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Spiritualität und Theologiestudium

Autor:Scheuer Manfred, Bischof der Diözese Innsbruck
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Predigt beim Gottesdienst zur Eröffnung des Studienjahres an der Theologischen Fakultät in der Jesuitenkirche am 1.10.2007
Publiziert in:
Datum:2007-10-03

Inhalt

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Wie du studieren sollst…

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Einjunger Mitbruder des Thomas von Aquin (1225/26-1274) mit Namen Johannes fasst sich ein Herz, schreibt an den großen Meister und bittet um einen Rat, wie man erfolgreich studieren kann. Thomas antwortet mit einem kleinen Brief. Abfassungszeit, Ort und pädagogischer Zusammenhang sind unbekannt. Auch die Echtheit des Briefes ist keineswegs sicher, obwohl viel für die Echtheit spricht.1

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„In Christus geliebter Johannes, weil Du mich gefragt hast, wie Du studieren musst, um den Schatz der Wissenschaft zu erwerben, gebe ich Dir folgenden Rat:

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Suche nicht vom Bach sofort ins Meer zu gelangen, wenn man muss vom Leichteren zum Schwierigeren fortschreiten.“ (Thomas von Aquin) Gott hat die Geduld des Reifens (vgl. Mt 13,1ff). Theologie kommt nicht weiter durch Ungeduld, Stolz, Unwillen und Übermut. Gewalt, Überheblichkeit, ideologischer Eifer kommen nicht vom Geist Gottes. Endlösungen, Vergatterungen, Horuckkommandos gehören nicht zum Vokabular der Gleichnisse Jesu. Die Folge von solchen Fehlhaltungen wären Blindheit, Überforderung und Überspannung.

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„Bemühe Dich um ein reines Gewissen.“ (Thomas von Aquin) Theologische Erkenntnis ist an eine sittliche Haltung und an eine sittliche Persönlichkeit gebunden. Worum geht es insgeheim beim Studium? Welchen Stellenwert haben Leistung und Erfolg für das eigene Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl? Wenn der reine Ehrgeiz am Werk ist, wird nicht Theologie studiert. Wenn das Schielen auf die Erfolge anderer neidig macht, werden die sozialen Beziehungen vergiftet. Es gibt Oberflächlichkeit oder Rohheit im Umgang mit anderen und auch mit theologischen Themen. Manche spekulative Systeme sind nahe an der Barbarei. Es gibt spirituelle und theologische Kriminalität, wenn anderen Gewalt angetan wird, wenn Gott für eigene Zwecke ge- und auch missbraucht wird. Bemühe dich um ein reines Gewissen: da geht es um Ehrfurcht vor den anderen, um die Bereitschaft zur unbestechlichen Selbstkritik, um die Haltung der Redlichkeit und um wache Sensibilität für die Erfahrung von außen.

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„Höre nicht auf, Dir Zeit zum beten zu nehmen.“ (Thomas von Aquin) Das Gebet ist der ursprüngliche, existentielle Ort der Theologie. Zur Spiritualität des Theologiestudiums gehört das persönliche Beten, und dies sowohl in der Form des eigenen Betens als auch durch das Kennenlernen der großen Gebetsliteratur der Kirche.

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„Bleibe gern in Deiner Zelle, wenn Du in den Weinkeller (Gärkammer) eingelassen werden möchtest.“ (Thomas von Aquin) Das Studium braucht die Fähigkeit zum Alleinsein und das Dranbleiben an einem Thema. Andere sollen als Zeitvertreib oder als Exil gebraucht werden, wenn Fadheit das eigene Leben besetzt.

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„Frage überhaupt nicht, was die anderen tun.“ (Thomas von Aquin) Viele gehen auf im ‚Man’, in der Rolle, sie schwimmen in der Masse mit. Als ‚Man’ lebe ich aber immer schon unter der unauffälligen Herrschaft der anderen. Jürgen Habermas spricht hier von der Kolonisierung der Lebenswelt durch systemische Intervention.2 Nicht wenige haben ihr Identitätsbewusstsein vollständig an die verführerischen Sinnangebote und dramatischen Rollenspiele der Fernseh-Welt delegiert. Nicht wenige bleiben theologisch auf dem Niveau der Boulevardpresse und des Fernsehens. Theologiestudium lebt von Menschen, die den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen.

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„Lass nicht ab, den Spuren der Heiligen und der guten Menschen zu folgen.“ (Thomas von Aquin) Die Heiligen sind Orte der theologischen Erkenntnis (loci theologici). Sie haben das Schisma von Theologie und Spiritualität überwunden in der Form, dass sie der Theologie ihre geistliche Dimension wieder gegeben haben und so auch dem geistlichen Leben seine theologischen Fundamente wieder gegeben haben.

