugehört, anlässlich seines 80. Geburtstags ihm zu Ehren vorgetragen.1

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Dank an Otto Muck (Martina Kraml)

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Lieber Otto,

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ich lasse mich in meinem kleinen Beitrag zu deinem Geburtstag ein bisschen leiten von deinem Porträt in unserem Dekanatssitzungssaal. Es zeigt drei Seiten von Otto Muck und wurde vom Tiroler Maler Anton Christian gemalt: Rektor - Wissenschaftler/Gelehrter - Priester/Seelsorger.

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Das aus meiner Sicht durch alle wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Rollen und Tätigkeiten Durchscheinende bist du als Priester, Seelsorger und Mensch. Seelsorge, Leben und Glauben teilen, z. B. mit Familien in Familienrunden, Aushilfen in Pfarren, Weihnachten im Kühtai, das war dir wichtig. Du hast gewusst, wie es in Familien mit Kindern zugehen kann und hast dich gerne auch auf das Gespräch mit Kindern eingelassen, hast ihnen zugehört und sie ernst genommen. Ich erinnere mich an eine kleine Szene, wie du einmal bei uns eingeladen warst und mit unserem Sohn Hannes, damals acht Jahr alt, ein wunderbares Gespräch über Mathematik geführt hast. Er erinnert sich immer wieder daran, freut sich darüber und ist ein guter Mathematiker geworden.

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Wenn du einem Studierenden/einer Studierenden im Institut, am Gang, in der Stadt oder sonstwo begegnet bist, bist du stehen geblieben, hast dich erkundigt und ihm/ihr ein freundliches Wort geschenkt. Ehrliches Interesse für die konkreten Menschen war kennzeichnend für dich. Man konnte sehen, dass du in den Studierenden Subjekte, wie man heute sagt, gesehen hast, ja noch tiefer, von Gott berührte und begnadete Gegenüber. Auch wenn das manchmal nicht ganz einfach war, erinnere ich mich doch an eine Begebenheit, wo ein Studierender durchaus im Ernst dich im Institut aufgesucht hat und mit dir über seine gerade neu gewonnene Einsicht, dass es das Seiende nicht gibt, ins Gespräch kommen wollte.

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Ich erinnere mich an deinen Humor und deine Vorliebe fürs Feiern: Essen und Trinken, das Miteinander, die Kommunikation, der Austausch, gemeinsame Erinnerungen pflegen, das war dir wichtig. Du konntest deine philosophischen Gedanken, Überlegungen und Erkenntnisse gut an Alltagserfahrungen anschließen. Ich habe dich bei Festen fröhlich und manchmal ausgelassen erlebt, du warst fast immer unter den Letzten, die gegangen sind. Einmal haben wir uns als Erstsemestrige deinen Ärger zugezogen, wie wir nämlich in deinem Seminar gefragt haben, ob wir wegen des Theologeng'schnas früher weggehen dürften.

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Während deiner schweren Erkrankung haben wir, einige Studierende, dich im Krankenhaus besucht. Auf dem Nachtkästchen haben wir zwei Dinge gesehen. Sie symbolisierten die dir wichtigen Lebensbereiche: das Brevier und deinen kleinen Rechen-/Logikcomputer.

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Was bei mir Wurzeln geschlagen hat und mich, ausgehend von meiner Dissertation, bis auf den heutigen Tag leitet und bestimmt, sind, neben vielem anderem, deine Überlegungen zum weltanschaulich-religiösen Rahmenwissen mit den Leitfragen: Woraus gewinne ich meine Erkenntnisse? Was ist aussschlaggebend für die Charakteristik meiner Urteile? Was bringt mich dazu, Gegebenes in einer ganz bestimmten Weise, und nicht in einer anderen, aufzufassen, einzuordnen und zu beurteilen? Was also macht den grundsätzlichen weltanschaulich-religiöse Blick (nach Richard Hare: „blik"2) aus, der mein/unser Handeln, auch mein/unser wissenschaftliches Handeln, bestimmt? Wodurch ist er gekennzeichnet? Woraus speist er sich?

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Einen Gedanken des späten Wittgenstein könnte man - etwas freier und gewagter als dieser ihn gemeint hat - in diese Richtung weiterführen und vertiefen: "Was die Menschen als Rechtfertigung gelten lassen, zeigt, wie sie denken und leben." (PU 325). Das bedeutet: Das, was ich als Rechtfertigung/Begründung gelten lasse, zeigt die Lebensform im wittgenstein'schen Sinn, die aber m. E. noch tiefer und grundsätzlicher in Richtung des weltanschaulich-religiösen Blicks verstanden werden kann als die Form, die das Leben hat, die jeder/jede dem Leben gibt, im Leben vorfindet bzw. in die jeder/jede hinein geboren wird. Aus theologischer Perspektive ist bedeutsam: Nicht wir legen uns diese Form unseres Lebens, die letztlich für einen Christen der Glaube ist, aus uns selber zu, sondern wir bekommen sie von Gott geschenkt und sind aufgefordert, sie bzw. den Glauben weiter zu tragen und wachsen zu lassen. Das bedeutet, die Art und Weise, wie wir mit Begründungen/Rechtfertigungen umgehen, was wir als Begründungen/Rechtfertigungen gelten lassen und was nicht, welche commitments das nach sich zieht, ist Ausdruck meines/unseres grundsätzlichen Blicks, Ausdruck meiner/unserer Lebensform. In christlicher Perspektive: Ausdruck unseres Glaubens.

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Wenn wir noch einen Schritt weiter gehen, gelangen wir an die Grenze von Philosophie und Theologie, begeben uns auf theologisches Terrain, indem wir die verschiedenen möglichen Auffassungen anhand von theologischen Kriterien zueinander in Beziehung setzen und uns fragen: Welcher Art sind diese Blicks ("bliks") bzw. Lebensformen? Woraus speisen sie sich? Was ist deren Quelle? An diesem Punkt berühren sich Spiritualität und Theologie, Spiritualität und Wissenschaft, und es wird deutlich, welche Rolle die Theologie im Konzert der Wissenschaften hat.

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Die Wissenschaftslandschaft - wenn man so salopp reden will - hat sich verändert. Zurzeit werden wohl andere Begründungs- und Rechtfertigungszusammenhänge akzeptiert als es noch vor 40 Jahren der Fall war. Wurde der Theologie damals noch ganz selbstverständlich die Daseinsberechtigung im Kreis der Wissenschaften zuerkannt, so schaut es heute anders aus. Die spannende Frage, die sich für mich anhängt: Hat das mit den sich verändernden Blicken ("bliks"), mit den sich verändernden Lebensformen zu tun? Hat es mit den sich verändernden Rahmen und dem veränderten Rahmenwissen zu tun? So dass auch die Plausibilitätsstrukturen und -grenzen im Hinblick auf das, was als Wissenschaft/wissenschaftlich akzeptiert wird, anders verlaufen? So dass tatsächlich aus dem methodischen Atheismus ein existenzieller/ontologischer geworden ist? - wie wir uns zu Beginn des Zweijahresthemas "Handeln Gottes" gefragt haben und es auch das Thema des vorletzten Dies Academicus war.

