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„Katholizität” der Kirche
(Dimension der Weltweite oder enger Konfessionalismus? Befreiende Perspektiven im Umgang mit dem anderen)

Autor:Hell Silvia
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2005-05-10

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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1. „Katholizität“ ist nicht nur im konfessionellen Sinn zu verstehen und gilt folglich nicht nur für die römisch-katholische Kirche. Eine ausschließlich exklusive Verwendung des Begriffs würde letztlich auf eine konfessionelle Vereinnahmung hinauslaufen. (1) Die römisch-katholische Kirche nimmt hier eine viel differenziertere Position ein: Nach römisch-katholischer Auffassung werden zwar die wesentlichen Merkmale von Katholizität am adäquatesten in der römisch-katholischen Kirche verwirklicht, aber außerhalb der römisch-katholischen Kirche wird durchaus ein Wehen des göttlichen Geistes angenommen. Papst Johannes Paul II. sagt zwar in seiner Ökumene-Enzyklika 'Ut unum sint' (25. Mai 1995) (2) - womit er auf der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils liegt -, dass die ganze Fülle der Elemente der Heiligung und der Wahrheit in der (römisch-)katholischen Kirche gegeben sei und noch nicht in dieser Fülle in den anderen Gemeinschaften. (3) Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass in den nicht-römisch-katholischen Kirchen „gewisse Aspekte des christlichen Geheimnisses bisweilen sogar wirkungsvoller zutage treten“ (4) . Bereits das Zweite Vatikanische Konzil hat eingeräumt, dass die getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften „nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles“ sind und der Geist Christi sie „als Mittel des Heiles“ gebrauche (Vat. II., UR 3).

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2. „Katholizität“ ist kein Randthema in der Theologie. Wer von „Katholizität“ redet, macht eine entscheidende Aussage über Gott. Die Weite der Katholizität gründet in der Weite eines trinitarisch verstandenen Gottes.

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3. „Katholizität“ zielt auf die gesamte Schöpfung. Dies ergibt sich aus der Universalität des Heilshandelns Gottes, der alle Menschen in Christus vereinen will. Das göttliche Heilshandeln hat geradezu - wie vor allem von orthodoxer Seite betont wird - eine kosmische Dimension und schließt Schöpfung, Erneuerung und Vollendung der gesamten Wirklichkeit ein.

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4. Die Katholizität des göttlichen Heilshandelns äußert sich in den Gaben der Schöpfung, die allen Menschen zum verantwortungsvollen Umgang anvertraut sind, in Menschwerdung, Tod, Auferstehung und Geistsendung Jesu Christi (alles Geschehnisse, die dem Heil des Menschen dienen [Erlösung]), in der heilsvermittelnden, universalen Ausrichtung der Kirche (im Unterschied zur sektiererischen Abspaltung).

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5. Die „Katholizität“ des universalen Heilshandeln Gottes muss sich in konkreten Strukturen niederschlagen: Die Kirchen in ihrer konkreten (konfessionellen) Gestalt haben eine „Epiphanie“ der Katholizität des göttlichen Heilswillens (= Gehalt) zu sein. In der jeweiligen Gestalt der Kirchen konkretisiert sich deren Antwort auf den Gehalt, d.h. auf das, worum es eigentlich beim Kirche-Sein geht. Konkretisierungen einer solchen Antwort sind: die Aufrechterhaltung der apostolischen Sendung, die die gesamte Kirche(n) (nicht nur die ordinierten Amtsträger) dazu verpflichtet, den götllichen Heilswillen (in ‚martyria‘, ‚leiturgia‘, ‚diaconia‘ und ‚koinonia‘, d.h. in den vier entscheidenden kirchlichen Grundvollzügen) zu bezeugen, weiters die Treue zum apostolischen Ursprung, aus der sich die „Wächterfunktion“ des Amtes ableitet, die damit verbundene Kontinuität der Kirche (bis zurück zu den Anfängen und hin zur eschatologischen Vollendung) und die apostolische Sukzession (nicht bloß unter formaler, sondern primär unter inhaltlicher Rücksicht, wobei die Art und Weise [Form] der Sukzession dem Inhaltlichen zu dienen hat).

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6. Kirchliche Strukturen (Gemeindeaufbau, Zueinander von Ordinierten und Nichtordinierten, Entscheidungsfindung) sind daraufhin zu befragen, ob durch sie die „Katholizität“ des göttlichen Heilswillens aufleuchtet oder eher verdunkelt wird. Wo kirchliche Strukturen zu einer Verdunkelung beitragen, ist dringend „Reform“ angesagt (Vat. II., UR 6).