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„Achte nicht darauf, von wem Du etwas hörst, sondern, behalte im Gedächtnis, was Gutes gesagt wird. … Siehe zu, dass Du verstehst, was Du liest und hörst. … Schaffe Dir Klarheit im Zweifel.“ (Thomas von Aquin)3 Thomas geht es um ein über alle Autoritätsunterschiede hinausgehendes Wahrheitsinteresse. „Die Wahrheit ändert sich nicht wegen der hohen Würde dessen, zu dem sie gesprochen wird; wer die Wahrheit sagt, kann nicht besiegt werden, mit wem er auch streitet.“4 Die Autorität kann also nie gegen die Wahrheit ausgespielt werden. Auch dann, wenn Thomas Autoritäten zitiert - und das tut er häufig -, steht das Wahrheitsinteresse im Vordergrund. Die Märtyrer, wie z.B. Franz Jägerstätter, waren und sind die großen Aufklärer des 20. Jahrhunderts (Roman Siebenrock).

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Wer an einer Sache nicht gelitten hat…

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Ein apostolisch-missionarischer Denker, Maurice Blondel, will am Tisch des Denkens der Ungläubigen Platz nehmen und gegeben falls auch das Martyrium des Denkens erleiden. „Wer an einer Sache nicht gelitten hat, kennt sie nicht: wie sehr möchte ich die Lehre der universellen Passion in mich aufnehmen und die siegreiche Überwältigung durch meinen Meister ertragen.“5 „Ach wüsste man doch, wie viel Schaden mit einem Gelächter, einem dummen Scherz in einem Menschen angerichtet werden kann. Nichts reizt den Ungläubigen mehr und verletzt den Suchenden schmerzlicher als die belustigte Ironie der Gläubigen, ihr geringschätziges Lächeln, ihre Geistreicheleien.“6 „Nicht auf dem Zweifel ausruhen wie Montaigne, nicht auf der Vernunft ausruhen wie Descartes, nicht auf dem Glauben ausruhen wie Pascal, sondern immerfort am Werk und in Geburtswehen verharren, nicht um des Christseins willen auf das Mensch-Sein verzichten, nicht, um Philosoph zu sein, darauf verzichten, ein Fühlender, immer neu Verwundeter zu sein.“7

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Theologie, z. B. die Theodizeefrage hat sich lebenspraktisch daran messen zu lassen, ob sie in einen Prozess der Begegnung hinein nimmt, oder in ihrer theoretischen Unlösbarkeit zum Mittel zum Zweck der Lebensdistanzierung wird. Theologie ist nicht neutral und objektiv distanziert, sie steht im Kontext von Sympathie, Apathie oder Antipathie, von Gleichgültigkeit, von Nihilismus, Hoffnung, Hass und Verachtung, von Verzweiflung oder auch Verzeihen, von Freude am Leben oder Bitterkeit, von Funktionalisierung, Selbstrechtfertigung oder Anklage. Sie stellt die Frage nach Gerechtigkeit, ist aber nicht von vornherein frei vom Willen zur Macht.

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In welchem Kontext wird die Theodizeefrage situiert: Als ästhetische Dramaturgie im Sinne eines Schauprozesses, der nach den Gesetzen der Medien abläuft? Als Tribunal, bei dem der Schuldige von vornherein feststeht, die Rollenverteilungen aber nicht hinterfragt werden dürfen: Opfer, Richter, Täter, Angeklagter, Verstrickter, Schuldiger, Zuschauer, Beschämter, Anwalt, Flüchtling, Therapeut? Die Frage nach dem Leiden und seiner Überwindung, wie auch die Theodizeefrage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens Unschuldiger in der Welt, muss sich selbst noch einmal befragen und auf den auf den Prüfstand von Leiblichkeit und Zeit stellen zu lassen. Solidarität und eine auch im Unglück durchgehaltene Liebe entlarven den Gestus der reinen Empörung als Besserwisserei gegenüber dem Schöpfer sowie als Exodus aus der Wirklichkeit.

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Theologische Persönlichkeit und Existenzdenker

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Theologie ist denkerisch bewältigtes Leben im Angesicht Gottes. Es wäre fatal, wenn das Selbstverständnis der Theologen aus den gerade üblichen Moden bezogen würde. „Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, erlebt sich schnell als Witwe(r).“ (Sören Kierkegaard) Schon aus Selbstachtung darf der Stil der denkerischen Auseinandersetzung nicht von außen her aufgezwungen werden. Das Feld ausschließlich den Humanwissenschaften zu überlassen, käme einer Bankrotterklärung des Glaubens und der Theologie gleich. Wichtig wäre, dass Theologen geistige und geistliche Persönlichkeiten sind, deren Selbstbewusstsein aus der Wahrheit Gottes kommt. Was ist damit gemeint? Für eine theologische Persönlichkeit8 steht die Frage nach Gott im Mittelpunkt des Nachdenkens. Sie ist von Gott, der alle Wirklichkeit bestimmt, angerührt, ergriffen, ja fasziniert.

