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Predigt zur Eröffnung des Sommersemesters 2024 der Theologischen Fakultät Innsbruck

Autor:Rutishauser SJ Christian
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2024-03-26

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesung:      2 Kön 5,1-15a
Evangelium:     Lk 4,24-30

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Sehr geehrte Angehörige der Theologischen Fakultät Sehr geehrte Damen und Herren

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Wir haben es im Evangelium gehört. Jesus erinnert seine Landsleute daran, dass die Propheten Elija und Elischa nicht unter ihnen, sondern an Fremden heilend gewirkt haben. Jesus erinnert sie daran, dass der Gott Israels nie nur für sein Volk da ist. Er ist der Gott der ganzen Schöpfung. Daher steht auch der Bund mit Israel seit Anbeginn im Dienst der ganzen Menschheit. Die Israeliten sollen ein heiliges und priesterliches Volk sein, haben also eine stellvertretende Aufgabe für die Völker. Auch schon Abraham, Sara und ihre Sippe sind berufen worden, um für die Völker Segen zu werden. Durch den ganzen Tenach hindurch wird Israel immer in Anund Abgrenzung, also in Beziehung zu den anderen Völkern verhandelt.

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So ist es auch heute verkürzt zu sagen, das Judentum sei eine partikulare Glaubensgemeinschaft, deren Gottesbeziehung durch das Neue Testament universalisiert worden sei. Judentum partikular, Christentum universal – eine oft gehörte Formel und dennoch falsch, auch wenn das jüdisch-christliche Verhältnis so beschrieben werden kann, dass durch den neuen Bund in Christus, die Menschen aus den Völkern in einen Bund mit dem Gott Israels hinzugekommen sind. Das Judentum selbst hat aber einen universalen Anspruch, wenn es mit den noachidischen Geboten den Bund für die Völker beschreibt. So wie das Christentum wiederum partikular ist, weil nur dazu gehört, wer sich auf die Geschichte Israels und seines Messias Jesus Christus einlässt. Für Juden wie Christen stellt die Offenbarung ein concretum univerale dar, wenn auch in unterschiedlicher Form. So provoziert das Judentum genauso universal, wie das Christentum den Anspruch hat, allen Menschen zu Jüngern Jesu zu machen. Gerade das Pogrom vom 7. Oktober und der nun tobende Gazakrieg zeigen, dass sich niemand, auch säkulare Menschen nicht, dem Judentum entziehen können. Als kleine Minderheit spielte das jüdische Volk in der gesamten europäischen Geschichte immer wieder eine strukturierende Scharnierrolle. In unseren Tagen taucht nun die sogenannte Judenfrage, wie sie seit der Aufklärung gestellt wurde, in geänderter Form auf globaler Ebene wieder auf.

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Damit sind wir mitten in den Fragestellungen drin, die sich Karl Rahner und Raimund Schwager gestellt haben, letzterer sehr explizit, ersterer mehr implizit. Wie steht der christliche Glaube im Verhältnis zu anderen Religionen? Wie zum Judentum? Welche Bedeutung hat er für das Menschsein an sich? Welches ist die anthropologische Grundlage, auf der die christliche Botschaft – wie auch die jüdische – aufruht? Auf welche Fragen will sie antworten? Theologie vermittelt immer den Glauben mit der Vernunft einer Epoche, mit der Rationalität einer Gesellschaft. In der Mitte des 20. Jh. war dies nach Krieg und Schoa bzw. nach dem Konzil von besonderer Notwendigkeit. Rahner wie Schwager, zwei Jesuiten, sind unterschiedliche Wege gegangen. Beide aber waren zutiefst von ihrer Ordensspiritualität sowie den Exerzitien des Ignatius geprägt. Und seien wir uns bewusst: Bereits darin spielten Juden eine zentrale Rolle. Der Sekretär des Igantius, Polanco, war jüdischer Herkunft. Sein Nachfolger Diego Lainez, der zweite Ordensgeneral, war Jude. Nadal, der theologische Interpret und Mitstreiter des Ignatius hatte sogar eine rabbinische Ausbildung. Da die Conversos die junge Gesellschaft Jesu so sehr prägten, wurde sie im 16. Jahrhundert als „hebräische Synagoge in der Kirche“ beschimpft.

