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Messianische Logik oder Erlösung durch Sünde?
(Eine neue Dimension für das jüdisch-christliche Gespräch)

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Stimmen der Zeit 213 (1995) 545-554.
Datum:2001-10-10

Inhalt

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Auch wenn im bisherigen Gespräch zwischen Juden und Christen Fortschritte erzielt wurden, so bleibt doch Paulus ein großer Stein des Anstoßes. Von jüdischer Seite sieht man in seiner Erlösungslehre und vor allem in seiner Kritik am Gesetz einen der Hauptgründe für den späteren Antisemitismus. In diesem Kontext ist die Paulusdeutung von Jacob Taubes, einem gläubigen Juden und Rabbiner, von hoher Bedeutung, für den Paulus jüdischer ist als alle Reformrabbiner und liberalen Rabbiner der heutigen westlichen Welt. (1)

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In bewußter Abhebung von Augustinus, Luther und Barth, die Paulus vor allem aus der Sicht des existentiellen persönlichen Glaubens deuten, sieht Taubes den zentralen Punkt beim Apostel in der Frage des neuen Gottesvolkes.(2) Wie Mose im Kontext der Verheißungen an die Väter das Volk am Sinai als Volk Gottes gegründet habe, so sehe sich Paulus im Kontext des Glaubens an den gekreuzigten Messias als Gründer des neuen Gottesvolkes aus Juden und Heiden.

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In der Deutung des Glaubens hebt sich Taubes bewußt von Martin Buber ab, der zwei Formen unterscheidet, nämlich den Glauben als Gemeinschaftstreue im Zusammenhang eines Volkes und den Glauben an etwas (oder an jemanden). Buber hält die letztere Form des Glaubens für unjüdisch (griechisch) und schreibt sie vor allem dem Paulus zu. Für Taubes aber ist der paulinische Begriff der Glaubens (pistis) nichts Griechisches, sondern etwas Urjüdisches. Er gehöre ganz zur 'messianischen Logik'.

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Um das, was Taubes 'messianische Logik' nennt, zu verstehen, muß man auf seine Schriftdeutung achten. Er setzt sich bewußt von der modernen wörtlichen Exegese ab, wie sie die historisch-kritische Exegese pflegt und die vor allem Nietzsche ausdrücklich als Waffe gegen den Glauben eingesetzt hat. (3) Taubes sieht sich sehr nahe bei Paulus(4), wenn er jener jüdischen Tradition folgt, die typologische Zusammenhänge zwischen dem Ritual des großen Versöhnungstages, jüdischen Märtyrergeschichten, Adamspekulationen und eschatologischen Erlösungsmythen herstellt. Aus solchen Zusammenhängen heraus ist in der jüdischen Tradition - in antitypischer Weiterführung des Isaaksopfers - die Vorstellung von einem Messias ben Joseph entstanden, der als 'priesterlicher' Messias in den Kämpfen der Endzeit sterben muß, bevor der 'königliche' Messias ben David die Ungläubigen besiegt.

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Eine für das Verständnis des Paulus besonders aufschlußreiche Version des Glaubens an einen leidenden, ja paradoxen Messias, sieht Taubes im Sabbatianismus. Obwohl Taubes alles andere als ein Sabbatianer ist, hält er doch die Kenntnis dieser Bewegung des 17.Jahrhunderts, die Gershom Scholem in mehreren Schriften ausführlich dargestellt hat, (5) für das jüdische Verständnis des Paulus wichtiger als die Lektüre Hunderter exegetischer Bücher. Diese Extremform eines jüdischen Messianismus zeige, welche Problematik aus einer neuen Konstellation alter Themen entstehen könne.

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1) Sabbatianismus: Der Messias als 'König der Dämonen'

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Das messianische Drama in den Jahren 1665/66, das an den Namen Sabbatai Zwis (1625-1676) gebunden ist, spielte sich auf dem Hintergrund der kabbalistischen Lehre von Isaak Luria (1534-1572) ab, die im Judentum eine sehr weite Verbreitung gefunden hatte und die "die klar formulierte und allgemein akzeptierte Form der jüdischen Theologie jener Zeit" (6) war. Nach dem Kabbalisten aus Jerusalem und Safed, in dem das Trauma von der Vertreibung aus Spanien nachwirkte, mußte Gott sich selber zurückziehen (Zimzum), um für die Schöpfung Raum zu schaffen. Dadurch konnten im leeren Raum (Tehiru) die Hypostasen der göttlichen Eigenschaften (Sefiroth) entstehen, die zusammen den Urmenschen (Adam Kadmon) bilden. Durch die Sefiroth hätte sich der unerkennbare Gott (En Sof) der unteren Schöpfung manifestieren sollen. Die Sefiroth konnten aber als Gefäße das göttliche Licht nicht halten, deshalb mißlang die Schöpfung des Urmenschen, die vollkommene Emanation Gottes. Aus den zerborstenen Gefäßen, denen immer noch Lichtfunken anhafteten, entstanden die bösen Mächte (Kelipa), und der Zorn Gottes verselbständigte sich gegen seine Schöpfung. Es trat das Chaos hervor, von dem die Exilserfahrung Israels ein Symbol ist. Zur Überwindung des Bösen hat das irdische Israel, das nur das Exil des himmlischen Israels, d.h. der Schechina, wiederspiegelt, an der Erlösung des göttlichen Lichts aus dem Exil und an der Widerherstellung der idealen Schöpfung (Tikkun) mitzuwirken. Jeder fromme Jude soll durch die Erfüllung der Gebote der Tora das Böse vom Guten trennen: "Jedes der 613 Gebote des Gesetzes restituiert einen der 613 Teile des 'corpus mysticum' des Ur-Adam." (7) Diese Arbeit an der Wiederherstellung (Tikkun) durch Ritus, Gebot und geheimnisvolle Konzentration hat bereits messianischen Charakter. (8)

