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Kirche der Zukunft - Zukunft der Kirche
(Vortrag beim Festakt zum Gedenken an P. Karl Rahner SJ)

Autor:Kothgasser Alois
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Am 1. April 2004 im Kaiser-Leopold-Saal an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck
Datum:2004-04-10

Inhalt

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Karl Rahner hat die Aufgabe der Theologie immer als Verpflichtung verstanden, mit der eigenen Person zu bezeugen, was er sagte und reflektierte und gerade so zur Erfahrung bringen wollte: der theologische Lehrer war immer ein Bekenner, der Professor ein Confessor. Weil seine christliche und theologische Existenz für ihn so selbstverständlich kirchlich war, müssen wir vielleicht heute, wo viele Selbstverständlichkeiten, die ihn prägten, verschwunden sind, auch fragen, wo die vergessenen Wahrheiten seines Lebens und Denkens liegen.

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Wir stellen heute Abend die Frage nach der Zukunft der Kirche und der Kirche der Zukunft in einer Zeit, in der wir die künftige Gestalt der Kirche noch nicht kennen, ja, in der wir von einer Statistik des Verschwindens erschreckt werden. Es ist daher nicht nur aus Anlass dieses Gedenkjahres sinnvoll, die Analysen und Prognosen Karl Rahners zu hören, weil er wie wenige, in seinen theologischen Gegenwartsanalysen und seinen mitunter sehr kritischen Einsprüchen um die Zukunft der Kirche rang, und ihr dienen wollte. Rahners „anima naturaliter ecclesiastica" mutete der Kirche zu, was sie sein soll. Das ist eine Form der Treue und des Gehorsams, die nicht immer leicht (für beide) ist, aber not-wendig. Weil er wusste, wozu die Kirche da ist, und welche Diskrepanz zwischen Erscheinung und Sendung besteht, hat er Reformen mitunter zugespitzt eingeklagt.

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Weil er aber immer „Wir" meinte, wenn er Kirche sagte, und immer als verpflichtende Lehre ansah, dass die heilige Kirche eine Kirche der Sünder ist, und deshalb die Diskrepanz zwischen Sendung und Realität der Kirche immer bleibt und gerade für den Glaubenden sich verschärft, war sein Ja zur Kirche selbstverständlich. Und der Schmerz, den wir über die Diskrepanz zwischen Zusage und Sendung und unserem realen Erscheinungsbild spüren, ist der beste Gradmesser für unsere Liebe zur Kirche und zum Evangelium. P. Raymund Schwager SJ hat das Kirchenverständnis des Gründers des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola, als dramatisch dargestellt. Dies beschreibt das Kirchenverständnis und Kirchenverhältnis Karl Rahners gut: Es kann als dramatisch bezeichnet werden.

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Ich möchte heute Abend aber nicht diesem Drama in seiner biographischen Entwicklung nachgehen, sondern über drei Hauptthemen mit ihnen nachdenken.

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Wie ist das grundlegende Kirchenverständnis Rahners?

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Welche Situation bahnt sich heute und morgen an: Also welche theologische Gegenwartsanalyse entwickelt Karl Rahner; und

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Wie sieht eine zukunftsfähige Kirche aus

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I. Das grundlegende Kirchenverständnis Karl Rahners, seine elementare Ekklesiologie

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Das grundlegende, also dogmatische Kirchenverständnis Karl Rahners hat in seinem Werk erstaunlich geringe Veränderungen erfahren. In einem späten Aufsatz fasst er das Wesen der Kirche folgendermaßen zusammen: „Die Kirche ist in ihrem letzten Wesen die gesellschaftlich und geschichtlich greifbare und strukturierte Gemeinde derer, die an Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen als die endgültige und siegreich sich durchsetzende Selbstzusage des einen und lebendigen Gottes an die Welt glauben. So ist diese Kirche das Grundsakrament des Heiles der Welt, der Welt und nicht bloß derer, die ausdrücklich und gesellschaftlich greifbar zur Kirche selbst gehören." (1) Schauen wir die einzelnen Bestimmungselemente kurz an.