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Noch einen Aspekt möchte ich ansprechen: Der Dialog hat deine wissenschaftliche Arbeit gekennzeichnet, du hast analysiert, welche Voraussetzungen der weltanschaulich-religiöse Dialog hat und braucht, du hast Kriterien des Dialogs entwickelt,3 und du hast selber Dialog gelebt, ja verkörpert: Du standest unermüdlich im Gespräch mit der Theologie, hast darum gekämpft, die Verbindung zwischen Philosophie und Theologie in Innsbruck nicht abreißen zu lassen. Du hast den Dialog auch mit jenen theologischen Paradigmen, mit denen du dich nicht leicht getan hast, nicht aufgegeben. Ein tiefes Ernstnehmen des anders denkenden und anders handelnden Gegenübers hat dich gekennzeichnet. Ich erinnere mich an die früheren Konversatorien am Philosophischen Institut, die der Verständigung und der gemeinsamen Arbeit von Philosophen und Theologen gewidmet waren. Ich denke an dein Bemühen, mit den Theologen, vor allem auch mit Raymund Schwager, ins Gespräch zu kommen und im Gespräch zu bleiben, ins RGKW zu kommen und dort zu bleiben. Das Im-Gespräch-und-im-Dialog-Bleiben auch dort, wo es nicht einfach und bisweilen sogar schmerzlich war und ist, ist etwas, das mich an dir tief beeindruckt hat. Deine integrative Rolle im Orden, an der Fakultät, aber auch deine Grenzgänge zwischen Einzelwissenschaften/Naturwissenschaften und der Philosophie und Theologie haben Frucht und Segen für uns alle gebracht.

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Ich denke, da treffen sich deine Anliegen und die Anliegen der Kommunikativen Theologie. Ich weiß, dass dein Wunsch an die Kommunikative Theologie wäre, deine begriffliche Arbeit an den Strukturen des weltanschaulichen Dialogs im Hinblick auf das Sprechen von Kommunikation und den interreligiösen Dialog weiter zu führen. Das ist noch offen, steht noch an, ich weiß auch nicht, ob wir in diesem Punkt deinen strengen Ansprüchen überhaupt genügen könnten. Doch einiges davon hat sich m. E. schon im Grundsatztext der Kommunikativen Theologie gezeigt.4 Vielleicht auch geht dieses Weiterführen deiner Anliegen anders als du es dir unmittelbar erwartest. Andererseits kommt es mir vor, wie wenn wir in manchem stärker die Konkretisierungen von dem hätten, was du allgemeiner und abstrakter formuliert und erkannt hast: Ein Beispiel dafür stellt das Zitat von F. Gmainer-Pranzl aus deinem Aufsatz "Sprachlogische Aspekte religiös-weltanschaulichen Dialogs" dar: "Erstes Ziel des Dialogs ist daher nicht die Selbstrechtfertigung oder die Einvernahme des Gesprächspartners, sondern das gegenseitige Verständnis, durch das ein Erkennen der Gegensätze und eine Konfrontation mit ihnen möglich wird." (siehe F. Gmainer-Pranzls Abschnitt in diesem Beitrag) ... Das, denke ich, haben wir im interkulturellen und interreligiösen Dialogprozess Kommunikativer Theologie im letzten Jahr in vielem ganz konkret erlebt. Vielleicht ist beides unverzichtbar und aufeinander zu beziehen: Konkretionen und Abstraktionen.

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Die Bedeutung der transzendentalen Systematik Otto Mucks für das Verständnis von Karl Rahner und für die Innsbrucker Dramatische Theologie (Willibald Sandler)

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Otto Muck hat mir einen methodisch reflektierten Zugang zu Karl Rahner erschlossen; dies vor allem mit der von ihm ausgearbeiteten transzendental-phänomenologischen Methode, im methodischen Dreischritt phänomenologische Explikation - transzendentale Reduktion und transzendentale Deduktion.

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„Transzendental-phänomenologisch" ist bemerkenswert, da transzendentale und phänomenologische Methoden in Philosophie und Theologie oft als verschiedene Welten wahrgenommen werden, die nachträglich nicht mehr zusammenzubringen sind. Bei Muck - und hier trifft er sich mit Karl Rahner - ist beides ursprünglich beieinander.

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Ich werde (1) zuerst die Teile dieses Dreischritts verdeutlichen, (2) dann skizzieren, wie und mit welchen Konsequenzen sie bei Rahner vorkommen, (3) dann beispielhaft aufzeigen, wie damit verbreitete Missverständnisse der Rahnerschen Theologie behoben werden können, (4) schließlich einen Ausblick geben auf die gegenwärtige und vielleicht zukünftige Bedeutung, die dieses Denken für mich und auch für die dramatische Theologie noch entwickeln könnte, und dies alles in der gebotenen Kürze von 10 Minuten.

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1. Der Dreischritt der transzendental-phänomenologischen Methode ...

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... wurde von Muck in seiner Habilitation zur transzendentalen Methode nach einer Analyse von Marechal, Rahner, Lonergan und anderen in einem abschließenden systematischen Teil entwickelt.5

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Die phänomenologische Explikation: Ausgangspunkt sind nicht bestimmte Begriffen oder Ideen, sondern menschliche Vollzügen. Diese Vollzüge sind natürlich immer schon begrifflich interpretiert, aber auf diese Weise oft aporetisch und kontrovers. Ein Beispiel dafür ist der Vollzug des menschlichen Fragens, der, wie nach Rahner vor allem Coreth herausgearbeitet hat, in den beiden Teilaspekten von Fragbarkeit und Fraglichkeit sowohl Wissen als auch Nichtwissen, Grenzenlosigkeit und Grenze in sich beinhaltet. In „Geist und Welt" hat Rahner entsprechend den Menschen als unbegrenzt seinsoffenen Geist und in seiner konstitutiv weltbezogenen, begrenzten Materialität entfaltet. Diese Spannung von unbegrenzter Seinsoffenheit und begrenzter Materialität wäre somit ein Beispiel für die phänomenologische Explikation einer Anfangsaporie.