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Sabbatai Zwi, der in Smyrna geboren wurde, war von der Kabbala Lurias einerseits stark beeinflußt, anderseits setzte er sich von ihrem universellen Ritualismus ab. Er konnte durch seltsame Begabungen viele faszinieren, litt aber zugleich an Zuständen, die man heute als manisch-depressiv diagnostizieren würde. Zeitweise lebte er in großer asketischer Strenge, was sein Volk und die Rabbiner stark beeindruckte. In seinen erregten Phasen hatte er messianische Vorstellung, überließ sich aber zugleich 'befremdlichen Handlungen gegen das Gesetz' (Aussprechen des verbotenen Namens Gottes, Übertreten ritueller Gebote, etc.). Sabbatai Zwi war deshalb in seiner Heimat äußerst umstritten, fand aber Anklang in Jerusalem und Aegypten. Zu seinem Schicksal wurde es, daß ein anderer, nämlich der 'Gottesmann' Nathan von Gaza (1644-1680), ihn deutete und ihn von seiner messianischen Rolle überzeugte. Nathan war ein Asket, der beim Studium des Talmuds und der Kabbala durch visionäre Erfahrungen geleitet wurde und ebenfalls seltsame Begabungen hatte. (9) In einer Vision (10), die die ganze kommende Bewegung bestimmte (Februar/ März 1665), sah Nathan Sabbatai Zwi als Retter und Messias. Durch diese visionären Eruption und durch die Begegnung mit Sabbatai integrierte Nathan das Bild vom geknechteten Messias (leidender Gottesknecht) und eine neue Glaubenstheologie in die lurianische Kabbala. Beim Zerbersten der Gefäße (Sefiroth) sei die Seele des Messias in den tiefsten Abgrund und in die Herrschaft der bösen Mächte gefallen. Der Messias hätte so ganz ins Reich des Bösen eingehen müssen, um sich daraus freizukämpfen. Die dämonische Macht, die seine Seele einhüllte, sei "nichts anderes als Jesus" (11) gewesen. Der Messias werde aber auch diese dämonischste Macht überwinden und Jesus retten. Auf dem Hintergrund dieser neuen Messiasvorstellung erhielt das seltsame und gegen das Gesetz gerichtete Verhalten Sabbatai Zwi's eine tiefe messianische, ja eine kosmische Bedeutung. (12) Es stelle dar, wie der Messias ins Reich des Bösen vordringe. Dadurch verändere sich auch die Aufgabe für das jüdische Volk. Wegen der universalen Dimension des Bösen sei eine bloß ethische und kultische Trennung des Guten vom Bösen nicht mehr möglich. Das eigentliche Werk Gottes, zu dem Israel berufen sei, ist nach Nathan der Glaube an jenen Messias, der nach üblicher Deutung kein Messias sein kann. (13)

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Nathan von Gaza löste durch diese Deutung von Sabbatai Zwi eine ungeheure messianische Bewegung im Judentum aus, die sich in kürzester Zeit von Palästina bis Jemen, Nordafrika, Polen und Westeuropa erstreckte(14) und "zum ersten Mal seit der Zerstörung des Zweiten Tempels das gesamte jüdische Volk erfaßt(e)" (15). Es gab aber auch Widerstand. Die Mehrheit der Rabbiner in Jersualem sah nach der Proklamation des zwielichtigen Sabbatai Zwi zum Messias in ihm einen Gotteslästerer, den sie exkommunizierten und den sie den türkischen Behörden ausliefern und umbringen lassen wollten. Die Muslime ließen Sabbatai Zwi zunächst aber gewähren, und die Begeisterung in den jüdischen Gemeinden überspielte allen Widerstand. Der neue Messias tat auf dem Weg nach Konstantinopel in seiner Heimatstadt Smyrna wieder 'befremdliche Dinge' (16), die so gedeutet wurden, daß er aus mystisch-kabbalistischen Gründen öffentlich sündigen müsse.(17) Er offenbarte sich einer begeisterten Menge (18) als "Gesalbter des Gottes Jakobs und als Erlöser Israels" und setzte 'Vizekönige' ein.(19) Vor Konstantinopel wurde er aber von den Türken verhaftet. Im Gefängnis konnte er zunächst während Monaten große Scharen von Anhängern und Gesandtschaften aus vielen Ländern empfangen. Schließlich wurde er aber vor die Alternative 'Tod oder Übertritt zum Islam' gestellt, und Sabbatai Zwi wurde Muslim (September 1666). Dieser Schlag traf die messianische Bewegung tief, löste sie aber nicht auf. (20) Nathan von Gaza und viele andere entdeckten im Schritt Sabbatais nur die logische, wenn auch unerwartete Konsequenz der Lehre, daß der Messias ganz ins Reich des Bösen eindringen müsse und sogar "König der Dämonen"(21) genannt werden könne. In verschiedenen Varianten konnte sich deshalb der Sabbatianismus bis ins 20.Jahrhunderte halten und führte zur Lehre, daß Böses getan werden müsse, um die Erlösung herbeizuführen und daß man die niedere, die fleischliche Tora übertreten (ja verfluchen) müsse, um die höhere zu erfüllen: "Die Aufhebung der Tora ist die wahre Erfüllung der Tora." (22) - Im Entstehen und in der Lehre des Sabbatianismus glaubt G.Scholem große Parallelen zum Christentum zu finden (23); er hebt aber auch klare Unterschiede hervor(24). Die sabbatianische Exegese dürfte aber vor allem eine religiöse Vorläuferin der modernen nihilistischen Dekonstruktion sein. (25)

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2) Die 'messianische Logik' des Paulus

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Psychologisch gesehen kann die Beziehung zwischen Sabbatai Zwi und Nathan von Gaza als 'folie à deux' gedeutet werden. Diese Sicht interessiert J.Taubes aber wenig und ebensowenig die Tatsache, daß der Sabbatianismus sich weit von der Orthodoxie entfernt hatte. Er frägt vielmehr, welche jüdische Erfahrung von Gott und der Welt im Sabbatianismus angesprochen wurde, daß er einen so weiten Anklang im Judentum finden konnte. Diese Bewegung ist für ihn vor allem ein Beispiel, durch das feste Denkmuster aufgesprengt werden sollen und das eine indirekte Verstehenshilfe bietet für die Glaubenswelt eines anderen Juden, der längst vor dem Sabbatianismus ebenfalls aus rein innerjüdischen Wurzeln zu einer analogen 'messianischen Logik' vorgestossen war, nämlich Paulus. Der Apostel konnte zwar auf keine Kabbala zurückgreifen, um das Geschick eines gekreuzigten Messias verständlich zu machen. Taubes zeigt aber, wie im überlieferten Bild von Mose und in der Liturgie des Jom Kippur wichtige Elemente vorlagen, um zur neuen Logik zu kommen.

