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Unternehmenskultur zwischen Konkurrenz und Vertrauen

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:Dieser Text bildete die Grundlage für ein Referat im Rahmen des Zwischenbrerichtstages (27. März 2003) des Sowi-Euromobil-Projektes, das 2002/03 unter dem Generalthema "Unternehmenskultur" steht.
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2003-03-28

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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"Konkurrenz belebt das Geschäft und Wettbewerb ist gut für die Motivation der Mitarbeiter."

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Ich weiß sehr wohl, dass dieser Grundsätze so platt auch von Ökonomen nicht vertreten wird. Ich weiß sehr wohl, dass in der betrieblichen Praxis nicht die bloße Konkurrenz an der Tagesordnung ist. Dennoch aber gehört der Wettbewerbsmythos wohl zu den am weitestverbreiteten Annahmen über das marktwirtschaftliche Geschehen. Dennoch gilt Konkurrenz als die Wunderwaffe der liberalen Ökonomik. Ich verwende hier bewusst den Begriff Ökonomik, weil der Wettbewerbsmythos seine Wirkung ja weit über den Bereich der Wirtschaft hinaus entfaltet und in die Logik allgemeiner Handlungstheorien mündet.

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Konkurrenz und Wettbewerb sind zweifellos Motoren auch des innerbetrieblichen Geschehens, sie spornen an und setzen Kräfte frei. Ein Unternehmensklima aber das ausschließlich oder zumindest weitestgehend kompetitiver Natur ist, hält nicht nur die Mitarbeiter in Dauerstress - es kann selbst unter rein ökonomischer Perspektive in eine höchst kontraproduktive und schädliche Situation driften. So schreiben Jim Grote und John McGeeney in ihrem Büchlein: Manager - Klug wie die Schlangen?: "Wenn der Konkurrenzkampf wichtiger wird als das Produkt, wird die Firma vom Virus des Götzendienstes von innen her aufgefressen. ... Wenn in der Geschäftswelt offensichtliches, willkürliches Versagen der Fall ist wie bei IBM und General Motors in den späten achtziger Jahren, ist es notwendig, dass der Konkurrenzvirus ausfindig gemacht wird. Es muss festgestellt werden, an welchem Punkt die Situation gekippt ist und wann die Produktivität als Modus operandi der Organisation von Paranoia abgelöst wurde." (1)

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Der Konkurrenz als Götzendienst, Virus und Paranoia möchte ich hier etwas nachspüren und als Therapie, Antibiotikum oder Exorzismus gegen sie für eine Unternehmenskultur plädieren, deren Leitwerte Kooperation und Vertrauen sind.

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Das klassische Gefangenendilemma exerziert uns in bestechend einfacher Form vor, wie Konkurrenz um ein knappes Gut die Teilnehmer im Wettbewerb dazu führen kann, sehenden Auges gegen ihre eigenen Interessen zu entscheiden. Gerade weil jeder im Wettbewerb das Maximum für sich herausschlagen will, und weil jeder diese Absicht auch allen anderen unterstellt, sind im Endeffekt nur suboptimale Lösungen zu erzielen.

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Diese Aussage gilt im Modell des Gefangenendilemmas unter zwei Voraussetzungen:

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1) Es gibt keine Kommunikation zwischen den am Wettbewerb beteiligten Parteien

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2) Das Verhältnis der beteiligten Parteien ist geprägt durch Misstrauen.

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Die erste Voraussetzung für die Entstehung negativer Dilemmata lässt sich im innerbetrieblichen Kontext wohl relativ leicht aus der Welt schaffen. Es gehört zu den großen Vorteilen der kleinen Struktur und der guten Vernetzung, dass man einander nicht nur darüber informieren kann, was man zu tun gedenkt, sondern auch darüber, aufgrund welcher Motive und mit welcher Absicht man etwas zu tun gedenkt.

