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Das Mark des Ganzen in sich tragen – Ostern damals und heute
(Predigt in der Jesuitenkirche am Ostersonntag, 31. März 2024 um 11.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2024-04-03

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Evangelium: Joh 20,1-9

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Zuerst Ratlosigkeit und Trauer. Dann Furcht und Entsetzen. Von Halleluja und lautem Jubel keine Spur. Aufgebracht stürzt Maria von Magdala in den Raum, in dem sie sich verbarrikadiert haben, labert etwas von Leichenraub und sorgt damit für Panik. Auf die Nachricht hin verlassen einige eiligst die Stadt. Fliehen, fliehen, ganz gleich wohin. Warum nicht auch nach Emmaus? Sie wollen den „Jesustrip“ in ihrem Leben abschließen, keine Scherereien mit Polizei, Tempelwache und weiß Gott mit wem auch immer haben; sie wollen wieder ein normales, bürgerliches Leben führen, die Religion und Begeisterung für Gott auf ein Minimum reduzieren, gemütlich mit ihren Familien frühstücken, ihrem Job nachgehen, konsumieren, und höchstens ihren Enkeln erzählen von den alten Zeiten, als man da frömmigkeitstrunken ausgerissen ist aus dem bürgerlichen Alltag.

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Und die Anderen? Sie rennen zum Grab. Um die Wette! Und was finden sie? Den weggewälzten Stein und die Leinenbinden. Was sollen sie nun denken? Was der lästigen Maria von Magdala und schon bald den anderen Frauen sagen? „Warum sind wir denn bloß hierher gerannt und nicht nach Emmaus? Warum sind wir nicht in der geschlossenen Stube sitzen geblieben, mit Wundenlecken beschäftigt, oder schon mit der Niederschrift der Erinnerungen, gar mit der Erforschung der Traditionen? Aus der distanzierten Perspektive hätten wir doch einiges an Hypothesen vorlegen können: zur Erklärung des leeren Grabes. Rational durchdacht, auf alle möglichen Folgen Rücksicht nehmend. Warum sind wir bloß hierher gerannt?“

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Liebe Schwestern und Brüder, das Evangelium tut sich nicht leicht mit der Botschaft von der Auferstehung. Auf den ersten Blick scheint es genauso skeptisch zu sein, wie der moderne Mensch. Es zeigt Verständnis für die Fliehenden, Erschrockenen und Zweifelnden – fast schon so, als ob es uns, den modernen Menschen, eine Entschuldigung liefern möchte: für unsere Skepsis! Für den fehlenden Glauben! Das Evangelium spricht nämlich nicht von einem Gott, der Jesus so auferweckt haben wollte, dass die ganze Welt problemlos glaubt.

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Und warum? So paradox es zuerst klingen mag: Das Evangelium spricht so, dass wir – auch oder gerade wir, die Modernen – das Geheimnis von Ostern mit den Augen unserer Alltagsrationalität betrachten können, damit auch die Religion und Begeisterung für Gott auf ein Minimum reduzieren und das unbegreifliche Geheimnis auch verständlich finden können. Wie wir halt den Wechsel der Jahreszeiten verständlich finden, den Winter und den Frühling und die ganzen Kohorten der Osterhasen, die beim aufbrechenden Frühling unsere Regale und Gärten bevölkern. Ostern sei doch auf Schritt und Tritt greifbar, sagt uns der kulturelle Mainstream. Wir alle kennen doch das Auf und Ab im Leben, den Aufstieg und Fall, und das Nichtaufgeben beim Misserfolg und bei der Pechsträhne. Gerade dann, wo man schon dabei ist, alles hinzuschmeißen, weil alle Türe zugeschlagen werden, gerade dann öffnet sich ein Fenster. Ganz unerwartet. Das Evangelium spricht also zuerst so, dass wir das Geheimnis von Ostern mit den Augen unserer Alltagsrationalität betrachten können und das Glaubensbekenntnis „Auferweckt von den Toten” für jedermann verständlich übersetzen können. Und wie? „Die Sache Jesu geht halt weiter. Trotz aller Hindernisse, trotz Kreuzigung und Tod“. Eine klare und verständliche Aussage für alle: für Juden und Muslime, für Areligiöse und sogar für Atheisten. So ganz falsch sind solche Deutungen nicht. Sie bringen ein wenig Licht in die Dunkelheit des Karfreitags und der Osternacht. Zum entscheidenden Kern des Geheimnisses von Ostern vermögen sie aber trotzdem nicht ganz durchzustoßen.

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Und wie sieht dieser Kern des Geheimnisses aus? Liebe Schwestern und Brüder, was sich da in der Nacht von Samstag auf Sonntag ereignet hat: Darüber weiß keiner zu berichten! Man möchte fast sagen: wir haben vor uns den Inbegriff von Privatsphäre der Betroffenen, den Inbegriff der Intimität, der nicht mehr überboten werden kann: dem Auge und dem Ohr der Voyeure radikal entzogen, und auch dem sezierenden Verstand des Wissenschaftlers! Kann man diese Logik begreifen? Man kann sich mit Analogien verhelfen: schon bei der Entstehung eines jeden menschlichen Lebens ist ein gewaltiger Grad an Intimität im Spiel, der Intimität zwischen Gott dem Schöpfer und dem Geschöpf, das da gerade ins Leben gerufen wird. Umso mehr Intimität ist hier zu glauben: beim Vorgang der Entstehung des menschlichen Lebens durch den Tod hindurch. Denn darum geht es! Gott, dieser Liebhaber des Lebens schenkt dem öffentlich geschundenen Jesus, dem getöteten, der Vernichtung preisgegebenen, dem Kreislauf von Geborenwerden und Vergehen unterworfenen Menschen, Gott schenkt ihm ein Leben, dessen Lebensqualität all das bisher Vertraute sprengt! Zu Ostern springt die ewige Intimität, die ewige Liebe zwischen Vater und Sohn auf die Menschheit über. Damit begründet Ostern eine neue Beziehung zwischen Gott und der sterblichen Menschheit, eine Beziehung, für die Gott allein – und nicht wir – verantwortlich ist. Eine Beziehung, die durch alle Brüche hindurch, gar durch den Tod hindurch bestehen bleiben wird, eine Beziehung, aus der Millionen von Menschen jahrtausendelang ihre Hoffnung nähren konnten, oder aber ihre Wut über das, was sich naturwissenschaftlich nicht verifizieren, nicht einmal digitalisieren lässt.