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Mose mußte die Erfahrung machen, daß das Volk rasch vom Bund abfiel und Götzen - dem goldenen Kalb - diente. Auf analoge Weise drängte sich Paulus durch seine Erfahrung vor Damaskus, in der er sich selber als Verfolger Christi erfuhr, die Überzeugung auf, daß sein Volk in der Kreuzigung Jesu grundlegend versagt hatte. Es hatte seinen Messias verurteilt und verworfen. Auf einer ersten Ebene reagierte Paulus nun anders als Mose. Während dieser sich mit seinem ganzen Leben bei Gott für das Volk einsetzte, wurde Paulus zunächst dazu geführt, einen Trennstrich zu einem Teil Israels zu ziehen. Taubes deutet die Worte des Mose "Doch jetzt nimm ihre Sünde von ihnen! Wenn nicht, dann streich mich aus dem Buch, das du angelegt hast" (Ex 32,32) auf dem Hintergrund des Talmud, nach dem Mose durch seinen Einsatz Gott vom Schwur, Israel zu vernichten, entbunden hat.(26) Anders Paulus! Taubes zeigt, wie der Apostel die Tora und die Propheten benützt, um in einer pneumatischen Deutung zu zeigen, daß Gott selber von einer Verwerfung des größeren Teils des Volkes und nur von der Rettung eines Restes gesprochen hat. Auf diese Weise legitimiere er das neue Volk Gottes aus Juden und Heiden. Auf einer tieferen Ebene, so hebt Taubes hervor, handelte Paulus aber ähnlich wie Mose. Trotz der erschütternden Erfahrung, daß das Volk nicht mehr Gottesvolk war, hielt der Apostel unerbittlich daran fest, daß Israel die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnung, die Verheißungen und die Väter hat und daß der Messias dem Fleisch nach aus ihm kommt (Röm 9,4f). So wurde Paulus in einen inneren Konflikt und Zwiespalt geführt, den er nur durch eine radikale Lösung meistern konnte. Obwohl der Apostel am Ende von Röm 8 feierlich bezeugt, daß keine Macht in der Schöpfung ihn von der Liebe Gottes in Christus zu scheiden vermag, beginnt er unmittelbar danach Röm 9 mit dem Bekenntnis:

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"Ich sage in Christus die Wahrheit und lüge nicht, und mein Gewissen bezeugt es mir im Heiligen Geist: Ich bin voll Trauer, unablässig leidet mein Herz. Ja, ich möchte selber verflucht (anathema) und von Christus getrennt sein um meiner Brüder willen, die der Abstammung nach mit mir verbunden sind" (Röm 9,1-3).

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In Analogie zu Mose, der sein Leben angeboten hat, um Israel vor dem Zorn Gottes zu retten, war Paulus bereit, von Christus wieder getrennt zu werden und die Rolle des leidenden Gerechten, des Sündenbocks, zu übernehmen (27), um seine Brüder für Christus zu gewinnen. Diese Bereitschaft gründete in seinem Glauben, daß Jesus selber zur Sünde (2 Kor 5,21) und zum Fluch (Gal 3,13) wurde, um die Menschen vom Fluch des Gesetzes und vom Zorn Gottes zu befreien. Wie aber konnte es zur Vorstellung von einem Messias kommen, der unter der Sünde und dem Fluch steht?

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Taubes weist in einer typologischen Zusammenschau nach, welche Verbindungslinien es zwischen dem Ritual des Jom Kippur, der Gestalt des Gottesknecht und jenem Mose gibt, der sein Leben für sein Volk eingesetzt hat.(28) Von der Liturgie her vertritt Taubes die These, daß der Jom Kippur die Kontroverse zwischen Gott und Mose (Ex 32,32) ins Ritual übersetzt. (29) Der Talmud stelle nämlich eine ausdrückliche Verbindung zwischen dem Ringen des Mose mit Gott und dem Versöhnungstag her. An diesem Tag stehe Israel erneut unter dem Zorn Gottes, ja im Weltgericht. Die Opferhandlungen (Schlachtopfer- und Sündenbockritus) würden durch die Schriftlesungen eine Transformation erfahren, sodaß sie zu einem weltgerichtlichen Ereignis werden, bei dem Gott von seinem Schwur der Vernichtung und Israel von seinen Gelübden entbunden werde. Gott könne sich so wieder als erbarmender zeigen. In diesem urjüdischen Kontext, der im Zusammenhang steht mit der Gestalt vom Leidensknecht(30) und mit der Erfahrung von jüdischen Märtyrern, sei die paulinische Lehre vom gekreuzigten Messias entstanden. (31)

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Daß der Apostel nicht antijüdisch war, begründet Taubes im weiteren durch Röm 9-11. Hier werde nicht die Kirche an die Stelle Israels gesetzt, sondern das Verhältnis zwischen Juden und Heiden als ein Eifersuchtsdrama beschrieben, das darauf ziele, daß ganz Israel gerettet werde. Es gebe zwar eine Feindschaft zwischen dem ablehnenden Israel und dem Evangelium; aber diese Feindschaft hebe die Liebe des erwählenden Gottes nicht auf, denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt. Die Feindschaft diene vielmehr der Rettung von ganz Israel (Röm 11,25-32). Sie ist folglich nichts Endgültiges, sondern etwas Vorläufiges und hat von Gott her gesehen eine ähnliche Funktion, wie der Sündenbock und der Gottesknecht, die unrein und zur Sünde werden, um andere zu retten.

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Paulus ist für Taubes der erste Jude, der die große Intuition hatte, die Gestalt des für sein Volk eintretenden Mose, den Leidensknecht, die Liturgie des Jom Kippur, die Erfahrung mit jüdischen Märtyrern, Messias- und Erlösungsvorstellungen zu einer klaren 'messianischen Logik' zu verbinden. Gemäß dieser Logik ist der Glaube an den Messias, der kein Messias zu sein scheint, das zentrale Werk. Dieser Glaube macht den Menschen vor Gott gerecht, und nicht die Beobachtung der vielen einzelnen Gesetze, die doch nie voll befolgt werden können. Taubes sieht diesen Glauben an einen gekreuzigten Messias, durch den die Rechtfertigung kommt, im engsten Zusammenhang mit dem Glauben, daß in der Jom-Kippur-Liturgie der Fluch Gottes und seine Aufhebung rituell durchgestanden werden. (32) Deshalb deutet er auch die universale Gesetzeskritik des Paulus nicht als Polemik gegen das Judentum, sondern als eine der verschiedenen Formen jüdischer Befreiung von einem legalistisch verstandenen Gesetz. (33) Den besonderen emotionalen Impuls für die Kritik des Apostels sieht er in dessen Anliegen, die Tischgemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen und damit die Einheit der Gemeinde zu retten. (34) Ein klares Zeichen, daß die Konzentration auf das Paradoxale in der messianischen Logik und die Lehre vom Glauben, der gerecht macht, nicht antijüdisch ist, findet Taubes im oben beschriebenen Sabbatianismus, dessen Aussagen gegen das Gesetz radikaler waren als die des Apostels. - Eine weitere vom rabbinischen Judentum abweichende und doch urjüdische Bewegung war nach Taubes das Judenchristentum. (35) Er entwirft folglich durch die Integration neuer Gestalten und Bewegungen - Paulus, Judenchristentum, Sabbatianismus - ein neues und weit komplexeres Bild vom Judentum: "Taubes kommt es bei seiner Pauluslektüre nicht nur auf die Heimholung eines Ketzers an, sondern darüber hinaus auf ein komplexeres, weil vollständigeres (Selbst-)Verständnis des Judentums." (36)