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Die transzendentale Reduktion folgt dem Weg vom Phänomen zur Begrifflichkeit. Ausgehend von Phänomen, Vollzug bzw. Anfangsaporie werden Möglichkeitsbedingungen dafür erschlossen. Im Zuge dieses Vorgehens werden Begriffe, die das Ausgangsphänomen beschrieben, im Blick auf dieses Phänomen, das sie erklären sollen, verdeutlicht. Muck nennt das operative Definition. Durch die konsequente transzendentale Rückbindung an die Phänomene, die sie erklären, werden diese Begriffe in ihrer Bedeutung präzisiert und auf diese Weise Anfangsaporien aufgelöst.

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Die transzendentale Deduktion unternimmt den Rückweg von der Begrifflichkeit zum Phänomen. Von den derart operativ definierten Begriffen her kann nun das Ausgangsphänomen erklärt werden, und zwar so, dass die transzendental reduktiv erschlossenen Begriffe bzw. die damit angesprochenen Zusammenhänge als notwendig zur Erklärung des Phänomen zeigen lassen. Dies geschieht durch den indirekten Beweis einer transzendentalen Retorsion: Wenn ich die transzendental aufgewiesenen Zusammenhänge leugne, löse ich damit das Ausgangsphänomen auf, - das heißt ich gelange in einen performativen Widerspruch zwischen dem was ich sage und dem, was ich tue.

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Hier (im Blick auf die Möglichkeit des Aufweises eines performativen Widerspruchs) zeigt sich auch, welche Phänomene als Ausgang für den transzendentalen Dreischritt geeignet sind: Es sind transzendentale Phänomene, die zwar an bestimmten Situationen besonders deutlich werden, aber den Menschen in jedem Vollzug betreffen, - mithin auch in dem Vollzug der philosophischen Reflexion. Ein Beispiel dafür ist der Vollzug des Fragens. An diesem Punkt wird dann auch ein innerer Bezug deutlich zwischen Transzendentalität als Methode und Transzendentalität im Sinne einer uneingeschränkten Bestimmung von allem Seienden, insofern es ist.

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2. Bedeutung im Rahmen der Theologie Karl Rahners6

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Reductio in mysterium und nexus mysteriorum: Ausgegangen vom Mensch als Geheimnis (d.h. in einer unauflösbaren Spannung zwischen Endlichkeit und Geöffnetheit für Gott) werden zentrale theologische Begriffe reformuliert und in eine fruchtbare Spannung zueinander gebracht, - nicht um die Spannung aufzulösen, sondern um damit das gottgegründete Geheimnis Mensch zu explizieren.

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In diesem Sinn arbeitet Rahner konsequent mit Doppelbegriffen, die die Grundspannungen des Menschen gegenwärtig halten, - sozusagen als „gefrorene Aporien", an denen man sich immer neu abarbeiten muss. Beispiele: übernatürliches Existential, quasi-formale Ursache, Gottmensch, Selbsterlösung; aber auch Rahners Grundkonzeption mit zwei zentralsten Begriffen, die geradezu in paradoxer Spannung zueinander zu stehen scheinen: Selbstmitteilung und bleibende Geheimnishaftigkeit Gottes.

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3. Missverständnisse der Theologie Rahners, die aufgelöst werden können, wenn man die von Muck aufgewiesene Grundstruktur transzendentaler Methode beachtet

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Ich möchte hier nur zwei Beispiele nennen:

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  • die Unterstellung einer Grenzenlosigkeit des Menschen in Erkenntnis und Freiheit, die seiner geschöpflichen Beschränkung widerspricht (Paul Weß). Antwort: Explikation der Grenzenlosigkeit als eines Teilaspektes, der im steten Rückblick auf das Ausgangsphänomen begrenzt wird und begrenzt werden muss.
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  • die Unterstellung (tendentiell) eines transzendentalen Gottesbeweises, der bereits durch das Faktum einer Philosophie des Absurden (Camus) widerlegt wäre (Hansjürgen Verweyen). Antwort: Der retorsive Aufweis, dass der Mensch gar nicht anders kann als Gott bejahen, widerlegt nicht die Möglichkeit, zu Gott nein zu sagen, sondern kommentiert sie.
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4. Weitere Entfaltungsmöglichkeiten auf eine dramatische Theologie hin

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Es geht hier um die noch nicht genügend eingelöste Aufgabe, Karl Rahners Theologie in Bezug auf unsere dramatische Theologie zu positionieren und zu integrieren.7 (vgl. diesbezüglich in unserem Grundsatzartikel: Dramatische Theologie als Forschungsprogramm8)

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Diese Aufgabe wurde bis jetzt erst von Nikolaus Wandinger in seiner Dissertation zur Sündenlehre bei Karl Rahner und Raymund Schwager wahrgenommen.9 Weitere Möglichkeiten sind mir zuletzt im Gespräch mit der negativen Theologie aufgefallen, wo man Gottesrede annähern kann als offen zu haltende Mitte zwischen transzendentaler, theologisch-ästhetischer und dramatischer Polyperspektivität (Rahner - Balthasar - Innsbrucker dramatische Theologie).10 In jedem Fall geht es um die Abarbeitung von Grundspannungen menschlicher Existenz, die von Rahner als Grundsignatur menschlichen Seins beschrieben und durch die dramatische Theologie in ihren geschichtlichen und sündenverstrickten Konkretionen entfaltet werden.

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Weiter zu diskutieren wäre die Spannung zwischen

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  • einer immer schon gegebenen Freiheit des Menschen Gott, der Welt und sich selbst gegenüber (Rahner),
  • und einer tiefgreifenden, erbsündig bedingten Unfreiheit und Gebundenheit des Menschen (er weiß nicht, was er will und ist mimetisch konditioniert), sodass echte Freiheit des Menschen Gott, der Welt und sich selbst gegenüber zum kairologisch freigesetzten Sonderfall wird (Innsbrucker dramatische Theologie).
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Wenn die Spannung so formuliert wird, dann zeigt sich sofort, dass sie nicht unauflösbar ist. Sie kann sowohl mittels transzendentaler Methode (als Ausgangsaporie) als auch mittels dramatischer Methode (von Freiheit als Freisetzung zu einer möglichen Verschärfung der Sünde) verarbeitet werden; - womit sich eine spannungsvolle Verhältnisbestimmung zwischen Rahner und Innsbrucker Theologie auf der nächsten (methodologischen) Ebene ergibt.