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Kirche ist Gemeinschaft der Glaubenden und als solche gesellschaftlich und geschichtlich sichtbar verfasst. Kirche ist daher Charisma und Institution, zu ihr gehört ebenso das Amt wie die unableitbare, kreative Geisteskraft, das sichtbare Sakrament ebenso wie die unsichtbare Wirkung des Geistes. Die Kirche ist aber, und das ist ein neuer Akzent in seiner Zeit, nicht zuerst Heilsanstalt oder Arche der Geretteten, sondern Zeichen des universalen Heilswillen Gottes. Deshalb kann sie in Christus, den sie zu bezeugen hat, als Sakrament der Welt bezeichnet werden. In einem geradezu tirolerisch anmutenden Bild beschreibt er seine Option, die er im Kirchendekret des Zweiten Vatikanischen Konzils „Lumen Gentium" wiederfindet: „Das Morgenlicht auf den Bergen ist der Anfang des Tages in den Tälern, nicht der Tag oben, der die Nacht unten richtet" (Schriften VI, 485).

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Diese elementare Ekklesiologie wird bereits in der Gnadenlehre von 1937/38 beschrieben und in den kommenden Jahrzehnten weiter entfaltet. Eine junge Forschergruppe (2), die mit der Innsbrucker Fakultät verbunden ist, hat nachgewiesen, wie nahe diese dogmatische Bestimmung den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils steht. Karl Rahner steht deshalb in einem großen Strom katholischer Neubesinnung im 20. Jahrhundert, die auf die radikal sich verändernde Situation zu antworten versuchte.

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II. Welche Situation bahnt sich heute und morgen an: Karl Rahners theologische Gegenwartsanalyse

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Zu den bleibenden Verdiensten Karl Rahners gehört seine theologische Gegenwartsanalyse, die uns heute, wenn auch unter anderen Begriffen, in großen Teilen nahezu selbstverständlich geworden ist. In einer Zusammenfassung seiner Analyse für das von ihm herausgegebene Handbuch der Pastoraltheologie zählt er Anfang der 60er acht Merkmale auf (SW 19, 261-276).

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1. Was wir heute Globalisierung nennen, beschreibt er wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg als Interdependenz aller Kulturen, Menschen und Traditionen durch Technik, Medien und Handel, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann: Rahner hat dafür den Begriff der Einheit der Welt- und Menschheitsgeschichte genannt.

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2. Er nennt unsere Gegenwart eine geplante, künstliche Welt, die von einer rational-funktionalen Weltauffassung geprägt wird, in der der Mensch seine Welt selber schafft. Die Welt wird so zu einer vom Menschen gemachten Welt.

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3. In dieser modernen Welt treibt der Mensch ein großes Selbstexperiment. Moderne beschreibt Rahner als radikale Selbstmanipulation: „Diese Selbstmanipulation reicht also durch alle Dimensionen des menschlichen Daseins: die Dimension des Biologischen, des Psychischen (...), des Gesellschaftlichen, des Ideologischen" (SW 19, 266). In den frühen 60er Jahren gehörte Karl Rahner zu den ersten, die sich mit der Genmanipulation beschäftigte.

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4. Diese Welt ist zugleich eine Welt der Massengesellschaft und der Verstädterung. Wenn man nicht mit dem Atomtod rechnet, ist daher eine Planung der Menschheit notwendig, zumal diese Gesellschaft nicht statisch, sondern wesentlich dynamisch ist.

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5. Diese Gesellschaft ist radikal pluralistisch. Damit meint Rahner, wie die uns geläufigere Zeitanzeige „Postmoderne", nicht nur das Nebeneinander von verschiedenen Lebensentwürfen und Weltanschauungen. Die entscheidende Komponente ist, dass sie nicht nur nicht von einer letzten Instanz her gesteuert werden kann (weder funktional noch ideologisch), sie kann ebenso nicht in eine höhere Einheit aufgehoben werden.

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6. Unsere Gesellschaft ist als weltliche Welt zu bezeichnen, weil unser Weltverständnis maßgeblich durch die modernen Naturwissenschaften geprägt ist. Diese sieht die Welt als geschlossenes, funktionales System an, in der Gott nicht vorkommen kann. Die Natur-wissenschaft ist nach Rahner methodisch gottlos (SW 19, 274). Zwar verliert die Welt dadurch ihren numinosen Glanz, ist aber auch der Aneignung des Menschen ausgeliefert, der mit seiner Technik die Gesamtwirklichkeit durchzieht.

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7. Der genannte Pluralismus beinhaltet die uhrzeitliche Koexistenz vieler Epochen. In unserer Gegenwart gibt es Lebensformen, die sich seit vielen hundert ja bisweilen tausend Jahren kaum gewandelt haben, neben Lebensformen die völlig von der Tradition abgelöst sind. Dennoch werden die traditionellen Lebensformen durch den Rückkoppelungseffekt der Moderne nicht unberührt bleiben. Es gibt, so können wir sagen, keine abgelegenen Hochtäler mehr in unserem Land.