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Es ist Sache des Weisen zu ordnen („sapientis est ordinare“), sagt Thomas von Aquin mit Aristoteles9. Die Weisheit als Gabe des Heiligen Geistes ist auf das universale Ziel, auf Gott selbst ausgerichtet. Das hat sowohl eine metaphysische wie auch eine ethische Bedeutung. Weisheit als ordnende Urteilskraft ist im Hinblick auf die Prinzipien wie auch im Hinblick auf das Handeln zu verstehen. Weise ist, wer Gottes erfahren ist und aus Gott heraus lebt, und andere auf Gott hin ordnet. Dumm hingegen ist einer, der bezüglich der höchsten Ursache ein Fehlurteil fällt10. Der Glaube fragt nach einem letzten Sinn und Ziel unseres Lebens, ein Sinn und Ziel, das nicht ins Leere geht, nicht in der Absurdität des Alltags endet, sondern die Treue zur Erde und die Hoffnung auf Glück miteinander verbindet und versöhnt. Wir brauchen Orientierungswissen, nicht bloß Strategien des Handelns oder das Erlernen von Funktionen. Orientierungswissen, das Sinn erschließt, hat einen Wahrheits-, Freiheits- und Heilsbezug.

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Dabei ist der Theologe ein Existenzdenker. In der Theologie ist die einmalige Lebensgeschichte wieder zu erkennen und zu verantworten. Es wäre fatal, wenn wichtige Lebensbereiche tabuisiert und ausgeklammert werden, z. B. Leid, Schuld, Krankheit oder Tod. Es geht um eine geistige und geistliche Sensibilität, um die Teilnahme am Lebensdrama anderer, um das selbstlose Sich-Hineindenken. Eine theologische Persönlichkeit sollte vorleben, dass sie von der Gnade und vom Trost Gottes lebt.

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Theologische Urteilskraft kann helfen, aufgeblähte Ansprüche und Kräfte zu durchschauen. Gegenüber Zeloten, Fundamentalisten, unbarmherzigen Totschlägern und Apokalyptikern wie auch gegenüber Ideologien, die einen Teil, ein Sonderinteresse für das Ganze halten, hat die Theologie eine unverzichtbare kirchliche und kommunikative Funktion. Nicht umsonst wollte Teresa von Avila lieber einen theologisch gebildeten als einen nur frommen geistlichen Begleiter.11

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Manfred Scheuer, Bischof von Innsbruck

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Anmerkungen:

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1 Ed. Marietti, Opuscula theologica I, 451; zitiert nach: Otto Hermann Pesch, Thomas von Aquin. Größe und Grenze mittelalterlicher Theologie, Mainz 1988, 401f.;

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2 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handeln Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1981, 522ff.

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3 Ed. Marietti, Opuscula theologica I, 451.

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4 “Veritas ex diversitate personarum non variatur, unde cum aliquis veritatem loquitur vinci non potest cum quocumque disputet.” (In Iob 13,2 t.26,87b lin.287-290).

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5 Maurice Blondel, Tagebuch vor Gott 1883-1894. Übertragen von Hans Urs von Balthasar, eingeleitet von Peter Henrici, Einsiedeln 1964, 202.

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6 Maurice Blondel, Tagebuch 145.

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7 Maurice Blondel, Tagebuch 215.

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8 Vgl. dazu: Karl Rahner, Zur Reform des Theologiestudiums (QD 41), Freiburg – Basel – Wien 1969; K. Demmer, Zumutung aus dem Ewigen, Gedanken zum priesterlichen Zölibat, Freiburg i. B. 1991, 54-57.

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9 Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles I,1 n.2; II,24; Aristoteles, Metaphysik I c.2 982.

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10 Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II,46,1,1.

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11 "Es liegt also viel daran, dass der geistliche Führer klug sei, ich will sagen, dass er einen guten verstand und Erfahrung besitze. Verbindet er mit diesen Eigenschaften auch noch Gelehrsamkeit, so ist dies von ungemein großem Vorteile. Kann man aber diese drei Stücke in einer Person nicht vereinigt finden, so ist an den zwei ersteren mehr gelegen; denn im Falle der Not kann man wohl sonst noch Gelehrete finden, um sich bei ihnen Rat zu holen. Ich behaupte sogar, dass Anfängern gelehrte Führer wenig nützen, wenn diese nicht selbst auch das innerliche Gebet üben. Doch sage ich nicht, dass nicht auch Anfänger mit gelehrten Männern sich besprechen sollen; denn eine Seele, die nicht den rechten Weg eingeschlagen hat, würde ich lieber auf die Übung des innerlichen Gebetes verzichten sehen. Ja, es ist etwas Großes um die Wissenschaft; denn diese unterweist uns, die wir wenig wissen; sie erleuchtet uns; und sind wir durch sie zur Kenntnis der Wahrheit der Heiligen Schrift gelangt, so tun wir auch, was wir schuldig sind. Vor albernen Andachten aber bewahre uns Gott."(Das Leben der heiligen Teresa von Jesu. Sämtliche Schriften Bd. 1, München 61984, 129)

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