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Eine Auseinandersetzung der Innsbrucker dramatischen Theologie mit Karl Rahner legt sich nicht nur wegen Rahners Innsbruckbezug nahe, sondern auch wegen der tiefen Gemeinsamkeit eines enorm spannungsorientierten Denkens.11

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Dafür hat nun Muck mit der von ihm herausgearbeiteten transzendentalen Methodik eine mehrfache Bedeutung:

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  • das Moment der Spannung in Rahners Denken ist konsequent betont
  • es wird eine Methode zur Verfügung gestellt, von der her das weit gespannte Denken Rahners hervorragend fokussiert werden kann
  • diese Methode ist durch ihren Bezug auf Vollzug und Phänomen in hohem Maße anschlussfähig für die dramatische Theologie in der ihr eigenen Methodik.
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Positiv kritisch, Integrativ - Otto Muck. Eine persönliche Lernbilanz in Stichworten (Nikolaus Wandinger)

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Ich zähle zu den Menschen, die noch ihre ganze Ausbildung in Metaphysik und Gotteslehre an dieser Fakultät bei Otto Muck machen durften. Aus der Fülle seines Wissens und Könnens habe ich sicher nur einen bescheidenen Teil mir angeeignet, und von diesem möchte ich in Anbetracht der Kürze der Zeit nur vier Stichworte nennen, die für mich ganz besonders zentral sind.

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Zwei davon sind bereits in der Überschrift genannt: positiv kritisch und integrativ.

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1. „Positiv kritisch"

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Muck nennt so eine Interpretationstendenz, die dem Gesprächspartner - ob unmittelbar anwesend oder nur mittels eines Textes zugänglich - einen Vorschuss an Wohlwollen einräumt und davon ausgeht, dass er oder sie Sinnvolles zum Ausdruck bringen will, auch wenn man selbst spontan lieber gerne widersprechen würde. Diese Interpretationstendenz legt die „Aufmerksamkeit [...] auf das Anliegen des Partners und auf das als begründet Akzeptierbare [...]. [Da]durch [...] wird man dem Partner eher gerecht und kann aus der Auseinandersetzung mit ihm lernen"12. Der sich anmeldende Dissens wird dabei aber nicht unterdrückt oder einer vorschnellen oder gar anbiedernden Versöhnung geopfert; er tritt als korrigierendes Element in das Wohlwollen ein und macht eine unkritisch positive zu einer kritisch positiven Interpretation.

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Diese Art des Herangehens an fremde Standpunkte scheint mir im heutigen Wissenschaftsbetrieb, in dem es oft nur darum geht festzustellen, dass jemand anderer Unrecht hat, bleibend aktuell; und es ist - nebenbei bemerkt - die philosophisch ausgefeilte Anwendung eines Prinzips des Heiligen Ignatius durch den Jesuiten Otto Muck, das da lautet, „dass jeder gute Christ mehr dazu bereit sein muss, die Aussage des Nächsten für glaubwürdig zu halten, als sie zu verurteilen."13

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2. „Integrativ"

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Dies bringt uns zum zweiten Stichwort: Indem Otto Muck Standpunkte positiv kritisch aufgreift und diskutiert, vermag er sie in den Diskurs zu integrieren und ist dadurch integrativ. Wie kein anderer meiner Philosophielehrer versteht er es, aus ganz verschiedenen philosophischen Richtungen - Scholastik, Transzendentalphilosophie, Phänomenologie, analytische Sprachphilosophie - Einsichten aufzugreifen und miteinander zu verbinden. Dieselbe Fähigkeit bringt er auch immer wieder in unseren theologischen Diskurs ein. Er integriert also Einsichten aus verschiedenen Richtungen miteinander. Dies ist eine Bedeutung des Adjektivs „integrativ" in Bezug auf Otto Muck.

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Eine weitere ist, dass Muck gerade den Sinn von Metaphysik als Weltanschauung darin sieht, dass sie eine integrative Erklärung für das dem Menschen Begegnende liefert. Eine integrative Erklärung ist in der Lage, Erkenntnisse und Erfahrungen aus ganz verschiedenen Lebensbereichen - Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft, Religion, persönliches Erleben, Kunst etc. - aufeinander zu beziehen und in ein sinnvolles Ganzes zu bringen. Das beinhaltet, die Unterscheidung der verschiedenen Erkenntnis- und Erfahrungsbereiche deutlich zu machen, um unnötige, weil nur scheinbare, Widersprüche zu vermeiden; es beinhaltet aber auch, die so unterschiedenen Bereiche nicht auseinanderzureißen, sondern ihren Zusammenhang festzuhalten: sie alle sind Aspekte der einen objektiven Realität und der Erfahrung des jeweiligen einen Subjekts, das sich mit ihnen beschäftigt. Integrativ zu erklären ist also die Kunst, zu unterscheiden ohne zu trennen; Einheit in strukturierter Verschiedenheit zu erkennen und verständlich zu machen. Raymund Schwager sah dies bahnbrechend erreicht im „unvermischt und ungetrennt" des Konzils von Chalzedon. Otto Muck führt dies in philosophischer Schärfe durch und schafft damit die Voraussetzungen für das, was B. Lonergan die functional specialty dialectic nennt.

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Zwei Stichworte fehlen mir noch: Operativ und Modell

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3. „Operativ"

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Operativ führt Otto Muck Begriffe ein: gelehrt hat er uns das an den so vorbelasteten Begriffen scholastischer Metaphysik: sie bedeuten nicht, was man mit ihnen assoziieren möchte, je nach Standpunkt positiv oder negativ; sondern sie bedeuten, was die sie einführenden Tätigkeiten ihnen an operativem Gehalt mitgeben. Dies ist für die systematische Philosophie zentral; ermöglich es ihr doch, hinter die geschichtlichen Interpretationen zurück auf die Sache selbst zu gehen ohne einem Positivismus oder Objektivismus zu verfallen. In der systematischen Theologie kann dies ein ebenso wertvolles Instrument sein, um dem eigentlich gemeinten dogmatischen Gehalt einer Aussage näher zu kommen. Allerdings: Weder PhilosophInnen noch TheologInnen können Begriffsgeschichten einfach abschütteln. Die Sensibilität für problematische Wörter, auch wenn ihr Gebrauch in operativer Einführung gerechtfertigt werden kann, verlangt manchmal neue Vokabeln zu suchen. Doch auch das ist möglich, indem man diese operativ einführt und so ihre Bedeutung durch die geistige Praxis des Subjekts in der objektiven Realität bestimmt. TheologInnen sind dabei vielleicht etwas stärker an das Wort gebunden, da sie es auch mit einer lehramtlich normierten Sprache zu tun haben.