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Wenn aber eine kühl distanzierte rationale Erklärung dem österlichen Geheimnis nicht auf die Spur kommen kann, wer vermag dann das Wunder wahrzunehmen? Kann die Analogie zum Wunder der Entstehung des menschlichen Lebens hier weiterhelfen? Die Intimität zwischen Gott und dem Geschöpf wird da durch einen konkreten Menschen, durch eine Frau: durch die Mutter in unsere Erfahrungswelt vermittelt. „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, sagte der Fuchs zum kleinen Prinzen in dem weltberühmten Roman von Saint-Exupery. Die Frau meinte, es sei der Gärtner und sagte zu ihm: „Herr, wenn du ihn weggebracht hast...“ Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf Aramäisch: Rabbuni“ (Joh 20,15f.) Auch hier also die Frau, jene Frau, die viel geliebt und wenig moralisiert hat, aber in unzähligen Sackgassen gesteckt war und auch eine Menge gelitten hatte, aber dann paradoxerweise noch mehr liebte, Maria von Magdala: Als erste vermag sie den auferweckten Christus zu erkennen, das neue, von Gott bewirkte Leben wahrzunehmen. Man sieht ja nur mit dem Herzen gut.

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Worauf will ich hinaus? Auf dem Boden der gleichen Erfahrung von Misserfolg und Glück, von Aufstieg, Fall und Neubeginn, von der uns lähmenden Decke, die uns auf den Kopf fällt und den klar bilanzierbaren Hoffnungen, Hoffnungen für die auch unsere Osterhasen stehen, auf dem Boden der gleichen Erfahrung von Vergänglichkeit des Lebens öffnet das Evangelium einer Jüngerin die Augen. Sie erkennt den Auferstandenen, sie nimmt dieses neue Leben wahr, ihr Herz fängt an zu brennen. Und weil ihr Herz zu brennen beginnt, wird sie zur ersten Zeugin der Auferweckung. Durch ihre Liebe wird sie also zu jenem Menschen, der „das Mark des Ganzen in sich trägt“. So hat der große russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski in seinem Roman „Die Brüder Karamasow“ eine Ausnahmeexistenz qualifiziert. Auch wenn die übrigen Menschen sich von diesem Mark des Ganzen losgerissen haben, vermag der Einzelne, vermögen die Wenigen, dieses Ganze in der Welt präsent zu halten und sind damit so etwas wie die Garanten der Hoffnung.

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Liebe Schwestern und Brüder, Das Evangelium spricht nicht von einem Gott, der Jesus so auferweckt haben wollte, dass die ganze Welt problemlos glaubt. Das Evangelium präsentiert uns einzelne Menschen, deren Herz brennt, Menschen die deswegen das Mark des Ganzen in sich tragen, das Mark jener Menschheit, die ihrer Auferweckung entgegengeht. Und das sind nicht nur wir: es sind auch jene, die der Religion nur wenig Raum in ihrem Leben geben, oder gar diesen Raum verschließen.

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Warum diese für einen Ostersonntag eher ungewöhnliche – auch ungewöhnlich trockene – Predigt? Aus mehreren Gründen. Unsere mediale Öffentlichkeit jubelt über den Niedergang des christlichen Glaubens, und auch uns – den Gläubigen – ist es mulmig zumute bei den Fragen über die Zukunft des Glaubens und die Zukunft der Menschheit. Das soziologische Netz der selbstverständlichen kirchlichen Kultur ist nicht nur gelöchert. Viele Zeitgenossen sehen darin geradezu eine Falle, die dem „Netz des Jägers“ (Ps 91,3) nicht ganz unähnlich ist, eine Falle, die nicht nur nichts zur Qualität des Lebens beiträgt, sondern diese erstickt. Wir dürfen nicht verzagen! Der österliche Blick auf Maria von Magdala, der Blick auf die anderen Apostel und die vielen Zeugen vergangener Zeit sollte uns für die Wahrheit und auch den Wert der Ausnahmeexistenzen sensibilisieren. Sie sind Menschen, die das Mark des Ganzen in sich tragen. Die anderen Menschen haben sich – aus welchen Gründen auch immer – von diesem Mark losgerissen. So lange es aber auch nur eine einzige Zeugin, einen einzigen Zeugen gibt, deren Herz für das Geheimnis brennt, sind die anderen mit im Boot. Gerade am Ostersonntag bekommen wir vom Auferstandenen zu hören: Ihr seid jene Menschen, die durch euren schwachen Glauben das Mark des Ganzen in sich tragen. Eure Herzen brennen doch – wenn auch oft nur schwach! Freut euch also und seid auf eine gesunde Weise stolz, stolz auf euren Glauben, den Glauben, der ja das Mark des Ganzen ist. Beglücken wir zu diesem Privileg, zu der Gnade, die uns zuteilwurde, jener Gnade, die uns erlaubt, in das Bekenntnis einer Maria von Magdala einzustimmen: Rabbuni!

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