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Vom Kreuztragen. Eine etwas ungewöhnliche Predigt ...

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2023-07-05

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt in der Jesuitenkirche am 2. Juli 2023 (13. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr A): Röm 6,3-4.8-11; Mt 10,37-42)

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Mir träumte! Ich sah eine lange Prozession. Alle Menschen schleppten Kreuze auf den Schultern. Mühsam kam der Zug vorwärts. Schon deswegen, weil immer wieder einige zur Seite traten. Sie warfen ihre Kreuze weg, oder verkürzten diese. Plötzlich übermannte auch mich der Gedanke, mein Kreuz wäre zu lang. So trat ich zur Seite, ergriff eine Säge und sägte die Hälfte des Stammes ab. Nun war das Kreuz leichter. Doch dann? Dann kam der Zug an einen tiefen Abgrund. Einer nach dem anderen legten die Menschen ihre Kreuze darüber und marschierten ruhigen Schrittes auf die andere Seite. Als die Reihe an mich kam, positionierte auch ich mein Kreuz. Es war zu kurz. Die Haare standen mir zu Berge als ich den Versuch wagte, darüber zu gehen. So stürzte ich ab: in die Tiefe. Schweißgebadet wachte ich auf. Und fing an, über den Sinn meines Traums nachzudenken.

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Liebe Schwestern und Brüder, der Traum folgt einer alten Überlieferung. Diese sinnstiftende Geschichte versucht die tiefe Weisheit des Wortes vom Kreuztragen einzufangen. „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert“, sagt Jesus im heutigen Evangelium (Mt 10,38). Diese Worte gingen der 68-er Generation durch Mark und Bein. Diese Generation – zu der ich mich noch zählen darf – sah nämlich die Sache völlig anders. Die Künstler der damaligen Zeit malten einen Jesus, der sein Kreuz zerbricht und wegwirft. Verweigerung, nicht Annahme lautete auch die Devise. Diese rebellische Haltung von damals mündete in die resignierte Haltung von heute. Jung und gesund können wir – können die Menschen von heute – vom Konsum nicht genug bekommen. Angesichts der uns treffenden Schläge können wir nur noch sprachlos werden! Und auch restlos einsam. Die medial groß aufgebauschten Anschuldigungen und Prozesse gegen die scheinbar Schuldigen vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass wir auf unseren alltäglichen Kreuzwegen ärmer dran sind als unsere Großmütter und Großväter. Diese konnten noch auf Jesus schauen, der sein Kreuz auf sich nimmt. Sie wussten noch, dass es im Leben Situationen gibt, in denen nur eine freie Zustimmung zum Geschick des Menschen jene Kraft geben kann, die größer ist als alle Proteste. Denn: Nicht Resignation stand am Ende des Kreuzweges von Jesus, sondern eine innere Wandlung. Das tiefste Geheimnis des christlichen Glaubens setzt zwar an bei dem, was wir sehen, bei der Wahrnehmung einer erschreckenden Gewalttat, das Geheimnis dringt aber zu dem, was wir nicht sehen, sondern glauben: zur Innenseite des Geheimnisses von Kreuz. Wir glauben nämlich, dass der himmlische Vater den Gekreuzigten ermächtigt hat, diese fürchterliche Gewalttat in einen Akt der liebenden Hingabe zu verwandeln, einer Hingabe an ihn selber, an den Gott des Lebens, einer Hingabe, die uns Menschen, rettet. Wie hieß es in der Lesung? Wir, die wir auf Christus Jesus getauft sind, auf seinen Tod, wurden schon mit ihm begraben, damit wir mit ihm leben (Röm 6,3f.8). Wie soll man aber dieses Geheimnis erklären, oder plausibel machen?

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Vom lautem Sinnieren nach dem brüsken Erwachen aus dem Traum vom verkürzten Kreuz ermüdet, schlief ich wiederum ein und träumte von neuem. Zu meiner Überraschung erschien in diesem Traum – und zwar in dem Abgrund, in den ich abgestürzt bin, weil ich die Hälfte des Stammes bei meinem Kreuz abgesägt habe – Jesus selber. Er stand nun da und lächelnd erzählte er mir eine alte Legende. Sie sprach davon, wie es dem Gekreuzigten in einer französischen Kathedrale ergangen ist.

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„Seit hunderten von Jahren hänge ich dort“, sagte Jesus. „Ich hänge auf dem großen gotischen Kruzifix oben in der enormen Höhe dieses gotischen Domes. Ich sehe, wie das Innere der Kathedrale den Besuchern, den Beterinnen und Betern, vor allem aber den Touristen – zuerst natürlich den Japanern – den Atem stocken lässt. Millionen von Bildern werden da gemacht: meine goldene Dornenkrone, durchsetzt mit kostbaren Edelsteinen, zieht die Aufmerksamkeit der Frommen, und nicht nur der Frommen auf sich. Auch Diebe, potentielle Diebe, sind von diesem Schmuckstück fasziniert. Einer von ihnen fiel mir besonders auf, weil er tagelang den Altarraum beobachtete. Und immer und immer wieder seine Augen auf das Gewölbe fixierte. Eines Nachts war es soweit: er ließ sich vom Dachboden mit einem Seil hinunter, ausgerüstet mit einem scharfen Messer, das er zwischen den Zähnen hielt. So hing er direkt vor meinem Kopf, versuchte die Krone aus der Verankerung zu lösen – doch sie saß fest. Die mittelalterlichen Meister haben keinen Pfusch geliefert, sie haben ihre Arbeit ordentlich gemacht. Der Dieb gab aber nicht auf, versuchte es wieder und immer wieder, er schwitzte und keuchte. Plötzlich brach die Klinge des Messers entzwei. Panikartig rückte der Mann seitwärts, das Seil riss entzwei. So wäre der Dieb am Boden der Kathedrale zerschmettert, wenn ich ihn nicht – flüsterte schelmisch der dornengekrönte Heiland – mit meiner Hand aufgefangen hätte. Ich riss nämlich die rechte Hand aus der Verankerung des Nagels auf dem Kruzifix los und griff nach dem Mann, nach dem armen, vor Angst erstarrten Dieb. Was glaubst Du, wie der Mesner in der Früh geschaut hat, als er den Mann oben erblickte, fest, aber herzlich umklammert von meinem Arm, dem Arm des Gekreuzigten? Da musste ich lächeln“, sagtet der Gekreuzigte immer noch in meinem Traum. Und er fügte hinzu: „Den rechten Arm – den behielt ich in dieser Position.“

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Liebe Schwestern und Brüder, eine alte Legende. Eine Legende, deren eigentliche Sinn darin besteht, die Brücke zur Überlieferung über das „verkürzte Kreuz“ zu bauen und uns zu erklären – und dies nicht mit den hochgestochenen theologischen Spekulationen, sondern in der Art der Naivität eines Kinderglaubens – den tiefsten Sinn, damit auch den eigentlichen Wert des christlichen Glaubens. Da ist nichts von der Moralinsäure und auch nichts von der Skandallust, geschweige denn dem Selbsthass der frustrierten Katholiken der Gegenwart. Der tiefste Sinn des christlichen Glaubens – gerade im Kontext des Wortes vom Kreuz – liegt im Vertrauen, dass Christus rettet. Christus rettet gar denjenigen, der sich an ihm vergreift. Er rettet auch jenen, der sein Kreuz wegwirft, bildhaft ausgedrückt: der den Stamm seines Kreuzes verkürzt, damit er es leichter hat: im Leben. Scheinbar leichter! Denn! Vergessen wir nicht: Das schwerste Kreuz, das wir zu tragen haben, das sind wir selber.

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