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Das Element des Misstrauens ist damit freilich noch lange nicht aus der Welt geschafft. Rund um den selben Besprechungstisch zu sitzen oder am selben Intranet zu hängen ist noch kein zureichendes Argument dafür, einander zu vertrauen. Das Gegenteil ist der Fall. Denn je mehr der andere von mir weiß und je verwandter unsere Ziele sind, um so eher werden wir einander zur Gefahr.

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Es entspricht der alten Erkenntnis von Thomas Hobbes: Unsicherheit zwingt Menschen dazu vorzusorgen. Unsicherheit bzw. Sicherheit ist in sozialen Zusammenhängen aber nicht eine Frage vorgegebener Gefahrenquellen, sondern eine Frage von Vertrauen oder Misstrauen. Die Unsicherheit, die daraus entsteht, dass ich mich nicht darauf verlassen kann, wie die anderen agieren ist es, die dazu zwingt Mittel anzuhäufen, die das Überleben sichern können, die dazu zwingt, anderen einen schritt voraus zu sein. Es gilt präventiv zu siegen. Dass unter diesen Bedingungen die verfügbaren Mittel, Ressourcen, Positionen etc. ständig knapper und der Wettbewerb damit ständig schärfer wird, versteht sich von selbst.

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Beinahe von selbst versteht es sich auch, dass der Teufelskreis sich nun schließt. Die aus dem Misstrauen erwachsende Konkurrenz generiert nun ihrerseits Misstrauen. Denn im täglichen Kampf um die berufliche Existenz ist sich zunächst jeder selbst der Nächste. Ein fataler Zirkel ist das, an dessen Fortbestand keinem wirtschaftlichen Unternehmen gelegen sein kann.

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So weit so bekannt. Nur wie ist diesem Teufelskreis zu entkommen?

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Tröstlicherweise sagt uns die Spieltheorie, dass der pure Wettbewerb ja vielfach gar nicht diejenige Verhaltensweise ist, die die größten individuellen Vorteile verspricht. Kooperation sein mitunter die rationalere, weil erfolgversprechendere Strategie.

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Selbst wenn alle Beteiligten an einem Spiel nur ihr Eigeninteresse verfolgen, fahren sie besser, wenn sie auch zu Kooperationen bereit sind. Zumindest gilt das dann, wenn nicht alles an einer einzigen Entscheidung hängt Robert Axelrod hat das als Tit-for-Tat-Strategie bezeichnet.

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Das bedeutet: Einer lässt einen Versuchsballon steigen, um zu sehen, wie es denn etwa wäre wenn die "Kollegen" einander nicht als Konkurrenten, sondern als Verbündete behandeln würden; wie es wäre, wenn die einzelnen Abteilungen im Betrieb einander nicht primär zu überflügeln, sondern zu unterstützen versuchten. Davon, wie die anderen auf diesen Versuchsballon reagieren, hängt dann das eigene weitere Verhalten ab. Auf positive Reaktionen wird positiv reagiert, auf negativ-ablehnende ebenso negativ-ablehnend. Praktiziert wird eine Strategie des flexible response nach dem Muster Aug um Aug, Zahn um Zahn, so dass es zu keiner Einbunkerung im nichtkooperativen Verhalten kommt, andererseits aber auch niemandem das Image des ausbeutbaren Waschlappens angehängt werden kann, der auf jeden Fall den "Teschek" macht. Das Miteinander hat so die Chance sich mehr und mehr gegen das Gegeneinander zu etablieren.

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Der deutsche Sozialethiker Friedhelm Hengsbach schreibt: "Während kooperative Entscheidungsregeln, sofern sie in kleinen Gruppen auftreten, ein nicht-kooperatives Milieu umkehren können, sind sie, nachdem sie sich ausgebreitet und etabliert haben, gegen eine Invasion nicht-kooperativer Entscheidungsregeln stabil. Es gibt eine Art Rücklaufsperre in der Evolution der Kooperation."(2)

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Wunderbar! Das ist die Lösung des Problems; und damit bin ich auch schon fertig.