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7. „Katholizität” als Wesenseigenschaft von Kirche (nota ecclesiae) erfordert ein klares Urteil (Geist der Unterscheidung / Ignatius von Loyola): Handelt es sich um eine Verschiedenheit, die trennt, oder um eine Verschiedenheit, die bereichert? Welche Verschiedenheit trennt? Wann liegt echte Einheit vor? Besteht zwischen den Kirchen eine „Grunddifferenz” (U. Körtner)? Gibt es im Unterschied zur „Grunddifferenz“ einen „Grundkonsens“?

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8. „Katholizität“ ist der Maßstab für jedes kirchliche Sein und Handeln. Um echte Katholizität von einer Scheinkatholizität (einem „falschen Synkretismus“) unterscheiden zu können, braucht es den Blick auf die Heilige Schrift als „norma normans“. Katholizität ist dann gegeben, wenn sie „evangelisch“, d.h. evangeliumsgemäß ist. „Es geht um eine evangelische Katholizität und eine katholische Evangelizität“ (W. Kasper). (5)

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9. Katholizität meidet sowohl eine falsche Harmonisierung (Scheinkatholizität, falscher Synkretismus) als auch auch eine Verabsolutierung irgendwelcher partikulärer Interessen (bez. auf Geschlecht, Rasse, Nation, Kultur). Eine falsche Harmonisierung ergibt sich, wenn vorhandene Unterschiede einfach zugedeckt werden, eine Verabsolutierung, wenn partikuläre Interessen auf Kosten anderer Interessen gehen bzw. über die Interessen des Gemeinwohls gestellt werden.

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10. „Katholizität“ verwirklicht sich im gemeinsamen Feiern. Die Liturgie ist die konkrete (Feier-)Gestalt der Katholizität. Kirchliche Strukturen haben - dies wird vor allem von orthodoxer Seite (6) betont - die Feier (Liturgie) zu ermöglichen. In diesem Sinn sind kirchliche Strukturen subsidiär. Wo nicht miteinander gefeiert werden kann, erleidet die Katholizität an ihrer Plausibilität Schaden. Besonders schmerzhaft deutlich wird dies bei der Trennung in der Eucharistiefeier, bei der - wie auch immer begründeten - Nichtzulassung zur Kommunion.

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11. „Katholizität“ steht in einem Spannungsverhältnis von Lokalität und Universalität. In einer noch so kleinen Gemeinde ist Weltkirche präsent. (7) Katholizität erfordert beim Blick auf die Kirche vor Ort den Blick auf die Gesamtkirche und umgekehrt beim Blick auf die Gesamtkirche den Blick auf die Kirche vor Ort (Gemeinde / Diözese).

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12. „Katholizität“ setzt ein reziprokes Verhältnis auf allen Ebenen voraus: Volk Gottes und Amtsträger, Priester und Bischof, Bischöfe und Papst, die Gemeinde X und die Gemeinde Y, Gemeinde bzw. Diözese (beides „Ortskirche“) und universale Kirche. Katholizität verwirklicht sich angemessen in Communio-(Kononia-)Strukturen. Denn in solchen gibt es kein machtbesetztes Oben und Unten (das wäre ein falsches Verständnis von „Hierarchie“), sondern nur ein wechselseitiges Aufeinanderbezogensein. Das rechte Verständnis von „Hierarchie“ steht nicht im Widerspruch zur Communio-Ekklesiologie. Die Hierarchie hat die Erinnerung an den heiligen Ursprung (arché) wach zu halten - und zwar in Form einer autoritativen Bezeugung (mißverständlich ausgedrückt mit „heiliger Herrschaft“). Die ganze Kirche verdankt sich dem heiligen Ursprung, d.h. Kirche existiert nicht aus sich und auch nicht für sich, sondern ganz von Gott her (evangelisch formuliert - „extra nos“) und auf die Menschen hin („pro nobis”), woraus sich der universale Weltcharakter der Kirche ergibt. Im heiligen Ursprung wurzelt das katholische Wesen der Kirche.

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13. „Katholizität“ ist unter innerweltlicher Rücksicht immer im Prozess. Katholizität ist kein Besitzstand (genauso wenig wie Gott!). Katholizität ist im Werden und steht unter einer göttlichen Verheißung. Die göttliche Verheißung ist in der Person Jesu Christi Ereignis (Fleisch und Blut) geworden und drängt danach, in den Kirchen immer mehr Gestalt anzunehmen (Leib Christi zu werden). Alle Kirchen sind herausgefordert, Katholizität bestmöglichst zu verwirklichen, dabei aber die Verheißungsdimension nicht auszulöschen (alle Kirchen stehen in der Spannung zwischen dem „Schon“ und „Noch Nicht“ oder anders formuliert: unter einem eschatologischen Vorbehalt). Dies setzt die Bereitschaft voraus, Änderungsprozesse (nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch) in der Kirche nicht als Unglück, sondern als Chance (kairos!) zu betrachten. Die entscheidende Frage ist: Was sind die Kriterien dafür? (8)

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Anmerkungen:  

15
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 1.