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Begriffe lassen sich aber nicht nur operativ einführen; bestehende Verwendungen von Ausdrücken lassen sich auch operativ analysieren. Und dabei stellt man fest, dass Menschen mit ganz verschiedenen Ausdrücken und Aussagen oft dasselbe meinen. Die operative Analyse verschiedener Terminologien ist also das wichtigste Instrument für integrative Erklärung und positiv kritische Interpretation gleichermaßen. Durch diese Analyse wird es erst möglich, aus ganz verschiedenen Kontexten und Terminologien Erkenntnisse anzuerkennen und zusammenzuführen; denn nur diese Analyse erlaubt es, die jeweilige Fachsprache, das jeweilige Sprachspiel, zu transzendieren und die darin gewonnenen und formulierten Einsichten in neuen Kontexten aufzugreifen.

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4. „Modell"

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Schließlich stellt Otto Muck fest, dass jede solche Fachsprache, jedes Begriffsgebäude eine eingeschränkte Interpretation einer größeren Einsicht liefert, ein Modell, das innerhalb gewisser Grenzen richtig und zutreffend ist und Erkenntnisse anschaulich und leicht verständlich darbieten kann; das aber jenseits dieser Grenzen irreführend oder sogar falsch werden kann. Und das trifft nun wieder alle Sprachen: die der scholastischen Philosophie ebenso wie die der modernen; ja auch jene der Maréchal-Schule, die dies zwar selbst ausdrückt, aber indem sie es ausdrückt, bereits wieder in einem Modell spricht. Es betrifft natürlich auch theologische Modelle aller Art, auch das der Dramatischen Theologie, der ich mich verschrieben habe.

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Hier ist es Otto Muck, der in unserem Kreis immer wieder darauf hinweist, dass das dramatische Modell eben das ist - ein Modell - und dass es nur dann verantwortlich verwendet wird, wenn das im Bewusstsein bleibt; wenn die Behauptungen alternativer Modelle positiv kritisch dazu in Beziehung gesetzt und zu einer integrativen Sichtweise mit ihr verbunden werden; wenn scheinbare Widersprüche durch operative Analyse vermieden und real auftretende Widersprüche operativ, d. h. an den das Modell transzendierenden Vollzügen, aufgewiesen werden; und wenn dieses Modell durch andere ergänzt wird, wo es nötig ist.

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Bei unseren Diskussionen um das Handeln Gottes zeigte sich das immer wieder. Ich glaube zwar, dass der Ansatz der Dramatischen Theologie durch die Zusammenordnung verschiedener Rollen, Akteure, Situationen und Akte auf seine Weise auch eine operative Analyse - wenn auch anderer Art - ist und deshalb gerade in der Lage ist, verschiedene andere Modelle aufzunehmen und in einen integrativen Zusammenhang zu bringen. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass sie selbst ein Modell ist, darauf weist uns Otto Muck immer wieder hin.

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Ich möchte hier auch daran erinnern, wie wertvoll uns deine Analyse von Modellen und ihren möglichen Grenzüberschreitungen war, als wir uns in der Dramatischen Theologie mit der von Kardinal Schönborn neu aufgeworfenen Frage nach dem Zusammenhang von Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie auseinandergesetzt haben.14 Hier hast du selbst eine Anwendung deiner Unterscheidung von Modell und intendiertem Gehalt vorgelegt, die sehr hilfreich ist. Und damit komme ich zum Schluss und zwei kleinen Wünschen. Zum einen natürlich mit Geburtstagswünschen für dich, Otto; dann aber auch mit einem Wunsch an dich.

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Mir sagte einmal jemand bedauernd, dass Otto Mucks Philosophie großartig, aber leider so abstrakt sei, dass man sie nirgends anwenden könne. Ich entgegnete darauf, dass man sie - gerade weil sie so abstrakt sei - überall anwenden könne. Aber, es ist wahr, dass wir TheologInnen uns manchmal in der Anwendung und Konkretisierung schwer tun. Und so ist mein Wunsch: wenn du, lieber Otto, uns Theologen und Theologinnen noch lange - und manchmal auch ganz konkret - weiterhelfen könntest in der Anwendung deiner Einsichten auf unsere Fragen, dann wäre uns sehr geholfen.

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„Prüfet alles, ...". Zur Bedeutung des Denkens von Otto Muck SJ: Seelsorger des Denkens (Roman A. Siebenrock)

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Zu Beginn der Neuzeit, als die Wissensbereiche endgültig auseinander zu fallen begannen, erkenne ich in zwei Ausdrucksweisen noch einmal - letztmals in Europa - den Versuch, die Gesamtwirklichkeit in integrierender Weise zu bedenken. Solche Integration scheint mir immer einen doppelten Aspekt aufzuweisen. Einerseits sollten die einzelnen Wissenschaften, Techniken, Künste und Lebensformen in ihrer Bedeutung und Unterschiedenheit anerkannt werden. Andererseits sollte aber auch ihre Bedingtheit, Perspektivität und geschichtliche Vorläufigkeit nicht überspielt oder gar eliminiert werden. Die künstlerische Ausdrucksform - die erste Form - findet sich im barocken Kirchenbau, vor allem in der Gestaltung der Bibliothek. Die Aufstellung der Bücher ist in der Bibliotheksausgestaltung verbunden mit einer Strukturanalyse des Wissens und der entsprechenden Bildungstraditionen, die dadurch in ihrer Vorläufigkeit gekennzeichnet sind, dass sie auf das endgültige Wissen von Welt und Geschichte verwiesen werden. Diese endgültige Offenbarung der Geschichte ist identisch mit der göttlichen Interpretation der Geschichte, die in der Gestalt des apokalyptischen Lammes und der „sedes sapientiae" (Maria mit Jesus) bevorzugt versinnbildlicht werden.15

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Das intellektuelle Wagnis einer denkerischen Integration erkenne ich im Werk von Francisco Suarez SJ, der mit seiner Kunst der Unterscheidung bis ins 20. Jahrhundert hinein viele Generationen im Orden geprägt hat (und bis zu Christian Wolff auch den neoorthodoxen Protestantismus). Zwar wird dessen Distinktionskunst bisweilen als „Begriffsklauberei" apostrophiert, doch könnte uns das Anliegen von Otto Muck für die Frage die Augen öffnen, ob nicht diese Distinktionen an einen Problemkontext erinnern, der auch für uns heute noch nicht wirklich bewältigt ist. In Otto Mucks Denken hat mich je länger je stärker das Ethos bewegt und geformt, die unterschiedlichen Ansätze, Gesichtspunkte und Erkenntnisbeiträge zu wägen und in ihrer jeweiligen Stärke und Gültigkeit anzuerkennen. Dazu gehört auch der klare Blick für die Grenzen und eingeschränkten Gültigkeiten der jeweiligen Methoden und Ergebnisse. Integrierendes Denken ist daher weder Zustimmung zu allem, noch Ignoranz, sondern eine Kunst der Unterscheidung16, die - wie John Henry Kardinal Newman es einmal formulierte - von der augustinischen Überzeugung geprägt ist, dass wer nach der Wahrheit sucht, nach Gott sucht und ihm in dieser Suche bereits nahe ist. Diese Dynamik hat der englische Kardinal in die Worte gefaßt: „Ich glaube, daß ich wirklich die Wahrheit suche und daß ich sie umarmen würde, wo immer ich sie fände."17

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Aktuelle Anstöße von Otto Muck für unser Thema „Handeln Gottes

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In diesem Sinne können seine Anstöße für unser Rahmenthema „Handeln Gottes" von besonderer Bedeutung werden. Aus den zahlreichen Hinweisen möchte ich auf folgende Unterscheidungen besonders hinweisen, die alle ihre besonderen Implikationen aufweisen.