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Leider nicht. Denn wir haben nun zwar einen schönen Kooperationsmotor mit Kolben und Einspritzanlage und Pleuelstange etc. Aber wir haben keinen Starter, keinen Funken aus der Zündkerze.

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Selbst unter den Laborbedingungen des spieltheoretischen Experiments entsteht Kooperation nur dann, wenn es jemanden gibt, der damit beginnt, einen ersten Schritt setzt. Jemand muss den Versuchsballon steigen lassen, das Risiko des Vertrauensvorschusses nehmen. Damit der Teufelskreis aus Misstrauen und destruktiver Konkurrenz zerbröckelt, müssen Kooperationskerne vorhanden sein, an denen das Verhalten anderer kondensieren kann. Es müssen "... Gruppierungen von Spielern, die kooperationsbereit sind und auf diejenigen, die eine Kooperation anbieten bzw. sie verweigern, differenziert reagieren." (3) vorhanden sein. Das Setzen eines solchen Anfangs stellt aber eine Investition dar, die möglicherweise abzuschreiben ist.

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In einer Welt von Egoisten gilt der Satz, dass keine gute Tat ungestraft bleibt. Kann man sich aber sicher sein, dass die anderen nicht Egoisten sind? Wohl kaum. Daher haben wir es mit einem Dominoeffekt zu tun, der nicht stattfindet, weil jeder Stein in der Reihe fürchtet, ausgerechnet sein Nachbar könnte tückischerweise festgeklebt sein. In diesem Fall wäre es ein peinlicher und kostspieliger Lapsus als erster umzufallen.

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Die traditionelle Lösung für dieses Dilemma lautet: Vertrag. Immanuel Kant hat einmal gesagt: Selbst ein Volk von Teufeln, wenn diese Teufel nur vernünftig sind, wird an die Stelle eines unberechenbaren Kampfes aller gegen alle einen Gesellschaftsvertrag setzen, (4) mit Regeln und Sanktionen für die Regelübertretung. Das mag sein. Aber andererseits muss man wohl sagen, dass jenseits solcher Regeln, Normen und Vorschriften und jenseits der Sanktionen für ihre Nichteinhaltung auch ein Volk von Engeln nicht zu kooperativem Verhalten bereit sein wird, solange auch nur die Gefahr besteht, dass einer von ihnen ein Luzifer ist. Zumindest wird das der Fall sein, wenn diese Engel nur vernünftig sind. Wenn sie nur vernünftig sind und nicht mehr.

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Freilich sind vorteilsrationalen Überlegungen entsprungene Regeln, Vorschriften, Kodizes unverzichtbar und prägend für die Kultur von Gemeinschaften. Das gilt für die Gesamtgesellschaft ebenso wie für Unternehmen. Wo Zusammenarbeit aber ausschließlich auf sanktionierbaren Vorschriften beruht, wird die Kultur des Unternehmens eine Kultur des Misstrauens bleiben, in der die Paranoia der Konkurrenz die Oberhand behält. Denn in diesem Fall wird die Versuchung als freerider den eigenen Vorteil zu maximieren unwiderstehlich sein.

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Die erste Schlussfolgerung aus meinen Überlegungen lautet daher: Eine Unternehmenskultur, die mehr sein will als eine Art ökonomischer Hochrüstung der Mitarbeiter, in der es kurzfristig immer nur wenige Sieger, langfristig nur Verlierer geben kann, hängt von Personen ab, die wider alle Regeln der Rationalität bereit sind, Vertrauensvorschüsse auszuzahlen und in das Risikokapital der vorbehaltlosen Kooperation zu investieren.