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8. Eine letzte Perspektive darf nicht unerwähnt bleiben. Diese Situation ist von einer radikalen Ambivalenz gezeichnet, in der wir in der Gefahr stehen, uns selbst zu vernichten; und zwar nicht so sehr in bewusster Absicht, sondern wegen der inneren Konsequenzen der beschriebenen Dynamik. Diese Ambivalenz hat verschiedene Elemente: Zum einen ist es die innere Grenzenlosigkeit des selbstmanipulierenden Handelns des Menschen (Rahner weist auf die Spaltung des Atoms ebenso hin, wie auf die Konsequenz der Genmanipulation, durch die wir in der Lage sein werden, einen Homunculus zu produzieren). Zum anderen ist es die innere Haltlosigkeit des Machtgebrauchs, wie er sie in den Strukturen totalitärer Herrschaft im 20. Jahrhundert wahrnimmt. Der Mensch kann sich einerseits zu einem findigen Tier zurückentwickeln, das intelligent und arbeitswütig in einem hominiden Termitenstaat vor sich hin vegetiert, andererseits bleibend die Möglichkeit hat, sich selbst zu vernichten.

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Wir wollen hier nicht allen Einzelheiten dieser Analyse nachgehen. Wenn wir aber auf unsere Gegenwart schauen, so hat Rahners Blick kaum an Bedeutung verloren, ja manches hat sich wohl verschärft: Wir sprechen heute von Globalisierung durch Technik, Medien und Markt, wir beobachten einen Naturalismus, der den Menschen als funktionales System oder komplexe Maschine beschreibt, wir stehen in der Dynamik radikaler Transformation ohne wirkliche Steuerbarkeit, und wir erleben das Abbrechen der Traditionen im großen Experiment Mensch. Wir müssen heute wohl stärker die ökologischen Risiken dieser Gesellschaft benennen, und stellen fest, dass wir nicht nur eine alternde, sondern eine nahezu aussterbende Gesellschaft sind. In dieser Zeit hat aber nun die Kirche ihre Sendung zu verwirklichen. Wie soll sie sich verhalten? Welche Zukunft hat die Kirche und wie sieht die Kirche der Zukunft aus.

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III.Wie sieht die Kirche der Zukunft aus?

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Bevor Rahner Überlegungen zur Zukunft der Kirche entwickelt, geht er die Aufgabe an, unsere Zeit theologisch zu deuten. Dabei geht er von einer grundlegenden Voraussetzung aus, die er als „heilsgeschichtliches Muss" bezeichnet (Sendung und Gnade 25f). Dieser Begriff, den er aus dem Neuen Testament aufgreift, will erklären, dass einerseits zwar diese Situation eigentlich nicht sein müsste, andererseits aber als von Gott uns gestellte Aufgabe angenommen werden müsse. Rahners Wort vom „heilsgeschichtlichen Muss" besagt also nicht, dass diese Zeit von Gott so gewollt ist. Im Gegenteil: In den geschichtlichen Ursachen ist immer auch die Schuld und das Versagen der Menschen im Spiel. Trotzdem muss sich unsere Sendung als Christen und Christinnen in dieser Zeit bewähren. Gibt es daher auch positive Verstehensmöglichkeiten dieser neuen Weltsituation? Kann diese Zeit auch mit den Augen des Glaubens gesehen werden? Rahner nennt einige Perspektiven, in denen sich die christlichen Wurzeln der Gegenwartssituation äußern.

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1. Theologische Deutung der Gegenwartssituation

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In christlicher Sicht und im Verständnis der katholischen Kirche, die sich nie als Nationalkirche, sondern stets als Weltkirche verstand (trotz Ihrer langen europäischen Verhaltensweise und staatskirchlichen Neigungen), war die Menschheit immer schon eins. In Christus vereint zielte der Sendungsauftrag des auferstandenen Herrn immer auf alle Menschen.

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Auch die Erfahrung einer weltlichen Welt ist dem christlichen Menschenbild nicht fremd, weil der Mensch nicht einfach ein Stück der Natur ist, sondern in seiner Freiheit sich von Natur und Gott unterscheidet. Deshalb wird heute der Glaube zu einer radikal personalen und freiheitlichen Aufgabe, die nicht mehr durch sozialen oder staatskirchlichen Druck vorgeschrieben wird.

