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Bischofsein heute, eine Herausforderung im Leiten

Autor:Scharer Matthias
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Anlässlich der Weihe von Bischof Manfred Scheuer wurde ich von der City Pastoral eingeladen, einige Gedanken zum Thema zu schreiben.
Publiziert in:leicht gekürzt erschienen in: Kirche informiert 4 (2003), 3
Datum:2003-12-23

Inhalt

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Das Dekret des Zweiten Vatikanums über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche spricht in den Ausführungen über die Diözesanbischöfe gleich zu Beginn deren Aufgabe „zu lehren, zu heiligen und zu leiten" an (Art. 11). Ich greife von diesen Aufgaben die Leitungsaufgabe heraus, weil sie mir für das Bischofsein heute besonders herausfordernd erscheint. Dabei will ich gleich eingangs betonen, dass die folgenden Überlegungen keinen Ratschlag für den neuen Bischof darstellen wollen, wie er seine Leitungsaufgabe wahrnehmen soll. Ratschläge sind bekanntlich - auch wenn sie gut gemeint sind - „Schläge", die dem anderen die Freiheit nehmen, sich selbst in seinem Auftrag zu bestimmen. Demzufolge geht es mir um einige grundsätzliche Überlegungen zur Praxis des kirchlichen Leitungsdienstes.

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Der „Gehorsam" des Leiters/der Leiterin

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Das volkstümliche Verständnis vom Leiten hat mit „etwas anschaffen" zu tun, das andere ausführen müssen oder dem sie zu folgen haben. Der Gehorsam ist also ganz auf der Seite der Untergebenen oder der Geleiteten. Kaum jemand käme auf die Idee, vom Gehorsam des Leiters/der Leiterin zu sprechen. Und doch scheint er mir eine zentrale Herausforderung für den kirchlichen Leitungsdienst darzustellen. Wie ist das zu verstehen?

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Eine grundlegende Frage für Menschen in Leitungsaufgaben ist ihr Rollenverständnis. Wer bin ich als Leiter/Leiterin? Dieses Rollenverständnis hängt eng mit der Art und Weise der Beauftragung zusammen: Von wem und wodurch bin ich legitimiert, andere zu leiten? In traditionellen Gesellschaften wurden/werden Leiter durch ihre Herkunft und durch „Gottes und des Kaisers Gnaden" legitimiert. Ein Schimmer an absolutistischer Leitungsmacht haftet kirchlichen Ämtern bis heute noch an. In demokratischen Gesellschaften sind wir es gewohnt, dass LeiterInnen aus Wahlen hervorgehen, also „vom Volk" legitimiert sind. Die Dominanz des Marktes bringt eine neue Form der Leitungsbestellung hervor: Die qualifiziertesten Manager werden von „head-hunters" (wörtlich: Kopfjäger) anderen Firmen abgejagt und den Gesetzen von Konkurrenz und Markt gehorchend, in Leitungsfunktionen bestellt.

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Die katholische Kirche hat sich - trotz aller Anpassungssünden - in bestaunenswerter Hartnäckigkeit keiner dieser Leitungsverständnisse völlig verschrieben. Das ist für manche enttäuschend, denn Kirchenvolksbewegungen fordern die demokratisch(er)e Bestellung von Bischöfen und die Erwartungen des kirchlichen Managements richten sich auf einen perfekten Manager der Diözese. Doch die „gefährliche Erinnerung" an den Leitungsgehorsam aus dem Evangelium heraus, der in der Fußwaschung seinen zentralen, fast könnte man sagen, sakramentalen Ausdruck findet, verweist über die aktuellen Anforderungen und Bedürfnisse in der Kirche hinaus. In der kirchlichen Leitung kommt eine Dimension des „Gehorsams" ins Spiel, die den Anderen in seiner Bedürftigkeit zum Maßstab eigener Leitungsverantwortung macht: „Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen" (Joh 13, 14).

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Das Beispielhandeln Jesu ist weit mehr als ein schnell dahingesagter mitmenschlicher Appell; seine Bedeutung erweist sich letztendlich in dem, was nach der Fußwaschung kommt, nämlich im Gehorsam bis in den Tod hinein. Müssen sich also LeiterInnen in der Kirche aufopfern, wie das manche kirchliche Leitungsträger bis in ihre Körperhaltung hinein auszudrücken scheinen? Genau das würde die erlösend-befreienden Kraft des Gehorsams Jesu, dem die Opferrolle von Menschen aufgezwungen wurde, verleugnen. Sein Gehorsam ist es, der den Horizont auf jenen ganz Anderen hin öffnet, der das Leben selbst durch den Tod hindurch noch wandeln kann. Der Gehorsam Jesu Christi ist das Hoffnungspotential für die „Gnade" und Freiheit der Leitung.

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An Grenzen leben

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Der Gehorsam des Leiters bringt ihn an Grenzen. Sei es an die Grenze, Gott mehr gehorchen zu müssen als den Menschen, sei es an die Grenze zwischen den unterschiedlichsten Ansprüchen von Menschen und den eigenen Vorstellungen und Wünschen. Alte Muster tauchen auf: „Ich möchte ganz in deinen Wünschen und Bedürfnissen aufgehen, damit ich dich nicht verliere." Oder das Gegenteil: „Ich sollte mich heraushalten und distanzieren, damit ich leitungsfähig bleibe". Beide Extreme sind Sackgassen. Ein altes Gestaltprinzip heißt: „Der Kontakt liegt an der Grenze. Wo es keine Grenze gibt, dort gibt es auch keinen Kontakt". Schon in den zwischenmenschlichen Alltagsbeziehungen zeigt sich, dass die Alternative sowohl zur symbiotischen Verschmelzung mit dem Anderen als auch zur Distanzierung von ihm, im Leben an Grenzen besteht. Das Leben an Grenzen ist nicht unbedingt angenehm, denn Grenzen sind „heiß", aber sie sind auch voller Leben. An der Grenze liegen Konflikt und Kampf, Lust und Leidenschaft. Leitung ist Leben an Grenzen.

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 Sich selbst und andere anteilnehmend leiten

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Wer sich an den heißen Grenzen ansiedelt braucht ein gehöriges Maß an Selbstleitungskompetenz, um nicht zu verbrennen. Ruth C. Cohn, von deren Ansatz ich viel über das Leiten gelernt habe, nennt die Selbstleitungskompetenz „chairpersonship". Sie hat dabei das Bild vor Augen, dass die unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Strebungen und Wünsche in mir wie auf Stühlen sitzen und meine innere Gruppe bilden, die zu leiten ich herausgefordert bin. Dass zur Selbstleitung ein gehöriges Maß an Selbsteinsicht und tiefer spiritueller Verwurzelung hilfreich sind, versteht sich von selbst.

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Gemeinsam mit Manfred Scheuer habe ich Erfahrungen in lateinamerikanischen Basisgemeinden gemacht, in denen die Selbstleitung mit einem Stil des „anteilnehmenden Leitens" verbunden war. Ich erinnere mich an den Vater einer großen Indiofamilie, der weder Lesen noch Schreiben konnte, dem aber die „comunidad" gerade in ihrer partizipativen Lebens- und Leitungsform zu einem christlichen Selbstbewusstsein verholfen hatte, das ihn inmitten bitterster Armut gegen das tödliche Unrecht der Großen aufstehen und ankämpfen ließ. Der „Erfolg" anteilnehmender Leitung misst sich an der Freiheit und Verantwortungsfähigkeit der anderen.

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