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Eine kooperative Unternehmenskultur lebt also davon, dass die handelnden Personen nicht rein rationale Wesen sind. Ich gehe davon aus, dass diese Voraussetzung im Unternehmen erfüllt ist. Denn in den seltensten Fällen agieren wir im unmittelbaren Nahbereich mutually disinterested. Der Mensch ist kein rationaler Nutzenmaximierer, kein homo oeconomicus. Diese Modellannahme mag im Rahmen volkswirtschaftlicher Rechenbeispiele einigen Erkenntniswert haben, um Interaktionen auf betrieblicher Ebene zu verstehen ist sie völlig unbrauchbar.

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Was fehlt dann aber noch zum Gelingen einer Unternehmenskultur, in der die Wettbewerbsparanoia überwunden ist?

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Richtig ist, dass die Tatsache unserer Emotionalität und Leidenschaftlichkeit so etwas wie Kultur überhaupt erst ermöglicht. Ohne sie wären soziale Gebilde entweder bürokratische Maschinen oder biologische Organismen. durch diese Tatsache ist aber noch nichts über die Gestalt dieser Kultur ausgesagt. Ich bin mit meinen Überlegungen also noch immer nicht zu Ende.

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Dass der Mensch nicht nach dem Modell des homo oeconomicus funktioniert, heißt auch, dass es ihm im wirtschaftlichen Handeln nicht nur um Vorteile geht, die unter die Kategorien Ge- oder Verbrauchsgüter fallen. Das Gut, um das es im Wettbewerb immer auch geht, ist Anerkennung, ist Ansehen, ist Aufmerksamkeit.

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Georg Franck schreibt in seinem beachtenswerten Buch über die Ökonomie der Aufmerksamkeit: "Vom Einkommen an Aufmerksamkeit kann man zwar nicht leben, von der Beachtung, die man einnimmt, lebt aber die Selbstwertschätzung. Vom Einkommen an Aufmerksamkeit hängt ab, welches Selbstwertgefühl man sich leisten kann." (5)

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Wie kommt man zu Ansehen? Dafür gibt es eine Unzahl möglicher Strategie, aber eines ist sicher. Ich weiß, dass ich Ansehen genieße in dem Augenblick, in dem andere meine Strategie bewundern und daher nachzuahmen beginnen. Wenn die Kollegen anfangen meinen Stil zu imitieren, wenn sie in den gleichen Medien publizieren wollen wie ich, wenn sie scharf darauf sind, in den gleichen Kreisen zu verkehren, mit den gleichen Leuten ins Geschäft zu kommen etc. - dann habe ich es geschafft. Ist das nicht das Ziel von uns allen, dass man von uns sagt: "So musst du es machen wie er oder sie, das ist der Weg zum Erfolg!"

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Natürlich. Nur handelt es sich dabei um kein Ziel das zu erreichen wäre. Denn die Anerkennung, nach der wir alle so sehnsüchtig verlangen, ist zugleich das schlimmste, was uns passieren kann.

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Die Crux der Trendsetter ist es, dass sie nur Trendsetter sind, wenn sie Nachahmer finden, dass sie aber von dem Augenblick an, in dem sie den ersten Nachahmer finden, unweigerlich und unabwendbar im Durchschnitt zu versinken beginnen.

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Auf zu neuen Ufern lautet also die Devise; und das fortlaufend. Die gehetzte Existenz des modernen Menschen, insbesondere die gehetzte Existenz des modernen Wirtschaftstreibenden hängt damit zweifellos zusammen.

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Neuerlich gilt, dass ein derart vorwärtsgepeitschtes Verhalten nicht unbedingt im Sinne des Unternehmens und seiner nachhaltigen Prosperität liegen muss. Denn Ansehen - die Währung der Anerkennung - ist ein symbolisch generalisiertes Medium ebenso wie Geld, dessen Symbolwert nicht unbedingt durch reale Güter und Leistungen gedeckt sein muss. Auch Anerkennungsaktien können überbewertet sein. Und wo die Kurspflege dieser Aktien zum dominierenden Entscheidungskriterium und Handlungsmotiv der Mitarbeiter in einem Unternehmen wird, wird die substantielle Entwicklung des Unternehmens bald darunter leiden.