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Radikaler aber muss der Glaube vor allem deshalb werden, weil Gott nicht mehr mit der Welt verwechselt werden kann. Deshalb wird die absolute Übergabe des Christen an das unbegreifliche Geheimnis Gottes, das nicht mehr mit unserer Lebensrechnung und Kalkulation verwechselt werden darf, für die Glaubenshaltung bestimmend.

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Die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Kulturen führt zu einem anzuerkennenden Pluralismus in der Kirche, die nicht nur eine weltweite Kirche als europäischer Export, sondern wirklich Weltkirche, das heißt in verschiedenen Kulturen inkulturierte Gemeinschaft der Glaubenden werden soll. Rahner hat dies als die eigentliche theologische Bestimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils angesehen, und später von einer dritten kirchengeschichtlichen Epoche gesprochen.

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Als letzte Perspektive möchte ich Rahners Würdigung der außerkirchlichen Religiosität nennen. Immer habe sich, so sagt er, die Religiosität katholischer Christen auch aus nicht-biblischen Quellen gespeist. Deshalb kann auch die außerkirchliche Religiosität, weil es Gnade auch außerhalb der Kirche gibt, gewürdigt werden. Diese Anerkennung beruht aber auf zwei Voraussetzungen. Zunächst hat die Kirche das Recht und die Pflicht, sich von anderen zu unterscheiden und sich von ihnen abzusetzen. Dann ist diese Anerkennung im Licht des Evangeliums zu deuten, weil in diesen oder jenen Momenten vielleicht außerhalb der Kirche vorgelebt wird, was die derzeitige Sendung der Kirche wirklich ist. Sie hat also eine sorgfältige Unterscheidung der Geister vorzunehmen, einer unkritischen Rezeption aller möglichen religiösen Formen hat Rahner nie das Wort geredet.

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2.Grundlegende Imperative für eine Kirche der Zukunft

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In einer Gesellschaft, die ihre Zukunft plant, kann die Kirche ihre Sendung nicht nur spontanen Einfällen überlassen, sie muss selber dafür Sorge tragen, dass ihre grundlegende heilsgeschichtliche Situation (ihr Wesen also) auch situationsgerecht verwirklicht wird. Das bedeutet: Wie ist die ursakramentale Präsenz des universalen Heilswillen Gottes in Christus heute angemessen zu gestalten? Es ist klar, dass Karl Rahner keine prophetischen Weissagungen macht (auch wenn er in den letzten Lebensjahren Träume über die Zukunft der Kirche veröffentlicht hat) (3), sondern zu einer konkreten Planung ermutigt, die er mit grundlegenden Optionen begleitet. Alle diese Optionen gehen davon aus, dass die Kirche vor einer immensen Herausforderung steht, die vielleicht nur mit dem Schritt in die hellenistische Welt verglichen werden könne. Daher fordert er eine Anstrengung und einen Mut, den er in seiner Forderung nach einem Tutiorismus des Wagnisses (Schriften VII, 85) zusammenfasst und in seiner Forderung nach einem Strukturwandel der Kirche (als Chance und Aufgabe) bündelt.

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Aus den zahlreichen Vorschlägen möchte ich heute Abend drei Optionen besonders hervorheben.

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Die erste Option mag uns deshalb überraschen, weil Rahner immer von einer künftigen Diasporasituation der Christen spricht, in der die Christen (er meint hier nicht allein die Katholiken) Minderheit werden. Als erste Option fordert er eine vertiefte dialogische Missionsbemühung. Damit meint er nicht ein Machterhöhung der Kirche, vielmehr wird die Kirche keinen direkten gesellschaftlichen Führungsanspruch erheben, weder politisch noch gesellschaftlich. Die Macht der künftigen Kirche wird die Macht der glaubenden und liebenden Glieder der Kirche sein, die von sich aus überzeugen und ein Wort leben, das alle angeht. Deshalb ist der Ort, wo die Botschaft zuerst ankommt, die Nächstenliebe, nicht nur die allgemeine Diakonie und Caritas, sondern das lebendige Zeugnis aller Glaubenden im Dienst am Nächsten in der eigenen Lebenswelt. Dieser Dienst ist für Rahner auch der privilegierte Lernort des Glaubens selbst.