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3) Im Namen der Tora gegen Legalismus

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Taubes ist interessant, weil er seine Deutung des Paulus die üblichen Fronten zwischen Juden und Christen aufsprengt. Er sagt von sich selber: "Ich bin Pauliner, nicht Christ" (37) - eine für Juden und Christen gleicherweise provozierende Aussage. In unserem Kreis hat Bob Hamerton-Kelly durch seine Deutung des Paulus eine fundamentale Diskussion ausgelöst, die von Taubes her nochmals neu beleuchtet werden kann.

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Es gibt mehrere Punkte, in denen Taubes mit Hamerton-Kelly übereinstimmt: das neue Volk Gottes als zentrales Anliegen der paulinischen Theologie, das Damaskuserlebnis und die damit verbundene Überzeugung von der Verwerfung des Messias als Ausgangspunkt dieser Theologie und die harte Kritik am Gesetz, die nicht nur das jüdische Gesetz meint. Nach Taubes gab es im römischen Reich eine allgemeine Apotheose des Gesetzes, in die man griechisch-hellenistisch, römisch oder jüdisch einstimmen konnte.(38) Taubes frägt nicht weiter, woher es zu dieser allgemeinen Apotheose kam, gegen die sich Paulus wandte(39); seine Ausführungen legen aber nahe, daß das Gesetz als eine sakrale Ordnungsmacht erfahren wurde. Der Weg zu einer girardschen Deutung des Gesetzes ist deshalb nicht mehr weit. - Im Unterschied zu Hamerton-Kelly sieht Taubes aber in der harten Kritik des Paulus am Gesetz im allgemeinen und am jüdischen Gesetz im besonderen keine grundsätzliche Kritik der jüdischen Lebensweise, sondern eine Freilegung einer tieferen Dimension in der Tora. Wenn die Liturgie des Jom Kippur (mit dem Sündenbockritus) im Licht von Deuterojesaja und von jenem Mose, der vor Gott für sein Volk eintrat, erlebt und erfahren wird, dann sagt diese Liturgie nach Taubes fast das gleiche wie die paulinische messianische Logik. Der im Talmud klar bezeugte Glaube, daß der Jom Kippur die Sünden vergibt, und der paulinische Glaube an den gekreuzigten Messias, der rechtfertigt, sind nach Taubes zwei - wenn auch etwas unterschiedliche - Ausdrucksformen von der gleichen jüdischen Grunderfahrung. Lev 16, wo von der Liturgie des Jom Kippur gesprochen wird, gehört wie die vielen rituellen Gesetze zur Tora. Taubes sieht folglich in der Tora selber ein Befreiungspotential, das sich gegen ein legalistisches Verständnis der Tora wendet, und für ihn ist Paulus jener Jude, der durch eine neue Zusammenschau verschiedener Thema in den Hl.Schriften Israels zum ersten Mal jene paradoxe messianische Logik ausdrücklich formulieren konnte, nach der der Zorn Gottes an einem bestimmten Ort (Jom Kippur, Kreuzigung des Messias) durchgestanden werden muß, damit die Glaubenden davon frei werden.

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4) Dramatische Deutung der 'messianischen Logik'

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Weil Taubes durch den Sabbatianismus und vor allem durch Paulus eine Dimension und eine Möglichkeit im Glauben Israels aufzeigt, die gewöhnlich nicht gesehen wird, finde ich sein Werk faszinierend. Dennoch stehe ich in einem zentralen Punkt kritisch zu seiner messianischen Logik. Um dies zu verdeutlich, ist ein kurzer Blick auf den weiteren Kontext notwendig. In der jüdischen und christlichen Theologie gab es drei Grundtypen der messianischen Logik, d.h. der paradoxen Beziehung des Messias zum Bösen. Gemäß der ersten Version legt Gott selber seinen Zorn und das Böse auf den messianischen Träger. Diese Version findet sich - gestützt auf isolierte Aussagen des Paulus - in der populären christlichen Tradition und auf subtilere Weise bei Luther, Calvin und Barth (und teilweise bei Balthasar). Auch Taubes, der diesbezüglich schwer zu fassen ist, dürfte zu dieser Richtung gehören.(40) - Gemäß der zweiten Version gehen der Messias und die messianischen Träger selber ins Reich des Bösen hinein, ja sie tun das Böse. Diese Sicht findet sich im Sabbatianismus. - Gemäß der dritten Version, die ich als die girardsche und die des Neuen Testaments verstehe, schieben die Menschen selber das Böse, mit dem sie nicht fertig werden, instinktiv auf den messianischen Träger ab und beladen ihn so mit dem Zorn.

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Die erste Version, die in sehr verschiedenen Varianten erarbeitet werden kann, muß auf die eine oder andere Weise mit einer Dialektik zwischen verschiedenen Eigenschaften Gottes rechnen. Das Böse und seine Überwindung drohen so letztlich zu einem Prozeß im Absoluten selber zu werden. Bei Augustinus, Luther, Barth, vor allem aber in der Kabbala gab es diesbezüglich Ansätze, und der spekulative Karfreitag von Hegel hat diese ganze Tendenz auf den Begriff gebracht. - Die zweite, die sabbatianische Version, die darauf tendiert, Gut und Böse zu identifizieren, ist nihilistisch, wie auch G.Scholem deutlich gezeigt hat. (41) - Gemäß der dritten Version, die bei Deuterojesaja anklingt und die auch die neutestamentliche ist, gibt es keine Identität zwischen Gut und Böse und auch keine Dialektik zwischen verschiedenen göttlichen Eigenschaften, sondern eine Dramatik zwischen mehreren freien Akteuren. Was als Zorn Gottes erscheint, entspringt in Wahrheit dem untergründigen und kollektiven Handeln der sündigen Menschen. Von ihnen wird der messianische Träger zum Fluch gemacht.