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Der Anerkennungsmarkt ist vielfach ein Tauschmarkt dessen Währung erst durch die Mittel der Evaluation in ihrem Wert objektiviert wird. Wenn Kennzahlen für erbrachte Leistungen ins Spiel kommen, wird die Zuschreibung einer Leistung zur Person bzw. zur Abteilung aber endgültig entscheidend.

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Kein noch so exzellenter und hochmotivierter Mitarbeiter, keine noch so hervorragende und teamfähige Abteilung kann immer erfolgreich sein. Misserfolge sind unvermeidlich; besonders in einem Umfeld, in dem nicht ein exakt bestimmbares Ziel zu erreichen ist, sondern das Ziel darin besteht, besser zu sein als die Anderen. Genau darum geht es aber wenn alle nach den Regeln des benchmarking einem Hasen nachjagen, wie die Windhunde auf der Rennbahn.

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Sobald sich ein Misserfolg zeigt empfiehlt es sich unter diesen Bedingungen im Sinn der Kurspflege der eigenen Anerkennungsaktie für jeden Akteur, möglichst weit vom Epizentrum des Versagens entfernt zu sein. Das heißt; wer immer es sich irgendwie leisten kann, wird Verantwortung für Misserfolge von sich weisen, die Verantwortung für Erfolge aber so gut nur irgend möglich für sich beanspruchen. Das blame-management überwuchert zusehends das result-management.(6)

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Das ist ein Spiel, das dazu führt, dass Verpackung und Präsentation wichtiger werden als die tatsächlich erbrachte Leistung, dass der Schein über das Sein zu dominieren beginnt. Das ist ein Spiel, das Kooperation und Teamwork hemmen kann, weil niemand seine Karten offen auf den Tisch legt. Das ist ein Spiel, in dem mögliche Schwächen vertuscht und ihre Aufarbeitung dadurch auf die lange Bank geschoben wird etc.

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Handelt es sich um eine Gruppe, die evaluiert wird und sind Fehlleistungen nicht zu verbergen, bietet sich Mobbing als probate Lösung an. Mobbing bedeutet in unbewusster Einhelligkeit einen im Team zum Letzten zu bestimmt, den die Hunde in jedem Fall beißen. Für alle anderen Beteiligten ist das sehr beruhigend und es wirkt auch harmonisierend. Der Kabarettist Alfred Dorfer hat es einmal so ausgedrückt: "Jede Gruppe hat ein Arschloch, sonst ist sie keine."

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Dabei werden im Grunde sehr archaische Rituale vollzogen. Es erfolgt zwar nicht mehr die blutige Schlachtung eines Sündenbockes, aber die kollektive Ausstoßung eines Einzelnen, der für alle Fehler verantwortlich gemacht werden kann und so den Rest der Gruppe eint und von ihren Fehlern rein wäscht, bleibt die selbe, wie wir sie auch schon in mythologischen Opferreligionen finden.

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Das Spiel um Ansehen und Anerkennung droht zu einem selbstreferentiell geschlossenen System zu werden. Dieses kann auch positive Effekte für seine Umwelt, zu der dann auch die eigentlichen Unternehmensaufgaben gehören, erbringen. Sein eigentliches Interesse besteht aber in der selbstbezüglichen Produktion von Anerkennung und nicht mehr darin, gute Produkte und Dienstleistungen herzustellen.

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Rudolf Stichweh hat einmal den zeitgenössischen Wissenschaftsbetrieb als solch selbstreferentielles System dargestellt,(7) in dem eine Aussage, These oder Theorie primär dadurch Geltung erhält, dass sie Referenzpunkt anderer Forschung ist. Zugespitzt und etwas salopp könnte man sagen: Wahr ist, was zitiert wird. Ebenso wie sich dadurch der Wahrheitsbegriff von der Wirklichkeit zu lösen beginnt, kann eine vordringlich um das blame-management kreisende Unternehmenskultur sich mehr und mehr von den eigentlichen Unternehmenszielen verabschieden.