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Deshalb wird die künftige Kirche eine Kirche des gesamten Gottesvolkes, ja der Laien sein, weil auch das Amt seinen Dienst nur ausüben können, wenn er von allen Glaubenden selber angenommen und getragen wird. Diese missionarische Option hat nicht das Ziel, eine uniforme Kirche zu bilden, weil die künftige Kirche eine Kirche des Dialogs sein wird, in der die Botschaft des Evangeliums im Wandel präsent ist.

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In Rahners Vorstellung einer dialogischen Missionsbemühung möchte er nicht nur die Freiheit und Würde der Adressaten anerkennen, sondern auch die Verkündigung des Evangeliums vor der Versuchung von Resignation und Fanatismus, die immer die Folgen einer schlechten Theologie sind, bewahren. Deshalb wird die künftige Kirche eine multikulturelle, immer weniger europäisch geprägte Glaubensgemeinschaft sein, die in allen Kulturen wirkliche Wurzeln hat. Dies sah er später als die bleibende Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils an, und steht hinter seiner Idee einer kirchengeschichtlichen Epoche.

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Als zweite Option ist seine Kirche einer neuen und erneuerten Spiritualität zu nennen, die deshalb eine mystagogische Kirche sein soll. Oft wird sein Satz zitiert, dass der Fromme oder der Christ von morgen ein Mystiker sein wird (Schriften VII, 22f). Diese Aussage versucht einen wesentlichen Zug der Frömmigkeit der Zukunft zu beschreiben. Weil es keine gesellschaftlichen und immer weniger kulturelle, also sekundäre Stützformen des Glaubens geben wird, wird der Glaube auf einer stark personalen Freiheitsentscheidung beruhen. Aus einem Nachwuchschristentum wird eine Wahlchristentum (Sendung und Gnade 33) werden. Ein solcher Christ aber wird er nur sein, wenn er aus der eigenen Erfahrung der Nähe Gottes lebt, wenn er durch und in der Kirche in die Konkretheit der Botschaft des Evangeliums in der eigenen Lebenswelt eingeführt und darin bestärkt wird. In einer weltlichen Welt wird aber Gott uns deshalb als das nahe, heilige Geheimnis aufgehen, weil er, wie gesagt, nicht mehr mit Funktionen und Aufträgen nach unserem Muster verwechselt werden kann. Diese neue Mystagogie ist aber wesentlich eine Einführung ins Gebet und die alltägliche Treue zum Evangelium, in der wir in den Lebensentwurf Jesu hineingenommen werden. Wir können nur die geheime Christlichkeit unserer Welt bezeugen, nämlich bezeugen, dass die Gnade Gottes allen Menschen angeboten ist, wenn wir in alltäglicher Hoffnung ein Zeichen für das Reich Gottes werden. Von dieser Aufgabe her werden auch die verschiedenen Ämter und Dienste in der Kirche vom späten Rahner als funktional angesehen. Sie dienen der einen Sendung der Kirche, die als die Gemeinde der Glaubenden und Hoffenden, die sich als die zuinnerst Todgeweihten erfahren, dennoch das ewige Leben erhoffen, und allein dadurch, dass sie zu dem gekreuzigten Jesus aufblicken, den Grund ihrer Hoffnung wider aller Hoffnung erfahren. (4) Deshalb hat er, obwohl er den Zölibat verteidigte, zu einem Überdenken aufgefordert, wenn Eucharistievorstand und Gemeindeleitung in Einheit nicht mehr realisiert werden könnte. Doch alle diese Vorschläge dienten keinem Selbstzweck. Sie sollten allein der Sendung der Kirche dienen, in unserer scheinbaren gottlosen Zeit ein sichtbares und mystisches Zeichen der Gegenwart Gottes darzustellen. Dies ist der wesentliche Grund, warum Rahner eine nahezu „demokratische" Kirche im Kommen sieht, die in den Gemeinden, in charismatischen Gruppen ohne amtliche Vorgabe, zu leben beginnt. Vielleicht darf man noch in den späten Jahren die Erfahrungen des jungen Rahners aus dem Quickborn vermuten. Und so finden sich auch Anstöße, in denen er selber seine Grenze und seine andere Erziehung und Herkunft als spirituelle Individualisten deutlich erkennt: So, wenn er eine gemeinschaftlich tragende Geisterfahrung als Charakteristikum der kommenden Kirche sieht (XIV, 377).;