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1. Das in direkter Intention Gemeinte und dessen Deutung in der Reflexion

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In jeder Hinsicht kommt der Sprachkritik dabei eine besondere Bedeutung zu. Das Mindestmaß der Rationalität besteht darin, dass ich verstanden werden möchte und ich auch in dem Gesagten eine Mitteilung an den GesprächsteilnehmerInnen intendiere. Deshalb ist der Sinn von Ausdrücken zu eruieren; und die eigenen Begriff angemessen einzuführen. Dabei kann die operationale Einführung sowohl für das Verstehen der Anderen als auch für die Mitteilung von mir große Hilfe bereit stellen.

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Dabei ist mir die Erkenntnis von Otto Muck besonders wichtig, dass weltanschauliche Implikationen nie vermieden werden können, sondern kritisch aufgedeckt und verdeutlicht werden müssen. Daher ist die Vorgabe von „Objektivität" oder gar „Neutralität" immer nur eingeschränkt erreichbar. Immer stehen wir aber unter der Herausforderung, die auf unterschiedliche Weise gewonnenen Erkenntnisse, Werte und Handlungsoptionen in ihrer Bedeutung und Berechtigung zu untersuchen. Genau hier (zumindest) aber liegt die nicht ablösbare Verwurzelung von Lebenswelt und Wissenschaft, bzw. methodologisch geleitetem Denken. Bei der Reflexion dieser Bedingungen18 scheinen mir folgende Gesichtspunkte für Otto Muck besonders wichtig zu werden: das Bedenken der Eigenart der jeweiligen Sprachen und Erklärungsweisen, sowie die Anerkennung und Erhebung des rationalen Elements in einer gelebten Weltanschauung. Dies führt einerseits zur Anerkennung der „philosophischen Dignität" jedes Menschen und jeder Kultur; zum anderen liegt darin auch die Möglichkeit, andere zu verstehen. Das ihn selber leitende Ethos der Rationalität sieht er auch als eine Möglichkeit zur gewaltfreien Verständigung in Anerkennung von Differenzen und Ungeklärtem.

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In diesem Kontext fördert er eine Aufmerksamkeit für unverfügbare und bedeutsame Ereignisse im Leben der Menschen. Da von solchen Faktoren die jeweiligen persönlichen Überzeugungen abhängen, kann er solche Erfahrungen auch als „empirischen Aspekt der Gnade" einschätzen.

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2. Die rationale Struktur religiöser Erfahrung

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In der Analytik des Erfahrungsbegriffs rühren wir an ein Herzensanliegen von Otto Muck. Gegenüber empirischen Erfahrungsansätzen gewinnt religiöse Erfahrung unter zwei Aspekten ihre eigene Würde. Zum einen hat sie eminente Bedeutung im Gesamtzusammenhang unseres Lebens, weil sie ausschlaggebende Relevanz für unser Handeln gewinnt. Zum anderen ist sie nicht nur subjektiver Ausdruck von Befindlichkeit, sondern erhebt dadurch Anspruch auf Wahrheit, als sie den Menschen auf einen letzten Sinngrund seines Lebens und der Wirklichkeit hin ausrichtet. Der von Joseph Maréchal und seiner Schule dargestellte Dynamismus des Intellekts hat er uns neu in Erinnerung gerufen.

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3. Verwendung von Modellen

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Die für das Denken, Verstehen und Beurteilen unverzichtbare Verwendung von Modellen hat - für mich - Otto Muck mit einem Warnschild versehen: Achtung!?! Das bedeutet nicht, dass Modelle ausgeschieden werden könnten, sondern bedeutet, dass deren eingeschränkte Tauglichkeit und begrenzte Aussagefähigkeit immer beachtet werden muss. Unser Forschungsschwerpunkt lebt meiner Ansicht nach davon, dass die spannungsreiche Verflechtung von Ansätzen (die ja immer auf theologischen Modellen beruhen) zum Nutzen aller gewahrt und weiter entwickelt werden.

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Für das Thema vom „Handeln Gottes" hat er dabei auf die metaphysischen Voraussetzungen der Rede von Gott verwiesen. Diese abstrakten Orientierungen sind deshalb unverzichtbar, weil sie uns einen allgemeinen Rahmen zur Verfügung stellen, von dem her wir Positionen und Meinungen positiv-kritisch beurteilen können. Drei Modelle werden in dieser Fragestellung eingeführt: Das erste ist die seit Aristoteles stetig weiter entwickelte Ursachenlehre mit der besonderen Würde der Zweitursachen (und damit für die Bedeutung innerweltlicher Zusammenhänge). Darin sehe ich die theologische Aufgabe, die Freiheit des Handelns Gottes (seine Vorsehung und Vollendungskraft) und die Würde endlicher Freiheit miteinander zu versöhnen. Ich halte dies für eine Maxime der Rede vom Handeln Gottes. Dabei muss die Rede von der „Ursache" nicht mit dem Modell „Hammer-Nagel" verdeutlicht werden, sondern gerade in der (dramatisch-kommunikativen) Verwicklung von unendlicher und endlichen Freiheiten gesehen werden. Mein Bild wäre die Faszination von Musik, die z.B. einen Mozart zu seinen Werken inspirierte. Das zweite Modell, das bei Thomas von Aquin mit dem ersten verbunden wird, ist das von Platon herkommende Partizipationsmodell. Darin wird sowohl in der Epistemologie als auch in der Handlungstheorie von einer „Vergöttlichung" gesprochen. „Vergöttlichung" ist dabei christlich nicht in einem ontologischen Sinne zu verstehen, sondern als Verähnlichung mit Christus in der Nachfolge auszulegen. Als drittes Modell erwähnt Muck die Rede vom „Feld", die von Pannenberg als Konkretion der Pneumatologie eingeführt und von Bernhardt weiter entfaltet worden ist.