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Doch bleiben wir in unserer Zeit und zuerst bei Raimund Schwager. Er fand in der Kulturanthropologie eines René Girard bekanntlich eine Rationalität, die ihm zum Schlüssel wurde, die Bibel nicht nur historisch-kritisch, sondern auch theologisch-literarisch zu lesen. So konnte er als Dogmatiker eine Brücke zur Bibeltheologie schaffen und zugleich die Grenze auf die Literaturund Kulturwissenschaft hin überschreiten. Die Freiheit des Menschen, die die Moderne nur gegen Gott denken konnte, und zu der der Mensch in der Erfahrung von Ohnmacht und Gewalt befreit und erlöst werden muss, entschlüsselte er mit der Religionstheorie eines René Girard. In ihrem Zentrum steht der Opferbegriff, den er theologisch-religionswissenschaftlich so wie sozial-politische entfaltete. Der Opferbegriff, der von vielen Theologen und Theologinnen seiner Generation aufgegeben bzw. in die Religionsgeschichte verbannt wurde, wurde für Schwager zum Schlüssel.

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Von Kain und Abel an geht es der biblischen Literatur darum, die aus der Rivalität resultierende Gewalt zu überwinden. Prallen zwei Freiheiten letztlich immer nur gewaltsam aufeinander? Wie können die Opfer der Gewalt rehabilitiert bzw. sogar vermieden werden? Und sind die rituellen Opfer der Religionen und vielleicht auch in der altisraeltischen Zeit nur eine hilflose Verschleierung dieser Gewalt durch das Heilige? In den Gottesknechtsliedern, die die Vertreibung Israels aus dem verheissenen Land ins babylonische Exil reflektieren, und vollends das Nachdenken über den Foltertod Jesu am Kreuz scheint ein Weg jenseits eines clash of liberties, eines gewaltvollen Aufeinanderprallens von Freiheiten auf. Girard sah feinsinnig den aufklärerischen Impetus der mosaischen Tradition, der an die Stelle des rituellen Opfers Recht und Gerechtigkeit stellt. Gesetz und prophetische Interpretation treten an die Stelle von Gewaltausübung. Schwager interpretierte den Kreuzestod Jesu als Opfer und dessen erlösende Überwindung in der christlichen Dogmatik.

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Wenn also rivalisierende Gewalt einen Sündenbock fordert, um sozialen Kitt zu schaffen, sollten Juden wie Christen nicht mitmachen. Vielmehr gilt es den Mechanismus mittels einer Exilstheologie zu durchschauen bzw. in der Nachfolge Jesu und der Kraft Christi, die

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Gewaltdynamik von innen her zu transformieren. Doch die Juden sind in der Schoa wieder Sündenböcke und Opfer der Gewalt geworden. Die Kirche hätte mehr widerstehen müssen, denn sie ist die Gemeinschaft, die keinen Sündenbock mehr braucht, weil Christus den Preis für die Gemeinschaftsbildung bereits bezahlt hat. Mit Jesus hat die Kirche schon eine Leiche im Keller. Gerade in der Eucharistie, feiern wir Christus, der Kraft innerer Freiheit den Teufelskreis der Gewalt durchbrochen und durch seine Hingabe uns erlöst hat. Eucharistische Spiritualität lädt zur Nachfolge Jesu, zu einem „Mut zur Dramatik“, in der sich die Freiheit durch Hingabe vertieft und bewährt.

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Welche Reflexionen würde Raimund Schwager uns heute vortragen angesichts des Terrors der Hamas, der nicht nur Israelis ermordet, sondern auch die eigen palästinensische Bevölkerung opfert. Was würde er zur Gewalt des Staates Israel sagen, der die politische Freiheit nur so zu verteidigen weiss, dass dabei Tausende von Zivilisten umgebracht werden? Müssten nicht auch Juden aus ihrer reichen rabbinischen Exilstradition heraus alternative Wege finden, nicht in die Falle extremistischer Islamisten zu tappen? Und müssen wir nicht auch mutig öffentliche Worte finden, um rivalisierende Gewalt von innen her zu transformieren? Ich sehe uns heute als Juden, Christen und Muslime auf die Probe gestellt. So wie einst Gott Abraham auf die Probe stellte, von ihm forderte, den Sohn der Verheissung, Isaak, den er liebte zu binden und darzubringen. Wie können wir der Verheissung Gottes und unserer Berufung angesichts der Gewaltexzesse treu bleiben? Der Gott Israels, der Gott Jesu Christi und der Gott Muhammeds will über alle Grenzen hinweg wirken. Die auf ihn hören, sollen zum Segen werden. Ohne Mut zur Dramatik geht es auch für uns nicht.