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Eine letzte Option muss unbedingt genannt werden, die den Auftrag der Kirche in der bleibend säkularen Welt von einer neuen Seite her bestimmt. Man kann heute bezweifeln, ob die Welt wirklich säkular geworden ist, wenn überall religiöse Zeichen und Versatzstücke aufblitzen. Aber es wäre vielleicht dennoch gut, einmal hier besonders auf Rahners Option zu achten. Die Kirche hat nämlich in dieser Welt eine ideologiekritische Funktion. Sie hat die innerweltlichen Ideale, und wie er immer wieder sagt, die Versuchung zu Götzen zu entlarven. Dazu braucht sie nicht nur klare eigenen Prinzipien, Haltungen und Handlungsweisen, sondern auch Mut zu Eindeutigkeiten. Dabei darf sie gewiss nicht über die eigenen Fehler und Unheilszeiten hinwegsehen. Nur im Stehen zur eigenen Schuld kann sie ein Gewissen dieser Welt sein, und vom Evangelium Christi her die Sünde entlarven, die immer wieder auch in den scheinbar weltlichsten Ereignissen und Entscheidungen geschieht (SW 19, 341). In diesem Mut zu gutem Widerspruch und profiliertem Pluralismus, steht sie auch gegen eine Zeit, die immer auch zu Totalitarismus, Uniformierung und zur Dominanz einer Sichtweise neigt. Deshalb wird die Spiritualität der Zukunft eine Spiritualität der evangelischen Räte und der Bergpredigt sein, weil sie gegen die Götzen des Reichtums, des Genusses und der Macht immer neu protestieren muss (XIV, 371).

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Schluss

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Karl Rahner sah seine Beiträge als Angebot an, das er dem Glaubensbewusstsein einer Kirche in einer radikalen Transformation ansah, in der aber das Bleibende in neuer Deutlichkeit und Radikalität zum Ausdruck kommen soll. Dem wollten seine Vorschläge dienen: Den unvermeidlichen Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und als Chance zu sehen. Bei allem Einsatz konnte er aber auch andere Wege und Erfahrungen anerkennen und unterstützen. (5) In all den verschiedenen Vorschlägen und Sorgen scheint ihn am Ende seines Lebens eine Sorge in besonderer Weise umgetrieben zu haben, von der am Schluss noch zu sprechen ist. In einem Interview aus dem Jahre 1981 weist er eine funktionale Bestimmung Gottes zurück, als ob zuerst Gott für den Menschen wichtig sei. Dezidiert hält er fest: „Aber ich meine: Es gibt zu wenige Menschen, die daran denken, dass im letzten Verstand nicht Gott für sie, sondern sie für Gott da sind. … Ich möchte ein Theologe sein, der sagt, dass Gott das Wichtigste ist, dass wir dazu da sind, in einer uns selbst vergessenden Weise ihn zu lieben, ihn anzubeten, für ihn da zu sein, aus unserem eigenen Daseinsbereich in den Abgrund der Unbegreiflichkeit Gottes zu springen. … Gott ist der Absolute, der Unbedingte, auf den wir, aber nicht so im selben Sinne er auf uns, bezogen sind; der Anzubetende, in den, bedingungslos sich hineinkatapultierend, man sich mit Jesus dem Gekreuzigten weggeben muß. Das ist das eigentliche, das fundamentalste Problem der Menschen, und die Tatsache, dass man das so im Durchschnitt nicht empfindet, das, meine ich, ist das fundamentalste Problem auch heute". (6) Das klingt nach Ignatius. Und wir können sagen: Einer Theologie geht es dann in rechter Weise um Gott und die Menschen, wenn sie zuerst die Ehre Gottes sucht: Ad majorem Dei gloriam!

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Anmerkungen:  

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 1. Schriften zur Theologie XIV, 320.

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2. Der Denkweg Karl Rahners. Quellen B Entwicklungen B Perspektiven. Andreas R. Batlogg, Paul Rulands, Walter Schmolly, Roman A. Siebenrock, Günther Wassilowsky, Arno Zahlauer. Mainz 2003 (22004).

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3. Der Traum von der Kirche, in: XIV, 355-367.
Die unvergängliche Aktualität des Papsttums, in: XVI, 249-270 (Brief eines künftigen Papstes Paul VII. an Peppino).

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4. Publik-Forum 11 Nr. 5 (12.3.1982), S. 18.

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5. Unter dem Abschnitt: Zukunft der Kirche (S. 287-421).

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6. Karl Rahner im Gespräch II, 166f.

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