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Eine letzte Differenzierung ist uns ins Stammbuch geschrieben mit Mucks Unterscheidung von phänomenologischer und ontologischer Betrachtung. Die durchaus mögliche Gefahr für die dialogisch-dramatische Denkform, dass in der Verwicklung der Freiheiten die Absolutheit Gottes nicht mehr hinreichend gewahrt würde, ist im dramatischen Modell nicht nur bewusst, sondern von Nikolaus Wandinger und Petra Steinmaier-Pösel mit der Differenzierung von Akt, handelnden Personen, heilsgeschichtlichen Rollen und transzendentem Autor durchgearbeitet worden.

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Ich halte Otto Muck SJ für einen Seelsorger des Denkens. In der Moderne besteht immer die Gefahr, dass sich das Denken entweder im Pluralismus der Gesichtspunkte und Methoden verliert oder vereinfachenden Lösungen der ‚Uniformierung' verfällt. Während der Pluralismus letztlich darauf hin tendiert, dass der andere mir gleichgültig wird, weil ich letztlich von ihm nichts mehr lerne und er auch keine Einspruchsrechte auf meine Positionen gewinnen kann, kommt es im Fundamentalismus zur Diktatur der einen Methode und des singulären Gesichtspunktes. Solcher Fundamentalismus ist keineswegs auf Religionen und Überzeugungen begrenzt. Vielmehr sehe ich im ontologischen Naturalismus die fundamentalistische Diktatur einer bestimmten Methode und eines eingeschränkten Gesichtspunktes.

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Mucks Medizin des Denkens besteht - gerade in diesem heutigen Kontext - in der Kunst des Differenzierens, der aspektiven Anerkennung (innerhalb der jeweiligen Methode und Voraussetzungen) und in der Offenheit für die neu auftauchenden relevanten Gesichtspunkte, die eine Bereitschaft der Korrektur impliziert. Deshalb besteht ein wesentliches Qualitätsmerkmal des Denkens darin, dass es offen für neue Erfahrung bleibt, dadurch sich als lernfähig erweist und deshalb - wie es in den Bibliotheken und auch in unserem Dekanatssitzungssaal gestaltet ist - offen bleibt für die endgültige Wahrheit Gottes, die uns in der Vollendung der Geschichte erst gesagt wird. Ich sehe in den wesentlichen Anliegen und der Strenge von Otto Mucks Denken zwei zentrale Dimensionen ignatianischer Spiritualität am Werk: „deus semper major" und „Gott finden in allen Dingen". Beides aber setzt die Kunst der „Indifferenz" voraus, die Gott großherzig die Möglichkeit zugesteht, auf seine - uns oftmals überraschende - Weise gegenwärtig zu werden.

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Philosophische Kriterien eines kritischen weltanschaulichen Dialogs (Franz Gmainer-Pranzl)

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Es tut mir leid, dass ich am „Geburtstagskolloquium" mit P. Muck nur schriftlich teilnehmen kann, möchte aber wenigstens auf diese Weise zum Ausdruck bringen, was ich dem Jubilar in meinem philosophischen und theologischem Studium verdanke. Ich fasse dies kurz mit den Stichworten „Karl Rahner", „Metaphysik" und „Dialog" zusammen.

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1. Durch Otto Muck wurden mir wichtige philosophische Grundlagen Karl Rahners vermittelt. In den Seminaren „Karl Rahner: Hörer des Wortes" (WS 1989/90)19 und „Maréchals Theorie der Erfahrung" (SS 1992) wurden mir entscheidende Denkschritte der viel zitierten „transzendentalen Methode" näher gebracht; durch die genaue Lektüre der Primärtexte und Mucks Bemühen um eine kritisch-sorgfältige Rekonstruktion von Begriffen wie „Vorgriff", „potentia oboedientialis" und „Erkenntnismetaphysik" habe ich viel gelernt und die begründete Einsicht mitgenommen, dass Rahners Theologie ein philosophisches Potential hat, das nicht unterschlagen oder gegen den „spirituellen Rahner" ausgespielt werden darf. Ich bin auch der Auffassung, dass die Methodologie und Kriteriologie von „Hörer des Wortes" der gegenwärtigen religionstheologischen Diskussion einiges zu sagen hat.

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2. Die Vorlesung über Metaphysik, die ich im Rahmen meines philosophischen Diplomstudiums besuchte, und die Auseinandersetzung mit dem Skriptum20 in Vorbereitung auf meine Diplomprüfung im April 1995 waren eine anstrengende, aber für mich ausgesprochen fruchtbare Lernerfahrung. Ich denke hier vor allem an die differenzierte Analyse der Begriffe „Analogie" (M 1.1 - 8-15), „Kategorien" (M 1.22 - 2-5), „Substanz" (M 1.23 - 6-22) und „Ursache" (M 1.3 - 1-21), die mir - wie ich ehrlich sagen kann - geholfen haben, der „Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache"21 wenigstens da und dort zu entrinnen. Die sorgfältige Reflexion des (aristotelischen) Substanz-Begriffs in Mucks Metaphysik-Skriptum hat mir zum Beispiel geholfen, dem „Substantialismus"-Vorwurf im Kontext der Relativismus/Universalismus-Debatte kritisch begegnen zu können. Mucks Begriffsdifferenzierungen im geschriebenen Wort und in der unmittelbaren Diskussion22 sind ein Standard, der für mich beispielhaft geworden ist.

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3. Im Diskurs interkulturellen Philosophierens - mit Blick auf Franz Wimmers Ansatz eines „Polylogs"23 - stellt das Bemühen Otto Mucks, Kriterien eines (religiös-)weltanschaulichen Dialogs zu benennen, eine wertvolle Grundlage dar. Wenn Muck etwa festhält: „Erstes Ziel des Dialogs ist daher nicht die Selbstrechtfertigung oder die Einvernahme des Gesprächspartners, sondern das gegenseitige Verständnis, durch das ein Erkennen der Gegensätze und eine Konfrontation mit ihnen möglich wird, die ihre Kraft nicht in Missverständnissen verlieren"24, oder wenn er Widerspruchsfreiheit, Einheitlichkeit, Erfahrungsbezug und Offenheit für jede Erfahrung als Strukturmomente einer „gelebten Weltanschauung" begreift25, sind damit unverzichtbare Grundlagen einer philosophisch verantwortbaren Theorie des Dialogs/Polylogs vorgestellt. Der Wert dieser Kriteriologie ist mir bereits in meiner philosophischen Diplomarbeit über Husserls Krisis-Schrift, die Otto Muck 1994/95 begleitete, deutlich geworden.