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Im Zusammenhang mit der Frage, wer den messianischen Träger zur Sünde macht, stellt sich aber auch die Frage nach der Überwindung des Bösen und damit auch nach dem messianischen Handeln auf neue Weise. Martin Buber spricht von einem "Messianismus der Kontinuität" (42) und meint damit, daß im Glauben der Chassidim die Nähe der Gottesherrschaft von Generation zu Generation je neu erfahren wird. Auf die messianische Logik angewandt würde dies bedeuten, daß Israel in seinen Märtyrern und in den Leiden des ganzes Volkes immer wieder von neuem den Zorn Gottes durchzustehen hat, um so auch seine Barmherzigkeit zu erfahren. Bei dieser Sicht bleibt aber letztlich offen, wieso zum Erfahren der Güte das Erleiden des Zornes gehört. Das Unverständliche wird in diesem Fall, wie Buber dies ausdrücklich tut, auf die Ebene Gottes verlegt: "Gott übt an uns nicht Barmherzigkeit und Gnade allein, es ist furchtbar, wenn seine Hand auf uns fällt, und was uns da geschieht, das steht nicht etwa neben Barmherzigkeit und Gnade, es ist ihnen nicht gleichgeordnet, das Letzte gehört hier nicht zum Attribut der Gerechtigkeit, - es ist jenseits aller Attribute: es ist eben das Geheimnis, und ihm ist nicht nachzufragen." (43) Dem himmlischen Geheimnis, warum es furchtbar ist, in die Hand Gottes zu fallen, ist nicht weiter nachzufragen. Auf Erden gilt es nur, im Gehorsam den ständigen Kreislauf von Schuld und Sühnung (Buße) auszuhalten und dabei sich immer wieder ins unverständliche Leiden zu fügen. - Eine solche Sicht hat etwas Beeindruckendes, weil sie sich offen und mutig den harten Erfahrungen des menschlichen Lebens stellt, und dennoch eine Hoffnung kennt. Die Gefahr liegt aber nahe, daß das Leiden zum Selbstzweck wird. Eine solche Sicht scheint sie mir deshalb gegenüber den Angriffen eines Nietzsche oder Freud wehrlos zu sein, die beide entschieden darauf zielen, die Sünde aufzulösen. Solange die Menschen vom Gefühl der Verantwortlichkeit durchdrungen seien, werde in alles hinein - so Nietzsche - das Verlangen nach Vergeltung und Rache getragen. (44) Daraus entstehe ein unheilvoller und grausamer Kreislauf von Schuld und Vergeltung (Sühne /Rache). Taubes sieht diese Kritik und das Positive in ihr: "Es ist bei Nietzsche ein tief humaner Impuls gegen die Verstrickung von Schuld und Versöhnung, auf der die gesamte paulinische, aber auch schon alttestamentliche Dialektik beruht." (45) Taubes ist für mich beeindruckend durch seine Ehrlichkeit. Obwohl er sich als gläubiger Jude und als Pauliner versteht, deckt er von Nietzsche und Freud (46) her bei Paulus und in den Schriften Israels eine Problematik auf, bei der ich nicht mehr sehe, wie er sie selber wirklich lösen kann. Er spricht von einer 'Dialektik' in der Bibel; gerade deshalb dürfte er aber in eine Problematik geraten, die aus seiner Perspektive unlösbar wird. Wo es Dialektik gibt, dort schlägt Erbarmen in Zorn (Vergeltung, Sühne) um, und daraus entsteht wieder ein Erbarmen, das erneut zu Zorn führt. Bei dialektischen Bewegungen bleibt ein Wurm, der alles zernagt, wie Nietzsche und Freud klar gespürt haben. Ich meine aber, daß Paulus anders zu verstehen ist, nämlich nicht dialektisch, sondern dramatisch und zwar vom dramatischen Geschick Jesu her, wie es in den Evangelien dargestellt wird.

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In seiner Basileia-Botschaft hat Jesus Gott als einen Vater verkündet, der sich im mütterlichen Erbarmen allem Verlorenen zuwendet, und er hat eine Vollkommenheit aufgezeigt, die darin besteht, nicht nur die Freunde, Wohltäter und Stammesgenossen, sondern auch die Feinde zu lieben. Mit diese Botschaft hat er aber zunächst keinen wirklichen Erfolg gehabt, sondern nur eine Auseinandersetzung geweckt. Im dramatischen Konflikt, den seine Verkündigung provoziert hat, schien es zunächst, daß Jesus sich selber Feinde schuf und - im dialektischen Gegenschlag zu seiner ersten Botschaft - einen ebenso harten Gott der Rache (Hölle) verkündete. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung wurde er zum Objekt der Verurteilung und der tötenden Gewalt, und hier zeigte sich nun das Entscheidende. Auf alles Böse, das auf ihn einstürmte, reagierte er nicht mit Verfluchung und Gegengewalt, sondern er betete für seine Feinde: "Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter" (1 Petr 2,23). Der gerechte Richter, sein himmlischer Vater, hat ihn - nach christlicher Überzeugung - auferweckt und sich damit ganz zum Verhalten Jesu bekannt. In diesem Verhalten gab es keine Dialektik, wohl aber eine intensivste Dramatik, nämlich eine Interaktion zwischen verantwortlichen Akteuren, die bis zum tödlichen Konflikt und zur göttlichen Versöhnung führte. Auf seine Botschaft haben die Menschen reagiert und ihn mit dem Bösen beladen. Er antwortete seinerseits auf dieses erlittene Geschick in voller Freiheit, indem er die Verurteilung und Gewalt durch fürbittendes Gebet, Verzeihen und liebende Hingabe überwand und ins Positive wendete. Es gab keinen dialektischen Umschlag; Jesus setzte vielmehr eine freie Tat, durch die er das Böse mit Gutem beantwortete. Dabei zeigte er zugleich, daß keine böse Macht der Welt ihn von seiner Botschaft und seinem Weg abbringen konnte.