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Wiederum gilt es also einen Teufelskreis zu durchbrechen. Aber wie? Wer wird es diesmal wagen eine Investition zu tätigen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit abzuschreiben ist. Wer wird freiwillig sein Renommee auf's Spiele setzen, indem er Verantwortung für Misserfolge übernimmt und Lob oder die Anerkennung für Erfolge mit anderen teilt?

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Das zu fordern ist wohl noch anspruchsvoller, ja unverschämter, als zu fordern, jemand möge einen materiellen Nachteil riskieren, um eine Konkurrenzsituation für Kooperation zu öffnen. Vertrauensvorschüsse zu gewähren, wo es um Ansehen und Status und damit letztlich um Selbstwert geht, ist nicht nur riskant, es ist brisant. Wobei in diesem Fall wohl auch vertraglich vereinbarte Regeln nicht weiter helfen.

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Eine derartige Vorleistung an Vertrauen zu erbringen, und sich damit selbst zu riskieren, kann wohl nur von Menschen erwartet werden, deren Selbstwertgefühl und deren Selbstsicherheit auf ein anderes Fundament gegründet ist, als auf das der überaus volatilen wechselseitigen Anerkennung. Ich wage daher als zweite Schlussfolgerung meiner Überlegungen zum Schluss die Behauptung: Eine Unternehmenskultur, in der vertrauensbasierte Kooperation im Zentrum steht, eine Unternehmenskultur, die es daher nicht nötig hat auf systematisiertes Mobbing zurückzugreifen, gründet nicht nur auf Personen, die Grundhaltungen jenseits der Kosten-Nutzen-Rationalität und der Logik von Norm und Sanktion in das Geschehen einbringen. Eine solche Unternehmenskultur hängt von Menschen ab, deren Leben eine spirituelle Dimension hat.

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Dabei verstehe ich unter Spiritualität eben eine Grundhaltung in der ein Mensch aus eine Kraft lebt, die er nicht selbst ist und die sich auch nicht im Wechselspiel zwischenmenschlicher Interaktion erschöpft. Natürlich gibt es eine Vielfalt spiritueller Haltungen, die dieser Definition entsprechen, es wird Sie aber wenig überraschen, dass ich als katholischer Theologe christlichen Formen der Spiritualität den Vorzug gebe. Daran aber, dass ein auf Dauer erfolgreiches und menschengerechtes Wirtschaften ohne spirituelle Basis möglich ist, weder auf globaler, noch auf betrieblicher Ebene, lässt sich meines Erachtens nicht rütteln. Denn ohne diese Basis erschöpfen wir uns unentrinnbar selbst im paranoiden Wettbewerb um wechselseitige Anerkennung.

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Anmerkungen:  

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 1. Jim/McGeeney John, Manager - Klug wie die Schlangen. Wirtschaftsethik und Büropolitik (Beiträge zur mimetischen Theorie 13) Thaur/Münster u.a. 2002, 37.

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2. Freidhelm, Die andern im Blick. Christliche Gesellschaftsethik in den Zeiten der Globalisierung. Darmstadt 2001, 57.

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3. NAME="N_4_">4. Kant Immanuel, Zum Ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. In: Ders. Werke Bd. 6. Köln 1995, 279-333, 307.

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5. Georg, Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München 1998, 14.

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6. Grote Jim/McGeeney John, Manager - Klug wie die Schlangen. Wirtschaftsethik und Büropolitik (Beiträge zur mimetischen Theorie 13) Thaur/Münster u.a. 2002, 83-87.

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7. Stichweh Rudolf, Die Autopoiesis der Wissenschaft. In: Baecker Dirk u.a. (Hg.), Theorie als Passion. Niklas Luhmann zum 60. Geburtstag. Frankfurt a.M. 1987, 447-481.

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