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 Es sei daran erinnert, dass im Entwurf zur Dogmatischen Konstitution über die Kirche die Kirche Jesu Christi schlechthin mit der römisch-katholischen Kirche identifiziert wurde (im Lateinischen: „est“). Im endgültigen Text (Vat. II., LG 8) heißt es: Die Kirche Jesu Christi „ist verwirklicht in der [römisch-]katholischen Kirche“ (im Lateinischen: „subsistit in“). Klammerbemerkung S.H. Ob „subsistit in“ besser übersetzt werden hätte müssen (entnommen der Christologie), mag dahin gestellt sein. Eines ist klar: Ein exklusives Verständnis ist ausgeschlossen. Vgl. dazu: P. Neuner / B. Kleinschwärzer-Meister: Kleines Handbuch der Ökumene. Düsseldorf 2002, 71.

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2.

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 Papst Johannes Paul II., Enzyklika \'Ut unum sint\'. Über den Einsatz für die Ökumene. 25. Mai 1995 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 121). Hg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn o.J, Nr. 14 (abgekürzt mit UUS). Papst Johannes Paul II. kommt - wie auch das Zweite Vatikanum - mit solchen Äußerungen über eine bloße „Elementen-Ekklesiologie“ nicht hinaus. Zu fragen ist, ob eine Communio-Ekklesiologie nicht mehr beinhaltet. Wie müßte eine solche aussehen?

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3.

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  Ebd. Vgl. ebd. Nr. 86.

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4.

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  Ebd. Nr. 14.

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5.

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 Kardinal Kasper hat in seinem Referat auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin (am 30. Mai 2003) ganz in diesem Sinn formuliert: „Ökumene ist kein Weg zurück, sondern ein Weg nach vorne. [...] Es geht in dieser Dynamik nach vorn um eine vollere Verwirklichung der Katholizität im ursprünglichen nichtkonfessionellen Sinn des Wortes. Es geht um eine evangelische Katholizität und eine katholische Evangelizität (Kardinal W. Kasper: Konfessionelle Identität - Reichtum und Herausforderung, in: Ihr sollt ein Segen sein. Ökumenischer Kirchentag. 28. Mai - 1. Juni 2003 in Berlin. Dokumentation. Im Auftrag des Ökumenischen Kirchentages herausgegeben von Th. Bolzenius u.a. Gütersloh / Kevelaer 2004, 428-442, hier 438). Hervorheb. S.H. Es sei nicht verschwiegen, dass die Frage, was unter „norma normans“ zu verstehen ist, von den Kirchen kontrovers beantwortet wird. Siehe dazu Schütte, Heinz: Protestantismus heute. Ökumenische Orientierung. Paderborn 2004, 74-76.

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6.

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 Vgl. G. Larentzakis, Die orthodoxe Kirche. Ihr Leben und ihr Glaube. Graz / Wien / Köln 2000, 14: Die Orthodoxe Kirche versteht sich zuallererst „als Kirche der rechten Lobpreisung des Dreieinigen Gottes“, dann auch „als die Kirche des rechten Glaubens, der rechten Lehre“. Orthodoxie ist Orthopraxie und mündet - recht verstanden - in eine Doxologie ein.

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7.

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 Vgl. dazu: J. Ratzinger, Der Geist der Liturgie. Eine Einführung. Freiburg i. Br. / Basel / Wien 2000, 78: Christus ist „in der armseligsten Dorfkirche nicht weniger“ präsent „als im größten Dom“. Das, was Ratzinger von der Christuspräsenz im Tabernakel sagt, gilt analog auch für die Präsenz Christi in der Gemeinde (sowie Diözese) und in der Weltkirche.

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8.

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 Die Ökumenische Forschungsprojektguppe an der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck stellt sich dieser und anderen ökumenisch relevanten Fragen. Der ökumenische Schwerpunkt gilt als eines der drei Schwerpunkte der Katholisch-Theolgischen Fakultät Innsbruck (Profil). Die Forschungsprojektgruppe ist bereits durch mehrere Publikationen an die Öffentlichkeit getreten: Petition an die Österreichische Bischofskonferenz wegen der Zulassung nicht-römisch-katholischer Christen zur Kommunion in der römisch-katholischen Eucharistiefeier, Plausibilität christlicher Kirchen, Papstamt, Taufe und Amt jeweils im Blick auf Eucharistiegemeinschaft.

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