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In der Art und Weise, wie der Glaube Israels an allen geschichtlichen Erfahrungen, an allen erhofften Träume und allen erlittenen Grausamkeiten festgehalten hat, sehe ich etwas Einmaliges. Dieser Glaube hat keine der widersprüchlichsten Erfahrungen überspielt und keine verdrängt. Deswegen mußte Gott diesem Glauben immer wieder als lebensspendender Vater und Fels des Heiles, aber ebenso als unbegreiflich zorniger Gerichtsherr erscheinen. Das Neue Testament hält mit gleicher Intensität an den realen Erfahrungen fest und deshalb scheint sich hier auch eine ähnliche Dialektik anzubahnen. Das Verhalten Jesu in seinem Leidensgeschick durchbricht aber diesen Anschein der Dialektik. Er zeigte damit, daß es eine Liebe gibt, die durch keine Wechselfälle des Lebens gebrochen und durch keine bösen Mächte besiegt werden kann. Der Glaube an den gekreuzigten Messias bedeutet folglich, einerseits an der unmittelbaren Erfahrung mit ihrer vollen Widersprüchlichkeit (Lebenshoffnung und brutale Tötung) voll festzuhalten und anderseits dennoch zu glauben, daß es in der menschlichen Geschichte eine Liebe gibt, die alles Böse bereits besiegt hat. Da das Dunkle nach dem Zeugnis der Geschichte so mächtig ist, daß es auch das Gute immer wieder zu bösen Reaktionen zu verleiten vermag, muß jene Liebe, die dieser tödlichen Versuchung widerstehen konnte, eine gott-menschliche sein.

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Nach meinem Urteil steht im Zentrum der paulinischen Theologie nicht eine Dialektik von Schuld und Sühne, sondern jene Liebe, die das Böse in feier Tat überwindet überwindet. An entscheidender Stelle drückt der Apostel immer wieder sein Staunen aus, daß Christus in geliebt und sich für ihn dahingegeben hat (Gal 2,20), daß Gott ihm die Liebe erwiesen hat, als er noch sein Feind war (Röm 5,8) und daß nun keine Mächte der Welt und des Kosmos ihn von der Liebe Gottes in Christus scheiden können (Röm 8,35-39). Diese Liebe ist für Paulus weit mehr als ein ideales Vorbild, von dem man nicht wüßte, was es in der realen Geschichte zu bewirken vermag. Durch den Geist bilden die Glaubenden mit Christus einen Leib. Der Apostel kann deshalb sagen: "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2,20).

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Das was Nietzsche so hartnäckig, ja bis zur geistigen Selbstzerstörung in seinen letzten Lebensjahren gesucht hat, die Unschuld des Daseins jenseits des Kreislaufes von Schuld und Sühne/Rache, gibt es nach Paulus tatsächlich. Es gibt diese Unschuld aber nicht in naiver Form, sondern nur in Gestalt einer Liebe, die sich von keiner Macht des Bösen zum Bösen verführen ließ, eine Liebe, die alles angetane Übel durch eine Verdoppelung ihrer Hingabe beantwortet. Diese Liebe und diesen Ort wahrer Unschuld gibt es nach Paulus sogar im Tiefsten von uns selber, denn durch das Wirken des Geistes wird die Hingabe Christi zum zentralsten, wenn auch noch verborgenen Kern unseres eigenen Tuns. Der Glaube an den gekreuzigten Messias besteht folglich darin, gegen alle bitteren Erfahrungen und gegen einen Gott, der immer wieder als zorniger erscheint, an diese bereits zur Vollendung gelangte Liebe zu glauben.

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Anmerkungen:  

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 1. J.Taubes, Die Politische Theologie des Paulus. Hg. v. A. und J.Assmann, München: Fink 1993, 22.

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2. In diesem Punkt stimmt Taubes mit einigen modernen Paulusinterpreten überein; vgl. E.P.Sanders, Paul and Palestinian Judaism: A Comparison of Patterns of Religion. Philadelphia: Fortress 1977; R.B.Hamerton-Kelly, Sacred Violence. Paul's Hermeneutic of the Cross. Minneapolis: Augsburg Fortress 1992.

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3. Taubes, Paulus (s.Anm. 1) 63f.

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4. Taubes zeigt von der Schriftinterpretation des Paulus her, was 'pneuma' für den Apostel bedeutet hat: "Pneuma als eine Kraft, die ein Volk verwandelt, und die den Text verwandelt." ebd. 64.

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5. G.Scholem, Sabbatai Zwi. Der mystische Messias. Aus dem Hebräischen übertragen von A.Schweikhart. Frankfurt a.M.: Jüdischer Verlag 1992 (Mystical messiah, 2 vol. Princeton University Press [1972] ); drs., Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen (1941), Frankurt a.M. 1980, 315-355; ders., Judaica 5. Erlösung durch Sünde. Herausgegeben, aus dem Hebräischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von M.Brocke. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992.

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6. G.Scholem, Sabbatai Zwi (s.Anm.5) 46.

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7. Ebd. 61. - "Die kabbalistischen Symbole gaben dem Juden die Gewißheit, daß seine Leiden ihn nicht nur bestraften, sondern darüber hinaus ein tiefes Mysterium enthielten. Sie wurzelten in der Natur der Schöpfung selbst und symbolisierten den Prozeß, in dem der Kosmos darum ringt, sich von der Kelipa zu befreien. Israels bittere Erfahrung war nur ein Symbol - wenn auch ein schmerzlich konkretes- für einen Kampf im Herzen der Schöpfung." ebd. 65. - "Der neuartige Begriff von einer Erlösungsmission unterschied sich sehr von dem des 'Reform'- Judentums im neunzehnten Jahrhundert. Für die Kabbalisten war es nicht die Aufgabe Israels, den Völkern ein Licht zu sein, sondern, ganz im Gegenteil, aus ihnen die letzten Funken der Heiligkeit und des Lebens herauszulösen." 66.

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8. "Noch revolutionärer als die Idee einer Mission ist die Preisgabe des traditionell katastrophischen Verständnisses vom Messianismus. Die Erlösung kommt nicht plötzlich, sondern erscheint als logische und notwendige Frucht der jüdischen Geschichte. Israels Arbeiten am Tikkun haben per definitionem messianischen Charakter. Die endgültige Erlösung ist deshalb nicht mehr vom historischen Prozeß, der ihr vorausgeht, losgelöst." ebd. 67.

