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Von Machtmissbrauch und Erwachsenwerden im Glauben
(Gedanken zum 31. Sonntag im Jahreskreis 2023 (LJ A))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2023-11-13

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Evangelium Mt 23,1-12

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Liebe Gläubige,

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an was – oder besser: an wen – mussten Sie denken, als Sie das Evangelium gehört haben? Wahrscheinlich nicht an Schriftgelehrte und Pharisäer. Vielleicht an Eminenzen, Exzellenzen und Hochwürden, an Magnifizenzen und Spektablilitäten, an Präsidenten, Professorinnen und Doktorinnen, Vorstandsvorsitzende, Minister und Abgeordnete – kurz an Menschen, die ihren besonderen Status schon im Titel vor sich hertragen und allein dadurch schon eine Vorzugsbehandlung genießen.

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Oft kommt noch dazu, dass die Genannten tatsächlich besondere Machtpositionen innehaben und daher wirklich den Menschen schwere Lasten auferlegen können: Gebote, die man nicht übertreten soll; Gesetze, die man einhalten muss; während sie selbst die Gebote nicht so ernst nehmen und die Gesetze auch mal umgehen. Was Jesus in diesem Evangelium anprangert, ist uns nicht fremd, wir kennen es gut. Wir wissen: Menschen, die in Autoritäts- und Machtpositionen sind, missbrauchen diese Macht allzu leicht. Und wenn sie dies tun, dann missbrauchen sie dabei nicht nur ihre Macht, sondern auch die Menschen, über die sie Macht haben. Da fällt einem natürlich sofort der Skandal des sexuellen Missbrauchs und dessen Vertuschung durch Kleriker ein, der in immer weiteren Ländern hochschwappt. Doch es gibt auch andere Formen des Missbrauchs: geistlichen Missbrauch, bei dem Menschen durch „frommen“ Druck zu Frömmigkeitsformen oder Lebensweisen genötigt werden, die ihnen nicht guttun. Und wir haben auch gelernt, dass das nicht nur in der Kirche geschieht, sondern alle gesell­schaft­lichen Settings, in denen ein großes Macht- und Autoritätsgefälle herrscht, dafür anfällig sind.

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Was Jesus hier also anprangert, ist uns nicht fremd. Die Frage ist nur, ob Jesus dafür auch eine Lösung hat. Seine Lösung scheint zunächst recht eingängig: „Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn […] ihr alle […] seid Brüder“ (Mt 23,8) – ich denke, wir übersetzen besser – „Geschwister“. Bedeutet das nicht, die Feststellung einer Gleichwertigkeit unter allen Menschen? Wenn wir alle Geschwister sind, dann gibt es zwischen uns Menschen kein Autoritäts- und Machtgefälle mehr, wir alle sind gleich an Würde, gleich an Rechten, gleich an Wert. – Wer hätte das gedacht, Jesus als Vordenker der Moderne und der Demokratie. Denn, was anderes ist das, als der Grundgedanke, auf dem die modernen Ideen von Menschenrechten und Demokratie basieren?

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Und doch: Auch in der Demokratie wird Macht ausgeübt, wenn auch zeitlich begrenzt. Und es scheint so zu sein, dass Menschen ein großes Bedürfnis nach Autoritätsfiguren und Vorbildern haben: Kinder schauen von sich aus zu Älteren auf und orientieren sich an ihnen. Das Autoritätsgefälle zwischen diesen Kindern und Erwachsenen scheint naturgegeben. Jugendliche wollen sich davon befreien, finden die eigenen Eltern auf einmal peinlich und wollen selbstständig sein. Sehr oft tauschen sie aber nur die elterliche Autorität gegen eine andere: die der peer group, der Influencer oder irgendwelcher anderer Berühmtheiten. Und auch wir Erwachsenen sind nicht viel anders, laufen immer wieder irgendwelchen Idolen nach und sind dann umso enttäuschter, wenn sie nicht unseren hehren Idealen entsprechen. Unsere Kirche macht uns auch immer wieder darauf aufmerksam, dass sie keine Demokratie sein könne, dass es in ihr einfach Autorität, Amt und Hierarchie brauche. Ist das nur eine – heute nicht mehr raffinierte, sondern äußerst unglaubwürdige – Abwehrstrategie?