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Weniger dramatisch, fast schon systematisch abstrakt erscheint vor diesem Horizont die Theologie eines Karl Rahners. Er denkt nicht von einer Extremerfahrung aus wie jene der Gewalt. Das Leben besteht ja auch nicht nur aus Drama. Zum Glück nicht. Vielmehr verbindet er die Partikularität des christlichen Glaubens mit einer philosophischen Anthropologie der Transzendenzoffenheit. Auch Rahner bricht mit einem verobjektivierten Glauben. Er erschliesst dem modernen Menschen eine nicht mehr nachvollziehbare Theologie auf existentielle Erfahrung und Subjektivität hin. Dem um seinen Glauben ringenden getauften Zeitgenossen, der den Welterklärungen der verschiedenen religiösen Traditionen begegnet, hilft er, das Christentum interreligiös zu verorten. Dem sinnsuchenden, säkularen Individuum macht er ein Angebot, sich nicht in eine Kultur der Diesseitigkeit einzuschliessen. Gerade bin ich dabei, Texte von Rahner zu Literatur, Musik und Kunst zu lesen, die Gesa E. Thießen neu herausgegeben hat. Weniger bekannte Texte, die aber ganz in der Logik stehen, dass sich Gott durch alle Medien mitteilen kann, selbstverständlich auch jenseits explizit christlicher Inhalte. Rahners Theologie formuliert offen in andere Kulturbereiche hinein und entlang der Grenze der Erkennbarkeit. Dabei betont er die Kontingenz der Vernunft, nicht um den Glauben dagegenzusetzen, sondern gerade um die Vernunft zu weiten, sie offen zu halten und das Überschreiten zu fördern. Damit wird er anschlussfähig auch zu einer Rationalität in der Spätmoderne. Der Kirche in der Mitte des 20. Jh. musste er allerdings vor allem sagen, sie solle Gott um Gottes willen lassen. Sie solle aus einem engen Korsett der Gottverwaltung und Glaubensberechnung heraustreten. Wie Gott sich in Christus selbst entäußert und offenbart hat, so soll der Mensch sich lassen, um in den Dialog und Austausch des Lebens um des Lebens willen einzutreten. Rahner buchstabiert die grosse Schlussbetrachtung der Exerzitien des Ignatius, über den Liebesaustausches aller Kreaturen, in eine Offenbarungstheologie hinein aus.

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Gott ist der Deus semper major, das Geheimnis der Welt, das allen Menschen aller Zeiten und aller Kulturen nahe ist, gerade wenn er sich in unverbrüchlicher Treue an sein Volk bindet. Gerade wenn er neben sich keine anderen Götter erlaubt und sich in einmaliger Weise in Jesus Christus offenbart, so ist sein Name doch unaussprechlich und kein Bild kann von ihm gemacht werden. Sein menschenfreundliches Gesicht in Jesus aus Nazareth verhüllt er am Kreuz. Die Offenbarung geht mit Entzug einher und nur eine „negative Christologie“ wird dem Geheimnis Gottes gerecht: ungetrennt und unvermischt, unveränderlich und ungeteilt, wie Karl Rahner in Erinnerung gerufen hat.

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Ich komme am Ende meiner Predigt auf die Lesung aus dem Buch der Könige zurück. Gott ist zugänglich und bleibt doch ein Geheimnis. So musste der König von Israel lernen, wie wir gehört haben, dass der fremde Syrer Naaman nicht mit feindlicher Absicht kommt; seine Erwartung wird aufgebrochen. Naaman will zum Gott Israels, wie ihn der König von Israel nicht einmal kennt. Zugleich muss aber auch Naaman seine Erwartung loslassen, der Gott Israels würde sich als mächtiger Heiler vor seinen Augen inszenieren. Vielmehr muss er sich Rinnsal Jordan waschen, obwohl er in seiner Heimat mit dem Euphrat mächtigere Wasser hat. Naaman wurde überrascht. Auch in Jesus hat sich der Messias Israels in einer Art und Weise gezeigt, wie es keiner Messiaserwartung entsprach. Lassen wir uns heute als Christen, Juden und als Muslime von Gott überraschen. Eine „negative Spiritualität“ – in die jüdische, christliche und muslimische Tradition eingeschrieben – ist vielleicht die beste Haltung, die Gott ermöglicht, selbst angesichts der Verworrenheit der Geschichte heilbringend zu wirken.

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P. Dr. Christian M. Rutishauser SJ ist Delegat für Hochschulen der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten.

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