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Fies und unfair? Gedankensplitter zum verstörenden Gleichnis über die Arbeiter im Weinberg
(Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis (24. Sept. 2023))

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2023-09-30

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„Wir haben doch alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen?“ Petrus will eine klare Antwort. Wie halt auch wir, Menschen, die zwar nicht alles verlassen haben, aber doch in einer ähnlichen Situation wie die Jünger der ersten Stunde stecken.  Und Jesus? Jesus scheint ihm diese klare Antwort auch zu geben und die Hoffnungen des Ehrgeizigen zu bestätigen. Jesus spricht davon, dass die Jünger auf zwölf Thronen sitzen werden. Wie überhaupt alle: alle, die Jesus nachfolgen – also auch wir – das Hundertfache als Lohn erhalten und das ewige Leben gewinnen. Ein Gefühl der Behaglichkeit macht sich nicht nur unter den Jüngern breit. Nun wissen sie, dass sie das große Los gezogen haben und auf das richtige Pferd gesetzt haben. Doch: Hoppla… Ganz unerwartet setzt Jesus einen Kontrapunkt. „viele, die jetzt die Ersten sind, werden dann die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein.“ (vgl. Mt 19,27-30).

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„Soll das ein Witz sein?“, könnte sich Petrus – und nicht nur er – gedacht haben. Dies auch deswegen, weil Jesus seine Unterhaltung mit den Getreuen fortsetzt indem er ein verstörendes Gleichnis von Arbeitern im Weinberg konstruiert, die Geschichte, die unmittelbar auf den oben rekonstruierten Dialog mit Petrus folgt und die wir heute als das an uns gerichtete Sonntagsevangelium gehört haben (Mt 20,1-16). Der gesunde Menschenverstand wird deren Logik als fies, unfair, mehr noch: als ganz schön doof abqualifizieren. Und warum? „Wenn man für 12 Stunden Arbeit und auch für eine Stunde dasselbe bekommt, dann bekommt der Gutsbesitzer am nächsten Tag die Rechnung präsentiert. Die potentiellen Arbeiter werden nämlich erst abends auf den Markt hinausgehen, um bloß für die eine Stunde angeworben zu werden. Man ist doch nicht blöd!“, wird der gesunde Menschenverstand sagen.

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Liebe Schwestern und Brüder, warum erzählt Jesus ausgerechnet jenen Menschen, die von der ersten Stunde an da sind eine derartige Geschichte? Und dazu noch sagt, sie habe etwas mit dem Himmel zu tun? Warum wird diese Geschichte als „Evangelium“ an uns gerichtet? Damit wir uns in einer Rolle wiederfinden? Doch in welcher? Und was sagt das Gleichnis über den Himmel aus? Nur dass Gott gut ist und mit dem was ihm gehört, alles machen kann? Wenn Jesus nur eine fromme Story über die Güte des Gutsbesitzers, über die unbegrenzte Güte Gottes zum Besten geben wollte, dann hätte er doch die Reihenfolge der Auszahlung des Lohns gemäß der Reihenfolge des Engagements beibehalten. Dann hätten diejenigen, die den ganzen Tag geschuftet haben, den ehrlich verdienten Denar eingesteckt, wären dann seelenruhig nach Hause gegangen: froh darüber, dass sie nicht betrogen wurden, sondern den vereinbarten, gerechten Lohn bekommen haben. Durchaus in der Überzeugung, dass die anderen bloß einen Bruchteil dessen erhalten, was sie selber bekommen. Jesus dreht aber in seiner Geschichte die Reihenfolge bewusst um, lässt gar den Gutsherrn eine Falle aufstellen, in die gerade die fleißigen Arbeiter der ersten Stunde hineintappen. Sie müssen nämlich mitansehen, wie die Letzten den mit ihnen, den Ersten, vereinbarten Tageslohn als Bezahlung bloß für die eine Stunde der Arbeit bekommen. Und was ist da die Falle? Klar, dass sie sich da gedacht haben: „Mensch…, das ist ein toller Typ. Dieser Gutsbesitzer. Großzügig. Spendabel. Sicher bekommen wir – wenn schon nicht das Zwölffache, so doch – erheblich mehr als vereinbart. Was für ein Glück für einen derart freigebigen Menschen gearbeitet zu haben.“ Und dann? Dann der Schock. Sie bekommen bloß den vereinbarten einen Denar, beschweren sich logischerweise deswegen und werden brüsk abgewiesen. „Ein Denar war ausgemacht. Kein Grund zur Beschwerde. Recht und Ordnung wurden gewahrt. Aber, Du… Du bist das Problem. Du bist ja bloß neidisch! Neidisch auf jene, die unverdientermaßen etwas bekommen. Das sei ungerecht, denkst du. Hast Du dich aber einmal gefragt, was es bedeutet, den ganzen Tag vergeblich darauf zu warten, dass dich jemand anwirbt, engagiert? Vergeblich darauf gewartet, dass dich jemand braucht? Mehr noch: Kannst Du dich in jene Menschen hineinversetzen, die daran leiden – oft ein Leben lang daran leiden –, weil sie niemandem abgehen? Weil es niemandem auffällt, wenn sie weg sind, weil niemand ihren Rat oder ihre Arbeit sucht. Natürlich haben alle Menschen die gleiche Chance in dieser unfairen Welt, doch wie viele sind im Leben zu spät dran? Wie viele haben sich vergeblich bemüht, immer und immer wieder bemüht etwas auf die Reihe zu bringen und sind leer ausgegangen?“

