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Gabriela Nepo-Stieldorf
(Schutz-Hüllen)

Autor:Braun Bernhard
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2001-11-11

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Meine Damen und Herren,

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 in seinem Dialog Phaidon schildert Platon den Tod seines zur literarischen Figur

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stilisierten Sokrates. Sokrates betastet seine durch das Gift des Riesenschierlings absterbende Körperhülle und frohlockt, daß sich seine Geistseele nun bald - aus dem materiellen Schmutz des Körpers befreit - in unmittelbarer Schau mit der reinen göttlichen Wahrheit wird vereinigen können. Platons Utopie der reinen Unmittelbarkeit, die keine Vermittlung mehr braucht, ist zugleich ein Fanal. Der Preis für die ganze und volle Wahrheit ist der Tod und Sokrates wird hier zum Vorbild für das Programm des platonischen Philosophierens: das tägliche Sterbenlernen, will heißen: Die Überwindung der conditio humana, zu der die Vermittlung gehört. Das ist der schmale Grat, wo ein solcher Traum von Menschsein in einem Wahrheits- und Gottesstaat zur Unmenschlichkeit pervertiert.

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Kultur und Zivilisation heißt aber, nicht den gnostischen Ausstieg aus der Welt zu praktizieren, sondern ganz im Gegenteil den Umgang mit dem Medium zu üben, mit jenen Hüllen, die zwischen dem Innen und dem Außen, dem Selbst und dem anderen vermitteln: dem Körper, der Haut, der Kleidung, der Sprache.

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Gabriela Nepo-Stieldorf legt in ihren Arbeiten ein ganzes Kaleidoskop der Aspekte der Weltlichkeit des Menschen vor. Sie ist relativ spät zur Beschäftigung mit dem Körper gekommen. Die skulpturale Umsetzung verlangt nicht nur die Beherrschung der Anatomie - diese hat sie als Studentin der Medizin im Seziersaal minutiös studiert - sondern sie verlangt auch technische Sicherheit mit dem archaischen Material. Der Ton ist ein ebenso faszinierender wie schwierig zu handhabender Stoff. Dem schöpferischen Vorgang beim Be-greifen der erdigen Masse, dem heftigen Kneten, dem zarten Streicheln der Oberfläche, dem tastenden Suchen nach dem rechten Rhythmus von Wölbung und Vertiefung, diesem synaisthetisch und haptisch erlebbaren Planen, steht das unbeherrschbare Moment gegenüber, wenn nämlich diese Masse durch das härtende Feuer geht, dort schrumpft und reißt und nicht selten bricht. Es tritt ein Moment des Zufalls auf, der sich nur schwer steuern läßt. Sie mögen einwenden, das seien die üblichen Klischees der Keramikarbeit - trotzdem ereignet sich geradewegs dort das stete Spiel zwischen Absicht und sich entziehendem Zufall, zwischen Kristallinem und vegetabiler Bewegung, zwischen Stärke, Perfektion und fragiler Verletzbarkeit. Darüberhinaus schlagen diese Konstanten auch Brücken zur Landschaft, zum Landschaftskörper, wie wir manchmal sagen. Auch die Landschaft begegnet uns als abweisend oder offen, als sanft oder rauh. Nicht umsonst wurde sie in der Tradition kosmischer Gottheiten immer beseelt gedacht. Das Göttliche, das sich ähnlich dem Menschen einem Medium bediente, erschien als blitzeschleudernder Wettergott, als Erdmutter, die sich in klaffenden Spalten offenbarte, als Berg- und Vulkandämon, als Urwasser oder Sonnenscheibe.

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Gabriela Nepo-Stieldorf hat in der griechischen Landschaft, insbesondere auf der von ihr geliebten Insel Chios Anregungen für ihr Thema gefunden. Es erinnert an abblätternde Verputzschichten der alten Häuser der Insel, wo gleichsam die Geschichte vieler Generationen offenbar wird, wenn die Künstlerin auf ihre Torsi, Hüllen, auf ihre Ziegel- und Papierbilder Schicht auf Schicht legt, teilweise aus verschiedenen Sandarten, die sie in Griechenland gefunden und aufgelesen hat. Wie Menschen die Haut im Lebensgang dick wird und der Körper verhärtet, zum Schutz und Versteck wird, wo dann alte Wunden aufbrechen und Risse erscheinen und wo man auf solch zerfurchter Haut manch eine rauhe Lebensgeschichte entziffern kann. Diese Geschichten können vielfältig sein: Vielleicht war da einmal ein WIR, das dann zerfallen ist in ein starkes EGO und zu ein davon getrenntes DU, Trennungen, die das Leben begleiten und durch die darübergezogenen heilenden Schichten des Neuen in der Zeit immer noch als Verwundungen durchschimmern.