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9. G.Scholem sagt von ihm: "Er verband in seiner Person Züge und Eigenheiten, die nur selten in einem Indiviuum zusammenkommen. Allein dafür würde er schon einen Platz in der Religionsgeschichte verdienen." ebd. 242.

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10. Ebd. 239-242.

40
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11. Ebd. 306.

41
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12. "Die Vorgeschichte der Messias-Seele in der Tehiru liefert den Schlüssel zum Verständnis der geheimnisvollen und beunruhigenden Persönlichkeit des Menschen Sabbatai Zwi. Sein befremdliches Benehmen war weit davon entfernt, seine messianische Würde Lügen zu strafen, sondern bestätigte sie sogar. Keine gewöhnliche Seele oder gar die eines frommen Asketen würde jemals in solchen 'befremdlichen Handlungen' Ausdruck suchen. Dies waren eindeutig 'verborgene Handlungen des Tikkun'. Der Messias führte seinen Krieg gegen die Kelipa weiter, und nur er, der sich aus der Tiefe des Abgrunds freigekämpft hatte, wußte, durch welche paradoxen Mittel dieses Reich der Finsternis unterworfen werden konnte, in das die Macht der Tora nicht hineinreichte." ebd. 330.

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13. "Die Vorstellung vom Glauben als etwas Unabhängigem, das alle äußeren religiösen Handlungen und Symbole überwiegt, hat einen entschieden christlichen Charakter... Glaube ist nicht mehr die Beziehung des Messias zum 'Gott seines Glaubens', sondern die Beziehung von Israel zu seinem Messias." ebd. 303.

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14. Ebd. 375-687.713-742. - "Die Anfälle von Jubel und Buße auf dem Höhepunkt der Bewegung hatten ein durch und durch neues Lebensgefühl und einen Freiheitssinn entstehen lassen, in dem die Welt des Ghetto verschwand. In der Perspektive des Anhängers waren die geistige Wiederbelebung des Kosmos (der Tikkun) und die Erlösung aus dem Elend des Exils zu einer Einheit verschmolzen." ebd. 872.

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15. Ebd. 786. - Gerade die reicheren Gemeinden und jene, die die meiste Freiheit genossen (z.B. Saloniki, Livorno und Amsterdam) übernahmen "im messianischen Aufbruch und seiner Propaganda die Führung" (ebd. 529).

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16. "Er sprach den Unaussprechlichen Namen (Gottes) aus, aß (verbotene) Fette und vollführte noch andere gegen den Herrn und sein Gesetz gerichtete Dinge und drängte sogar andere dazu, in gleicher Weise zu handeln." (ebd.425)

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17. "Das, was getrennt gewesen war, sei jetzt vereinigt. Deshalb seien auch die Buchstaben JH und WH, die während des Exils der Schechina getrennt gewesen waren, wieder vereint, und der göttliche Name könnte - ja müßte - in seiner Ganzheit und Einheit ausgesprochen werden.... Die Übertretung dieses Verbotes (Fett essen), für die die Tora die Strafe Kareth vorschreibt, symbolisiert die Rückkehr des Gesetzes zu seinem Wesen der reinen Spiritualität und die konsequente Abschaffung aller Gebote... Selbst Handlungen, die bis dahin duch 'Ausrotten' zu bestrafen gewesen seien, würden eine Seele nicht mehr von ihrer himmlischen Wurzel abtrennen. Sie würden, im Gegenteil, das Band der mystischen Einheit stärken." ebd. 425.

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18. "Sabbatai befand sich in einem schwindelerregenden Taumel erleuchteter Exaltation, hob alte und geheiligte Gesetze auf, führte neue Bräuche ein, exkommunizierte Rabbiner und ernannte Könige... Ein erstaunliches und äußerst aufschlußreiches Zeichen für die messianische Umwandlung der alten Ordnung und für das Ersetzen des traditionellen und unvollkommenen Judentums durch eines des messianischen Zeitalters war Sabbatais Neuerung, Frauen zum Lesen der Tora aufzurufen." ebd. 439.

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19. Ebd. 438. - In einem späteren Schreiben bezeichnete er sich sogar als "der allein gezeugte und erstgeborene Sohn Gottes, Sabbatai Zwi, der Gesalbte des Gottes Jakobs und Retter Israels." ebd. 699.

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20. "Jeder Anhänger sah sich vor der folgenschweren Frage, wo er Gottes Stimme hören würde: im grausamen Verdikt der Geschichte, die - um das mindeste zu sagen - das messianische Experiment als reine Illusion entlarvt hatte, oder in der Wirklichkeit des Glaubens, die sich tief in seiner Seele gebildet hatte. Der sektiererische Sabbatianismus entstand, als viele Gruppen des Volkes sich weigerten, das Verdikt der Geschichte zu akzeptieren und zuzugeben, daß ihr Glaube eine nichtige, von Grund auf erfundene Illusion gewesen war." ebd. 784. - "Die Krise, die Sabbatais Apostasie beschleunigte, war ein tragischer Moment in der Geschichte Israels. Aber die Tragödie enthielt auch den Keim zu einem neuen jüdischen Bewußtsein." ebd. 787, vgl. 871.

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21. Ebd. 789. - "Wie Moses am Hof des Pharao als Ägypter lebte, so mußte auch Sabbatai abtrünnig werden und als Türke leben, um sein Volk zu erlösen." ebd. 818; vgl. 879-898.

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22. Scholem, Erlösung durch Sünde (s.Anm. 5) 61; vgl. 19.71-75.

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23. "Christentum wie sabbatianische Bewegung hatten als ihren Ausgangspunkt das altjüdische Paradox vom Leidensknecht, das sie jedoch mit einer solchen Radikalität betonten, daß sie es praktisch auf den Kopf stellten... Ein Heiland, der wie ein Verbrecher stirbt, und ein Erlöser, dessen Mission ihn dazu führt, abtrünnig zu werden, sind für das naive religiöse Bewußtsein gleich unannehmbar. Und doch erwies sich der scheinbare Stolperstein als Quelle der Stärke, aus der beide Bewegungen ihre religiöse Rechtfertigung schöpften, denn beide Bewegungen glaubten daran, daß der, den sie in seiner Degradierung gesehen hatten, sich ein zweites Mal in Herrlichkeit manifestieren würde... Die sabbatianische Vorstellung vom reinen Glauben, der nicht von besonderen Werken begleitet ist und keine Zeichen und Wunder braucht, hat ihren Vorgänger in der Glaubenslehre des Paulus." Scholem, Sabbatai (s.Anm. 5) 875.