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Nun, ich habe vorhin zwei ganz wichtige Elemente von Jesu Worten weggelassen. Er sagt nicht nur, dass wir Geschwister sind. Er sagt: Nur einer ist euer Meister und Lehrer (vgl. Mt 23,8.10 – nämlich er selbst. Und: „nur einer ist euer Vater, der im Himmel“ (Mt 23,9). Jesus ist sich also bewusst, dass wir Autoritäten und Vorbilder brauchen. Wir sind darauf angelegt. Die Abschaffung jeder Autorität erzeugt nicht mehr Frieden und weniger Missbrauch. Sie macht uns orientierungslos und birgt die Gefahr, dass wir Scharlatanen nachlaufen, die uns Sicherheit und einfache Antworten vorgaukeln. Auch das erleben wir doch zur Genüge. Je mehr die üblichen Autoritäten an Glaubwürdigkeit und Ansehen verlieren, desto schräger und dreister werden jene, die an ihre Stelle treten wollen.

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Was aber würde es bedeuten, nur Jesus als Meister, und nur Gott als unseren Vater anzuerkennen? Ich würde es gerne als ein Erwachsenwerden im Glauben verstehen. Jesus und sein Vater sind nämlich anders als irdische Autoritäten. So seltsam es klingt, aber der himmlische Vater will nicht angehimmelt werden. Der Vater in einem berühmten Gleichnis sagt zu seinem treuen, aber beleidigten Sohn: „Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein.“ (Lk 15,31) Er sieht diesen Sohn also als erwachsen gewordenes „Kind“, das nicht unterwürfig fragen muss, was es darf oder nicht, sondern als Partner auf Augenhöhe, der eigenverantwortlich mit dem Besitz des Vaters umgehen darf. Und wenn Jesus uns auffordert: „Der Größte von euch soll euer Diener sein“ (Mt 23,11), dann hat er das zunächst mal auf sich selber bezogen. Er wurde der Diener aller, um sie zu befreien.

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Wenn wir also immer wieder in autoritäre Abhängigkeitsmuster verfallen, dann weil wir uns zu wenig auf Gott und Christus verlassen, wie sie sind, sondern sie immer noch wahrnehmen wie irdische Autoritäten. Wenn wir in der Kirche immer noch an Klerikalismus und ähnlichen Dingen leiden, dann weil alle Beteiligten – Kleriker und Laien – als Geschwister zu wenig erwachsen sind; darum glauben bei den einen viele immer noch, sie müssten einen pseudo-frommen Schein aufrechterhalten, und bei den anderen, sie bräuchten irdische Vater- und Lehrerfiguren. Was wir eher brauchen, sind mitgehende Geschwister, die uns begleiten und beraten, aber nicht dominieren wollen. Und wenn sie es denn doch versuchen, gilt auch in der Kirche, was Petrus dem Hohen Rat in Jerusalem antwortete: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apg 5,29)

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Jesus ist es nicht gelungen, seine Zeitgenossen und ‑genossinnen davon zu überzeugen. Wäre es ihm gelungen, hätte man ihn nicht gekreuzigt und auch Petrus wäre nicht vor dem Hohen Rat gestanden. Das ist eine ernüchternde und erschreckende Feststellung, denn wenn es Jesus nicht gelungen ist, warum sollte es uns heute gelingen? Ist das also wirklich eine Frohe Botschaft oder doch nicht eher eine Bankrotterklärung?

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Es kann eine Frohe Botschaft werden, wenn wir bedenken, dass Gott uns nie aufgibt oder im Stich lässt. Zwar ist es Jesus nicht gelungen, den Menschen zu seiner Zeit die besondere Art des Vaterseins Gottes verständlich zu machen. Aber er hat daraus die Folgerung gezogen, dass er selbst durch jene Hölle, die autoritär handelnde Menschen und die von ihnen gelenkten Institutionen bewirken, hindurchgehen und sie durch seine Auferstehung öffnen musste. Die Auferstehung sagt allen, die Opfer solchen Tuns werden, dass ihr Opfersein nicht das Letzte ist, sondern Gott auch sie aus ihrer Hölle befreien wird; und sie sagt jenen, die Täter geworden sind, dass Jesus auch nicht bereit ist, sie verloren zu geben, denn auch für sie gilt seine an den Vater gerichtete Vergebungsbitte am Kreuz (vgl. Lk 23,34).

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Für uns bedeutet das: So gut es geht, im Glauben erwachsen zu werden und einander zu begleiten auf dem Weg; wachsam zu sein und, wo sich Machtmissbrauch andeutet, das Unsere dagegen zu tun. Wir wissen, dass wir ihn nicht vollkommen verhindern werden können, aber wir wissen auch, dass Christus – derjenige, der durch missbrauchte Macht unschuldig gestorben ist – wiederkommen wird als Richter, der die Wahrheit ans Licht bringt, und doch auch als der Richter, der selbst für seine Henker um Vergebung gebetet hat (vgl. Lk 23,34). Auch dieser Richter ist anders, als jene, die wir sonst kennen: keiner, vor dem man zittern muss, sondern einer, auf den wir hoffen können.

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