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Oder Nepo-Stieldorf entdeckt die Mastixbäume auf Chios. Es sind tanzende Elfen, sich am Boden wälzende Körper, die sich ineinander verknoten, die sich verschlingen und sich abstoßen, eigene Wege gehen, die sich krümmen und verwinkeln. Sie haben ihr Alter in die wulstige Rinde eingeschrieben. Es ist ähnlich wie bei sich begegnenden Körpern, der eine glatt und stark mit eingeschriebener Kraftspirale, der andere fragil, unsicher und gezeichnet. Oder sie entdeckt die in südlichen Ländern allenthalben herumstehenden Bauruinen. An vor sich hin rostenden Eisengerüsten flattern zerrissene Nylonfetzen im Wind. Dieses Bild vergeblicher und fragiler Technik in bukolischer Landschaft mag sie animiert haben, eine Körperhülle an ein Gerüst zu hängen, beinahe ein Memento-Bild, das zur Reflexion anregt über die Rolle der Verhüllung und Enthüllung. Es sind ja immer Codes, Haltungen, Schauspiele, Rituale, mit denen wir unser Inneres verhüllen. Wir sind manchmal eins mit unserem Körper, bejahen ihn und dann ekeln wir uns wieder davor. Meist aber benützen wir ihn und setzen ihn ein. In der Suche nach dem rechten Verhältnis zu ihm bricht immer wieder dieses rostige Gerippe des Todes durch, der dann droht, wenn wir uns in unserem Umgehen mit der Vermittlung die Geduld verlieren. Dieses ständige Kneten am Ton, das das Leben wiederspiegelt, ist ebenso unabschließbar, wie das lebenslange Umgehen mit sich und seinem Körper.

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Wer jahrelang Abdrücke des Körpers im weichen Ton produziert, sich dabei bisweilen kopiert und im entstehenden Produkt die eigenen Verwundungen entdeckt, dem muß geradezu die Leidenschaft wachsen, bei diesem zur Obsession werdenden Dialog den Widerstand zu erhöhen, ihn also mit dem Stein zu führen. Es geht darum, vom Reiz zu kosten, die Härte zu spüren, den eigenen Körper als Medium zwischen der Idee und dem Produkt bis zur Erschöpfung belasten zu müssen - nein: zu dürfen Beim Stein arbeitet die Künstlerin vom äußeren Raum in die Masse hinein und treibt nicht wie beim tönernen Torso die Erde von Innen nach außen. Gabriela Nepo-Stieldorf hat im vergangenen und in diesem Jahr auch diese Herausforderung bewältigt und die Geschichte des Körpers im Stein buchstabiert, ihm das Spiel des Lebens eingemeisselt, ohne dabei seine kristalline Identität anzutasten.

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Selbstverständlich geht bei all diesen Arbeiten der Antrieb vom eigenen Erleben aus, es spielt Autobiographisches hinein, aber die Körper sind offen und ermöglichen dem Beschauer im Betrachten und Begreifen ein Déjà vu seiner eigenen Lebensgeschichte. Sie ermöglichen, den Umgang mit dem Körper als Medium zu üben, Zivilisationsarbeit zu betreiben, anstatt das Leben an imaginärem Absolutem zu bemessen, an reiner Wahrheit und endgültigem Glück, denn das ist nur zu haben um den Preis des Todes.

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So steckt in diesen Arbeiten wohl auch ein Plädoyer für Körper, Geschichte und Emotionen und für das Hier und Jetzt dieser Welt. Sie können als eine Mahnung gelesen werden, gegen die Verdrängung dieses Authentischen in der medialen Virtualität Widerstand zu leisten, dem Wahn der technischen Perfektionierung des Menschen, seiner Verdoppelung im Simulakrum, gegenüber wachsam zu bleiben. Alles Aspekte gnostischer Weltvernichtung! Und wenn man gar unter Berufung auf religiöse Weltbilder die Welt in ihrer Gesamtheit selbst zur Wunde erklärt, hat weder Inkarnation noch Kreuz mehr einen Sinn. Dem steht - das darf an diesem Ort angemerkt werden - die Geschichte des inkarnierten Schmerzensmannes gegenüber, der mit der Demonstration seines verwundeten Körpers geradezu zu einer Sinnfigur wird - nämlich für das Leben. Weihnachten - das uns seit Herbst mit einer abstoßenden Anästhetisierung in dieser Stadt angekündigt wird - wird - angesichts des technischen Perfektionswahns - dann gar eine ebenso bescheidene wie subversive Botschaft der Weltbejahung.

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