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Ich bin dankbar für die Begegnung mit Otto Muck - für seine menschlichen Qualitäten, seine philosophische Kompetenz sowie für sein gläubiges und vertrauensvolles Dasein - und wünsche ihm Gesundheit, Freude und Zuversicht und in allem Gottes Segen!

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Anmerkungen

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1 Aufgrund einer terminlichen Verhinderung konnte Franz-Gmainer Pranzl seinen hier an fünfter Stelle aufgenommenen Beitrag nur schriftlich einbringen.

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2 Vgl. dazu im Internet: http://www.philosophy-religion.org/handouts/blik.htm

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3 Vgl. dazu unten den Beitrag von Franz Gmainer-Pranzl.

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4 Vgl. Kommunikative Theologie. Selbstvergewisserung unserer Kultur des Theologietreibens. Verfasst vom Forschungskreis Kommunikative Theologie, Münster 2006.

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5 Vgl. O. Muck, Die transzendentale Methode in der scholastischen Philosophie der Gegenwart. Innsbruck 1964.

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6 Vgl. W. Sandler, Die Kunst des Fragens. Versuch einer systematischen Rekonstruktion von Karl Rahners transzendental-phänomenologischer Methode. In: R. A. Siebenrock (Hg.), Karl Rahner in der Diskussion. Erstes und zweites Innsbrucker Karl-Rahner-Symposion: Themen - Referate - Ergebnisse (Innsbrucker Theologische Studien 56). Innsbruck, Wien 2001, 247-267, im Internet: http://theol.uibk.ac.at/itl/130.html.

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7 Vgl. diesbezüglich in unserem Grundsatzartikel „Dramatische Theologie als Forschungsprogramm": „Das in diesem Forschungsprogramm implizierte Theologieverständnis steht als theologisch gewendete Anthropologie und als anthropologisch gewendete Theologie in der Linie des Denkens Karl Rahners. Die Einzelhypothesen sind von diesem Kontext her zu verstehen." (R. Schwager, J.Niewiadomski u.a., - Dramatische Theologie als Forschungsprogramm. In: J. Niewiadomski / R. Schwager (Hg.), Religion erzeugt Gewalt - Einspruch! Münster-Hamburg-London 2003, 40-77, hier: 66). Diese Aufgabe wurde bis jetzt erst von Nikolaus Wandinger wahrgenommen in ders., Die Sündenlehre als Schlüssel zum Menschen. Impulse K. Rahners und R. Schwagers zu einer Heuristik theologischer Anthropologie (BMT 16). Münster/Thaur 2003. [STO: Institut privat]

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8 „Das in diesem Forschungsprogramm implizierte Theologieverständnis steht als theologisch gewendete Anthropologie und als anthropologisch gewendete Theologie in der Linie des Denkens Karl Rahners. Die Einzelhypothesen sind von diesem Kontext her zu verstehen."

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9 N. Wandinger, Die Sündenlehre als Schlüssel zum Menschen. Impulse K. Rahners und R. Schwagers zu einer Heuristik theologischer Anthropologie (BMT 16). Münster/Thaur 2003.

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10 Vgl. W. Sandler, Die offen zu haltende Mitte. Negative Theologie in dramatischer Polyperspektivität. In: A. Halbmayr / G. M. Hoff (Hg.), Negative Theologie heute? Zum aktuellen Stellenwert einer umstrittenen Tradition (Quaestiones Disputatae 226). Freiburg - Basel - Wien 2008, 152-170. Ein Anfangskapitel zur transzendentalen Polyperspektivität musste ich aus Platzgründen streichen. Es bezieht sich auf den hier ausgeführten Dreischritt von phänomenologischer Explikation, transzendentaler Reduktion und transzendentaler Deduktion.

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11 Zum spannungsorientierten Denken bei Karl Rahner vgl. oben Abschnitt 2.

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12 Muck, Otto: Philosophische Gotteslehre. (Leitfaden Theologie 7). Düsseldorf 21990, 90.

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13 Loyola, Ignatius von: Geistliche Übungen. Übertragung und Erklärung von Adolf Haas. Mit einem Vorwort von Karl Rahner. Freiburg 81988, Nr. 22.

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14 Vgl. Wandinger, Nikolaus, et al.: Anmerkungen zum „Schönborn-Streit". In: Grenzgebiete der Wissenschaft (2006), 3-20. Auch online: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/652.html

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15 Im Deckengemälde der Bibliothek des ehemaligen Prämonstratenserklosters Bad Schussenried wird als drittes Symbol das Kreuz Christi eingezeichnet. Da ein Motiv aus diesem Bildprogramm die Geburtstagskarte des theologischen Forschungsscherpunktes „RGKW" prägt, darf auf das Gesamtprogramm der Bibliothek verwiesen werden (Die himmlische Bibliothek im Prämonstratenserkloster Schussenried. Bearbeitet von Johannes May. Marburger Magazin Nr. 187/1999. Sonderheft. Marbach 2000).

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16 Hier liegt der Unterschied zum sogenannten Integralismus. Auch der Theologie sind mit ihren Vorgehensweisen und Möglichkeiten nicht alle Perspektiven eröffnet.

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17 Newman, J.H., Selbstbiographie nach seinen Tagebüchern. Hg. H. Tristram. Stuttgart 1959.

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18 Dabei verbindet er (fast schon singulär hierzulande) die Erkenntnisse analytischer Sprachphilosophie mit den Entwicklungen des transzendentalen Denkens.

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19 An dieser Lehrveranstaltung nahmen u. a. auch Niki Wandinger und Willibald Sandler teil.

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20 Ich beziehe mich hier auf die Auflage von 1989.

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21 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 109.

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22 Geradezu zum Markenzeichen wurde Mucks berühmte Frage, wenn sich in Seminaren eine Diskussion heillos zu verstricken begann: „Wie meinen Sie das jetzt? Auf diese Weise ... oder auf jene Weise? Dann müssen Sie aber auch das berücksichtigen ..." - Das betroffene Gesicht des/der Angesprochenen zeigte, dass P. Muck wieder einmal einen „Volltreffer" gelandet hatte.

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23 Vgl. Franz Martin Wimmer, Interkulturelle Philosophie. Eine Einführung (UTB 2470). Wien 2004, 66-73.

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24 Otto Muck, Sprachlogische Aspekte religiös-weltanschaulichen Dialogs, in: Ders., Rationalität und Weltanschauung. Philosophische Untersuchungen. Hg. Winfried Löffler. Innsbruck-Wien 1999, 63-80; 72f.

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25 Vgl. Otto Muck, Phänomenologie - Metaphysik - Transzendentale Reflexion, in: ebd. 232-246; 241f.

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