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„Warum steht ihr hier den ganzen Tag untätig?“ „Niemand hat uns angeworben“, antworten diejenigen, die scheinbar leer ausgehen werden. Und, als sie schon nicht mehr gehofft haben, Arbeit für diesen Tag zu finden, da taucht plötzlich Einer auf und stellt sie an. Und als sie dann bloß nur einen Zwölftel eines Denars erwartet haben, bekommen sie alles. Das ist die Logik des Himmelreiches. „Jene, die fürchten müssen, leer auszugehen, bekommen die ganze Fülle. An ihnen ereignet sich das Wunder. Da tritt die Liebe mitten in diese Welt hinein und verwandelt sie. Und Du, der du durch Recht und Ordnung geschützt bist, niemals fürchten musstest, dass du leer ausgehst, weil du auf die Butterseite des geordneten Lebens gefallen bist, du beschwörst dich, fühlst dich gar unfair behandelt. Das Problem bist Du!“

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Liebe Schwestern und Brüder, ich glaube nicht, dass Petrus, der die Frage nach der gerechten Belohnung all jener Menschen stellt, Menschen, die von der ersten Stunde an dabei sind, Petrus, der sich in seiner Phantasie schon auf dem goldenen Thron im Himmel sitzend sah, weil er so tüchtig, brav und ausdauernd ist, dass dieser Petrus sich von dem Gleichnis Jesu überzeugen hat lassen. Deswegen auch für sich das Urteil des gesunden Menschenverstandes korrigiert. In seinem Nachfolgeeifer erlebte er sich doch ganz vorne, gar als Primus inter pares der anderen Jünger der ersten Stunde. So war es doch nur allzu logisch, dass er in der Situation der Bedrohung vollmundig schwören konnte: „Wenn auch die Anderen dich verlassen, ich werde bei dir in deinem Weinberg bleiben. Bis zum letzten Atemzug! Bleiben, bis ich auf dem versprochenen und wohl verdienten Thron im Himmel sitzen werde.“ Doch dann der Schock. Er, gerade er, der die Frage nach der gerechten Belohnung für die konsequent Nachfolgenden stellte, ausgerechnet er wird Jesus drei Mal verleugnen, sich also auch im Verrat als Primus inter pares der Verräter zeigen und Hals über Kopf aus dem Weinberg wegrennen. Was hat das zu bedeuten? Aus! Aus mit den Träumen von der Belohnung im Himmel. Adios ogni speranza auf den goldenen Thron. Oder aber – und das die wichtigste existentielle Wendung bei der Beurteilung dessen, was dem gesunden Menschenverstand bisher als fies, unfair, gar ganz schön doof erschien – gerade in der Situation des Versagens, dort also, wo er fürchten muss leer auszugehen, dort macht auch Petrus die alles umkrempelnde Erfahrung, dass auch in seinem Leben sich das Wunder ereignet. Durch sein Verhalten hat er den „Vertrag zur Arbeit im Weinberg“ gebrochen, sich von der Logik der Arbeiter der ersten Stunde verschiedet, konnte also nur noch eine „fristlose Entlassung“, gar Verbannung in das Reich der damnatio memoriae erwarten. Und nun muss er überrascht feststellen, dass er jenes Wunders teilhaftig wird, das den Arbeitern der 11. Stunde im Gleichnis widerfahren ist.

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„Was hat diese lange biblisch inspirierte Meditation mit uns zu tun?“, werden sie fragen. Mit uns, die wir noch regelmäßig in die Kirche gehen? Mit uns, die wir in der Zeit der vorherrschenden Trends zum Austritt aus der Kirche dieser Kirche treu bleiben? Mit uns, die wir als Arbeiter – wenn schon nicht der ersten Stunde, so doch – des ganzen Tages uns den Himmel als gerechten Lohn erwarten, den Lohn, den wir uns verdient haben? Deswegen aber auch oft der Gefahr der Selbstgerechtigkeit ausgeliefert bleiben und auch dem Neid auf jene verfallen, die unverdientermaßen des Himmels teilhaftig werden: schon hier und erst recht im Jenseits! Wir alle dürfen erkennen, dass auch wir des Wunders teilhaftig werden, weil auch wir, wie Petrus den „Vertrag“ brechen, hin und wieder „aus dem Weinberg wegrennen“ und uns unmöglich bloß auf unsere Leistung berufen können. Auch in unser Leben tritt also in dieser unfairen Welt die göttliche Liebe hinein und verwandelt alles. Gerade dort, wo wir nichts mehr erwarten.

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