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24. Ebd.877-879.

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25. "Der Spott unserer Historiker über die Suche nach solchen 'Nichtigkeiten' offenbart wenig Verständnis für das was, sich hier wirklich abspielte... Es ist das unvergeßliche Schauspiel einer dialektischen Explosion im Innersten der alten Begriffe." Scholem, Erlösung durch Sünde (s.Anm. 5) 40. - "Dies ist die seelische Grundlage für den Ausbruch der Feuersbrunst des Nihilismus im radikalen Sabbatianismus. Dieser Ausbruch ist tief in der Religion begründet." ebd.59.

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26. Taubes, Paulus (s.Anm. 1) 45.

56
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27. Ebd. 160.

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28. "In 2.Mose 32 sieht Taubes die Urszene, die sowohl dem Jom-Kippur-Ritual zugrund liegt als auch die Situation des Paulus bestimmt." Hartwich, Nachwort. In: Taubes, Paulus (s.Anm. 1) 159.

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29. Taubes, Paulus (s.Anm. 1) 47-55.159

59
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30. "Wie der namenlose Prophet (Deuterojesaja) Sühne kündet, die durch das Leiden des Volkes erkauft wurde, so kündet Paulus Sühne, die durch das Leiden des gekreuzigten Messias erkauft wurde." J.Taubes, Martin Buber und die Geschichtsphilosophie. In: drs., Abendländische Eschatologie. Mit einem Anhang. München: Matthes & Seitz 1991, 211-230, hier 223.

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31. "Die Rabbinen verbinden die Martyrien mit dem Schlachtopfer an Jom Kippur, das Gottes Erbarmen auf die Gemeinde lenkt, während der Sündenbock von Gottes Zorn vernichtet wird... Neu ist bei Paulus, daß er auch die kultische Opferung des Sündenbocks aus dem Jom-Kippur-Ritual messianisch interpretiert und mit den Vorstellungen des leidenden Messias und des Davidsohnes verbindet." Hartwich, Nachwort. In: Taubes, Paulus (s.Anm. 1) 155.

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32. Taubes, Paulus (s.Anm.1) 47-55; vgl. 144.

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33. Hartwich, Nachwort. In: Taubes, Paulus (s.Anm.1) 145.

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34. Taubes, Paulus (s.Anm.1) 33.

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35. "Diese Gemeinden (in Arabien), die entweder mehrheitlich oder ganz judenchristlich waren (und darüber besteht in den theologischen Köpfen vollständige Unwissenheit meiner Ansicht nach), waren sehr zahlreich und sehr mächtig und haben auch länger überlebt, als die offizielle Kirchengeschichte es erlaubt." ebd. 35.

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36. Hartwich, Nachwort. In: Taubes, Paulus (s.Anm.1) 145.

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37. Taubes, Paulus (s.Anm.1) 122.

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38. Ebd. 36.

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39. "Paulus geht jedoch über den Zelotismus hinaus. Er stellt nicht eine politische Theologie der Thora dem römischen Nomos der Erde entgegen, um eine neue nationale Herrschaftsform zu begründen. Er negiert grundsätzlich das Gesetz als politische Ordnungsmacht. Allen Herrschaften dieser Welt, seien es imperatorische oder theokratische, ist damit die Legitimität entzogen." Hartwich, Nachwort. In: Taubes, Paulus (s.Anm.1) 151f.

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40. "Die Opferlogik des Jom Kippur steht in ihrer Paradoxie der messianischen Logik nicht nach. In diesem Ritual steht das göttliche Weltgericht im Zentrum. Die wichtigsten Protagonisten sind die gegensätzlichen göttlichen Affekte Zorn und Erbarmen." Hartwich, Nachwort. In: Taubes, Paulus (s.Anm. 1) 157. - Zur Problematik der innergöttlichen Dialektik gehört auch das Thema "niemand ist gegen Gott außer Gott selbst", das von Goethe bis J.Moltmann und C.Schmitt eine große Rolle spielt; vgl. C.Schmitt, Politische Theologie II, Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie. Berlin 1970, 122f.

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41. "Die Lehre, daß der Erlöser durch den Verrat an seiner Religion seine messianische Aufgabe erfüllt, ist im Grunde nihilistisch, und wenn einmal die ersten Schritte auf diesem ungeraden Weg gemacht waren, wurde alles möglich." Scholem, Sabbatai (s.Anm. 5) 878.

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42. M.Buber, Zwei Glaubensweisen. Zürich: Manesse 1950, 79.

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43. M.Buber, Nachahmung Gottes. In: drs., Werke. 2.Bd.: Schriften zur Bibel. München: Kösel 1964, 1053-1065, hier 1065.

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44. "Die Schlechtweggekommenen, die décadents jeder Art sind in Revolte über sich und brauchen Opfer, um nicht an sich selbst ihren Vernichtungs-Durst zu löschen (...). Dazu haben sie einen Schein von Recht nötig, d.h. eine Theorie, auf welche hin sie die Tatsache ihrer Existenz, ihres So-und-so-seins auf irgendeinen Sündenbock abwälzen können. Dieser Sündenbock kann Gott sein - es fehlt in Rußland nicht an solchen Atheisten aus Ressentiment -, oder die gesellschaftliche Ordnung, oder die Erziehung und der Unterricht, oder die Juden, oder die Vornehmen, oder überhaupt Gutweggekommene irgendwelcher Art... Daß eine solche Theorie nicht mehr Verständnis, will sagen Verachtung findet, das macht das Stück Christentum, das uns allen noch im Blute steckt... Überall, wo Verantwortlichkeiten gesucht worden sind, ist es der Instinkt der Rache gewesen, der da suchte. Dieser Instinkt der Rache wurde in Jahrtausenden dermaßen über die Menschheit Herr, daß die ganze Metaphysik, Psychologie, Geschichtsvorstellung, vor allem aber die Moral mit ihm abgezeichnet ist. Soweit auch nur der Mensch gedacht hat, so weit hat er den Bazillus der Rache in die Dinge geschleppt. Er hat Gott selbst damit krank gemacht, er hat das Dasein überhaupt um seine Unschuld gebracht: nämlich dadurch, daß er jedes So-und-so-sein auf Willen, auf Absicht, auf Akte der Verantwortlichkeit zurückführte." Nietzsche, Die Erlösung von aller Schuld, Werke III, 822.

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45. Taubes, Paulus (s.Anm. 1) 121.

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46. Ebd. 122-131.

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